• Caroline de La Motte-Fouqué to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Nennhausen · Place of Destination: Auxerre · Date: [16. Juni 1806]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Caroline de La Motte-Fouqué
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Nennhausen
  • Place of Destination: Auxerre
  • Date: [16. Juni 1806]
  • Notations: Datum sowie Absende- und Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 341‒344.
  • Incipit: „[1] [Nennhausen 16. Juni 1806]
    Endlich finde ich Zeit und Ruhe genung um mich recht lange mit Ihnen unterhalten zu können. Wie [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-7
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,25,2
  • Number of Pages: 15 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,1 x 11,2 cm
    Language
  • German
[1] [Nennhausen 16. Juni 1806]
Endlich finde ich Zeit und Ruhe genung um mich recht lange mit Ihnen unterhalten zu können. Wie viel habe ich Ihnen zu sagen lieber Freund! und gleich wohl fühle ich, daß sich dies alles beßer im Gespräche entwickeln und darstellen ließe als in der langen fortgehenden Rede, die leider kein freundliches Wort unterbricht und kein lustiger Scherz auf freudigere Gegenstände ablenkt. Es ist eine eigne Sache, so alles an einem Faden aus sich herauszuspinnen, man ermüdet leicht, und sagt beiweitem [2] nicht alles was man sonst wohl dem Freunde mittheilen möchte. Das Farblose Gewebe wird nur dann lebendig und frisch, wenn sich andre Fäden hindurchschlingen und so recht eigentlich die Blumen hervorgehen lassen. – Auch erscheint es im Briefe oft fremd und seltsam, unmittelbar da anzuheben wo man in dem Augenblicke grade steht, was sich im Gespräch ganz leicht, und wie von selbst löst. Ich habe immer einige Scheu das lang Ueberdachte langsam ans Licht treten zu lassen. Es muß sich mir im rechten Augenblicke wie [3] mit Gewalt entreißen, und dann Welle auf Welle fortströmen, bis nichts mehr im Innern verschlossen bleibt, und ich wieder stiller, ja gleichgültiger werde. Daher kann ich auch weder zu jeder Zeit reden noch schreiben, sondern ich muß es erwarten bis mich das überfließende Maaß drängt und treibt, ohne das Herz oder die Kraft zu haben, so reiche Momente frei in mir erzeugen zu können. Es hat mich diese dürftige Schwehrfälligkeit schon oft bitter gekränkt, weil dies Unvermögen Künstler Naturen fremd ist, und fremd bleiben muß, und ich dennoch oft mit rechter Liebe [4] mein innerstes Leben entfalten und aus den verschlossnen Tiefen, Ahndungen und Zweifel, Hoffnung und Erinnerung im bunten Spiele hervorrufen möchte! Aber was kann sich aus einzelnen Blitzen erzeugen! Ich werde so oft ungewiß über mich selbst. Wilhelm Meisters Worte, als er die geliebten Schriften verbrannte, kommen mir immer wieder ins Gedächtnis. Wenn man sich so selbst täuschen könnte, und das tief Empfundne nichts als ein flaches Spiel der Eitelkeit wäre, das man selbst als ein Schild eigner Thorheit aushinge! Wenn es mir und [5] so vielen heutiger Zeit wie dem armen Meister ginge, der mit solcher Lust die Bretter betrat, und wie ein schwaches Kind umherschwankte, da er Wunder wie fest zu stehen meinte! In andren Stunden denke ich wohl auch anders. Ich bin dann sicher, meiner gewiß, und habe öfters mit frischem Muth die innern Schranken niedergerissen, und mir selbst die Stimmung gegeben, die ich sonst wohl erst erwarten mußte. Aber wer weiß ist diese Sicherheit nicht mein Fall, und jene Zweifel der warnende Ruf den