• August Wilhelm von Schlegel to Anna Maria Windischmann

  • Place of Dispatch: Paris · Place of Destination: Bonn · Date: 07.12.1820
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anna Maria Windischmann
  • Place of Dispatch: Paris
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 07.12.1820
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 381‒383.
  • Incipit: „[1] Ich schreibe Ihnen, verehrteste Freundin, theils um ein freundliches Andenken bey Ihnen zu erneuern, theils auch aus einem kleinen Eigennutz: [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-37212
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.8,Nr.76(2)
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,4 x 11,6 cm
    Language
  • German
[1] Ich schreibe Ihnen, verehrteste Freundin, theils um ein freundliches Andenken bey Ihnen zu erneuern, theils auch aus einem kleinen Eigennutz: ich denke mir, wenn Windischmann allzu beschäftigt wäre, wenn das Schreiben bey dieser Winterszeit seine Augen angriffe, so nähmen Sie sich wohl meiner an, und gäben mir Nachricht von sich, von den Ihrigen und von allem, was mich in Bonn interessirt.
Zuerst von den Hausgeschäften: ich höre, daß Rombergs am 29sten November noch nicht angekommen waren. Wie gehts damit zu? Ich hoffe, daß keine Krankheiten oder sonst unangenehme Vorfälle an der Verzögerung Schuld sind. Auf jeden Fall wünsche ich, daß meine ehemalige Köchin bey ihnen wirklich in Dienste treten mag; ich will aus allerley Ursachen nichts weiter mit ihr zu thun haben. Sollte sie gegen Sie die Absicht äußern, meine Zurückkunft in Bonn abzuwarten, um bey mir wieder einzutreten, so bitte ich Sie, ihr alle Hoffnung dazu zu benehmen.
Meine Hühner sind doch hoffentlich nicht todtgehungert, sondern auf meine Rechnung gefuttert worden.
[2] Ich will Ihnen meine tägliche Lebensweise hier beschreiben. Ich wohne nicht bey meinen Freunden, aber ganz in der Nachbarschaft. Es ist dieß auch für die gegenseitige Freyheit besser, sonst aber bin ich ein immer eingeladener Gast. Indessen frühstücke ich meistens zu Hause, um keine Zeit zu verlieren; und zwar frühstücke ich täglich – dieß könnte den Neid gewisser Leute erregen – mit Austern. Und mit was für Austern! Vor vierundzwanzig Stunden saßen sie noch ruhig auf ihrer Felsenbank im Ocean. Dieß ist nicht einmal ein großer Luxus, denn sie kosten das Stück einen Stüber, nicht mehr und nicht weniger. Um sechs Uhr, wissen Sie, speist man zu Mittag; aber gewöhnlich beschäftige ich mich eine Stunde vor oder nach Tisch mit meinen Freunden, bey denen die alte Liebe zu ihrem Lehrer nicht gerostet ist. Mit der Herzogin von Broglie lese ich Deutsch, mit ihrem Bruder Griechisch, allen insgesamt halte ich Vorlesungen aus dem Stegereif über die Geschichte der griechischen Litteratur, wofür der Herzog von Broglie einen besondern Eifer bezeugt. Selten mache ich Nachmittagsbesuche, so viel Veranlassung ich auch dazu hätte. Aber ich sehe viel merkwürdige Gesellschaft bey meinen Freunden. Der Herzog ist ein Mann, der wegen seines Ver[3]standes, seiner gründlichen Kenntnisse und seines Charakters in allgemeiner Achtung steht, und selbst von dem Parteyhasse