• Carl von Clausewitz to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Wien · Date: 23.01.1808
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Carl von Clausewitz
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Wien
  • Date: 23.01.1808
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 496‒497.
  • Incipit: „[1] Berlin den 23t Jan. 1808
    Mein sehr verehrter Freund!
    ich würde schon früher von der Erlaubniß Gebrauch gemacht haben mich in Ihre [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,9
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs. m. U. u. Adresse
  • Format: 24,5 x 20 cm
    Language
  • German
[1] Berlin den 23t Jan. 1808
Mein sehr verehrter Freund!
ich würde schon früher von der Erlaubniß Gebrauch gemacht haben mich in Ihre Gedächtniß zurückzurufen wenn mich nicht die Ungewisheit über Ihren Aufenthalt abgehalten hätte. Doch, auch bey diesem bescheidenen Gebrauch den mich die Umstande davon zu machen gezwungen haben muß ich darauf rechnen eine wohlwollende Aufnahme in Ihrer Herzlichkeit zu finden denn an anderweitigen Interessen werden diese Zeilen sehr arm für Sie seyn. ich habe Ihren Brief nebst den Gedichten der Gräfin Voß, die auf ihrem Gute ist, mit einer sichern Gelegenheit zugestellt; sie hat mir schriftlich für das Vergnügen gedankt was ich ihr damit gemacht habe und diesen Dank, von dem mir nur sehr geringe Zinsen zukommen würde ich [2] Ihnen zurückgeben wenn ich nicht voraussetzen dürfte daß die Gräfin selbst Ihnen bereits geschrieben hat. Ihr und einigen ihrer Freunde hat besonders das Gedicht auf den fremden Boden viel Freude gemacht. Sie können auch kaum eine Vorstellung davon haben wie tief ins Herz hinein uns, die wir hier das Elend mit allen Organen des Geistes und der Sinne in uns aufnehmen die Worte eines Vaterlandsgenossen aus der Ferne dringen: theuere Brüder in Bedrängniß!
Unser Schicksal ist noch gar nicht entschieden, alles wankt noch was die furchtsame Menschenhand auf dem schlammigen Grunde wieder aufzubauen strebt. Die ganze politische Welt dreht sich vor den Augen des kühlsten Beobachters in aufgelösten Atomen umher; nichts ist gewiß und steht fest als der Entschluß des eigenen Gemüthes.
[3] Für die nächste Zukunft ist wenig Hoffnung zu schöpfen aber an krampfhaften Bewegungen wird es darum doch nicht fehlen selbst in diesem Jahre. ich weiß nicht ob aus diesen Kriesen und Kraftanstrengungen die uns die Zukunft noch auferlegen wird je eine moralische Regeneration hervorgehn wird, aber jetzt glaube ich sind wir noch im Sinken – ein solcher Grad von Egoismus von kleinlicher Eitelkeit von Dürftigkeit an edlern Gefühlen, wie er uns jetzt häufig aufstößt ist eine widrige Erscheinung von der ich mich nie ohne den höchsten Grad von Verachtung abwende. Das, mein theuerster Freund, ist was mir am meisten zu Herzen geht, und was dem Umriß unsres Unglücks ein Kolorit des Jammers und der Erbärmlichkeit unterlegt. Doch ich will hoffen daß es im Ganzen besser sey als die Einzelnen uns zeigen die [4] sich aus der Menge mit Geschrei hervorarbeiten. Was mir Freude macht ist, daß es von der andern Seite in dem Kriege nicht an schönen, kräftigen Zügen gefehlt hat, die auf einen Stoff schließen lassen aus welchem ein Anderer Geist viel hätte bilden können. In Collberg z. B. hatte der kräftige Geist eines einzigen Mannes schnell einen hohen Grad von Enthusiasmus entwickelt und bis zur Stärke der Ausdauer gediehen.
In Berlin selbst ist der Druk der Umstände erträglich denn die erwerbenden Klassen gewinnen alle, und außer den Königlichen Offizianten trift der größte Druk die Reichen bey denen er wenigstens kein Elend erzeugt. Den ganz Armen geht es vielleicht besser als ehedem weil ein ganz unbeschreiblicher Grad von Wohlthätigkeit herrscht. Jedermann ist von dem eigenen Unglük erschüttert und um so fähiger durch das noch größere Unglük seines Mitmenschen gerührt zu werden.
Das Land aber lebt in einem ungeheuren Druk; um seinen Wohlstand ist es auf lange, lange Zeit geschehen. [5] Der Bauer liefert und verkauft um Contributionen abzutragen das Heiligste seiner Habe, die Saat aus der ihm die künftige Erndte erwachsen soll. Viehseuchen, Hungersnoth verkünden sich hie und da – aber wir sind noch lange nicht am Ende!
Von Ihrem Auftrag, meine Landsleute von Ihrer patriotischen Gesinnung zu unterrichten, habe ich recht oft Gelegenheit Gebrauch zu machen. Alle Menschen fragen mich wie denkt S.[chlegel] – und ich kann Ihnen aufrichtig versichern daß sich alle sehr herzlich freuen über das was ich ihnen davon zu sagen habe.
