• August Wilhelm von Schlegel to Christian Friedrich Tieck

  • Place of Dispatch: Coppet · Place of Destination: Rom · Date: 27.04.1815
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Christian Friedrich Tieck
  • Place of Dispatch: Coppet
  • Place of Destination: Rom
  • Date: 27.04.1815
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 301‒304.
  • Incipit: „[1] Coppet d. 27sten April 1815
    Geliebtester Freund!
    Dein Brief vom 29sten Dec. und 4ten Jan. ist mir, wiewohl spät, richtig zu Handen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-37187
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.7,Nr.66(84)
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs.
  • Format: 19,1 x 12,3 cm
    Language
  • German
[1] Coppet d. 27sten April 1815
Geliebtester Freund!
Dein Brief vom 29sten Dec. und 4ten Jan. ist mir, wiewohl spät, richtig zu Handen gekommen, und hat mich auf das angenehmste überrascht. Zuvörderst muß ich dir erklären, wie es zugeht, daß ich so lange zu antworten versäumt. Ich war äußerst beschäftigt, um meinen Aufenthalt in Paris an einigen Manuscripten und sonst, zu benutzen. Nun zeigt sichs, daß ich noch nicht fleißig genug gewesen: ich habe nicht ausführen können, was ich wollte, da die Begebenheiten uns bewogen plötzlich abzureisen. Seit beynahe sechs Wochen sind wir nun hier: aber der Umsturz aller Plane und Aussichten, die Ungewißheit der nächsten Zukunft, die Wuth über dieß alles hatte mich äußerst verstimmt, und besonders zum Briefschreiben unlustig gemacht. Überdieß weiß man nach so langer Unterbrechung kaum, wo man anfangen soll, und es gehört ein großer Entschluß dazu. Seit wir uns zuletzt sahen, habe ich mich in ganz Europa umhergetrieben, an Höfen, in Feldlagern, in der großen Welt, und wo nicht? Ich kann mich fast als den vielgewanderten Ulysses betrachten, der vieler Menschen Städte gesehen und ihre Gemüther erkannt hat. Doch dieß ist zu weitläuftig zum Schreiben – wir werden uns ja irgend einmal wieder antreffen, dann habe ich dir tausenderley zu erzählen. Eine daurende Verbesserung meiner Lage hat mir meine politische Thätigkeit nicht geschafft – indessen hat mich mein Kronprinz reichlich belohnt, ich habe ein Jahrlang lustig und unterhaltend gelebt, und es kann mir noch auf die Zukunft nützlich werden. Für jetzt führe ich wieder nach wie vor das Leben eines unbesoldeten und unabhängigen Gelehrten.
[2] Ich bin gesund und wohl, und man giebt mir das Zeugniß, daß ich auch darnach aussehe – ich weiß nicht, was sich Frau v. Humboldt vorgestellt hat. Im Februar des vorigen Jahres war ich gefährlich krank, aber seitdem ist meine Gesundheit so fest als je.
Die ersten Nachrichten von dir erhielt ich vorigen Frühling in Paris durch den Kronprinzen von Baiern. Es freut mich, daß dein Brief mir alles bestätigt, und daß es dir leidlich wohl geht. Die Büste in Marmor wird mir unendliche Freude machen, es thut mir nur leid, daß du so viel Verdruß damit gehabt. Unmöglich kann ich zugeben, daß dieß auf deine Kosten gehen soll, ich muß dir doch wenigstens deine baaren Auslagen erstatten. Die Büste ist ein wahres Meisterwerk, ich habe sie in Bern wiedergesehen. Leider habe ich sie nicht hier: Frau Hebler hat sich des zweyten Exemplars bemächtigt und es schön aufgestellt, ich habe es ihr natürlich lassen müssen. Vor einiger Zeit bestellte ich wieder einige Abgüsse bey Weißer für meine Geschwister, ich weiß nicht ob er sie schon geliefert hat.
Den Auftrag mit der Uhr verschob ich bis zur Rückkehr nach Genf, wo Uhren ohne Vergleich wohlfeiler und besser zu haben sind. Nun mußt du aber verzeihen daß ich noch damit zögre. Ich bin nicht eben in Vorrath, und bey gegenwärtigen Zeitläuften darf man sich nicht ganz von Gelde entblößen, um auf unerwartete Fälle gefaßt zu seyn. Du mußt dich schon ein wenig gedulden.
