• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Leipzig · Place of Destination: Amsterdam · Date: 13.11.1793
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Leipzig
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 13.11.1793
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 155‒157.
  • Incipit: „[1] Ich durchlief so eben die Recensionen der Allg.[emeinen] Litt.[eratur-] Zeit.[ung] im Fache der schönen Wissenschaften seit den lezten vier Jahren. [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.41
  • Number of Pages: 5S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,7 x 11,6 cm
    Language
  • German
[1] Ich durchlief so eben die Recensionen der Allg.[emeinen] Litt.[eratur-] Zeit.[ung] im Fache der schönen Wissenschaften seit den lezten vier Jahren. In den meisten nähert sich das Dumme dem Lasterhaften: doch dann und wann hat sich einiger Sinn in diese Zeitung verloren. Das bekannte Schillersche Urtheil scheint mir unaussprechlich wahr, was Bürgers Plattheit und Selbstsucht betrifft. Ich gestehe Dir, ich begreife nicht, was Du Schönes oder Großes in seinen Werken findest; Du redest auch von Kunst, Sprache, schönen Reimen: aber ich denke, die Wahrheit, die er wirklich hat, ist sehr gemein und ist noch nichts Großes; und mir scheint es immer etwas sehr Untergeordnetes, schön zu reimen in unsrer Sprache, die der höhern Harmonie fähig ist. – Aber Sch[iller]s Recension scheint mir iezt ganz geschmacklos, und lächerlich bis zum Erbärmlichen. Da steht wirklich die ,Idealisirkunstʻ die ich für Spott von Dir hielt. – Für die beste halte ich Hubers R.[ecension] von Götheʼs Schriften, von der Du mir auch sagtest. Aechte Feinheit bey der Anzeige der neuen Schr[iften]; aber die Erklärung, warum Apelles iezt nur Linien mahlt, ist er uns schuldig geblieben. – Sehr schön nennt er Egmont den ‚leichtherzigen Heldenʻ. Glücklich sind die Bemerkungen; daß in G.[oethe] keine Stellen zu finden sind, daß [2] er von eigner Manier frey ist, <nur die Manier des Stoffes hat>; und verschiednes über seine Ruhe, Einfachheit. Im Anfange eine Abschweifung über reinen Dichtungstrieb, die aber hier nicht hergehört, nur roher Keim einer guten Abhandlung ist. Aber was er vom Tasso sagt, scheint mir ganz schief; die Rechtfertigung seiner vermeyntlichen Unsittlichkeit in Werther, Stella, Faust ist mir dunkel scheint aber unbedeutend. Den Faust beschreibt er <vielleicht> wahr, aber mit sehr bunten Farben: da findet er Raphaelsche und Ostadische und wieder MichelAngeloʼsche Gemählde, Schakespearesche Phantasie, und Swiftische Satire; in Gretchen sieht er bald Madonna und bald Magdalena. Ist das nicht fühllos und armseelig, ein erhabnes Gedicht so zu beschreiben? Er sage, was es ist, für ihn und für das Verhältniß, für welches er es beurtheilt, und wenn er kann, wie es wurde. – Ueberhaupt sind große Mahler, als gute Bekannte des Critikers so oft genannt, daß man sich wundert, wenn man erfährt oder weiß, daß der Mensch doch nur einen Raphael gesehen hat, und wer weiß ob er nur den einzigen verstünde. – Er hätte auch nicht nöthig gehabt, das Alles, als ein Denkmahl für die Nachwelt und alle kommende Geschlechter feyerlich niederzulegen. Denn das Ganze, wenn es ein Solches ist, [3] ist doch zu fehlerhaft geschrieben, und enthält nur sehr wenige solche treffende Züge, wie ich vorhin anführte.

Den 13ten November.
Heute war Dir ein sehr langer Brief zugedacht, eine Antwort über System. Ein heftiges Kopfweh, das mich bis iezt im Bette gehalten, macht, daß ich es bis das nächstemal verspare; denn ich möchte meine Gedanken nicht gern in dem trüben Lichte eines Kranken vor Dich bringen. Zudem hast Du für heute genung zu lesen, und kannst wohl zufrieden seyn, und die kleine Nachricht, daß es mit B. [Caroline Böhmer] so gut geht, wie Du nur wünschen kannst, ist beßer, als alle Abhandlungen. Könntest Du nur bey ihr seyn, ihre schöne Freude über unrechtstes Glück zu theilen.