Leben Sie wohl mein lieber Freund und wenn Sie an die Deutschen überhaupt mit Liebe denken, vergessen Sie auch insbesondere meiner nicht, der ich Sie herzlich verehre.
Clausewitz.
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[1] Berlin den 23t Jan. 1808
Mein sehr verehrter Freund!
ich würde schon früher von der Erlaubniß Gebrauch gemacht haben mich in Ihre Gedächtniß zurückzurufen wenn mich nicht die Ungewisheit über Ihren Aufenthalt abgehalten hätte. Doch, auch bey diesem bescheidenen Gebrauch den mich die Umstande davon zu machen gezwungen haben muß ich darauf rechnen eine wohlwollende Aufnahme in Ihrer Herzlichkeit zu finden denn an anderweitigen Interessen werden diese Zeilen sehr arm für Sie seyn. ich habe Ihren Brief nebst den Gedichten der Gräfin Voß, die auf ihrem Gute ist, mit einer sichern Gelegenheit zugestellt; sie hat mir schriftlich für das Vergnügen gedankt was ich ihr damit gemacht habe und diesen Dank, von dem mir nur sehr geringe Zinsen zukommen würde ich [2] Ihnen zurückgeben wenn ich nicht voraussetzen dürfte daß die Gräfin selbst Ihnen bereits geschrieben hat. Ihr und einigen ihrer Freunde hat besonders das Gedicht auf den fremden Boden viel Freude gemacht. Sie können auch kaum eine Vorstellung davon haben wie tief ins Herz hinein uns, die wir hier das Elend mit allen Organen des Geistes und der Sinne in uns aufnehmen die Worte eines Vaterlandsgenossen aus der Ferne dringen: theuere Brüder in Bedrängniß!
Unser Schicksal ist noch gar nicht entschieden, alles wankt noch was die furchtsame Menschenhand auf dem schlammigen Grunde wieder aufzubauen strebt. Die ganze politische Welt dreht sich vor den Augen des kühlsten Beobachters in aufgelösten Atomen umher; nichts ist gewiß und steht fest als der Entschluß des eigenen Gemüthes.
[3] Für die nächste Zukunft ist wenig Hoffnung zu schöpfen aber an krampfhaften Bewegungen wird es darum doch nicht fehlen selbst in diesem Jahre. ich weiß nicht ob aus diesen Kriesen und Kraftanstrengungen die uns die Zukunft noch auferlegen wird je eine moralische Regeneration hervorgehn wird, aber jetzt glaube ich sind wir noch im Sinken – ein solcher Grad von Egoismus von kleinlicher Eitelkeit von Dürftigkeit an edlern Gefühlen, wie er uns jetzt häufig aufstößt ist eine widrige Erscheinung von der ich mich nie ohne den höchsten Grad von Verachtung abwende. Das, mein theuerster Freund, ist was mir am meisten zu Herzen geht, und was dem Umriß unsres Unglücks ein Kolorit des Jammers und der Erbärmlichkeit unterlegt. Doch ich will hoffen daß es im Ganzen besser sey als die Einzelnen uns zeigen die [4] sich aus der Menge mit Geschrei hervorarbeiten. Was mir Freude macht ist, daß es von der andern Seite in dem Kriege nicht an schönen, kräftigen Zügen gefehlt hat, die auf einen Stoff schließen lassen aus welchem ein Anderer Geist viel hätte bilden können. In Collberg z. B. hatte der kräftige Geist eines einzigen Mannes schnell einen hohen Grad von Enthusiasmus entwickelt und bis zur Stärke der Ausdauer gediehen.
In Berlin selbst ist der Druk der Umstände erträglich denn die erwerbenden Klassen gewinnen alle, und außer den Königlichen Offizianten trift der größte Druk die Reichen bey denen er wenigstens kein Elend erzeugt. Den ganz Armen geht es vielleicht besser als ehedem weil ein ganz unbeschreiblicher Grad von Wohlthätigkeit herrscht. Jedermann ist von dem eigenen Unglük erschüttert und um so fähiger durch das noch größere Unglük seines Mitmenschen gerührt zu werden.
Das Land aber lebt in einem ungeheuren Druk; um seinen Wohlstand ist es auf lange, lange Zeit geschehen. [5] Der Bauer liefert und verkauft um Contributionen abzutragen das Heiligste seiner Habe, die Saat aus der ihm die künftige Erndte erwachsen soll. Viehseuchen, Hungersnoth verkünden sich hie und da – aber wir sind noch lange nicht am Ende!
Von Ihrem Auftrag, meine Landsleute von Ihrer patriotischen Gesinnung zu unterrichten, habe ich recht oft Gelegenheit Gebrauch zu machen. Alle Menschen fragen mich wie denkt S.[chlegel] – und ich kann Ihnen aufrichtig versichern daß sich alle sehr herzlich freuen über das was ich ihnen davon zu sagen habe.
Leben Sie wohl mein lieber Freund und wenn Sie an die Deutschen überhaupt mit Liebe denken, vergessen Sie auch insbesondere meiner nicht, der ich Sie herzlich verehre.
Clausewitz.
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