Ich fürchte, daß die Umstände auch auf deine Lage einen nachtheiligen Einfluß haben werden. Überall stockt es mit dem Gelde, und jeder hält es an sich. Wäre die Ruhe geblieben, so hätte es in Rom von Fremden besonders von Engländern gewimmelt. Vielleicht wären wir nächsten Winter wieder hingekommen [3] und ich hätte dir dann zu nützlichen Bekanntschaften verhelfen können. Jetzt kann kein Mensch voraussagen, wie lange der Sturm dauern und bis wohin er sich verbreiten wird.
Mein Bruder ist natürlich während des Congresses sehr in Thätigkeit gewesen – ich habe lange keinen Brief von ihm. Es ist der erste Band seiner Vorlesungen über die Geschichte der Litteratur erschienen – ein unendlich reiches, tiefgedachtes und dabey klargeschriebenes Buch.
Reimer meldet mir von einer Schrift deines Bruders über Shakspeare – sonst habe ich noch nichts davon gehört oder gesehen. Ich schließe daraus, daß er leidlich wohl ist. Sein Fantasus ist dir doch zu Handen gekommen? Ein äußerst angenehmes Buch. Die Gespräche sind neu, und von den Erzählungen und Dramen war mir auch einiges noch unbekannt. Ich will ihm doch nach so undenklich langer Entfernung einmal wieder schreiben.
Deine Schwester grüße aufs herzlichste von mir in deinem nächsten Briefe, und theile mir die Nachrichten von ihr mit, wofern du welche hast. Ich denke, Du darfst dich über ihr Stillschweigen nicht beunruhigen, das Nichtschreiben steckt uns allen ein wenig im Blute. Niemals war ich wieder so nahe als in St. Petersburg, ich hätte gern einen Ausflug nach Esthland gemacht, um sie zu besuchen. Allein die Umstände des Krieges waren zu bedenklich, unser Aufenthalt in St. Petersburg zu kurz, und die Jahrszeit zu weit vorgerückt als daß ich damals meine Reisegefährten hätte verlassen können. Werden sie denn nicht einmal wieder eine Reise nach Süden machen, wenn Knorring seine Angelegenheiten erst mehr in Ordnung gebracht?
[4] Da du von Marien seit so langer Zeit keine Briefe mehr gehabt, so wirst du wohl nicht von allem unterrichtet seyn, was sie betrifft. Es kostet mir einige Überwindung davon zu schreiben. – Ihre Schwangerschaft, wenige Monate nach meiner Abreise nach Rußland, erfuhr ich in Stockholm früher durch andre als durch ihr eignes Geständniß. Welchen Eindruck dieß auf mich machte, kannst du dir leicht denken – lange habe ich es nicht verwinden können. Sie hatte also ihre heiligsten Versprechungen gebrochen, und der häusliche Friede war auf meine Unkosten geschlossen. Ich schwieg – dieß Stillschweigen hat sie dann wieder sehr gekränkt. Im Januar 1814 ist Haller gestorben, an einem Fieber das er sich im Lazareth der Österreicher gehohlt, für das er Bauanstalten zu treffen hatte. Sie hat ihn mit größtem Muth und Hingebung gewartet, da die Krankheit ansteckend war. – Im vorigen Sommer schrieb ich ihr und kam auf einige Tage nach Bern – das Alte hat nicht wieder werden können. Ich fand, daß sie nicht genug das Bedürfniß fühlte, mir den zugefügten Schmerz zu vergüten – wiewohl nun ganz frey, wollte sie immer die ehemalige Strenge behaupten. So sind wir gegenseitig unbefriedigt geschieden.
