• August Wilhelm von Schlegel to Ludwig Tieck

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Unknown · Date: 10.07.1801
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Ludwig Tieck
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 10.07.1801
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 81‒86.
  • Incipit: „[1] Berlin, den 10. Juli 1801
    Es ist in der That sehr befremdlich, daß du mir alle die Umstände, die mich hätten [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-37187
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.7,Nr.66(16)
  • Number of Pages: 9 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19 x 11,8 cm
    Language
  • German
[1] Berlin, den 10. Juli 1801
Es ist in der That sehr befremdlich, daß du mir alle die Umstände, die mich hätten bestimmen können, dir den Afterdingen ohne Aufschub zu schicken, erst jetzt hinterdrein als so viel Vorwürfe mit heftigen Wendungen an den Kopf wirfst, statt sie mir gleich anfangs ruhig und auf die gehörige Weise zu melden. Mit drey Zeilen hättest du mir eine weitläuftige Auseinandersetzung und dir den Ärger (weil du doch schreibst, daß du dich geärgert hast) erspart. Noch in deinen letzten Briefen gestehst du ein, daß du dich nicht zu Geschäften passest: wie kann ich errathen, daß du dich plötzlich dem Geschäft dieser Herausgabe unterzogen hast? Du schreibst wiederhohlt: „Du kannst ja nicht wissen usw.“ Freylich konnte ich nicht wissen, und deswegen brauchte ich mich auch ganz und gar nicht darnach zu richten. Das Manuscript war zufällig in deine Hände gekommen, Unger hatte es dir gegeben um es deinen Freunden vorzulesen; wäre ich gerade in Berlin gewesen, so hätte er es eben so gut mir abliefern können. Wir sind beyde Hardenbergs Freunde, er hat mit uns beiden mündliche Mittheilungen über seinen Roman gehabt. Mich hat er unter andern über den [2] Krieg zu Wartburg zu Rathe gezogen, und hat durch mich die Behandlung desselben in den Minnesingern kennen gelernt. Ich habe in seinem Namen den Vertrag mit dem Verleger zu seiner Zufriedenheit zu Stande gebracht. Die allgemeinen Ansprüche auf die Herausgabe wären also wenigstens gleich; dem Bruder des Verstorbenen steht allerdings das Recht zu, eine nähere Vollmacht zu ertheilen, allein, wenn ich ihr Folge leisten sollte, so mußte ich davon wissen. Weit entfernt, daß du Ursache hättest böse zu seyn, daß ich deinem königlichen car tel est notre plaisir nicht gehorcht, hast du gegen mich erst durch das Verschweigen deines Vorhabens mit einer Sache, die mich eben so nahe interessirt, wie dich, dann durch dein imperatorisches Benehmen, alles aus den Augen gesetzt, ich will nicht sagen was Freunde einander schuldig sind, sondern was die gewöhnliche Anständigkeit mit sich bringt, was man so procédés nennt.
Ich muß hinzufügen, daß ich mich auch jetzt der Strenge nach nicht verpflichtet halte, dir das Manuscript zu schicken. Ich dürfte nur an Karl Hardenberg schreiben, ich wolle es ihm und nur ihm überantworten. Glaube auch nicht [3] etwa, daß dein heftiges Trotzen mich in Schrecken setzte: es kommt mir bloß lächerlich vor. Du versicherst, ich habe versprochen, dir das Manuscript auf die erste Forderung wieder abzuliefern, und ich muß es dir wohl auf dein Wort glauben; ich kann dir aber eben so redlich versichern, daß ich mich dessen nicht erinnerte und noch jetzt nicht erinnere. Aber es empört mich innerlich, daß über den heiligen Nachlaß eines von mir innigst geliebten und betrauerten Freundes ein gemeines Gezänk entstehen soll, wie du es zu erheben anfängst: darum will ich der Sache so kurz wie möglich ein Ende machen.
