• August Wilhelm von Schlegel to Unbekannt (Freund)

  • Place of Dispatch: Göttingen · Place of Destination: Unknown · Date: [zwischen 1786 und 1791]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Unbekannt (Freund)
  • Place of Dispatch: Göttingen
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: [zwischen 1786 und 1791]
  • Notations: Absendeort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Körner, Josef: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe mit Einleitung und Anmerkungen hg. v. H. Lüdeke. Frankfurt a.M. 1930. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 56 (1931), S. 382.
  • Incipit: „[1] Seit lange wär ich in deiner Schuld, liebster Freund, wegen deines Briefes aus Lübeck – wenn du meinen sehr umständlichen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-37187
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.7,Nr.66(24)
  • Number of Pages: 3 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 18,8 x 11,7 cm
    Language
  • German
[1] Seit lange wär ich in deiner Schuld, liebster Freund, wegen deines Briefes aus Lübeck – wenn du meinen sehr umständlichen Brief, den ich vor dem Empfange von jenem an Goldbeck geschickt beantwortet hättest. Du hast es nicht gethan – und mir, fürchte ich, wird ewig unbeantwortet bleiben, was du auch immer glauben möchtest, darauf sagen zu können. Mag er also vergessen werden, wie alles vorhergehende, worauf er sich bezog – mag unsre Correspondenz fortgehen, weil du es so willst, bis du sie etwan zu langweilig findest. Also nichts mehr über das Misverständniß, wie du es nennst – nicht weil es schon aufgeklärt wäre, sondern weil es nicht aufgeklärt werden kann. Dein Weg geht dorthin – der meinige hierhin – ohne Möglichkeit eines Misverstandes müssen wir nach einiger Zeit bemerken, daß sie uns eine beträchtliche Strecke aus einander geführt haben. Ich schmeichle mir nicht das Talent zu besitzen, welches Menschen ohne ihr Wissen lenkt, und dadurch meinen Freund unvermerkt zu mir herüber zu ziehen – ich glaube, daß diese Macht über die Seele des andern, wenn sie eine unwillkührlich ausgeübte Wirksamkeit, uns innigst an den Freund oder die Geliebte fesselt – aber als Kunst und Studium Freundschaft und Liebe vergiftet und tödtet. Ich bin [2] zu stolz von der willigen Hand der Selbstvergessenheit, der Eitelkeit, der Schwäche das anzunehmen, was die edelste Energie einer freyen und offnen Seele nicht erröthen dürfte mir anzubieten. – Was ein reiner und fester, über untergeordnete Einflüsse erhabner Wille mir versagte, wäre mir theurer, als was die flüchtig entzündete Fantasie des Weibes gewährte. –
Ich sehe ein Lächeln bey dir auffsteigen, daß ich vielleicht zerstreuen könnte. Aber ich mag die wenigen Worte nicht geben, die dieß fodern würde.
Du warst also noch einmahl bey Selma? – Guter Selmar, verzeih, wenn mir auch ein Lächeln aufsteigt über die Physischen Vorbereitungen die du vermuthlich zur bestmöglichsten Benutzung der drey Tage vorgekehrt hast. Selmaʼs Schwärmerey muß sehr eingewurzelt gewesen seyn – vielleicht gelang es dir noch in diesen drey Tagen, sie herabzustimmen. Von der einen Seite gewönne sie dabey, wenn sie nur das bey dir suchte, was dir bey ihr so süß gewährt ward; weil obgleich alles in gewisser Rücksicht Illusion genannt werden kann, doch ein Unterschied zwischen unhaltbaren und unauflöslichen Täuschungen [3] ist; auf der andern verlöre sie, weil die Liebe die nur von Glut der Sinnen und der Einbildungskraft, welche den Sinnen nachschwelgt lebt, am wenigsten Stoff in sich hat, um sich über Entbehrung zu trösten. Sey ruhig! Der himmlische Vater, der keines seiner Geschöpfe vergißt, wird ihr wohl einen Tröster senden.
Vielleicht hast du keine Briefe von B. und wünschest welche zu hören.
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[1] Seit lange wär ich in deiner Schuld, liebster Freund, wegen deines Briefes aus Lübeck – wenn du meinen sehr umständlichen Brief, den ich vor dem Empfange von jenem an Goldbeck geschickt beantwortet hättest. Du hast es nicht gethan – und mir, fürchte ich, wird ewig unbeantwortet bleiben, was du auch immer glauben möchtest, darauf sagen zu können. Mag er also vergessen werden, wie alles vorhergehende, worauf er sich bezog – mag unsre Correspondenz fortgehen, weil du es so willst, bis du sie etwan zu langweilig findest. Also nichts mehr über das Misverständniß, wie du es nennst – nicht weil es schon aufgeklärt wäre, sondern weil es nicht aufgeklärt werden kann. Dein Weg geht dorthin – der meinige hierhin – ohne Möglichkeit eines Misverstandes müssen wir nach einiger Zeit bemerken, daß sie uns eine beträchtliche Strecke aus einander geführt haben. Ich schmeichle mir nicht das Talent zu besitzen, welches Menschen ohne ihr Wissen lenkt, und dadurch meinen Freund unvermerkt zu mir herüber zu ziehen – ich glaube, daß diese Macht über die Seele des andern, wenn sie eine unwillkührlich ausgeübte Wirksamkeit, uns innigst an den Freund oder die Geliebte fesselt – aber als Kunst und Studium Freundschaft und Liebe vergiftet und tödtet. Ich bin [2] zu stolz von der willigen Hand der Selbstvergessenheit, der Eitelkeit, der Schwäche das anzunehmen, was die edelste Energie einer freyen und offnen Seele nicht erröthen dürfte mir anzubieten. – Was ein reiner und fester, über untergeordnete Einflüsse erhabner Wille mir versagte, wäre mir theurer, als was die flüchtig entzündete Fantasie des Weibes gewährte. –
Ich sehe ein Lächeln bey dir auffsteigen, daß ich vielleicht zerstreuen könnte. Aber ich mag die wenigen Worte nicht geben, die dieß fodern würde.
Du warst also noch einmahl bey Selma? – Guter Selmar, verzeih, wenn mir auch ein Lächeln aufsteigt über die Physischen Vorbereitungen die du vermuthlich zur bestmöglichsten Benutzung der drey Tage vorgekehrt hast. Selmaʼs Schwärmerey muß sehr eingewurzelt gewesen seyn – vielleicht gelang es dir noch in diesen drey Tagen, sie herabzustimmen. Von der einen Seite gewönne sie dabey, wenn sie nur das bey dir suchte, was dir bey ihr so süß gewährt ward; weil obgleich alles in gewisser Rücksicht Illusion genannt werden kann, doch ein Unterschied zwischen unhaltbaren und unauflöslichen Täuschungen [3] ist; auf der andern verlöre sie, weil die Liebe die nur von Glut der Sinnen und der Einbildungskraft, welche den Sinnen nachschwelgt lebt, am wenigsten Stoff in sich hat, um sich über Entbehrung zu trösten. Sey ruhig! Der himmlische Vater, der keines seiner Geschöpfe vergißt, wird ihr wohl einen Tröster senden.
Vielleicht hast du keine Briefe von B. und wünschest welche zu hören.
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