• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Braunschweig · Date: [Ende Dezember 1795]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Braunschweig
  • Date: [Ende Dezember 1795]
  • Notations: Datum erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 267‒269.
  • Weitere Drucke: Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm. Hg. v. Oskar Walzel. Berlin 1890, S. 249‒251.
  • Incipit: „[1] Ατρειδη, ποιον σε επος φυγεν ἑρκος οδοντων;
    Was für ein Mährchen hast Du <da> geschrieben, allerliebstes Brüderchen? Es duftet wie Pomeranzen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.73
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 18,8 x 11,4 cm
    Language
  • German
  • Greek
[1] Ατρειδη, ποιον σε επος φυγεν ἑρκος οδοντων;
Was für ein Mährchen hast Du <da> geschrieben, allerliebstes Brüderchen? Es duftet wie Pomeranzen und Jasmin, und gleitet so sanft hinunter wie eine liebliche Musik. Wem gebe ich nur den Kranz, der Morayzela oder der Esperanza? Sie mögen ihn theilen, oder auch beyde ganz nehmen. – Aber dreymal neunfach bedauernswürdig ist es, daß dieser Juwel den Horen entrissen wird. Körner wird es unverzeihlich finden: denn Du wirst schon geschehn lassen, daß er es auf eine Stunde bekommt ehe ich es Beckern bringe. – Die andre Frucht (ich meyne die Briefe) ist vielleicht vornehmer, durchgearbeiteter und ihrer Art vollendeter. Aber nimm mirs nicht übel, wenn mir die Wahl gelassen wird, so nehme ich die Mohrin und lasse die Christliche Amalia in Stich. Νη τον κυνα! Kannst Du solche Gedichte machen, so laß uns [2] Armen nur die Theorie. – Die Aushängebogen des Almanachs sind da. Es wird aber damit so rar gethan (heute glaube ich werden sie schon wieder fortgeschickt) daß ich Deine Gedichte eigentlich nur gesehn, noch nicht gelesen habe. Unterdessen habe ich manche andre vorlesen hören. Unter denen von Göthe gefiel mir der Besuch am besten. Meyers Boten sind ein gar zartes Ding, zu denen Körner eine liebliche Musik gesetzt hat. Madera von Herder gefiel mir sehr. Merkt Euch, daß alle Buchstaben von Herder und die Epigramme von Göthe sind. Schiller ist ergrimmt über Michaelis und nennt ihn den elendesten Tropf. Da er nichts bestimmtes ihm zur Last legt, so hat dieß, bey Sch.[illers] Schiefheit, keinen Einfluß auf mich. Indessen verlange ich nach einer Antwort.
Noch eine kleine Kritik über eine Stelle in den Briefen erlaube mir. [3] Es scheint fast Deine Meynung zu seyn, als könnte poetische Schöpferkraft, rythmische Kunst und <grammatischer> Fleiß in derselben Person sich nicht vereinigen. Ob dieß von modernen Dichtern sich ganz allgemein behaupten läßt, wirst Du selbst am besten beurtheilen können. Von den Griechen gilt es nicht. Bey ihnen entwickelten sich alle Bestandtheile der schönen Kunst gleichmäßig, und der ordnende und ausführende Verstand und Urtheilskraft ist mit der erfindenden und bildenden Kraft im Homer und Sophokles im völligen Gleichgewicht. Sophokles und Homer sind auch in Sprache und Rythmus die vollkommensten unter den Griechischen Dichtern. Die bey den Alten so gerühmte (und auch mir sehr fühlbare) rythmische Schönheit des Euripides steht eigentlich dem R.[hythmus] des Sophokles nach, und tritt nur darum bunter und auffallender hervor, weil Eur.[ipides] schon nach rythmischer Schön[4]heit isolirt strebte, selbst auf Unkosten des Ganzen, welches nun zerstört war, dessen Harmonie auf immer zerrüttet war. Ich mache Dich auf diese Kleinigkeit nur darum aufmerksam weil es mir schon oft der Fall zu seyn geschienen hat, daß was von den Modernen Dichtern auch ganz allgemein gilt, darum keineswegs auch auf die Griech.[ischen] Dichter sich anwenden ließe. Ja oft fand ich das Gegentheil. Ein paar Einseitigkeiten thun dem philosophischen Werth einer sonst reichhaltigen Schrift keinen sonderlichen Schaden. Aber wenn die Form sonst vollendet ist, so ist es doch Schade sie durch solche Flecken zu mißzieren.