Da ihr mir von allem in Leipzig Verhandelten keine Nachricht gegeben habt, so überlasse ich es nun dir auch, bey Unger anzufragen: ob er auf den Verlag des Buches, der ihm vermöge des Vertrages zukömmt, noch Ansprüche macht? was ich sonst leicht durch ein Billet hätte thun können. Du wirst einsehen, daß die rechtliche Form den jetzigen Herausgeber hiezu verpflichtet, wenn er auch fast gewiß voraus weiß, daß Unger den Verlag nicht mehr will.
Ich verstehe nicht was du damit sagen willst: „Daß es gerade wie der Wilhelm Meister gedruckt [4] werden soll, scheint mir jetzt ganz unwesentlich, da das Buch jetzt eine andre Absicht hat?“ Welche andre Absicht hat denn das Buch jetzt, als die der Verfasser selbst damit hatte? Gehört das auch zu den mir unbekannten Leipziger Verhandlungen? Ich, der ich den Vertrag für Hardenberg geschlossen, kann dir sagen, daß er auf diese Bedingung sehr viel Nachdruck legte, daß es seine erste Bedingung war, daß er deswegen Unger am liebsten zum Verleger wollte. Es schien ihm nicht eine bloße Äußerlichkeit zu seyn, sondern auf den Eindruck des Werks Einfluß zu haben, indem er grade diese Art von geräumiger Sauberkeit in Format und Druck mit dem Geiste seiner Darstellung übereinstimmend fand. Auch wollte er, daß das Buch sich auf diese Art an den Wilhelm Meister, den Sternbald, den Klosterbruder und die Fantasieen anschließen sollte. – Ein allgemeines Gefühl hat es von je her den Menschen zum Gesetz gemacht, den Willen und die Anordnungen der Verstorbenen über das, was ihnen zusteht, auch in Kleinigkeiten pünktlich zu befolgen. Wenn du dieses für Aberglauben hältst, so wünsche ich dir zu [5] dieser aufgeklärten Gesinnung Glück. Allerdings hat die entgegengesetzte Maxime auch einen guten Grund für sich, nämlich den, daß die Todten nicht wiederkommen.
Hardenbergs Vorschrift über diesen Punkt habe ich dir nun dargelegt, und gebe sie nebst allem übrigen deiner Verantwortlichkeit anheim. Wenn man auf keinen sonstigen Forderungen von Honorar besteht, (und warum sollte man das?) so wird diese Bedingung nicht so schwer zu erlangen seyn: die Ungerschen Lettern sind ja schon in einer Menge Offizinen vorhanden, der Verleger kann es auch bey Unger drucken lassen.
Mit der Äußerung: „wenn ich nun glaubte, daß es dir bey der Herausgabe dieses Buchs um Ehre oder Vortheil zu thun sey, so würdest du dich nur von neuem ärgern,“ trittst du dir selbst sehr zu nahe, und mich wundert, daß dir dabei das bekannte Sprichwort vom voreiligen Entschuldigen nicht eingefallen ist. Wenn mir überhaupt ein solcher Gedanke so nahe läge, so müßte ihn freylich das Verschweigen deines Vorhabens, die jetzige gewaltsame Art, das Manuscript zu fordern und besonders diese Äußerung veranlassen. [6] Es ist aber auch wohl meine Art, dir Vortheil oder Ehre zu misgönnen. Wofern die Herausgabe nur sonst gehörig und Hardenbergs Anordnungen gemäß besorgt wird, so soll es mir lieb seyn, wenn sie dir noch so viel Vortheil einträgt; wenn du aber eigenmächtig und auf die entgegengesetzte Art damit verfährst, so wird sie dir wenigstens bey den Freunden des Verstorbenen keine Ehre eintragen.