Mir war eben zuvor die Professorstelle für die Griechische Sprache in Bern angetragen und ich hatte sie höflich abgelehnt. Die beyden Schwestern drangen sehr in mich, sie noch anzunehmen, aber dazu konnte ich mich durchaus nicht entschließen. Ich hätte litterarisch und politisch meine Existenz vernichtet. Sollte ich noch wieder das Professorwesen treiben, so müßte es an einer der berühmtesten Universitäten seyn, und nicht an solch einer halben Winkeluniversität. Auch wäre mir das [5] Verhältniß mit den Berner Aristokraten unleidlich gewesen, da ich den Fuß der Gleichheit gewohnt und auf alle Weise dazu berufen bin. Endlich wäre Bern ohne Heirath nicht haltbar gewesen, und dazu war denn doch die Einnahme sehr beschränkt. Ich kenne nichts drückenderes als Nahrungssorgen, und werde mich in meinem Alter schwerlich entschließen, zu heirathen, wenn ich nicht meiner Frau eine durchaus angenehme und sorgenfreye Lage anbieten kann.
Ein einziges Amt habe ich als wünschenswerth im Sinn – es ist das eines Bibliothekars und Historiograph des Königs von England in Hannover, welches Leibnitz verwaltet hat. Ich habe dazu manches angeknüpft – das Amt des Historiographen ist jetzt gar nicht, das Amt des Bibliothekars nur ad interim besetzt durch einen ehemaligen göttingischen Professor – allein so lange der alte Mann lebt, wird man nichts verändern.
Heute wird es mir zu weitläuftig, dir von meinen litterarischen Arbeiten und Planen, zu schreiben. Ich habe gleich nach dem Frieden meine ehemaligen Studien mit größtem Eifer ergriffen, dabey noch viel neues, unter andern das Sanskritanische angefangen. Nächstens umständlicher davon. Ich muß dir doch eine Anlockung lassen, mir bald wieder zu schreiben. Lebe unterdessen recht wohl. Es ist Schade, daß du nicht zeichnest und componirst. Du hattest ehemals eine so schöne Fertigkeit darin. Leider bist du damals zu freygebig gewesen, sonst hättest du ein reicheres Portofeuille vorzuweisen. Was ist denn aus der Zeichnung von der Sigune geworden? Hast du [6] etwas von Zeichnungen eines deutschen Mahlers in Rom, Cornelius, zu den Nibelungen gehört?
Lebe nochmals wohl, und sey meiner herzlichen Theilnahme an allem was dich betrifft und meiner brüderlichen Freundschaft versichert. Du kannst deine Briefe immer hieher richten, wo ich auch sey: à Mr de Schlegel, chevalier de lʼordre de Vasa.
d. 28sten April
[1] Coppet d. 27sten April 1815
Geliebtester Freund!
Dein Brief vom 29sten Dec. und 4ten Jan. ist mir, wiewohl spät, richtig zu Handen gekommen, und hat mich auf das angenehmste überrascht. Zuvörderst muß ich dir erklären, wie es zugeht, daß ich so lange zu antworten versäumt. Ich war äußerst beschäftigt, um meinen Aufenthalt in Paris an einigen Manuscripten und sonst, zu benutzen. Nun zeigt sichs, daß ich noch nicht fleißig genug gewesen: ich habe nicht ausführen können, was ich wollte, da die Begebenheiten uns bewogen plötzlich abzureisen. Seit beynahe sechs Wochen sind wir nun hier: aber der Umsturz aller Plane und Aussichten, die Ungewißheit der nächsten Zukunft, die Wuth über dieß alles hatte mich äußerst verstimmt, und besonders zum Briefschreiben unlustig gemacht. Überdieß weiß man nach so langer Unterbrechung kaum, wo man anfangen soll, und es gehört ein großer Entschluß dazu. Seit wir uns zuletzt sahen, habe ich mich in ganz Europa umhergetrieben, an Höfen, in Feldlagern, in der großen Welt, und wo nicht? Ich kann mich fast als den vielgewanderten Ulysses betrachten, der vieler Menschen Städte gesehen und ihre Gemüther erkannt hat. Doch dieß ist zu weitläuftig zum Schreiben – wir werden uns ja irgend einmal wieder antreffen, dann habe ich dir tausenderley zu erzählen. Eine daurende Verbesserung meiner Lage hat mir meine politische Thätigkeit nicht geschafft – indessen hat mich mein Kronprinz reichlich belohnt, ich habe ein Jahrlang lustig und unterhaltend gelebt, und es kann mir noch auf die Zukunft nützlich werden. Für jetzt führe ich wieder nach wie vor das Leben eines unbesoldeten und unabhängigen Gelehrten.