ich überhöre? – Ich habe Ihre Rückehr, lieber Freund, oft mit recht schmerzlicher Ungeduld [6] gewünscht. Sie fehlten mir so oft, ja immer! Die Freiheit Ihres Urtheils ist durchaus nicht in der Liebe zu Ihren Freunden befangen. Sie fühlen so und wissen; beides ist nicht getrennt, aber es fließt auch nicht wie ein trüber Strom ineinander, sondern rinnt leicht und sicher in der eignen Gränze neben einander hin. Daher bleibt Ihr Blick mild, so scharf und streng er auch einzudringen weiß. Ich habe Ihre Worte an Fouqué gelesen. Es ist unmöglich, wahrer, gerechter und schohnender zu sein. Wir waren früher schon über manches hier geäußerte einig. Ich wünschte Sie zu sehen, [7] wie gesagt, es läßt sich im Briefe nicht alles so darthun, oder wenigstens verstehe ich es nicht. Nur so viel. Ich glaube bei näherer Beleuchtung des Zeitgeschmackes so wohl, als der gemeinsamen Künstlerischen Richtungen einzusehen, daß jeder Versuch, die verrinnenden Kräfte, auf einzelne große Punkte zu conzentriren, und das Alte, Gediegne hervorzurufen, ganz vergebens sein wird, wie überall der Charackter des Zeitmoments jede absichtliche Richtung zu Schanden macht. Was unmittelbar aus der Jugend erblüht, das eignet sich das Alter wohl schwehrlich wieder an. Jener Wiederschein ehemaliger Herrlichkeit ist den Schwachen unter [8] den Händen zum modischen Spiele geworden, und dieser kränkliche Schimmer wird bald jedem gesunden Auge wiedrig sein. Selbst das ganz Formelle ist nicht wieder herzustellen wenn das Weesen verloren ging, und wo hat sich dies rein erhalten? Wäre es irgendwo zu finden, so müßte es sich, meiner Meinung nach, ohne alle äußere Veranlaßung auch so dargestellt haben. Und ist dies gleichwohl geschehen? Ich weiß sehr wohl daß nichts losgerissen dasteht, und daß kein Fortschritt ohne Rückblicke geschehen kann, daß es eine Sehnsucht nach dem Vergangenen wie nach dem Zukünftigen giebt, allein die Gegenwart drückt denoch jeder Erzeugung ihren Stempel auf, und das Nachgemachte ist sogleich zu erkennen. – Auf der [9] andren Seite, was haben die erkünstelten Verbindungen der Anticke und Romantick, oder wohl gar die Auflösung beider in der Gegenwart für Carrikaturen erzeugt? Ist die hervorgerufne Klarheit nicht sogleich Nüchternheit geworden? Wer gähnt nicht in der Eugenie? und wer muß sich nicht am Ende des Meisters zum Troste sagen: Goethe habe die ganze Welt in dem albernen Gauckelspiel der Abbé und Jarno zum Besten? – Hat sich je die Poesie für irgend eine Absichtlichkeit schwehr gerächt, so geschieht es jetzt. Es ist wohl sehr natürlich, daß bei zunehmender Vielseitigkeit, die Begriffe leicht schwankend werden, und die große innre Crisis sich in tausend neuen Uebeln offenbart. Allein [10] die Gährung ist nicht kräftig genung, die Erzeugungen zu matt, die leichten Zuckungen kämpfen so sichtlich mit innerm Unvermögen und die dürftige Kraft kann den gegebnen Schwung der Phantasie nicht ertragen. Wir sehen die Meisten auf ihren goldnen Schwingen mit geschlossnen Augen und dumpfen Sinnen durch die Lüfte ziehen, und was ihnen in der Todes Angst begegnete uns als freie Erzeugungen, höchst vornehm verkünden. Fast jeder verschmähet es ehrlich mit sich zu verfahren, und ohne Anmaßung das zu thun was er kann. Die Wenigsten können überall viel leisten, aber das sagt sich Niemand. Die künstlerische Wuth zieht sie alle fort. Mir geht es wahrscheinlich [11] nicht viel besser. Indeß, ich ahnde meine Nichtigkeit und meine Freunde dürfen nicht an mir verzweifeln.
