• Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Bonn · Date: 27.03.1837
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Ludwig Tieck
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 27.03.1837
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 216‒218.
  • Incipit: „[1] Vielgeliebter Freund,
    Durch den Sohn des Geheimrathes Baron von Sternberg, einen Freund, den ich seit vielen Jahren fast täglich sehe, sende [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.90
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 25,5 x 21 cm
    Language
  • German
[1] Vielgeliebter Freund,
Durch den Sohn des Geheimrathes Baron von Sternberg, einen Freund, den ich seit vielen Jahren fast täglich sehe, sende ich Dir dieses grüssende Blatt, da der junge Mann in Bonn studiren wird, und die Hofnung und den Wunsch hegt, sich Deines Schutzes und Deines freundschaftlichen Rathes zu erfreuen.
Noch schmerzt es mich, daß ich im Herbst vorigen Jahres Deiner freundlichen Einladung nicht habe folgen können. Durch mein Unglück wurde ich vier Wochen länger in Baden aufgehalten, als ich, da ich schon spät hinreisete, gerechnet hatte. Du weißt wie früh das schlechte, kalte, regnichte Wetter eintrat. So fanden wir denn schon recht schlechte Wege. Oft, sehr oft, auf dem Pflaster, durch die Städte, beim unvorsichtigen Fahren, war mir diese Rückreise eine wahre Folter. Man muß viel in diesem Leben überstehn. Noch immer leide ich an den Nachwehen meines Unfalls, die Schmertzen in Nacken und Kopf stören mich oft, und ich bin nur darinn [2] glücklich, daß sich die Gräfinn so wohl befindet, eben so meine beiden Töchter, obgleich wir im Februar das Unglück gehabt haben, daß sie die geliebte Mutter und ich die Frau, welche du gekannt hast, an der Wassersucht und deren Folgen verlohren. Zum Glück ist sie, still in einer Nacht entschlummernd, eines sanften und schnellen Todes gestorben. Aber wir alle haben viel gelitten, und immer noch herrscht die Trauer in unserm Hause vor.
Ob ich nun noch einmal zu Dir komme? Ob wir uns in diesem Leben noch wieder sehn? Das liegt in den Händen des Schiksals. Fast gereut es mich, daß ich Dein Anerbieten, mich in Baden zu besuchen, nicht angenommen habe. Wie tröstlich, wie erfreulich wäre mir Dein Umgang gewesen; welche Erinnerungen hätten wir erwecken, über wie viele Gegenstände hätten wir sprechen, plaudern und schwatzen können. Weiß ich ja doch aus Erfahrung, von Jena her, wie milde, wie nachsichtig Du gegen den Kranken bist, wie [3] sehr Du die Kunst besitzest, ihn zu erheitern. Fast kein Mensch erzählt so wie Du. Auch meiner Freundinn wäre Deine liebreiche Erscheinung wie die eines Gottes gewesen. Ich war aber damals noch fest überzeugt, ich würde zu Dir nach Bonn, und zwar auf länger, kommen können, und war nicht auf das früh eintretende schlechte Wetter gefaßt. Es hat nicht sein sollen: auch würdest Du im überfüllten Baden keine Dir geziemliche Wohnung gefunden haben.
Denkst Du nicht an Deine Memoirs? Ich möchte, daß Dir diese Aufgabe als eine Pflicht erschiene. Es kann nicht leicht ein Buch geben, daß so unterhaltend und lehrreich zugleich sein müßte. Ich denke jezt mit Ernst an die Erinnerungen aus meinem Leben, welches freilich bei weitem nicht so reich, als das Deinige gewesen ist. Setzest Du nicht Deine kritischen Schriften fort? Oder wirst Du vielleicht eine Gesammt-Ausgabe Deiner Werke besorgen? – Hast Du meine Novellen, 11 Bändchen, gesehn, dich ich bei Max herausgebe? Es sind 3 neue Kleinigkeiten dabei. – [4] Kömmst Du nicht vielleicht hieher nach Dresden, wenn der Sommer recht schön werden sollte? – Ich habe jezt eine kleine Furcht vor dem Reisen. – Wir könnten aber hier recht glüklich mit einander sein, obgleich ich nicht so glüklich bin, Dir eine anständige Wohnung anbieten zu können, da die meinige nur sehr beschränkt ist.
Würdest Du mich, und die Meinigen, oder einen Theil derselben, falls ich wieder einmal reisen sollte, beherbergen können?
Auch die Briefe von Göthe, Schiller, Deine Correspondenz mit ihnen, mußt Du bestimmt machen! Oder willst Du sie mir anvertrauen. Ich würde sie schnell, vielleicht mit einigen Bemerkungen, drucken lassen, Anmerkungen, die vielleicht mir leichter würden, als Dir, da ein Dritter in solchem Verhältniß dreister sprechen kann. Das Gewäsch des Zelterschen, Rahelschen, Bettinaschen Briefwechsels wird einmal vergessen sein, oder unsern Nachkommen als ein merkwürdiges Zeichen der Zeit gelten. – Mache mich so glüklich, Geliebter, mir, wenn auch nur mit einigen Zeilen zu antworten.
