• August Wilhelm von Schlegel to Friedrich von Schlegel

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Wien · Date: 28.03.1828
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Friedrich von Schlegel
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Wien
  • Date: 28.03.1828
  • Notations: Abschrift von Friedrich Schlegels (?) Hand. Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 362613826
  • Bibliography: Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm. Hg. v. Oskar Walzel. Berlin 1890, S. 656‒658.
  • Incipit: „[1] Bonn, den 28ten März 1828.
    Deinen Brief vom 21ten Januar habe ich am 13ten d. M. empfangen, also sehr verspätet. Wenn [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34288
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.d,Nr.238
  • Number of Pages: 7S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 21 x 12,5 cm
    Language
  • German
[1] Bonn, den 28ten März 1828.
Deinen Brief vom 21ten Januar habe ich am 13ten d. M. empfangen, also sehr verspätet. Wenn auch ein Schreibfehler in dem Datum ist, etwa Januar statt Februar, so war der Brief dennoch länger unterwegs als er sollte. Woran es liegt, weiß ich richt, da dem Poststempel kein Datum beigedruckt ist.
Unterdeßen ist nun meine ,Berichtigung etc.ʻ ausgegangen, welche schon auf manches eine indirekte Antwort enthält. Reimer meldet mir, er habe auf sicherm Wege ein Exemplar an Dich gefördert.
Du äußerst Dich sehr befremdet. Mir ist nun Dein Befremden befremdlich. Denn 1.) wußtest Du seit Jahren von meinem aus Paris geschriebenen und durch Deine Schwägerin zurückgehaltenen Brief; 2.) meine ich, als Du anfingst Deine Werke zu sammeln, hätte ich Dir geschrieben oder schreiben laßen, falls [2] Du wider Verhoffen die Abhandlung aus der Concordia darin aufnähmest, würde ich mich bewogen finden, dagegen zu schreiben; 3.) hast Du doch wohl meine Londoner Vorrede gelesen; 4.) konnte ich voraussetzen, Deine Schwägerin würde ihrer Schwester etwas von meinen vertrauten Gesprächen in Berlin geschrieben haben. ‒
Dein Besuch wird mir sehr willkommen seyn und ich werde mich bemühen, Dir den Aufenthalt hier angenehm zu machen, aber auf das litterarische Verhältniß kann dieß nicht den mindesten Einfluß haben. Ich habe schon vor zehn Jahren die unwillkommene Erfahrung gemacht, daß Deine mündlichen Aeußerungen anders lauten als die gedruckten Buchstaben. Als ich die Concordia las, fiel ich wie aus den Wolken; vieles darin erfüllte mich mit der höchsten Indignation. Doch gab ich diesem Gefühl erst in Paris, Deiner Schwägerin gegenüber, eine Stimme: und nach ihrer eigenen Aufforderung schrieb ich jenen Brief. [3] Wie Du sagen kannst, Du haltest Dich von den Zeitparteien entfernt, ist mir unbegreiflich. Mit den allgemeinen Aussprüchen über das Zeitalter ist es eine mißliche Sache. Von allem was ich darüber in Deinen neuern Schriften und Briefen gelesen, habe ich immer das gerade Gegentheil gedacht, oder auch gar nicht verstanden, was Du willst. Doch ja! ich verstehe es nur allzu gut.
Wenn das Lesepublicum so elend ist, warum laßen wir denn drucken? Ich habe vor dem meinigen in Deutschland, in Frankreich, in England, in Schweden und in Nord-Amerika die größte Hochachtung.
Warum nicht anonym? Ich habe mich schon in der Berichtigung und in den kritischen Schriften erklärt. Das fehlte noch, daß man es zu einem Ehrenpunkte machte, nicht anonym zu schreiben, um die Knechtschaft der Preße zu vollenden, über welche Du frohlockst. (Sämmtl. W. II. p. 329.)
Ueber die Aufnahme Deiner Schriften scheinst Du mir in einer Täuschung [4] befangen zu seyn. Wenn Du zu wißen wünschtest, warum so wenig oder gar nicht gegen Dich geschrieben wird, so will ich es Dir sagen.
Ich will bloß gegen Deine meines Erachtens antiphilosophischen, antihistorischen und antisocialen Behauptungen einige Einwürfe und Bedenken vortragen.
Sei unbesorgt wegen meiner Indischen Arbeiten. Der Râmâyana wird den kritischen Schriften, wie diese der Berichtigung auf dem Fuße nachfolgen. Wie konntest Du glauben, Deine Aeußerungen darüber würden mir schmeichelhaft seyn? Jene Arbeiten haben auf Dich nicht gewirkt, was sie hätten wirken sollen: die Rückkehr zu den geöffneten und zugänglich gemachten Quellen. Ich habe bereitwillig Deine frühzeitigen Bemühungen anerkannt: aber kennst Du den heutigen Stand der Wissenschaft? ‒
Dann finde ich es etwas sonderbar, daß Du mich auf ein Fach der Gelehrsamkeit beschränken willst, das ich [5] nur mit großen Aufopferungen anbauen kann.