Wenn man die frühern Arbeiten der bessren Dichter betrachtet, ergreift einem die tiefste Wehmuth, wie dies rege Leben sich so verknöchert und versteint hat, bis das nackte Gerippe uns zuletzt unter den aufgehängten Flitterstate ansieht. Zuweilen kommt mir überall die ganze Welt so ausgebrannt und vertrocknet vor, und es schmerzt mich in der Seele daß wir die glimmende Asche haushälterisch zusammenscharren müssen um uns nur noch dann und wann erwärmen zu können. Ich mag wohl das Leben zu schwehr und einseitig betrachten. Vieles ist gewiß weniger schlim als ich [12] es denke, aber ich kann einmal den trüben Blick nicht los werden, und je mehr mich das wechselnde Spiel anzieht, je schauerlicher sieht mich die Vergänglichkeit aus der lockenden Hülle an. Ich habe den rechten Lebensmuth verlohren, und je schärfer ich alles ins Auge fasse je deutlicher ich mir es ausspreche je weniger frohe Hoffnungen kann ich hegen. Auch geht vieles recht traurig an mir vorüber, und wendet sich wieder zu mir hin, bis es mich wohl nicht mehr verläßt. So leidet mein schönes Clärchen seit 9 Wochen unendlich an der Gicht, und ich führe sie in wenigen Tagen noch ganz gelähmt an einem Fuße nach dem Nenndorfer Bade. Von dieser Seite war ich bis jetzt noch unverletzt geblieben, aber es [13] mußte auch kommen. Meine Söhne die stattlich und schön heranwachßen verlassen mich zu Michaelis auch, wo sie in Berlin den Unterricht des grauen Klosters genießen sollen. Ich fühle die Nothwendigkeit dieser Veränderung, und dennoch – ich übergebe sie der Welt, sie werden mir fremder werden, die Bande, die Mutter und Kind verbinden, scheinen sich in dem Augenblicke zu lösen wo es ihren Armen entrissen wird. Ein weibliches Gemüth erhebt sich selten so weit, daß sie ganz von äußrer Beziehung abstrairte. Diese Trenung wird mir sehr viel Schmerzen machen. Ich fühle das schon jetzt, wenn – nun ich mag nichts mehr davon sagen. Solche [14] Schwächen sind dem Manne fremd, und wir verkünden unsre Thorheiten sonst wohl laut genung.
Ihre kleine Pathe Marie ist ein derbes, hübsches, kluges Kind. Sie gleicht Fouqué außerordentlich, und ich hoffe sein Talent wie überall sein Geist solle auf ihr ruhen.
Mein Vater freuet sich Ihres Andenkens, und grüßt Sie schönstens wieder. Er hat Sie vorzüglich lieb und denkt gern an die schöne Zeit Ihres Hierseins zurück. Wäre es nur möglich Sie wieder in unsrer Mitte zu sehen! Doch wer darf es Ihnen verargen daß Sie sich fesseln ließen! Lieber Freund Sie sind ein wahrhafter Stern in der Gelehrtenwelt, an Feinheit und adlichen Sitten. Man darf neben Ihnen [15] keinen andren sehen. Ich wüßte Niemand zu dem ich so unverholen redet könnte, und den Alle so herzlich lieben. Erinnern Sie sich gern dieser Worte und geben Sie uns bald wieder Nachricht von Ihrem Wohlsein.
Caroline Fouqué.
[16]
[1] [Nennhausen 16. Juni 1806]
Endlich finde ich Zeit und Ruhe genung um mich recht lange mit Ihnen unterhalten zu können. Wie viel habe ich Ihnen zu sagen lieber Freund! und gleich wohl fühle ich, daß sich dies alles beßer im Gespräche entwickeln und darstellen ließe als in der langen fortgehenden Rede, die leider kein freundliches Wort unterbricht und kein lustiger Scherz auf freudigere Gegenstände ablenkt. Es ist eine eigne Sache, so alles an einem Faden aus sich herauszuspinnen, man ermüdet leicht, und sagt beiweitem [2] nicht alles was man sonst wohl dem Freunde mittheilen möchte. Das Farblose Gewebe wird nur dann lebendig und frisch, wenn sich andre Fäden hindurchschlingen und so recht eigentlich die Blumen hervorgehen lassen. – Auch erscheint es im Briefe oft fremd und seltsam, unmittelbar da anzuheben wo man in dem Augenblicke grade steht, was sich im Gespräch ganz leicht, und wie von selbst löst. Ich habe immer einige Scheu das lang Ueberdachte langsam ans Licht treten zu lassen. Es muß sich mir im rechten Augenblicke wie [3] mit Gewalt entreißen, und dann Welle auf Welle fortströmen, bis nichts mehr im Innern verschlossen bleibt, und ich wieder stiller, ja gleichgültiger werde. Daher kann ich auch weder zu jeder Zeit reden noch schreiben, sondern ich muß es erwarten bis mich das überfließende Maaß drängt und treibt, ohne das Herz oder die Kraft zu haben, so reiche Momente frei in mir erzeugen zu können. Es hat mich diese dürftige Schwehrfälligkeit schon oft bitter gekränkt, weil dies Unvermögen Künstler Naturen fremd ist, und fremd bleiben muß, und ich dennoch oft mit rechter Liebe [4] mein innerstes Leben entfalten und aus den