• Elisabeth Wilhelmine van Nuys to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Hamburg · Place of Destination: Coppet · Date: 8. November [1805]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Elisabeth Wilhelmine van Nuys
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Hamburg
  • Place of Destination: Coppet
  • Date: 8. November [1805]
  • Notations: Datum (Jahr) sowie Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 243‒245.
  • Incipit: „[1] Hamburg Nov 8 – [1805]
    Ich fühle daß es der Versicherung nicht bedürfen wird, daß Sie oft und lebhaft auch bei [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-7
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,22,2
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 20,3 x 12,7 cm
    Language
  • German
[1] Hamburg Nov 8 – [1805]
Ich fühle daß es der Versicherung nicht bedürfen wird, daß Sie oft und lebhaft auch bei der größern Kluft die uns trennte sich mir vergegenwärtigten – Seit Sie nicht von mir hörten lerntʼ ich Empfindungen kennen die leider ganz mit jenen verschwistert sind, mit denen Sie in B[raunschweig] erschienen. Auch ich hatte den Schmerz eine Tochter zu verlieren die bald Freundin mir hätte werden können – die bald, die mich drohende Trennung von meiner ältesten Tochter mir würde erträglicher gemacht haben!!
Nie glaubte ich an volle Unabhängigkeit, nie wünschte ich sie mir; wäre sie aber in der [2] bangen überstandenen Zeit mir geworden, ich wäre nach Rom geeilt, dort unter einem milden Himel herbste Gefühle zu lindern aber dieß konnte nicht sein jede Art von Schmerz solltʼ ich nicht allein kennen, ich sollte üben lernen die Kraft die es in solchen Lagen erfordert, noch wieder Theil zu nehmen an irgend etwas von dem was Freude man nent. Mein Sohn Schleiden dessen Sie gewiß sich entsinnen gab mir in Ihrem Nahmen die Hofnung Sie bald in unserm Kreise zu sehen, darf ich daran glauben? Hier von andern Menschen umgeben als ich, und besonders als Sie es in B[raunschweig] waren, würdʼ ich weit höhern [3] Genuß von Ihrer Nähe mir versprechen. Sie schreckten dort – doch kein détail es würde mich zu weit führen, ich glaube gerne jezt daß ich der Zeit Ihnen unrecht that; daß vieles ganz anders sein würde wenn ich jetzt Sie wieder sähe.
Ihr geistvolles Blatt aus Rom was so eben hier erscheint verräth deutlich wie sehr Sie Ihre jetzige Gefährtin achten, also frage ich nicht ob Sie zufrieden leben? Im letzten Sommer besuchte ich mit meinen Kindern Dännemark und einen Theil von Schweden, in Copenhagen sahʼ ich oft die geistige Brun auf ihrer reizenden Villa Sophienholm, sie [4] kennt die Fr[au] v. St[aël] und oft wuste über sie, meine Theilnahme jene zu spannen. Lassen Sie dieser doch einmahl wieder etwas näheres von sich hören, mich verlangt danach! Den nächsten Winter werde ich hier zubringen. Den letzten Ort meines trüben Aufenthalts mustʼ ich verlassen, er mahnte zu sehr mich an meinen Verlust.

Schmerzvolle Spuren banger Vergangenheit zeigten einzig sich dem trüben Blick,
Charons Nachen nur schien freundlich zu winken, zu versprechen Seligkeit,
Higiea – ach sie war entflohn seit das holdeste der Mädchen
Lieblich wie ein Engel mich umschwebend aus dem seltnen Kreis entrückt mir ward,
Einsamkeit sie rührte nur die Seele wie es ihr Bedürfniß war, und so schwand bald das, was des Lebens Reiz erhält –
Größer istʼs: rief endlich da die inre Stimme, vorwärts nur zu richten hofnungsvoll den Blick,
[5] Erhaltung, und was diese werth uns macht kann nicht durch Sehnen, Bangen, Klagen erreicht je werden,
Leidend erringen wir nichts – nicht einmal Ruhe; und so muß frohe Hoffnung uns zum edel handeln leiten.

