• August Wilhelm von Schlegel to Ludwig Tieck

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Ziebingen · Date: 08.02.1804
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Ludwig Tieck
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Ziebingen
  • Date: 08.02.1804
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 148‒150.
  • Incipit: „[1] Berlin, den 8. Februar 1804
    Liebster Freund!
    Verzeih daß ich auf deine öfteren freylich kurzen Briefe so lange geschwiegen; ich stecke sehr [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-37187
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.7,Nr.66(30)
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,1 x 11,3 cm
    Language
  • German
[1] Berlin, den 8. Februar 1804
Liebster Freund!
Verzeih daß ich auf deine öfteren freylich kurzen Briefe so lange geschwiegen; ich stecke sehr in Arbeiten und dann wollte ich sogleich das Buch der Liebe mitschicken, was ich nicht eher als jetzt konnte. Es fällt mir schwer mich davon zu trennen, und ich bitte dich zu glauben, daß ich dir etwas anvertraue, was mir sehr viel werth ist, und woran ein Schade mir nicht leicht würde ersetzt werden können. Ich rechne darauf, daß du es bey deiner Hieherkunft wohl eingepackt wieder mitbringen wirst.
Wegen der beyden nordischen Bücher haben wir sogleich auf die Königliche Bibliothek geschickt, aber zur Antwort erhalten, daß sie nicht da sind. Das Kjämpe Wisar ist mir mittelbar aus Herders Volksliedern bekannt, wo einige vortreffliche Romanzen daraus sich finden. Melde mir doch was sonst noch außer diesen und der Heimskringla Saga das wichtigste zum Studium der nordischen Mythologie und Geschichte für uns ist, so wollte ich versuchen, alles mit einem male zu bekommen. Der Dänische Gesandte Graf Baudissin ist nämlich mein sehr eifriger Zuhörer, und würde gewiß [2] auf meine Bitte gern in Dänemark Auftrag ertheilen, auch solche Bücher, die nicht im Buchladen zu haben sind, für mich zu kaufen. Mit Steffens ist in diesem Punkte nicht viel zu machen.
Die Trutznachtigall von Spee haben wir ebenfalls unterdessen entdeckt, und deine Schwester besitzt sie jetzt sogar eigen. Ich weiß nun, wo sich so manche Lieder herschreiben, die ich in meinen katholischen Gesangbüchern lange geliebt und bewundert habe. Es sind mir auch die Lebensumstände des Verfassers bekannt.
Das lateinische Gedicht von Walther von Aquitanien, worauf ich dich aufmerksam machen ließ, ist allerdings dasselbe, welches du, wie ich sehe, schon kennst. Wenn es dir nicht so wichtig vorkommt wie mir, so ist unsre Ansicht eben verschieden. Daß es schlecht Latein und zum Theil in schlechten Hexametern geschrieben, hat mir am wenigsten dabey Anstoß gegeben. Das Alterthum des Lateinischen Textes wird sich an gewissen Kennzeichen, wenigstens auf ein Jahrhundert nach, bestimmen lassen, und ich glaube einige dergleichen schon gefunden zu haben, denen [3] zufolge es zwar nicht so alt seyn würde als der Herausgeber will, aber immer noch viel älter als unser heutiger Text der Niebelungen. Was aber mir das Wichtige dabey scheint, ist die über allen Zweifel einleuchtende Gewißheit, daß der lateinische Verfasser nach einem Deutschen Gedicht im Styl und aus dem Zeitalter der Niebelungen gearbeitet, und solches bloß mit Virgilischen Phrasen zugestutzt. Es finden sich zwar über manches abweichende Angaben in beyden, die aber zur Bestätigung der Ächtheit dienen, gerade wie die mythischen Widersprüche in der Ilias und Odysse. Die Uebereinstimmung, besonders bis in das tiefste und feinste der Charakterdarstellung hinein, ist desto wunderwürdiger. Übrigens hat Fischer auch den Schluß des Gedichts aus einem andern Codex herausgegeben.
Das Stück, welches ich in meinen Vorlesungen aus den Niebelungen bloß in etwas erneuerter Sprache mitgetheilt, dir zu schicken, wäre in der That nicht der Mühe werth. Du kannst dir denken, daß eine Arbeit, die schnell [4] nur für den Augenblick hingeworfen wurde, nicht mit aller nöthigen Sorgfalt und reiflichen Überlegung ausgebildet werden konnte. Ich hab mir zum Gesetz gemacht, nichts grammatisch durchaus veraltetes stehen zu lassen und mußte daher oft auch die Reime ändern.
Deiner lieben Frau sage, sobald ich den Lazarillo de Tormes besäße, würde ich ihn ihr gewiß mittheilen, ich zweifle aber, ob er ihr so viel Vergnügen machen wird, wie mir, indem ich einen ganz besondern Sinn und eine angebohrne Freude am Bettelhaften und Lausigen habe.
Du hast Glück mit altdeutschen Seltenheiten, der Tyturell ist gewiß eine große. Da die alte Bearbeitung schon in Strophen und kurzen Versen war, so ist es vermuthlich weniger alterirt als das Heldenbuch.
Deine Schwester läßt auch herzlich grüßen, und bitten, die Herkunft möglichst zu beschleunigen und ihr den deutschen Amadis mitzubringen. Dieß vergiß ja nicht. Sie war diese Zeit her etwas wohler, hat aber seit einigen Tagen viel Krämpfe gehabt. Dein Bruder ist wohl und fleißig. Grüße an Burgsdorff.
