• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Chaumont-sur-Loire · Place of Destination: Chaumont-sur-Loire · Date: [Herbst 1810]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Chaumont-sur-Loire
  • Place of Destination: Chaumont-sur-Loire
  • Date: [Herbst 1810]
  • Notations: Datum erschlossen. - Schlegel stand seit dem Frühjahr 1804 in den Diensten von Germaine de Staël.
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 205.
  • Incipit: „Verehrte gnädige Frau!
    Ich verstehe wirklich nicht, was Sie mein ›Betragen‹ nennen. Ich war unabhängig und habe mich freiwillig in Abhängigkeit von [...]“
    Language
  • German
Verehrte gnädige Frau!
Ich verstehe wirklich nicht, was Sie mein ›Betragen‹ nennen. Ich war unabhängig und habe mich freiwillig in Abhängigkeit von Ihnen begeben. Vaterland, Familie und Freunde habe ich seit sechseinhalb Jahren verlassen, habe mich Ihnen angeschlossen und in der uneigennützigsten Weise mein Schicksal an das Ihre geknüpft, ohne meine Neigungen zu befragen und an meine Zukunft zu denken. Ich habe einzig und allein die Aussicht, gealtert und ohne alle Verbindungen, die ich entweder abgebrochen oder vernachlässigt habe, in mein Vaterland zurückzukehren, wenn eine zweite Ehe oder eine andere Veränderung bei Ihnen es mir unmöglich macht, in Ihrem Hause weiter zu leben. Das ist mein ›Betragen‹, und ich werde dabei verharren, solange Sie es selber wünschen.
Dagegen bitte ich Sie, sich in keiner Weise um mein Schicksal zu kümmern. Ich glaube nicht, daß ich mit Ihnen viel von mir spreche. Lieber schütte ich einem Freunde, der dreihundert Stunden entfernt wohnt, mein Herz aus. Ich wünsche mir nur eine Kleinigkeit, nämlich dasselbe Recht in Ihrem Salon zu genießen, wie alle anderen, die sich dort einfinden: d. h. so zu sein, wie ich bin und mich nicht mehr als Vierzigjähriger noch einer neuen Erziehung unterwerfen zu müssen. Ich versichere Sie, daß es mein Bestreben ist, in der Gesellschaft zu gefallen. Gelingt mir dies nicht, so bitte ich Sie zu bedenken, daß es der Gesellschaft mir gegenüber auch nicht immer gelingt, und daß wir uns also gegenseitig etwas Nachsicht schulden. Wenn man mich aber mit jeder gesellschaftlichen Kleinigkeit quält, wenn man mir sechs Stunden lang darüber Vorwürfe macht, so muß das notwendig meine Hemmungen, meine Verlegenheit und meine Abneigung vergrößern, in diese Gesellschaft zu gehen, die ich, wenn es auf mich ankäme, dreiviertel der Zeit nicht aufsuchen würde.
Verehrte gnädige Frau!
Ich verstehe wirklich nicht, was Sie mein ›Betragen‹ nennen. Ich war unabhängig und habe mich freiwillig in Abhängigkeit von Ihnen begeben. Vaterland, Familie und Freunde habe ich seit sechseinhalb Jahren verlassen, habe mich Ihnen angeschlossen und in der uneigennützigsten Weise mein Schicksal an das Ihre geknüpft, ohne meine Neigungen zu befragen und an meine Zukunft zu denken. Ich habe einzig und allein die Aussicht, gealtert und ohne alle Verbindungen, die ich entweder abgebrochen oder vernachlässigt habe, in mein Vaterland zurückzukehren, wenn eine zweite Ehe oder eine andere Veränderung bei Ihnen es mir unmöglich macht, in Ihrem Hause weiter zu leben. Das ist mein ›Betragen‹, und ich werde dabei verharren, solange Sie es selber wünschen.
Dagegen bitte ich Sie, sich in keiner Weise um mein Schicksal zu kümmern. Ich glaube nicht, daß ich mit Ihnen viel von mir spreche. Lieber schütte ich einem Freunde, der dreihundert Stunden entfernt wohnt, mein Herz aus. Ich wünsche mir nur eine Kleinigkeit, nämlich dasselbe Recht in Ihrem Salon zu genießen, wie alle anderen, die sich dort einfinden: d. h. so zu sein, wie ich bin und mich nicht mehr als Vierzigjähriger noch einer neuen Erziehung unterwerfen zu müssen. Ich versichere Sie, daß es mein Bestreben ist, in der Gesellschaft zu gefallen. Gelingt mir dies nicht, so bitte ich Sie zu bedenken, daß es der Gesellschaft mir gegenüber auch nicht immer gelingt, und daß wir uns also gegenseitig etwas Nachsicht schulden. Wenn man mich aber mit jeder gesellschaftlichen Kleinigkeit quält, wenn man mir sechs Stunden lang darüber Vorwürfe macht, so muß das notwendig meine Hemmungen, meine Verlegenheit und meine Abneigung vergrößern, in diese Gesellschaft zu gehen, die ich, wenn es auf mich ankäme, dreiviertel der Zeit nicht aufsuchen würde.
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