[2] Ich bin gesund und wohl, und man giebt mir das Zeugniß, daß ich auch darnach aussehe – ich weiß nicht, was sich Frau v. Humboldt vorgestellt hat. Im Februar des vorigen Jahres war ich gefährlich krank, aber seitdem ist meine Gesundheit so fest als je.
Die ersten Nachrichten von dir erhielt ich vorigen Frühling in Paris durch den Kronprinzen von Baiern. Es freut mich, daß dein Brief mir alles bestätigt, und daß es dir leidlich wohl geht. Die Büste in Marmor wird mir unendliche Freude machen, es thut mir nur leid, daß du so viel Verdruß damit gehabt. Unmöglich kann ich zugeben, daß dieß auf deine Kosten gehen soll, ich muß dir doch wenigstens deine baaren Auslagen erstatten. Die Büste ist ein wahres Meisterwerk, ich habe sie in Bern wiedergesehen. Leider habe ich sie nicht hier: Frau Hebler hat sich des zweyten Exemplars bemächtigt und es schön aufgestellt, ich habe es ihr natürlich lassen müssen. Vor einiger Zeit bestellte ich wieder einige Abgüsse bey Weißer für meine Geschwister, ich weiß nicht ob er sie schon geliefert hat.
Den Auftrag mit der Uhr verschob ich bis zur Rückkehr nach Genf, wo Uhren ohne Vergleich wohlfeiler und besser zu haben sind. Nun mußt du aber verzeihen daß ich noch damit zögre. Ich bin nicht eben in Vorrath, und bey gegenwärtigen Zeitläuften darf man sich nicht ganz von Gelde entblößen, um auf unerwartete Fälle gefaßt zu seyn. Du mußt dich schon ein wenig gedulden.
Ich fürchte, daß die Umstände auch auf deine Lage einen nachtheiligen Einfluß haben werden. Überall stockt es mit dem Gelde, und jeder hält es an sich. Wäre die Ruhe geblieben, so hätte es in Rom von Fremden besonders von Engländern gewimmelt. Vielleicht wären wir nächsten Winter wieder hingekommen [3] und ich hätte dir dann zu nützlichen Bekanntschaften verhelfen können. Jetzt kann kein Mensch voraussagen, wie lange der Sturm dauern und bis wohin er sich verbreiten wird.
Mein Bruder ist natürlich während des Congresses sehr in Thätigkeit gewesen – ich habe lange keinen Brief von ihm. Es ist der erste Band seiner Vorlesungen über die Geschichte der Litteratur erschienen – ein unendlich reiches, tiefgedachtes und dabey klargeschriebenes Buch.
Reimer meldet mir von einer Schrift deines Bruders über Shakspeare – sonst habe ich noch nichts davon gehört oder gesehen. Ich schließe daraus, daß er leidlich wohl ist. Sein Fantasus ist dir doch zu Handen gekommen? Ein äußerst angenehmes Buch. Die Gespräche sind neu, und von den Erzählungen und Dramen war mir auch einiges noch unbekannt. Ich will ihm doch nach so undenklich langer Entfernung einmal wieder schreiben.
Deine Schwester grüße aufs herzlichste von mir in deinem nächsten Briefe, und theile mir die Nachrichten von ihr mit, wofern du welche hast. Ich denke, Du darfst dich über ihr Stillschweigen nicht beunruhigen, das Nichtschreiben steckt uns allen ein wenig im Blute. Niemals war ich wieder so nahe als in St. Petersburg, ich hätte gern einen Ausflug nach Esthland gemacht, um sie zu besuchen. Allein die Umstände des Krieges waren zu bedenklich, unser Aufenthalt in St. Petersburg zu kurz, und die Jahrszeit zu weit vorgerückt als daß ich damals meine Reisegefährten hätte verlassen können. Werden sie denn nicht einmal wieder eine Reise nach Süden machen, wenn Knorring seine Angelegenheiten erst mehr in Ordnung gebracht?