Dein
AWS.
Dein Brief an Friedrich ist unverzüglich besorgt. Seine Addresse ist: Rue Clichy Nr. 19.
[1] Berlin, den 8. Februar 1804
Liebster Freund!
Verzeih daß ich auf deine öfteren freylich kurzen Briefe so lange geschwiegen; ich stecke sehr in Arbeiten und dann wollte ich sogleich das Buch der Liebe mitschicken, was ich nicht eher als jetzt konnte. Es fällt mir schwer mich davon zu trennen, und ich bitte dich zu glauben, daß ich dir etwas anvertraue, was mir sehr viel werth ist, und woran ein Schade mir nicht leicht würde ersetzt werden können. Ich rechne darauf, daß du es bey deiner Hieherkunft wohl eingepackt wieder mitbringen wirst.
Wegen der beyden nordischen Bücher haben wir sogleich auf die Königliche Bibliothek geschickt, aber zur Antwort erhalten, daß sie nicht da sind. Das Kjämpe Wisar ist mir mittelbar aus Herders Volksliedern bekannt, wo einige vortreffliche Romanzen daraus sich finden. Melde mir doch was sonst noch außer diesen und der Heimskringla Saga das wichtigste zum Studium der nordischen Mythologie und Geschichte für uns ist, so wollte ich versuchen, alles mit einem male zu bekommen. Der Dänische Gesandte Graf Baudissin ist nämlich mein sehr eifriger Zuhörer, und würde gewiß [2] auf meine Bitte gern in Dänemark Auftrag ertheilen, auch solche Bücher, die nicht im Buchladen zu haben sind, für mich zu kaufen. Mit Steffens ist in diesem Punkte nicht viel zu machen.
Die Trutznachtigall von Spee haben wir ebenfalls unterdessen entdeckt, und deine Schwester besitzt sie jetzt sogar eigen. Ich weiß nun, wo sich so manche Lieder herschreiben, die ich in meinen katholischen Gesangbüchern lange geliebt und bewundert habe. Es sind mir auch die Lebensumstände des Verfassers bekannt.
Das lateinische Gedicht von Walther von Aquitanien, worauf ich dich aufmerksam machen ließ, ist allerdings dasselbe, welches du, wie ich sehe, schon kennst. Wenn es dir nicht so wichtig vorkommt wie mir, so ist unsre Ansicht eben verschieden. Daß es schlecht Latein und zum Theil in schlechten Hexametern geschrieben, hat mir am wenigsten dabey Anstoß gegeben. Das Alterthum des Lateinischen Textes wird sich an gewissen Kennzeichen, wenigstens auf ein Jahrhundert nach, bestimmen lassen, und ich glaube einige dergleichen schon gefunden zu haben, denen [3] zufolge es zwar nicht so alt seyn würde als der Herausgeber will, aber immer noch viel älter als unser heutiger Text der Niebelungen. Was aber mir das Wichtige dabey scheint, ist die über allen Zweifel einleuchtende Gewißheit, daß der lateinische Verfasser nach einem Deutschen Gedicht im Styl und aus dem Zeitalter der Niebelungen gearbeitet, und solches bloß mit Virgilischen Phrasen zugestutzt. Es finden sich zwar über manches abweichende Angaben in beyden, die aber zur Bestätigung der Ächtheit dienen, gerade wie die mythischen Widersprüche in der Ilias und Odysse. Die Uebereinstimmung, besonders bis in das tiefste und feinste der Charakterdarstellung hinein, ist desto wunderwürdiger. Übrigens hat Fischer auch den Schluß des Gedichts aus einem andern Codex herausgegeben.
Das Stück, welches ich in meinen Vorlesungen aus den Niebelungen bloß in etwas erneuerter Sprache mitgetheilt, dir zu schicken, wäre in der That nicht der Mühe werth. Du kannst dir denken, daß eine Arbeit, die schnell [4] nur für den Augenblick hingeworfen wurde, nicht mit aller nöthigen Sorgfalt und reiflichen Überlegung ausgebildet werden konnte. Ich hab mir zum Gesetz gemacht, nichts grammatisch durchaus veraltetes stehen zu lassen und mußte daher oft auch die Reime ändern.
Deiner lieben Frau sage, sobald ich den Lazarillo de Tormes besäße, würde ich ihn ihr gewiß mittheilen, ich zweifle aber, ob er ihr so viel Vergnügen machen wird, wie mir, indem ich einen ganz besondern Sinn und eine angebohrne Freude am Bettelhaften und Lausigen habe.
Du hast Glück mit altdeutschen Seltenheiten, der Tyturell ist gewiß eine große. Da die alte Bearbeitung schon in Strophen und kurzen Versen war, so ist es vermuthlich weniger alterirt als das Heldenbuch.
Deine Schwester läßt auch herzlich grüßen, und bitten, die Herkunft möglichst zu beschleunigen und ihr den deutschen Amadis mitzubringen. Dieß vergiß ja nicht. Sie war diese Zeit her etwas wohler, hat aber seit einigen Tagen viel Krämpfe gehabt. Dein Bruder ist wohl und fleißig. Grüße an Burgsdorff.
Dein
AWS.
Dein Brief an Friedrich ist unverzüglich besorgt. Seine Addresse ist: Rue Clichy Nr. 19.
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