Warum sollte es denn gar so ungeziemlich seyn, im Fall sich kein Verleger fände, die Kosten des Drucks vorzuschießen? Gesetzt auch, ein unvollendeter Roman, in diesem für so Wenige noch faßlichen Geiste geschrieben, hätte jetzt kein so zahlreiches Publikum zu erwarten, daß ein Verleger seine Rechnung dabey fände, sind wir darum berechtigt anzunehmen, daß es außer unserm Zirkel gar keine Menschen gebe, für die Hardenberg sich freuen könnte geschrieben zu haben? Sind wir berechtigt, dieß Bruchstück eines göttlichen Werkes der Folgezeit vorzuenthalten, und dadurch den Verstorbenen um den ihm gebührenden Zoll der Liebe und Verehrung von verwandten Geistern zu bringen? – Nach deiner transzendent idealistischen Ansicht [7] soll für die Freunde nicht einmal etwas daran gelegen seyn, wenn das Manuscript gar verlohren ginge, „weil Hardenbergʼs Umgang in ihnen Wurzel geschlagen haben muß“. Siehst du nicht, daß du mir hiedurch Waffen gegen dich selbst in die Hände giebst? Ich hätte ganz treffend in deinem Sinne antworten können: du brauchst den Afterdingen als Studium zum Jakob Böhme? Studire deinen Eindruck davon. Du willst ihn herausgeben? Gieb die Vorstellung von diesem Eindruck heraus, und ergötze damit deine Leser. Vielleicht wird die Poesie überhaupt so sublimirt, daß man nicht mehr Gedichte, sondern bloße Einbildungen von Gedichten liefern wird; uns Realisten aber, die wir uns nicht so behelfen können, laß einstweilen das Manuscript.
Ich komme auf den Almanach. Nachdem du zwey Monate lang auf die heilloseste Art von der Welt sogar das kleine Geschäft versäumt hast, mir über den Druck Nachweisung zu geben, scheinst du darüber empfindlich, daß ich mich der Sache mit Eifer annehme. Wir haben die gemeinschaftliche Herausgabe in der Hoffnung unternommen, daß wir uns auch bey abweichenden Meynungen als Freunde und vernünftige Menschen würden [8] verständigen können, denn freylich ist auf den Fall nichts ausgemacht, daß der eine absolut Nein, der andre absolut Ja sagt. Eine seltsame Verstimmung oder wenigstens Veränderung gegen mich, die seit deiner Abreise in dir vorgegangen ist, scheint diese Hoffnung beynah zu vereiteln, und du hast mir schon so vielen Verdruß gemacht, daß ich zehntausendmal wünsche, ich hätte es nicht auf diese Art unternommen. Du krittelst über alles ohne irgend etwas zu fördern, und aus Empfindlichkeit darüber, daß ich, wie du behauptest, dir keine Stimme lasse, (da ich dir doch alles und jedes vorlege) ob du gleich auch einen Herausgeber vorstellen sollest (der Himmel weiß, daß es nicht meine Schuld ist, wenn du es nicht wirklich bist), setzest du mit Fleiß Abweichungen voraus, wo gar keine sind. – Über die Epigramme von Röschlaub habe ich eben so gedacht wie du: ich schickte sie dir bloß der Vollständigkeit wegen, und weil du sie fordertest. Das Gedicht von Mnioch findest du viel geringer als den Vermählungshymnus, ich viel vortrefflicher; das ist ja aber für unsern Zweck gleichgültig. Wir sind doch beyde der Meynung, daß es eingerückt werden [9] soll. Dein Urtheil über das Gedicht deiner Schwester muß ich ebenfalls als eine Billigung des Einrückens ansehen. Über die kleinen Gedichte von Friedrich habe ich dir bloß einige unmaßgebliche Vorstellungen gemacht; sie mögen immerhin ganz wegbleiben, ich habe nichts dagegen. Die beyden Lieder aus dem Afterdingen habe ich so gewählt, weil ich fand, daß diese am besten außer dem Zusammenhange für sich bestehen und ganz gefühlt werden können. Ich befürchte, daß das arme Weinlied meine Wahl entgelten muß, denn mir scheint es zu dem zartesten, gefälligsten, kühnsten und fröhlichsten zu gehören, was Hardenberg je gedichtet hat, und ich glaube, daß ich nicht allein dieser Meynung bin. Besonders ist das von der Gährung des Weines, was den größten Theil des Gedichtes einnimmt, recht charakteristisch, und grade von der Art wie es nur allein Hardenberg machen konnte. Indessen, wenn du einmal dagegen bist, so suche nur ein andres aus und schicke es mir baldigst. Oder ich lasse es mir auch gefallen, daß die Lieder aus dem Afterdingen ganz wegbleiben; melde mir nur deine Entscheidung baldigst. [10] Ich will sie so lange zurückbehalten. Nur erwäge noch dieß, daß es uns gar sehr an fröhlichen, geselligen Liedern fehlt, die uns weit mehr Leser gewinnen, als die mystischen, und daß es eine gute Gelegenheit wäre, in der Inhaltsanzeige auf die Erscheinung des Afterdingen aufmerksam zu machen.