verschlossnen Tiefen, Ahndungen und Zweifel, Hoffnung und Erinnerung im bunten Spiele hervorrufen möchte! Aber was kann sich aus einzelnen Blitzen erzeugen! Ich werde so oft ungewiß über mich selbst. Wilhelm Meisters Worte, als er die geliebten Schriften verbrannte, kommen mir immer wieder ins Gedächtnis. Wenn man sich so selbst täuschen könnte, und das tief Empfundne nichts als ein flaches Spiel der Eitelkeit wäre, das man selbst als ein Schild eigner Thorheit aushinge! Wenn es mir und [5] so vielen heutiger Zeit wie dem armen Meister ginge, der mit solcher Lust die Bretter betrat, und wie ein schwaches Kind umherschwankte, da er Wunder wie fest zu stehen meinte! In andren Stunden denke ich wohl auch anders. Ich bin dann sicher, meiner gewiß, und habe öfters mit frischem Muth die innern Schranken niedergerissen, und mir selbst die Stimmung gegeben, die ich sonst wohl erst erwarten mußte. Aber wer weiß ist diese Sicherheit nicht mein Fall, und jene Zweifel der warnende Ruf den ich überhöre? – Ich habe Ihre Rückehr, lieber Freund, oft mit recht schmerzlicher Ungeduld [6] gewünscht. Sie fehlten mir so oft, ja immer! Die Freiheit Ihres Urtheils ist durchaus nicht in der Liebe zu Ihren Freunden befangen. Sie fühlen so und wissen; beides ist nicht getrennt, aber es fließt auch nicht wie ein trüber Strom ineinander, sondern rinnt leicht und sicher in der eignen Gränze neben einander hin. Daher bleibt Ihr Blick mild, so scharf und streng er auch einzudringen weiß. Ich habe Ihre Worte an Fouqué gelesen. Es ist unmöglich, wahrer, gerechter und schohnender zu sein. Wir waren früher schon über manches hier geäußerte einig. Ich wünschte Sie zu sehen, [7] wie gesagt, es läßt sich im Briefe nicht alles so darthun, oder wenigstens verstehe ich es nicht. Nur so viel. Ich glaube bei näherer Beleuchtung des Zeitgeschmackes so wohl, als der gemeinsamen Künstlerischen Richtungen einzusehen, daß jeder Versuch, die verrinnenden Kräfte, auf einzelne große Punkte zu conzentriren, und das Alte, Gediegne hervorzurufen, ganz vergebens sein wird, wie überall der Charackter des Zeitmoments jede absichtliche Richtung zu Schanden macht. Was unmittelbar aus der Jugend erblüht, das eignet sich das Alter wohl schwehrlich wieder an. Jener Wiederschein ehemaliger Herrlichkeit ist den Schwachen unter [8] den Händen zum modischen Spiele geworden, und dieser kränkliche Schimmer wird bald jedem gesunden Auge wiedrig sein. Selbst das ganz Formelle ist nicht wieder herzustellen wenn das Weesen verloren ging, und wo hat sich dies rein erhalten? Wäre es irgendwo zu finden, so müßte es sich, meiner Meinung nach, ohne alle äußere Veranlaßung auch so dargestellt haben. Und ist dies gleichwohl geschehen? Ich weiß sehr wohl daß nichts losgerissen dasteht, und daß kein Fortschritt ohne Rückblicke geschehen kann, daß es eine Sehnsucht nach dem Vergangenen wie nach dem Zukünftigen giebt, allein die Gegenwart drückt denoch jeder Erzeugung ihren Stempel auf, und das Nachgemachte ist sogleich zu erkennen. – Auf der [9] andren Seite, was haben die erkünstelten Verbindungen der Anticke und Romantick, oder wohl gar die Auflösung beider in der Gegenwart für Carrikaturen erzeugt? Ist die hervorgerufne Klarheit nicht sogleich Nüchternheit geworden? Wer gähnt nicht in der Eugenie? und wer muß sich nicht am Ende des Meisters zum Troste sagen: Goethe habe die ganze Welt in dem albernen Gauckelspiel der Abbé und Jarno zum Besten? – Hat sich je die Poesie für irgend eine Absichtlichkeit schwehr gerächt, so geschieht es jetzt. Es ist wohl sehr natürlich, daß bei zunehmender Vielseitigkeit, die Begriffe leicht schwankend werden, und die große innre Crisis sich in tausend neuen Uebeln offenbart. Allein [10] die Gährung ist nicht kräftig genung, die Erzeugungen zu matt, die leichten Zuckungen kämpfen so sichtlich mit innerm Unvermögen und die dürftige Kraft kann den gegebnen Schwung der Phantasie nicht ertragen. Wir sehen die Meisten auf ihren goldnen Schwingen mit geschlossnen Augen und dumpfen Sinnen durch die Lüfte ziehen, und was ihnen in der Todes Angst begegnete uns als freie Erzeugungen, höchst vornehm verkünden. Fast jeder verschmähet es ehrlich mit sich zu verfahren, und ohne Anmaßung das zu thun was er kann. Die Wenigsten können überall viel leisten, aber das sagt sich Niemand. Die künstlerische Wuth zieht sie alle fort. Mir geht es wahrscheinlich [11] nicht viel besser. Indeß, ich ahnde meine Nichtigkeit und meine Freunde dürfen nicht an mir verzweifeln.