Bey dem Brief von Becker ist nur ein Exemplar übergeben, worüber ich mir Deine Willensmeynung zu schreiben bitte. Ueber zwey von den Sonetten stehtʼs nicht, daß sie aus Petrarca sind. Was will denn die kleine Vergänglichkeit? Uebrigens befindet sich der göttliche Ugolino hier in sehr schaaler Gesellschaft.
Den einliegenden 218ten Br.[ief] hat mir C.[aroline] [4] offen zum Lesen geschickt. Er gefällt mir nicht, ich finde Manches darin beynah unedel. Besonders daß er nun will, sie soll auch unglücklich seyn, weil ihn die Unnatur zu so einem armen Knechte gemacht habe. Sie giebt sich in die Nothwendigkeit schön und menschlich. ‚Ich kann diesen Mann [Jean Baptiste Dubois-Crancé] nie geringschätzen – werde mich des Verlohrnen immer mit Liebe erinnernʻ, schrieb sie mir bey dem Briefe. –
Ich fand vor einigen Jahren in der Anthusa nur Manier und Styl vollendeter; denn reichhaltiger mußte wohl die Mythologie ausfallen. Ich finde darin Deutungen über den Ursprung dieser Götterwelt aus der ewigen Menschennatur in ihrer freysten Entwicklung, die mir so fein als neu erscheinen. Auch kann ich diesen Gegenstand nicht für schon erschöpft halten, so wenig wie das ganze Griechische Alterthum, so weit wir es nutzen können. Viele der Männer, die Du nennst, sind nach meiner Meynung der Sache nicht gleich, oder kennen sie nur sehr aus der Ferne [5] wie Forster und Schiller. Heyne ist doch wohl eigentlich nicht einmal ein scharfer Denker, geschweige ein Mensch. Herder vereinigt Kentniß und Sinn; hat aber doch dafür nicht viel gegeben. Moritzens Art scheint mir ganz neu, ein geringer Anfang eines sehr umfassenden Werkes. –
Weil Du den Allwill auch endlich göttlich findest, so schreib mir doch etwas darüber, und nimm dabey Gelegenheit, mir Deine Gedanken über Darstellung der Weiblichkeit zu sagen. – Heute habe ich einen Brief von Dir vergebens erwartet; ich hoffe, daß die Ursache des Aufschubes, überschicktes Geld ist. Von Hann.[over] höre ich seit lange nichts. Mit Charl.[otte] stehe ich sehr gut; sie ahndet nichts.
Friedr. S.
[6]
[1] Ich durchlief so eben die Recensionen der Allg.[emeinen] Litt.[eratur-] Zeit.[ung] im Fache der schönen Wissenschaften seit den lezten vier Jahren. In den meisten nähert sich das Dumme dem Lasterhaften: doch dann und wann hat sich einiger Sinn in diese Zeitung verloren. Das bekannte Schillersche Urtheil scheint mir unaussprechlich wahr, was Bürgers Plattheit und Selbstsucht betrifft. Ich gestehe Dir, ich begreife nicht, was Du Schönes oder Großes in seinen Werken findest; Du redest auch von Kunst, Sprache, schönen Reimen: aber ich denke, die Wahrheit, die er wirklich hat, ist sehr gemein und ist noch nichts Großes; und mir scheint es immer etwas sehr Untergeordnetes, schön zu reimen in unsrer Sprache, die der höhern Harmonie fähig ist. – Aber Sch[iller]s Recension scheint mir iezt ganz geschmacklos, und lächerlich bis zum Erbärmlichen. Da steht wirklich die ,Idealisirkunstʻ die ich für Spott von Dir hielt. – Für die beste halte ich Hubers R.[ecension] von Götheʼs Schriften, von der Du mir auch sagtest. Aechte Feinheit bey der Anzeige der neuen Schr[iften]; aber die Erklärung, warum Apelles iezt nur Linien mahlt, ist er uns schuldig geblieben. – Sehr schön nennt er Egmont den ‚leichtherzigen Heldenʻ. Glücklich sind die Bemerkungen; daß in G.[oethe] keine Stellen zu finden sind, daß [2] er von eigner Manier frey ist, <nur die Manier des Stoffes hat>; und verschiednes über seine Ruhe, Einfachheit. Im Anfange eine Abschweifung über reinen Dichtungstrieb, die aber hier nicht hergehört, nur roher Keim einer guten Abhandlung ist. Aber was er vom Tasso sagt, scheint mir ganz schief; die Rechtfertigung seiner vermeyntlichen Unsittlichkeit in Werther, Stella, Faust ist mir dunkel scheint aber unbedeutend. Den Faust beschreibt er <vielleicht> wahr, aber mit sehr bunten Farben: da findet er Raphaelsche und Ostadische und wieder MichelAngeloʼsche Gemählde, Schakespearesche Phantasie, und Swiftische Satire; in Gretchen sieht er bald Madonna und bald Magdalena. Ist das nicht fühllos und armseelig, ein erhabnes Gedicht so zu beschreiben? Er sage, was es ist, für ihn und für das Verhältniß, für welches er es beurtheilt, und wenn er kann, wie es wurde. – Ueberhaupt sind große Mahler, als gute Bekannte des Critikers so oft genannt, daß man sich wundert, wenn man erfährt oder weiß, daß der Mensch doch nur einen Raphael gesehen hat, und wer weiß ob er nur den einzigen verstünde. – Er hätte auch nicht nöthig gehabt, das Alles, als ein Denkmahl für die Nachwelt und alle kommende Geschlechter feyerlich niederzulegen. Denn das Ganze, wenn es ein Solches ist, [3] ist doch zu fehlerhaft geschrieben, und enthält nur sehr wenige solche treffende Züge, wie ich vorhin anführte.