Friedrich hat geschickt: 1) Die Abendröthe, 2) Romanze vom Licht, 3) Hymnen. Wenn ich mich nicht sehr irre, so kennst du schon alles, außer die 3te unter den Hymnen, das Sonett auf die Isis. Ich habe indessen Nr. 2 und 3 abschreiben lassen und schicke es dir mit. Die Abendröthe ist lang, ich glaubte nicht, daß es wegen der Veränderungen, die Friedrich etwa darin vorgenommen, nöthig wäre, dir eine Abschrift vorzulegen.
Ferner wird uns beyliegendes Gedicht in Stanzen angeboten. Wenn es dir gefällt, so könnte es neben dem Schwank vom neuen Jahrhundert am Ende zu stehen kommen.
Wenn du gründliche und wichtige Studien machst, mein Freund, so ist es mir sehr erfreulich, nur ist deine Art sie mir in dem Postscript [11] vorzurechnen, eben nicht geeignet mich davon zu überzeugen. Ich hatte dich dazu angemahnt, weil ich nach der Beobachtung deiner hiesigen Lebensart, nach deinem eignen Bericht von verlohrnen Wochen in Dresden glauben mußte, daß du dich darin vernachläßigtest! Wenn ich mich irrte, so hattest du am wenigsten Ursache es übel zu nehmen; du durftest es mir nur schreiben, so war die Beschämung auf meiner Seite. – Soll man sich immerfort Complimente machen, sollen sich Freunde über ihr Thun und Treiben nicht gegenseitig ihre Meynung offen sagen dürfen, so ist die Freundschaft überhaupt nur ein unbedeutender Name. Ich bin weit entfernt mir über meine Freunde eine Vormundschaft oder Aufsicht anmaßen zu wollen, allein eben so wenig will ich mich von ihnen tyrannisiren und mir unwürdig begegnen lassen. Ich bin ein freyer Mensch, der am Ende keinen Freund bedarf; ich bin es mehr als mancher Andre, weil ich meine eigne Thätigkeit mehr beherrsche. Dir habe ich meine Freundschaft zuerst entgegen gebracht, ich bin mir bewußt, mit dem uneigennützigsten Wohlwollen, mit reinem Wohlgefallen an deinem Geist und deinen Talenten, [12] auch da, wo ich deine Überlegenheit am meisten anerkennen mußte, und mir nicht schmeichelte dich je zu erreichen. Meinem Ehrgeiz konnte deine Unthätigkeit willkommen seyn; wenn ich mit Eifer dagegen gesprochen habe, so ist es doch wahrlich nicht meinetwegen geschehn. Und nun muß ich eine solche Erwiederung von dir erfahren! – Ich beschwöre dich, setze diesen Ton und dieses Benehmen nicht fort; ich könnte nichts weiter darauf thun, als schweigen, und beklagen, daß ich mich in dir geirrt. Laß es dahin nicht kommen. Dieser Misklang gehört nicht in dein Wesen, er gehört sich nicht zwischen uns. Mit freundschaftlichen Gesinnungen unveränderlich der deinige
A. W. Schlegel.
Die erste Nachricht von der glücklichen Niederkunft deiner Schwester wirst du durch deine Verwandten erfahren haben. Sie ist auch heute recht wohl, und hofft dir nächstens schreiben zu können. Bernhardi wird deine Aufträge ausrichten und schreibt mit nächster Post. Viele Grüße an deine Frau.