Daß Sie trüber wehmutsvoller Gefühle nicht spotten, davon gaben Sie mir schon die schönsten untrüglichsten Beweise, und daher keine Entschuldigung wie jene auch eingekleidet sein mögen.
In diesen Tagen bereitete mir die wiederholte Durchlesung des Trauerspiels Polyidos unendlichen Genuß, der Verfasser nannte sich nicht; ich glaube so gerne daß es von Ihnen – bestätigen Sie mir es, und mit inniger Freude will ich Ihnen es wiederholen daß es ganz Ihres Geistes würdig. Ausser der hohen Bekandschaft mit den Göttern und den Alten [6] bezeichnet es die edelste Sprache, die sich so durchaus treu geblieben ist daß ich zu erfahren wünsche Sie haben so Ihre Zeit Ihre Kenntnisse angewandt!
Laßen Sie bald mir es wissen L[ieber] S[chlegel] ob ich recht bin in meiner Vermuthung; sagen Sie mir was Sie arbeiten wie Sie leben wie Ihre Freundin im nähern Umgang erscheint, und auf welche Weise Sie Ihres Vaterlandes gedenken; mit Freuden gebe ich Ihnen dagegen was von hier aus Sie intéressiren kann; da ich unter den intéressantesten [Leuten] lebe. Reimarus, Voight, M. Sieveking, D[o]ct[or] Meyer, Tischbein und alles was dieser Ort geistvoll nennt, sehʼ ich im größern wie [7] im kleinern Kreise, ich lebe bei alten würdigen Freunden die mir den schönsten Theil ihres alten freilich klosterartigen Hauses überlassen aber dadurch schön, weil sie die schönsten Werke der Kunst, nehmlich der seltensten Gemählde enthalten. Mir grade gegen über hängt das Colosseum von Rom und ein Mondschein von van der Neers seltensten schützt mich (da ich grade darunter wohne) gegen Sturm und Sonnenbrandt. – Die Luft scheint wohlthätig auf mich zu wirken, und so hofʼ ich in besserer Stimmung Sie wieder zu sehen als ich Sie verließ. Auf jeden Fall wünsche ich daß diese Zeilen Ihnen heilig sein mögen. Immer Ihre Freundin
N[uy]s

[8] Sie sahen Bonstetten in G[enf], wie gefällt Ihnen dieser und seine Freundin B[run]? Dieser hab ich Sie erwähnt wie Sie es zu wünschen nur immer Ursache haben können.
Adr[esse] Msr Bertheau le père
[1] Hamburg Nov 8 – [1805]
Ich fühle daß es der Versicherung nicht bedürfen wird, daß Sie oft und lebhaft auch bei der größern Kluft die uns trennte sich mir vergegenwärtigten – Seit Sie nicht von mir hörten lerntʼ ich Empfindungen kennen die leider ganz mit jenen verschwistert sind, mit denen Sie in B[raunschweig] erschienen. Auch ich hatte den Schmerz eine Tochter zu verlieren die bald Freundin mir hätte werden können – die bald, die mich drohende Trennung von meiner ältesten Tochter mir würde erträglicher gemacht haben!!
Nie glaubte ich an volle Unabhängigkeit, nie wünschte ich sie mir; wäre sie aber in der [2] bangen überstandenen Zeit mir geworden, ich wäre nach Rom geeilt, dort unter einem milden Himel herbste Gefühle zu lindern aber dieß konnte nicht sein jede Art von Schmerz solltʼ ich nicht allein kennen, ich sollte üben lernen die Kraft die es in solchen Lagen erfordert, noch wieder Theil zu nehmen an irgend etwas von dem was Freude man nent. Mein Sohn Schleiden dessen Sie gewiß sich entsinnen gab mir in Ihrem Nahmen die Hofnung Sie bald in unserm Kreise zu sehen, darf ich daran glauben? Hier von andern Menschen umgeben als ich, und besonders als Sie es in B[raunschweig] waren, würdʼ ich weit höhern [3] Genuß von Ihrer Nähe mir versprechen. Sie schreckten dort – doch kein détail es würde mich zu weit führen, ich glaube gerne jezt daß ich der Zeit Ihnen unrecht that; daß vieles ganz anders sein würde wenn ich jetzt Sie wieder sähe.
Ihr geistvolles Blatt aus Rom was so eben hier erscheint verräth deutlich wie sehr Sie Ihre jetzige Gefährtin achten, also frage ich nicht ob Sie zufrieden leben? Im letzten Sommer besuchte ich mit meinen Kindern Dännemark und einen Theil von Schweden, in Copenhagen sahʼ ich oft die geistige Brun auf ihrer reizenden Villa Sophienholm, sie [4] kennt die Fr[au] v. St[aël] und oft wuste über sie, meine Theilnahme jene zu spannen. Lassen Sie dieser doch einmahl wieder etwas näheres von sich hören, mich verlangt danach! Den nächsten Winter werde ich hier zubringen. Den letzten Ort meines trüben Aufenthalts mustʼ ich verlassen, er mahnte zu sehr mich an meinen Verlust.