Wenigstens vier- bis fünftausend Thl. habe ich schon aus meinem Vermögen zugebüßt: für die Anschaffung kostbarer Bücher, für die Reisen nach Paris und London, für Druckkosten und Papiervorräthe, für die Vergütung an meine Schüler und Mitarbeiter während ihrer gelehrten Reisen und hier. Wenn ich nun einmal nöthig hätte meine Talente auch für den Erwerb zu verwenden? ‒ Uebrigens, wenn das die uns vorgeschriebene Weltgeschichte ist, die Du in Deinen Vorlesungen (p. 86) sogar chronologisch genau entwirfst, so gebe ich keinen rothen Kreuzer für die Indischen Alterthümer, die Aegyptischen und wie sie sonst heißen mögen. Dann muß es bei Hilmar Curas und Sleidan de IV imperiis sein Bewenden haben. Zu der Geschichte des Menschengeschlechts, welche ich in dem Abriß als Aufgabe hingestellt habe, wird sich jene schon ganz fertige ungefähr verhalten, wie die Topographia Christiana des Cosmas Indicopleustes [6] zu des Laplace Mécanique céleste.
Es ist noch eine Erwähnung in Deinem Briefe, die ich nicht erwartet hatte: die seligen Schatten der Abgeschiedenen. Wenn Du sie herbeirufen kannst, als Zeugen und Schiedsrichter zwischen uns, nicht nur unsere seligen und gesegneten Eltern, sondern auch unsre Vorfahren, so weit zurück als wir sie kennen, dann die Geschwister, besonders Moriz und Charlotte: es soll mir willkommen seyn. Diese Manen sind mir befreundet, ich habe von ihnen nur liebevolle Begrüßung und Segnungen zu erwarten.
Du meldest mir, Du habest das Christenthum zum innersten Berufe Deines Lebens gemacht. Zu dieser Wahl wünsche ich Dir von ganzem Herzen Glück. Denn die unfehlbare Wirkung davon ist die Besiegung aller sinnlichen Triebe und selbstischen Leidenschaften, gewissenhafte Leistung aller Verbindlichkeiten, Verwendung aller Mittel und Kräfte zu guten Werken unter [7] beständiger Selbstverläugnung. Solche Beispiele kannte ich und kenne ich, und habe mich immer daran zu stärken und erheben gesucht.
Lebe wohl!
An August von Staël habe ich einen großherzigen Freund verloren. Lies nur die Denkschrift auf ihn, von Monnard, in Lausanne. Lies seine Briefe über England. Es ist ein großer Verlust für sein doppeltes Vaterland und für die Menschheit.
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[1] Bonn, den 28ten März 1828.
Deinen Brief vom 21ten Januar habe ich am 13ten d. M. empfangen, also sehr verspätet. Wenn auch ein Schreibfehler in dem Datum ist, etwa Januar statt Februar, so war der Brief dennoch länger unterwegs als er sollte. Woran es liegt, weiß ich richt, da dem Poststempel kein Datum beigedruckt ist.
Unterdeßen ist nun meine ,Berichtigung etc.ʻ ausgegangen, welche schon auf manches eine indirekte Antwort enthält. Reimer meldet mir, er habe auf sicherm Wege ein Exemplar an Dich gefördert.
Du äußerst Dich sehr befremdet. Mir ist nun Dein Befremden befremdlich. Denn 1.) wußtest Du seit Jahren von meinem aus Paris geschriebenen und durch Deine Schwägerin zurückgehaltenen Brief; 2.) meine ich, als Du anfingst Deine Werke zu sammeln, hätte ich Dir geschrieben oder schreiben laßen, falls [2] Du wider Verhoffen die Abhandlung aus der Concordia darin aufnähmest, würde ich mich bewogen finden, dagegen zu schreiben; 3.) hast Du doch wohl meine Londoner Vorrede gelesen; 4.) konnte ich voraussetzen, Deine Schwägerin würde ihrer Schwester etwas von meinen vertrauten Gesprächen in Berlin geschrieben haben. ‒
Dein Besuch wird mir sehr willkommen seyn und ich werde mich bemühen, Dir den Aufenthalt hier angenehm zu machen, aber auf das litterarische Verhältniß kann dieß nicht den mindesten Einfluß haben. Ich habe schon vor zehn Jahren die unwillkommene Erfahrung gemacht, daß Deine mündlichen Aeußerungen anders lauten als die gedruckten Buchstaben. Als ich die Concordia las, fiel ich wie aus den Wolken; vieles darin erfüllte mich mit der höchsten Indignation. Doch gab ich diesem Gefühl erst in Paris, Deiner Schwägerin gegenüber, eine Stimme: und nach ihrer eigenen Aufforderung schrieb ich jenen Brief. [3] Wie Du sagen kannst, Du haltest Dich von den Zeitparteien entfernt, ist mir unbegreiflich. Mit den allgemeinen Aussprüchen über das Zeitalter ist es eine mißliche Sache. Von allem was ich darüber in Deinen neuern Schriften und Briefen gelesen, habe ich immer das gerade Gegentheil gedacht, oder auch gar nicht verstanden, was Du willst. Doch ja! ich verstehe es nur allzu gut.