Den Traum schick sogleich wieder mit zurück.
[1] Berlin, den 10. Juli 1801
Es ist in der That sehr befremdlich, daß du mir alle die Umstände, die mich hätten bestimmen können, dir den Afterdingen ohne Aufschub zu schicken, erst jetzt hinterdrein als so viel Vorwürfe mit heftigen Wendungen an den Kopf wirfst, statt sie mir gleich anfangs ruhig und auf die gehörige Weise zu melden. Mit drey Zeilen hättest du mir eine weitläuftige Auseinandersetzung und dir den Ärger (weil du doch schreibst, daß du dich geärgert hast) erspart. Noch in deinen letzten Briefen gestehst du ein, daß du dich nicht zu Geschäften passest: wie kann ich errathen, daß du dich plötzlich dem Geschäft dieser Herausgabe unterzogen hast? Du schreibst wiederhohlt: „Du kannst ja nicht wissen usw.“ Freylich konnte ich nicht wissen, und deswegen brauchte ich mich auch ganz und gar nicht darnach zu richten. Das Manuscript war zufällig in deine Hände gekommen, Unger hatte es dir gegeben um es deinen Freunden vorzulesen; wäre ich gerade in Berlin gewesen, so hätte er es eben so gut mir abliefern können. Wir sind beyde Hardenbergs Freunde, er hat mit uns beiden mündliche Mittheilungen über seinen Roman gehabt. Mich hat er unter andern über den [2] Krieg zu Wartburg zu Rathe gezogen, und hat durch mich die Behandlung desselben in den Minnesingern kennen gelernt. Ich habe in seinem Namen den Vertrag mit dem Verleger zu seiner Zufriedenheit zu Stande gebracht. Die allgemeinen Ansprüche auf die Herausgabe wären also wenigstens gleich; dem Bruder des Verstorbenen steht allerdings das Recht zu, eine nähere Vollmacht zu ertheilen, allein, wenn ich ihr Folge leisten sollte, so mußte ich davon wissen. Weit entfernt, daß du Ursache hättest böse zu seyn, daß ich deinem königlichen car tel est notre plaisir nicht gehorcht, hast du gegen mich erst durch das Verschweigen deines Vorhabens mit einer Sache, die mich eben so nahe interessirt, wie dich, dann durch dein imperatorisches Benehmen, alles aus den Augen gesetzt, ich will nicht sagen was Freunde einander schuldig sind, sondern was die gewöhnliche Anständigkeit mit sich bringt, was man so procédés nennt.
Ich muß hinzufügen, daß ich mich auch jetzt der Strenge nach nicht verpflichtet halte, dir das Manuscript zu schicken. Ich dürfte nur an Karl Hardenberg schreiben, ich wolle es ihm und nur ihm überantworten. Glaube auch nicht [3] etwa, daß dein heftiges Trotzen mich in Schrecken setzte: es kommt mir bloß lächerlich vor. Du versicherst, ich habe versprochen, dir das Manuscript auf die erste Forderung wieder abzuliefern, und ich muß es dir wohl auf dein Wort glauben; ich kann dir aber eben so redlich versichern, daß ich mich dessen nicht erinnerte und noch jetzt nicht erinnere. Aber es empört mich innerlich, daß über den heiligen Nachlaß eines von mir innigst geliebten und betrauerten Freundes ein gemeines Gezänk entstehen soll, wie du es zu erheben anfängst: darum will ich der Sache so kurz wie möglich ein Ende machen.
Da ihr mir von allem in Leipzig Verhandelten keine Nachricht gegeben habt, so überlasse ich es nun dir auch, bey Unger anzufragen: ob er auf den Verlag des Buches, der ihm vermöge des Vertrages zukömmt, noch Ansprüche macht? was ich sonst leicht durch ein Billet hätte thun können. Du wirst einsehen, daß die rechtliche Form den jetzigen Herausgeber hiezu verpflichtet, wenn er auch fast gewiß voraus weiß, daß Unger den Verlag nicht mehr will.