Dein getreuer
Lud. Tieck.
Dresden, den 27” März, 1837
[1] Vielgeliebter Freund,
Durch den Sohn des Geheimrathes Baron von Sternberg, einen Freund, den ich seit vielen Jahren fast täglich sehe, sende ich Dir dieses grüssende Blatt, da der junge Mann in Bonn studiren wird, und die Hofnung und den Wunsch hegt, sich Deines Schutzes und Deines freundschaftlichen Rathes zu erfreuen.
Noch schmerzt es mich, daß ich im Herbst vorigen Jahres Deiner freundlichen Einladung nicht habe folgen können. Durch mein Unglück wurde ich vier Wochen länger in Baden aufgehalten, als ich, da ich schon spät hinreisete, gerechnet hatte. Du weißt wie früh das schlechte, kalte, regnichte Wetter eintrat. So fanden wir denn schon recht schlechte Wege. Oft, sehr oft, auf dem Pflaster, durch die Städte, beim unvorsichtigen Fahren, war mir diese Rückreise eine wahre Folter. Man muß viel in diesem Leben überstehn. Noch immer leide ich an den Nachwehen meines Unfalls, die Schmertzen in Nacken und Kopf stören mich oft, und ich bin nur darinn [2] glücklich, daß sich die Gräfinn so wohl befindet, eben so meine beiden Töchter, obgleich wir im Februar das Unglück gehabt haben, daß sie die geliebte Mutter und ich die Frau, welche du gekannt hast, an der Wassersucht und deren Folgen verlohren. Zum Glück ist sie, still in einer Nacht entschlummernd, eines sanften und schnellen Todes gestorben. Aber wir alle haben viel gelitten, und immer noch herrscht die Trauer in unserm Hause vor.
Ob ich nun noch einmal zu Dir komme? Ob wir uns in diesem Leben noch wieder sehn? Das liegt in den Händen des Schiksals. Fast gereut es mich, daß ich Dein Anerbieten, mich in Baden zu besuchen, nicht angenommen habe. Wie tröstlich, wie erfreulich wäre mir Dein Umgang gewesen; welche Erinnerungen hätten wir erwecken, über wie viele Gegenstände hätten wir sprechen, plaudern und schwatzen können. Weiß ich ja doch aus Erfahrung, von Jena her, wie milde, wie nachsichtig Du gegen den Kranken bist, wie [3] sehr Du die Kunst besitzest, ihn zu erheitern. Fast kein Mensch erzählt so wie Du. Auch meiner Freundinn wäre Deine liebreiche Erscheinung wie die eines Gottes gewesen. Ich war aber damals noch fest überzeugt, ich würde zu Dir nach Bonn, und zwar auf länger, kommen können, und war nicht auf das früh eintretende schlechte Wetter gefaßt. Es hat nicht sein sollen: auch würdest Du im überfüllten Baden keine Dir geziemliche Wohnung gefunden haben.
Denkst Du nicht an Deine Memoirs? Ich möchte, daß Dir diese Aufgabe als eine Pflicht erschiene. Es kann nicht leicht ein Buch geben, daß so unterhaltend und lehrreich zugleich sein müßte. Ich denke jezt mit Ernst an die Erinnerungen aus meinem Leben, welches freilich bei weitem nicht so reich, als das Deinige gewesen ist. Setzest Du nicht Deine kritischen Schriften fort? Oder wirst Du vielleicht eine Gesammt-Ausgabe Deiner Werke besorgen? – Hast Du meine Novellen, 11 Bändchen, gesehn, dich ich bei Max herausgebe? Es sind 3 neue Kleinigkeiten dabei. – [4] Kömmst Du nicht vielleicht hieher nach Dresden, wenn der Sommer recht schön werden sollte? – Ich habe jezt eine kleine Furcht vor dem Reisen. – Wir könnten aber hier recht glüklich mit einander sein, obgleich ich nicht so glüklich bin, Dir eine anständige Wohnung anbieten zu können, da die meinige nur sehr beschränkt ist.
Würdest Du mich, und die Meinigen, oder einen Theil derselben, falls ich wieder einmal reisen sollte, beherbergen können?
Auch die Briefe von Göthe, Schiller, Deine Correspondenz mit ihnen, mußt Du bestimmt machen! Oder willst Du sie mir anvertrauen. Ich würde sie schnell, vielleicht mit einigen Bemerkungen, drucken lassen, Anmerkungen, die vielleicht mir leichter würden, als Dir, da ein Dritter in solchem Verhältniß dreister sprechen kann. Das Gewäsch des Zelterschen, Rahelschen, Bettinaschen Briefwechsels wird einmal vergessen sein, oder unsern Nachkommen als ein merkwürdiges Zeichen der Zeit gelten. – Mache mich so glüklich, Geliebter, mir, wenn auch nur mit einigen Zeilen zu antworten.
Dein getreuer
Lud. Tieck.
Dresden, den 27” März, 1837
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