schwerlich verkannt wird; dabey ist er der liebenswürdigste, ungezwungenste einfachste Mann im täglichen Umgange. Vorigen Winter ist ihm schon einmal die erste Stelle im Ministerium angeboten worden, aber er wollte es unter den damaligen Umständen nicht annehmen. Jetzt sind die Aussichten ganz nach der entgegengesetzten Seite gerichtet, aber ich denke, über kurz oder lang wird doch die Reihe an ihn kommen. Die Herzogin, eine Frau von zwey und zwanzig Jahren, von einer eigentlich idealischen Schönheit, von unendlich gebildetem Geiste, von tiefem regsamem Gefühl, das unter einer nachläßigen Grazie verhüllt ist. Nichts großes und schönes, auch nur leise angedeutet, geht bey ihr verloren. Sie hat zwey Töchter von solcher Fülle des Stoffes, daß es zum Erstaunen ist, wenn man die zarte Mutter daneben sieht. Sie ist wieder schwanger, ich hoffe mit einem kleinen Prinzen, denn das wünschen sie doch. Ihren achtjährigen Bruder aus zweyter Ehe, den jungen Rocca, haben sie zu sich genommen, um selbst über seine Erziehung zu wachen. Mein ehemaliger Zögling, August von Staël, ist nun ein Mann von reifem Geiste, von großer Einsicht in die Geschäfte des [4] Lebens, mit allem ausgestattet, was einen vollkommnen Weltmann ausmacht. Sehn Sie, das ist die tägliche Gesellschaft, worin ich lebe. Bey allem dem, will ich Ihnen gestehen, daß mein Herz sehr nach Bonn hinhängt – in meinem Alter bedarf man vor allen eine Heimath.
Ich hoffe Sie in Ihrem schönen häuslichen Kreise recht wohl und heiter wieder zu finden, und neues Glück aus allen Veränderungen gedeihen zu sehen.
Sulpiz Boisserée war hier, wegen seiner Geschäfte mit den Kupferstechern. Sein großes Werk hat den Beyfall aller Kenner erworben. Ich traue seiner Gesundheit nicht recht, er hat auch hier daran gelitten.
Daß die gute Schlosser, geb. Gontard, so plötzlich hat sterben müssen, werden Sie längst wissen. Ihn habe ich nicht gesehen, er ist gleich darauf zu der Familie Custine aufs Land gegangen. Leben Sie tausendmal wohl.
Ihr A. W. S.
Paris d. 7ten Dec. 1820
Meine Adresse ist immer: chez Mr le Baron de Staël Rue de Bourbon
No 76.
[1] Ich schreibe Ihnen, verehrteste Freundin, theils um ein freundliches Andenken bey Ihnen zu erneuern, theils auch aus einem kleinen Eigennutz: ich denke mir, wenn Windischmann allzu beschäftigt wäre, wenn das Schreiben bey dieser Winterszeit seine Augen angriffe, so nähmen Sie sich wohl meiner an, und gäben mir Nachricht von sich, von den Ihrigen und von allem, was mich in Bonn interessirt.
Zuerst von den Hausgeschäften: ich höre, daß Rombergs am 29sten November noch nicht angekommen waren. Wie gehts damit zu? Ich hoffe, daß keine Krankheiten oder sonst unangenehme Vorfälle an der Verzögerung Schuld sind. Auf jeden Fall wünsche ich, daß meine ehemalige Köchin bey ihnen wirklich in Dienste treten mag; ich will aus allerley Ursachen nichts weiter mit ihr zu thun haben. Sollte sie gegen Sie die Absicht äußern, meine Zurückkunft in Bonn abzuwarten, um bey mir wieder einzutreten, so bitte ich Sie, ihr alle Hoffnung dazu zu benehmen.
Meine Hühner sind doch hoffentlich nicht todtgehungert, sondern auf meine Rechnung gefuttert worden.