Ich verstehe nicht was du damit sagen willst: „Daß es gerade wie der Wilhelm Meister gedruckt [4] werden soll, scheint mir jetzt ganz unwesentlich, da das Buch jetzt eine andre Absicht hat?“ Welche andre Absicht hat denn das Buch jetzt, als die der Verfasser selbst damit hatte? Gehört das auch zu den mir unbekannten Leipziger Verhandlungen? Ich, der ich den Vertrag für Hardenberg geschlossen, kann dir sagen, daß er auf diese Bedingung sehr viel Nachdruck legte, daß es seine erste Bedingung war, daß er deswegen Unger am liebsten zum Verleger wollte. Es schien ihm nicht eine bloße Äußerlichkeit zu seyn, sondern auf den Eindruck des Werks Einfluß zu haben, indem er grade diese Art von geräumiger Sauberkeit in Format und Druck mit dem Geiste seiner Darstellung übereinstimmend fand. Auch wollte er, daß das Buch sich auf diese Art an den Wilhelm Meister, den Sternbald, den Klosterbruder und die Fantasieen anschließen sollte. – Ein allgemeines Gefühl hat es von je her den Menschen zum Gesetz gemacht, den Willen und die Anordnungen der Verstorbenen über das, was ihnen zusteht, auch in Kleinigkeiten pünktlich zu befolgen. Wenn du dieses für Aberglauben hältst, so wünsche ich dir zu [5] dieser aufgeklärten Gesinnung Glück. Allerdings hat die entgegengesetzte Maxime auch einen guten Grund für sich, nämlich den, daß die Todten nicht wiederkommen.
Hardenbergs Vorschrift über diesen Punkt habe ich dir nun dargelegt, und gebe sie nebst allem übrigen deiner Verantwortlichkeit anheim. Wenn man auf keinen sonstigen Forderungen von Honorar besteht, (und warum sollte man das?) so wird diese Bedingung nicht so schwer zu erlangen seyn: die Ungerschen Lettern sind ja schon in einer Menge Offizinen vorhanden, der Verleger kann es auch bey Unger drucken lassen.
Mit der Äußerung: „wenn ich nun glaubte, daß es dir bey der Herausgabe dieses Buchs um Ehre oder Vortheil zu thun sey, so würdest du dich nur von neuem ärgern,“ trittst du dir selbst sehr zu nahe, und mich wundert, daß dir dabei das bekannte Sprichwort vom voreiligen Entschuldigen nicht eingefallen ist. Wenn mir überhaupt ein solcher Gedanke so nahe läge, so müßte ihn freylich das Verschweigen deines Vorhabens, die jetzige gewaltsame Art, das Manuscript zu fordern und besonders diese Äußerung veranlassen. [6] Es ist aber auch wohl meine Art, dir Vortheil oder Ehre zu misgönnen. Wofern die Herausgabe nur sonst gehörig und Hardenbergs Anordnungen gemäß besorgt wird, so soll es mir lieb seyn, wenn sie dir noch so viel Vortheil einträgt; wenn du aber eigenmächtig und auf die entgegengesetzte Art damit verfährst, so wird sie dir wenigstens bey den Freunden des Verstorbenen keine Ehre eintragen.