[4] Da du von Marien seit so langer Zeit keine Briefe mehr gehabt, so wirst du wohl nicht von allem unterrichtet seyn, was sie betrifft. Es kostet mir einige Überwindung davon zu schreiben. – Ihre Schwangerschaft, wenige Monate nach meiner Abreise nach Rußland, erfuhr ich in Stockholm früher durch andre als durch ihr eignes Geständniß. Welchen Eindruck dieß auf mich machte, kannst du dir leicht denken – lange habe ich es nicht verwinden können. Sie hatte also ihre heiligsten Versprechungen gebrochen, und der häusliche Friede war auf meine Unkosten geschlossen. Ich schwieg – dieß Stillschweigen hat sie dann wieder sehr gekränkt. Im Januar 1814 ist Haller gestorben, an einem Fieber das er sich im Lazareth der Österreicher gehohlt, für das er Bauanstalten zu treffen hatte. Sie hat ihn mit größtem Muth und Hingebung gewartet, da die Krankheit ansteckend war. – Im vorigen Sommer schrieb ich ihr und kam auf einige Tage nach Bern – das Alte hat nicht wieder werden können. Ich fand, daß sie nicht genug das Bedürfniß fühlte, mir den zugefügten Schmerz zu vergüten – wiewohl nun ganz frey, wollte sie immer die ehemalige Strenge behaupten. So sind wir gegenseitig unbefriedigt geschieden.
Mir war eben zuvor die Professorstelle für die Griechische Sprache in Bern angetragen und ich hatte sie höflich abgelehnt. Die beyden Schwestern drangen sehr in mich, sie noch anzunehmen, aber dazu konnte ich mich durchaus nicht entschließen. Ich hätte litterarisch und politisch meine Existenz vernichtet. Sollte ich noch wieder das Professorwesen treiben, so müßte es an einer der berühmtesten Universitäten seyn, und nicht an solch einer halben Winkeluniversität. Auch wäre mir das [5] Verhältniß mit den Berner Aristokraten unleidlich gewesen, da ich den Fuß der Gleichheit gewohnt und auf alle Weise dazu berufen bin. Endlich wäre Bern ohne Heirath nicht haltbar gewesen, und dazu war denn doch die Einnahme sehr beschränkt. Ich kenne nichts drückenderes als Nahrungssorgen, und werde mich in meinem Alter schwerlich entschließen, zu heirathen, wenn ich nicht meiner Frau eine durchaus angenehme und sorgenfreye Lage anbieten kann.
Ein einziges Amt habe ich als wünschenswerth im Sinn – es ist das eines Bibliothekars und Historiograph des Königs von England in Hannover, welches Leibnitz verwaltet hat. Ich habe dazu manches angeknüpft – das Amt des Historiographen ist jetzt gar nicht, das Amt des Bibliothekars nur ad interim besetzt durch einen ehemaligen göttingischen Professor – allein so lange der alte Mann lebt, wird man nichts verändern.
Heute wird es mir zu weitläuftig, dir von meinen litterarischen Arbeiten und Planen, zu schreiben. Ich habe gleich nach dem Frieden meine ehemaligen Studien mit größtem Eifer ergriffen, dabey noch viel neues, unter andern das Sanskritanische angefangen. Nächstens umständlicher davon. Ich muß dir doch eine Anlockung lassen, mir bald wieder zu schreiben. Lebe unterdessen recht wohl. Es ist Schade, daß du nicht zeichnest und componirst. Du hattest ehemals eine so schöne Fertigkeit darin. Leider bist du damals zu freygebig gewesen, sonst hättest du ein reicheres Portofeuille vorzuweisen. Was ist denn aus der Zeichnung von der Sigune geworden? Hast du [6] etwas von Zeichnungen eines deutschen Mahlers in Rom, Cornelius, zu den Nibelungen gehört?
Lebe nochmals wohl, und sey meiner herzlichen Theilnahme an allem was dich betrifft und meiner brüderlichen Freundschaft versichert. Du kannst deine Briefe immer hieher richten, wo ich auch sey: à Mr de Schlegel, chevalier de lʼordre de Vasa.
d. 28sten April
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