Körner sagte mir viel Schönes über Deine beyden Gedichte. Das zweyte, meinte er, enthalte viel Anspielungen und Beziehungen, die der ungedruckte Roman vermuthlich erklären müßte. Allerdings sagte ich χαιρε.
[1] Ατρειδη, ποιον σε επος φυγεν ἑρκος οδοντων;
Was für ein Mährchen hast Du <da> geschrieben, allerliebstes Brüderchen? Es duftet wie Pomeranzen und Jasmin, und gleitet so sanft hinunter wie eine liebliche Musik. Wem gebe ich nur den Kranz, der Morayzela oder der Esperanza? Sie mögen ihn theilen, oder auch beyde ganz nehmen. – Aber dreymal neunfach bedauernswürdig ist es, daß dieser Juwel den Horen entrissen wird. Körner wird es unverzeihlich finden: denn Du wirst schon geschehn lassen, daß er es auf eine Stunde bekommt ehe ich es Beckern bringe. – Die andre Frucht (ich meyne die Briefe) ist vielleicht vornehmer, durchgearbeiteter und ihrer Art vollendeter. Aber nimm mirs nicht übel, wenn mir die Wahl gelassen wird, so nehme ich die Mohrin und lasse die Christliche Amalia in Stich. Νη τον κυνα! Kannst Du solche Gedichte machen, so laß uns [2] Armen nur die Theorie. – Die Aushängebogen des Almanachs sind da. Es wird aber damit so rar gethan (heute glaube ich werden sie schon wieder fortgeschickt) daß ich Deine Gedichte eigentlich nur gesehn, noch nicht gelesen habe. Unterdessen habe ich manche andre vorlesen hören. Unter denen von Göthe gefiel mir der Besuch am besten. Meyers Boten sind ein gar zartes Ding, zu denen Körner eine liebliche Musik gesetzt hat. Madera von Herder gefiel mir sehr. Merkt Euch, daß alle Buchstaben von Herder und die Epigramme von Göthe sind. Schiller ist ergrimmt über Michaelis und nennt ihn den elendesten Tropf. Da er nichts bestimmtes ihm zur Last legt, so hat dieß, bey Sch.[illers] Schiefheit, keinen Einfluß auf mich. Indessen verlange ich nach einer Antwort.
Noch eine kleine Kritik über eine Stelle in den Briefen erlaube mir. [3] Es scheint fast Deine Meynung zu seyn, als könnte poetische Schöpferkraft, rythmische Kunst und <grammatischer> Fleiß in derselben Person sich nicht vereinigen. Ob dieß von modernen Dichtern sich ganz allgemein behaupten läßt, wirst Du selbst am besten beurtheilen können. Von den Griechen gilt es nicht. Bey ihnen entwickelten sich alle Bestandtheile der schönen Kunst gleichmäßig, und der ordnende und ausführende Verstand und Urtheilskraft ist mit der erfindenden und bildenden Kraft im Homer und Sophokles im völligen Gleichgewicht. Sophokles und Homer sind auch in Sprache und Rythmus die vollkommensten unter den Griechischen Dichtern. Die bey den Alten so gerühmte (und auch mir sehr fühlbare) rythmische Schönheit des Euripides steht eigentlich dem R.[hythmus] des Sophokles nach, und tritt nur darum bunter und auffallender hervor, weil Eur.[ipides] schon nach rythmischer Schön[4]heit isolirt strebte, selbst auf Unkosten des Ganzen, welches nun zerstört war, dessen Harmonie auf immer zerrüttet war. Ich mache Dich auf diese Kleinigkeit nur darum aufmerksam weil es mir schon oft der Fall zu seyn geschienen hat, daß was von den Modernen Dichtern auch ganz allgemein gilt, darum keineswegs auch auf die Griech.[ischen] Dichter sich anwenden ließe. Ja oft fand ich das Gegentheil. Ein paar Einseitigkeiten thun dem philosophischen Werth einer sonst reichhaltigen Schrift keinen sonderlichen Schaden. Aber wenn die Form sonst vollendet ist, so ist es doch Schade sie durch solche Flecken zu mißzieren.
Körner sagte mir viel Schönes über Deine beyden Gedichte. Das zweyte, meinte er, enthalte viel Anspielungen und Beziehungen, die der ungedruckte Roman vermuthlich erklären müßte. Allerdings sagte ich χαιρε.
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