Warum sollte es denn gar so ungeziemlich seyn, im Fall sich kein Verleger fände, die Kosten des Drucks vorzuschießen? Gesetzt auch, ein unvollendeter Roman, in diesem für so Wenige noch faßlichen Geiste geschrieben, hätte jetzt kein so zahlreiches Publikum zu erwarten, daß ein Verleger seine Rechnung dabey fände, sind wir darum berechtigt anzunehmen, daß es außer unserm Zirkel gar keine Menschen gebe, für die Hardenberg sich freuen könnte geschrieben zu haben? Sind wir berechtigt, dieß Bruchstück eines göttlichen Werkes der Folgezeit vorzuenthalten, und dadurch den Verstorbenen um den ihm gebührenden Zoll der Liebe und Verehrung von verwandten Geistern zu bringen? – Nach deiner transzendent idealistischen Ansicht [7] soll für die Freunde nicht einmal etwas daran gelegen seyn, wenn das Manuscript gar verlohren ginge, „weil Hardenbergʼs Umgang in ihnen Wurzel geschlagen haben muß“. Siehst du nicht, daß du mir hiedurch Waffen gegen dich selbst in die Hände giebst? Ich hätte ganz treffend in deinem Sinne antworten können: du brauchst den Afterdingen als Studium zum Jakob Böhme? Studire deinen Eindruck davon. Du willst ihn herausgeben? Gieb die Vorstellung von diesem Eindruck heraus, und ergötze damit deine Leser. Vielleicht wird die Poesie überhaupt so sublimirt, daß man nicht mehr Gedichte, sondern bloße Einbildungen von Gedichten liefern wird; uns Realisten aber, die wir uns nicht so behelfen können, laß einstweilen das Manuscript.
Ich komme auf den Almanach. Nachdem du zwey Monate lang auf die heilloseste Art von der Welt sogar das kleine Geschäft versäumt hast, mir über den Druck Nachweisung zu geben, scheinst du darüber empfindlich, daß ich mich der Sache mit Eifer annehme. Wir haben die gemeinschaftliche Herausgabe in der Hoffnung unternommen, daß wir uns auch bey abweichenden Meynungen als Freunde und vernünftige Menschen würden [8] verständigen können, denn freylich ist auf den Fall nichts ausgemacht, daß der eine absolut Nein, der andre absolut Ja sagt. Eine seltsame Verstimmung oder wenigstens Veränderung gegen mich, die seit deiner Abreise in dir vorgegangen ist, scheint diese Hoffnung beynah zu vereiteln, und du hast mir schon so vielen Verdruß gemacht, daß ich zehntausendmal wünsche, ich hätte es nicht auf diese Art unternommen. Du krittelst über alles ohne irgend etwas zu fördern, und aus Empfindlichkeit darüber, daß ich, wie du behauptest, dir keine Stimme lasse, (da ich dir doch alles und jedes vorlege) ob du gleich auch einen Herausgeber vorstellen sollest (der Himmel weiß, daß es nicht meine Schuld ist, wenn du es nicht wirklich bist), setzest du mit Fleiß Abweichungen voraus, wo gar keine sind. – Über die Epigramme von Röschlaub habe ich eben so gedacht wie du: ich schickte sie dir bloß der Vollständigkeit wegen, und weil du sie fordertest. Das Gedicht von Mnioch findest du viel geringer als den Vermählungshymnus, ich viel vortrefflicher; das ist ja aber für unsern Zweck gleichgültig. Wir sind doch beyde der Meynung, daß es eingerückt werden [9] soll. Dein Urtheil über das Gedicht deiner Schwester muß ich ebenfalls als eine Billigung des Einrückens ansehen. Über die kleinen Gedichte von Friedrich habe ich dir bloß einige unmaßgebliche Vorstellungen gemacht; sie mögen immerhin ganz wegbleiben, ich habe nichts dagegen. Die beyden Lieder aus dem Afterdingen habe ich so gewählt, weil ich fand, daß diese am besten außer dem Zusammenhange für sich bestehen und ganz gefühlt werden können. Ich befürchte, daß das arme Weinlied meine Wahl entgelten muß, denn mir scheint es zu dem zartesten, gefälligsten, kühnsten und fröhlichsten zu gehören, was Hardenberg je gedichtet hat, und ich glaube, daß ich nicht allein dieser Meynung bin. Besonders ist das von der Gährung des Weines, was den größten Theil des Gedichtes einnimmt, recht charakteristisch, und grade von der Art wie es nur allein Hardenberg machen konnte. Indessen, wenn du einmal dagegen bist, so suche nur ein andres aus und schicke es mir baldigst. Oder ich lasse es mir auch gefallen, daß die Lieder aus dem Afterdingen ganz wegbleiben; melde mir nur deine Entscheidung baldigst. [10] Ich will sie so lange zurückbehalten. Nur erwäge noch dieß, daß es uns gar sehr an fröhlichen, geselligen Liedern fehlt, die uns weit mehr Leser gewinnen, als die mystischen, und daß es eine gute Gelegenheit wäre, in der Inhaltsanzeige auf die Erscheinung des Afterdingen aufmerksam zu machen.