Wenn das Lesepublicum so elend ist, warum laßen wir denn drucken? Ich habe vor dem meinigen in Deutschland, in Frankreich, in England, in Schweden und in Nord-Amerika die größte Hochachtung.
Warum nicht anonym? Ich habe mich schon in der Berichtigung und in den kritischen Schriften erklärt. Das fehlte noch, daß man es zu einem Ehrenpunkte machte, nicht anonym zu schreiben, um die Knechtschaft der Preße zu vollenden, über welche Du frohlockst. (Sämmtl. W. II. p. 329.)
Ueber die Aufnahme Deiner Schriften scheinst Du mir in einer Täuschung [4] befangen zu seyn. Wenn Du zu wißen wünschtest, warum so wenig oder gar nicht gegen Dich geschrieben wird, so will ich es Dir sagen.
Ich will bloß gegen Deine meines Erachtens antiphilosophischen, antihistorischen und antisocialen Behauptungen einige Einwürfe und Bedenken vortragen.
Sei unbesorgt wegen meiner Indischen Arbeiten. Der Râmâyana wird den kritischen Schriften, wie diese der Berichtigung auf dem Fuße nachfolgen. Wie konntest Du glauben, Deine Aeußerungen darüber würden mir schmeichelhaft seyn? Jene Arbeiten haben auf Dich nicht gewirkt, was sie hätten wirken sollen: die Rückkehr zu den geöffneten und zugänglich gemachten Quellen. Ich habe bereitwillig Deine frühzeitigen Bemühungen anerkannt: aber kennst Du den heutigen Stand der Wissenschaft? ‒
Dann finde ich es etwas sonderbar, daß Du mich auf ein Fach der Gelehrsamkeit beschränken willst, das ich [5] nur mit großen Aufopferungen anbauen kann.
Wenigstens vier- bis fünftausend Thl. habe ich schon aus meinem Vermögen zugebüßt: für die Anschaffung kostbarer Bücher, für die Reisen nach Paris und London, für Druckkosten und Papiervorräthe, für die Vergütung an meine Schüler und Mitarbeiter während ihrer gelehrten Reisen und hier. Wenn ich nun einmal nöthig hätte meine Talente auch für den Erwerb zu verwenden? ‒ Uebrigens, wenn das die uns vorgeschriebene Weltgeschichte ist, die Du in Deinen Vorlesungen (p. 86) sogar chronologisch genau entwirfst, so gebe ich keinen rothen Kreuzer für die Indischen Alterthümer, die Aegyptischen und wie sie sonst heißen mögen. Dann muß es bei Hilmar Curas und Sleidan de IV imperiis sein Bewenden haben. Zu der Geschichte des Menschengeschlechts, welche ich in dem Abriß als Aufgabe hingestellt habe, wird sich jene schon ganz fertige ungefähr verhalten, wie die Topographia Christiana des Cosmas Indicopleustes [6] zu des Laplace Mécanique céleste.
Es ist noch eine Erwähnung in Deinem Briefe, die ich nicht erwartet hatte: die seligen Schatten der Abgeschiedenen. Wenn Du sie herbeirufen kannst, als Zeugen und Schiedsrichter zwischen uns, nicht nur unsere seligen und gesegneten Eltern, sondern auch unsre Vorfahren, so weit zurück als wir sie kennen, dann die Geschwister, besonders Moriz und Charlotte: es soll mir willkommen seyn. Diese Manen sind mir befreundet, ich habe von ihnen nur liebevolle Begrüßung und Segnungen zu erwarten.
Du meldest mir, Du habest das Christenthum zum innersten Berufe Deines Lebens gemacht. Zu dieser Wahl wünsche ich Dir von ganzem Herzen Glück. Denn die unfehlbare Wirkung davon ist die Besiegung aller sinnlichen Triebe und selbstischen Leidenschaften, gewissenhafte Leistung aller Verbindlichkeiten, Verwendung aller Mittel und Kräfte zu guten Werken unter [7] beständiger Selbstverläugnung. Solche Beispiele kannte ich und kenne ich, und habe mich immer daran zu stärken und erheben gesucht.
Lebe wohl!
An August von Staël habe ich einen großherzigen Freund verloren. Lies nur die Denkschrift auf ihn, von Monnard, in Lausanne. Lies seine Briefe über England. Es ist ein großer Verlust für sein doppeltes Vaterland und für die Menschheit.
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