Schmerzvolle Spuren banger Vergangenheit zeigten einzig sich dem trüben Blick,
Charons Nachen nur schien freundlich zu winken, zu versprechen Seligkeit,
Higiea – ach sie war entflohn seit das holdeste der Mädchen
Lieblich wie ein Engel mich umschwebend aus dem seltnen Kreis entrückt mir ward,
Einsamkeit sie rührte nur die Seele wie es ihr Bedürfniß war, und so schwand bald das, was des Lebens Reiz erhält –
Größer istʼs: rief endlich da die inre Stimme, vorwärts nur zu richten hofnungsvoll den Blick,
[5] Erhaltung, und was diese werth uns macht kann nicht durch Sehnen, Bangen, Klagen erreicht je werden,
Leidend erringen wir nichts – nicht einmal Ruhe; und so muß frohe Hoffnung uns zum edel handeln leiten.

Daß Sie trüber wehmutsvoller Gefühle nicht spotten, davon gaben Sie mir schon die schönsten untrüglichsten Beweise, und daher keine Entschuldigung wie jene auch eingekleidet sein mögen.
In diesen Tagen bereitete mir die wiederholte Durchlesung des Trauerspiels Polyidos unendlichen Genuß, der Verfasser nannte sich nicht; ich glaube so gerne daß es von Ihnen – bestätigen Sie mir es, und mit inniger Freude will ich Ihnen es wiederholen daß es ganz Ihres Geistes würdig. Ausser der hohen Bekandschaft mit den Göttern und den Alten [6] bezeichnet es die edelste Sprache, die sich so durchaus treu geblieben ist daß ich zu erfahren wünsche Sie haben so Ihre Zeit Ihre Kenntnisse angewandt!
Laßen Sie bald mir es wissen L[ieber] S[chlegel] ob ich recht bin in meiner Vermuthung; sagen Sie mir was Sie arbeiten wie Sie leben wie Ihre Freundin im nähern Umgang erscheint, und auf welche Weise Sie Ihres Vaterlandes gedenken; mit Freuden gebe ich Ihnen dagegen was von hier aus Sie intéressiren kann; da ich unter den intéressantesten [Leuten] lebe. Reimarus, Voight, M. Sieveking, D[o]ct[or] Meyer, Tischbein und alles was dieser Ort geistvoll nennt, sehʼ ich im größern wie [7] im kleinern Kreise, ich lebe bei alten würdigen Freunden die mir den schönsten Theil ihres alten freilich klosterartigen Hauses überlassen aber dadurch schön, weil sie die schönsten Werke der Kunst, nehmlich der seltensten Gemählde enthalten. Mir grade gegen über hängt das Colosseum von Rom und ein Mondschein von van der Neers seltensten schützt mich (da ich grade darunter wohne) gegen Sturm und Sonnenbrandt. – Die Luft scheint wohlthätig auf mich zu wirken, und so hofʼ ich in besserer Stimmung Sie wieder zu sehen als ich Sie verließ. Auf jeden Fall wünsche ich daß diese Zeilen Ihnen heilig sein mögen. Immer Ihre Freundin
N[uy]s

[8] Sie sahen Bonstetten in G[enf], wie gefällt Ihnen dieser und seine Freundin B[run]? Dieser hab ich Sie erwähnt wie Sie es zu wünschen nur immer Ursache haben können.
Adr[esse] Msr Bertheau le père
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