Friedrich hat geschickt: 1) Die Abendröthe, 2) Romanze vom Licht, 3) Hymnen. Wenn ich mich nicht sehr irre, so kennst du schon alles, außer die 3te unter den Hymnen, das Sonett auf die Isis. Ich habe indessen Nr. 2 und 3 abschreiben lassen und schicke es dir mit. Die Abendröthe ist lang, ich glaubte nicht, daß es wegen der Veränderungen, die Friedrich etwa darin vorgenommen, nöthig wäre, dir eine Abschrift vorzulegen.
Ferner wird uns beyliegendes Gedicht in Stanzen angeboten. Wenn es dir gefällt, so könnte es neben dem Schwank vom neuen Jahrhundert am Ende zu stehen kommen.
Wenn du gründliche und wichtige Studien machst, mein Freund, so ist es mir sehr erfreulich, nur ist deine Art sie mir in dem Postscript [11] vorzurechnen, eben nicht geeignet mich davon zu überzeugen. Ich hatte dich dazu angemahnt, weil ich nach der Beobachtung deiner hiesigen Lebensart, nach deinem eignen Bericht von verlohrnen Wochen in Dresden glauben mußte, daß du dich darin vernachläßigtest! Wenn ich mich irrte, so hattest du am wenigsten Ursache es übel zu nehmen; du durftest es mir nur schreiben, so war die Beschämung auf meiner Seite. – Soll man sich immerfort Complimente machen, sollen sich Freunde über ihr Thun und Treiben nicht gegenseitig ihre Meynung offen sagen dürfen, so ist die Freundschaft überhaupt nur ein unbedeutender Name. Ich bin weit entfernt mir über meine Freunde eine Vormundschaft oder Aufsicht anmaßen zu wollen, allein eben so wenig will ich mich von ihnen tyrannisiren und mir unwürdig begegnen lassen. Ich bin ein freyer Mensch, der am Ende keinen Freund bedarf; ich bin es mehr als mancher Andre, weil ich meine eigne Thätigkeit mehr beherrsche. Dir habe ich meine Freundschaft zuerst entgegen gebracht, ich bin mir bewußt, mit dem uneigennützigsten Wohlwollen, mit reinem Wohlgefallen an deinem Geist und deinen Talenten, [12] auch da, wo ich deine Überlegenheit am meisten anerkennen mußte, und mir nicht schmeichelte dich je zu erreichen. Meinem Ehrgeiz konnte deine Unthätigkeit willkommen seyn; wenn ich mit Eifer dagegen gesprochen habe, so ist es doch wahrlich nicht meinetwegen geschehn. Und nun muß ich eine solche Erwiederung von dir erfahren! – Ich beschwöre dich, setze diesen Ton und dieses Benehmen nicht fort; ich könnte nichts weiter darauf thun, als schweigen, und beklagen, daß ich mich in dir geirrt. Laß es dahin nicht kommen. Dieser Misklang gehört nicht in dein Wesen, er gehört sich nicht zwischen uns. Mit freundschaftlichen Gesinnungen unveränderlich der deinige
A. W. Schlegel.
Die erste Nachricht von der glücklichen Niederkunft deiner Schwester wirst du durch deine Verwandten erfahren haben. Sie ist auch heute recht wohl, und hofft dir nächstens schreiben zu können. Bernhardi wird deine Aufträge ausrichten und schreibt mit nächster Post. Viele Grüße an deine Frau.
Den Traum schick sogleich wieder mit zurück.
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