[2] Ich will Ihnen meine tägliche Lebensweise hier beschreiben. Ich wohne nicht bey meinen Freunden, aber ganz in der Nachbarschaft. Es ist dieß auch für die gegenseitige Freyheit besser, sonst aber bin ich ein immer eingeladener Gast. Indessen frühstücke ich meistens zu Hause, um keine Zeit zu verlieren; und zwar frühstücke ich täglich – dieß könnte den Neid gewisser Leute erregen – mit Austern. Und mit was für Austern! Vor vierundzwanzig Stunden saßen sie noch ruhig auf ihrer Felsenbank im Ocean. Dieß ist nicht einmal ein großer Luxus, denn sie kosten das Stück einen Stüber, nicht mehr und nicht weniger. Um sechs Uhr, wissen Sie, speist man zu Mittag; aber gewöhnlich beschäftige ich mich eine Stunde vor oder nach Tisch mit meinen Freunden, bey denen die alte Liebe zu ihrem Lehrer nicht gerostet ist. Mit der Herzogin von Broglie lese ich Deutsch, mit ihrem Bruder Griechisch, allen insgesamt halte ich Vorlesungen aus dem Stegereif über die Geschichte der griechischen Litteratur, wofür der Herzog von Broglie einen besondern Eifer bezeugt. Selten mache ich Nachmittagsbesuche, so viel Veranlassung ich auch dazu hätte. Aber ich sehe viel merkwürdige Gesellschaft bey meinen Freunden. Der Herzog ist ein Mann, der wegen seines Ver[3]standes, seiner gründlichen Kenntnisse und seines Charakters in allgemeiner Achtung steht, und selbst von dem Parteyhasse schwerlich verkannt wird; dabey ist er der liebenswürdigste, ungezwungenste einfachste Mann im täglichen Umgange. Vorigen Winter ist ihm schon einmal die erste Stelle im Ministerium angeboten worden, aber er wollte es unter den damaligen Umständen nicht annehmen. Jetzt sind die Aussichten ganz nach der entgegengesetzten Seite gerichtet, aber ich denke, über kurz oder lang wird doch die Reihe an ihn kommen. Die Herzogin, eine Frau von zwey und zwanzig Jahren, von einer eigentlich idealischen Schönheit, von unendlich gebildetem Geiste, von tiefem regsamem Gefühl, das unter einer nachläßigen Grazie verhüllt ist. Nichts großes und schönes, auch nur leise angedeutet, geht bey ihr verloren. Sie hat zwey Töchter von solcher Fülle des Stoffes, daß es zum Erstaunen ist, wenn man die zarte Mutter daneben sieht. Sie ist wieder schwanger, ich hoffe mit einem kleinen Prinzen, denn das wünschen sie doch. Ihren achtjährigen Bruder aus zweyter Ehe, den jungen Rocca, haben sie zu sich genommen, um selbst über seine Erziehung zu wachen. Mein ehemaliger Zögling, August von Staël, ist nun ein Mann von reifem Geiste, von großer Einsicht in die Geschäfte des [4] Lebens, mit allem ausgestattet, was einen vollkommnen Weltmann ausmacht. Sehn Sie, das ist die tägliche Gesellschaft, worin ich lebe. Bey allem dem, will ich Ihnen gestehen, daß mein Herz sehr nach Bonn hinhängt – in meinem Alter bedarf man vor allen eine Heimath.
Ich hoffe Sie in Ihrem schönen häuslichen Kreise recht wohl und heiter wieder zu finden, und neues Glück aus allen Veränderungen gedeihen zu sehen.
Sulpiz Boisserée war hier, wegen seiner Geschäfte mit den Kupferstechern. Sein großes Werk hat den Beyfall aller Kenner erworben. Ich traue seiner Gesundheit nicht recht, er hat auch hier daran gelitten.
Daß die gute Schlosser, geb. Gontard, so plötzlich hat sterben müssen, werden Sie längst wissen. Ihn habe ich nicht gesehen, er ist gleich darauf zu der Familie Custine aufs Land gegangen. Leben Sie tausendmal wohl.
Ihr A. W. S.
Paris d. 7ten Dec. 1820
Meine Adresse ist immer: chez Mr le Baron de Staël Rue de Bourbon
No 76.
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