Wenn man die frühern Arbeiten der bessren Dichter betrachtet, ergreift einem die tiefste Wehmuth, wie dies rege Leben sich so verknöchert und versteint hat, bis das nackte Gerippe uns zuletzt unter den aufgehängten Flitterstate ansieht. Zuweilen kommt mir überall die ganze Welt so ausgebrannt und vertrocknet vor, und es schmerzt mich in der Seele daß wir die glimmende Asche haushälterisch zusammenscharren müssen um uns nur noch dann und wann erwärmen zu können. Ich mag wohl das Leben zu schwehr und einseitig betrachten. Vieles ist gewiß weniger schlim als ich [12] es denke, aber ich kann einmal den trüben Blick nicht los werden, und je mehr mich das wechselnde Spiel anzieht, je schauerlicher sieht mich die Vergänglichkeit aus der lockenden Hülle an. Ich habe den rechten Lebensmuth verlohren, und je schärfer ich alles ins Auge fasse je deutlicher ich mir es ausspreche je weniger frohe Hoffnungen kann ich hegen. Auch geht vieles recht traurig an mir vorüber, und wendet sich wieder zu mir hin, bis es mich wohl nicht mehr verläßt. So leidet mein schönes Clärchen seit 9 Wochen unendlich an der Gicht, und ich führe sie in wenigen Tagen noch ganz gelähmt an einem Fuße nach dem Nenndorfer Bade. Von dieser Seite war ich bis jetzt noch unverletzt geblieben, aber es [13] mußte auch kommen. Meine Söhne die stattlich und schön heranwachßen verlassen mich zu Michaelis auch, wo sie in Berlin den Unterricht des grauen Klosters genießen sollen. Ich fühle die Nothwendigkeit dieser Veränderung, und dennoch – ich übergebe sie der Welt, sie werden mir fremder werden, die Bande, die Mutter und Kind verbinden, scheinen sich in dem Augenblicke zu lösen wo es ihren Armen entrissen wird. Ein weibliches Gemüth erhebt sich selten so weit, daß sie ganz von äußrer Beziehung abstrairte. Diese Trenung wird mir sehr viel Schmerzen machen. Ich fühle das schon jetzt, wenn – nun ich mag nichts mehr davon sagen. Solche [14] Schwächen sind dem Manne fremd, und wir verkünden unsre Thorheiten sonst wohl laut genung.
Ihre kleine Pathe Marie ist ein derbes, hübsches, kluges Kind. Sie gleicht Fouqué außerordentlich, und ich hoffe sein Talent wie überall sein Geist solle auf ihr ruhen.
Mein Vater freuet sich Ihres Andenkens, und grüßt Sie schönstens wieder. Er hat Sie vorzüglich lieb und denkt gern an die schöne Zeit Ihres Hierseins zurück. Wäre es nur möglich Sie wieder in unsrer Mitte zu sehen! Doch wer darf es Ihnen verargen daß Sie sich fesseln ließen! Lieber Freund Sie sind ein wahrhafter Stern in der Gelehrtenwelt, an Feinheit und adlichen Sitten. Man darf neben Ihnen [15] keinen andren sehen. Ich wüßte Niemand zu dem ich so unverholen redet könnte, und den Alle so herzlich lieben. Erinnern Sie sich gern dieser Worte und geben Sie uns bald wieder Nachricht von Ihrem Wohlsein.
Caroline Fouqué.
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· Beiliegender Brief von/an A.W. Schlegel , 16.06.1806
· Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
· Mscr.Dresd.App.2712,B,25,4
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