Den 13ten November.
Heute war Dir ein sehr langer Brief zugedacht, eine Antwort über System. Ein heftiges Kopfweh, das mich bis iezt im Bette gehalten, macht, daß ich es bis das nächstemal verspare; denn ich möchte meine Gedanken nicht gern in dem trüben Lichte eines Kranken vor Dich bringen. Zudem hast Du für heute genung zu lesen, und kannst wohl zufrieden seyn, und die kleine Nachricht, daß es mit B. [Caroline Böhmer] so gut geht, wie Du nur wünschen kannst, ist beßer, als alle Abhandlungen. Könntest Du nur bey ihr seyn, ihre schöne Freude über unrechtstes Glück zu theilen.
Bey dem Brief von Becker ist nur ein Exemplar übergeben, worüber ich mir Deine Willensmeynung zu schreiben bitte. Ueber zwey von den Sonetten stehtʼs nicht, daß sie aus Petrarca sind. Was will denn die kleine Vergänglichkeit? Uebrigens befindet sich der göttliche Ugolino hier in sehr schaaler Gesellschaft.
Den einliegenden 218ten Br.[ief] hat mir C.[aroline] [4] offen zum Lesen geschickt. Er gefällt mir nicht, ich finde Manches darin beynah unedel. Besonders daß er nun will, sie soll auch unglücklich seyn, weil ihn die Unnatur zu so einem armen Knechte gemacht habe. Sie giebt sich in die Nothwendigkeit schön und menschlich. ‚Ich kann diesen Mann [Jean Baptiste Dubois-Crancé] nie geringschätzen – werde mich des Verlohrnen immer mit Liebe erinnernʻ, schrieb sie mir bey dem Briefe. –
Ich fand vor einigen Jahren in der Anthusa nur Manier und Styl vollendeter; denn reichhaltiger mußte wohl die Mythologie ausfallen. Ich finde darin Deutungen über den Ursprung dieser Götterwelt aus der ewigen Menschennatur in ihrer freysten Entwicklung, die mir so fein als neu erscheinen. Auch kann ich diesen Gegenstand nicht für schon erschöpft halten, so wenig wie das ganze Griechische Alterthum, so weit wir es nutzen können. Viele der Männer, die Du nennst, sind nach meiner Meynung der Sache nicht gleich, oder kennen sie nur sehr aus der Ferne [5] wie Forster und Schiller. Heyne ist doch wohl eigentlich nicht einmal ein scharfer Denker, geschweige ein Mensch. Herder vereinigt Kentniß und Sinn; hat aber doch dafür nicht viel gegeben. Moritzens Art scheint mir ganz neu, ein geringer Anfang eines sehr umfassenden Werkes. –
Weil Du den Allwill auch endlich göttlich findest, so schreib mir doch etwas darüber, und nimm dabey Gelegenheit, mir Deine Gedanken über Darstellung der Weiblichkeit zu sagen. – Heute habe ich einen Brief von Dir vergebens erwartet; ich hoffe, daß die Ursache des Aufschubes, überschicktes Geld ist. Von Hann.[over] höre ich seit lange nichts. Mit Charl.[otte] stehe ich sehr gut; sie ahndet nichts.
Friedr. S.
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