• Karl August Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Fort St. George (Madras) · Place of Destination: Hannover · Date: 26.08.1784
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl August Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Fort St. George (Madras)
  • Place of Destination: Hannover
  • Date: 26.08.1784
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 362895996
  • Bibliography: Walzel, Oskar: Neue Quellen zur Geschichte der älteren romantischen Schule. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 43 (1892), S. 294‒296.
  • Incipit: „[1] Fort St. George d. 26. Aug. 1784.
    Lieber Wilhelm
    Deinen Brief vom ..... habe ich erhalten und mit vielem Vergnügen Deine angenehmen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36905
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.22,Nr.3
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,5 x 11,4 cm
    Language
  • German
[1] Fort St. George d. 26. Aug. 1784.
Lieber Wilhelm
Deinen Brief vom ..... habe ich erhalten und mit vielem Vergnügen Deine angenehmen Schilderungen der Freuden die unsere Eltern durch ihre Kinder und Freunde genießen, gelesen,
Wenn ich an die vielen Seufzer gedenke die die äußerste Sorgfalt in der Erziehung ihrer zahlreichen Kinder, ihnen gekostet, so ist dieses wohl die geringste Belohnung, die sie verdienen, zu deren Erhöhung Du wie ich gewiß überzeugt bin durch Fleiß und Sparsamkeit auf der Academie daß Deinige beytragen wirst.
Du wirst mir zwar freylich mit recht antworten daß ich gerade derjenige unter Deinen Brüdern bin der das wenigste Recht hat, Dir diesen guten Rath zu ertheilen – aber nimm ihn immer mit dem Geständniß meines Unrechts an, wie ich ihn gebe – brüderlich.
Ohne Zweifel hast Du während meiner Abwesenheit, – Deine Wißenschaften sehr erweitert – und auch gewiß Deine literarische Kenntniße und eigene Fähigkeiten dazu.
Sey doch so gut und schreib mir wie es itzt in unsern liebem Vaterland in diesem Stücke [2] außiehet. – Dauert das süße Reich des Musenalmanachs mit rosenumkränzten Scepter noch immer – oder hat es Teutschland eingesehn, daß für unsre nordische Sprache, bieder und hoch wie sie ist – die verzerrten Empfindeleyen, (die nie, selbst in der weichlichen Sele eines Orientalens gefühlt wurden) und der weiche Flötenton der sie allein leidlich machen kann, nicht anpaßend ist? –
Schreiben die Müller und die Wezels noch immer Romane die in den Herzen unserer Landpfarrers Töchter, und den Schränken der Curländischen Edelleute, ihrer Unsterblichkeit Ende bey der Trauung oder dem Concurse sehn?
Sucht noch jedes neu auftretende wahre Genie die Sprache nach seiner Laune umzubilden – und schreien ihnen dann gleich alle die Sünder von Kraftmännern und dergl. nach, äffen ihre Fehler ohne ihre wahren Schönheiten zu empfinden –?
Ist die Sprache endlich im Hafen unter den Schutz eines übersehenden Genies angelangt.
Wir sind noch lange nicht wo wir sein müssen und sein können. – Wir wären auch wirklich däucht mir ein großes Theil [3] weiter, wenn nicht Klopstock und andere wirklich große Männer, gesucht hätten den alten Grund umzureißen – immer hätte es gut sein mögen diesen Grund gleich anfangs zu legen – aber itzt da schon die Hälfte des Gebäudes fertig – hieße es uns muthwillig um 1 Jahrhundert zurücksetzen. – und es kann endlich mit diesem alten Grunde ein Gebäude werden, das es an wahrem, innern Gehalte denen aller andern Nationen zuvorthut. –
Ich weiß nicht, ich sehe immer auf Dich, als auf den, dem unser um die Teutsche Litteratur so sehr verdienter Vater – den Ruhm der Schlegelschen Familie in diesem Fache – um ihn zu vermehren, zum besondern Erbtheil überlaßen wird.
Es ist dieses zwar ein großes Ziel – denn bis itzt war noch immer der Name – Schlegel – unter den Häuptern. – Ohne unermüdeten Fleiß – (denn ohne diesen scharrt sich selbst das Genie, nur einen dürftigen, mit den ersten Jugendjahren verwehenden, Schatz, in den Feldern der Phantasie zusammen) gelangt man dahin freylich nicht. – aber die Größe des Zwecks – und der Stolz auf Deinen Namen und Vorfahren wird Dich hiezu anfeuern.
Weil dieser Brief doch einmal von nichts wie [4] Litteratur, Styl etc. handelt, so will ich Dir noch eine Bemerkung mittheilen die mir bey dem Studio der englischen Schriftsteller aufgestoßen.
Es wird Dir bekannt sein daß im Anfang eh unsre Sprache Original ward, sie sich mehr nach der französischen als nach der englischen gebildet, – ich glaube es könnte ihr noch zum Vortheil gereichen, wenn wir etwas von der Gedankenfülle des englischen Styls annähmen, dabey müßten wir uns aber sehr in acht nehmen, ihnen die Art ihrer Stärke des Ausdrucks (die oft mehr bizarrerie wie wahre Kraft besitzt und oft ins unedle fällt – besonders in einigen ihrer Poeten – von welchen Fehler wie Du selbst finden wirst der erhabne Joung nicht frey ist) nicht nachzuahmen.
Jetzo däucht mich ist so wie ganz Engelland auf ihre Litteratur sehr sur le declin, ihre Wochenschriften werden elend – und die neuen Romane sind nur sehr mittelmäßig – unter andern habe ich einen the young Philosopher gefunden der ein bloßer Auszug aus dem Agathon ist – welches er aber nicht eingesteht. Uebrigens ist die teutsche Litteratur den Engelländern noch ziemlich unbekannt und vor 2 Jahren sprach ich mit verschiedenen Englischen Belletristen, so den Gesnerischen Tod Abels weit beßer fanden wie den Messias. Kürzlich ist der Werther übersetzt und Nathan von Raspe übertragen worden; beide mit Beyfall. – Doch ich habe schon viel unnützes Zeug geschwatzt, und vom guten Styl in einem sehr schlechten geschrieben. Den wenigen übrigen Platz dieses Blattes laß mich noch dazu anwenden Dich ohne bilderreichen und edlen Ausdruck aber wahr und bieder zu versichern daß [2] ich Dich herzlich liebe – und ich es bisweilen drüber vergeße das ich in Indien bin – wenn meine Sehnsucht – nicht nach dem leeren Namen Vaterland – sondern nach euch die ich liebe, mir den allzusüßen Traum schenkt – daß ich Dich noch einst als reifenden Mann an diesen Busen drücken soll.
CA. Schlegel
[1] P. S. Noch eins bester Bruder, was ich bald vergessen hätte – Du gehst itzt nach der Academie oder doch bald – und ich gedenke itzt etwas Geld stehn zu laßen – damit es nun für meine Angriffe gesichert ist – so nimm Du es in Verwahrung – über die Zinsen wollen wir in 8 Jahren Abrede nehmen.
[1] Fort St. George d. 26. Aug. 1784.
Lieber Wilhelm
Deinen Brief vom ..... habe ich erhalten und mit vielem Vergnügen Deine angenehmen Schilderungen der Freuden die unsere Eltern durch ihre Kinder und Freunde genießen, gelesen,
Wenn ich an die vielen Seufzer gedenke die die äußerste Sorgfalt in der Erziehung ihrer zahlreichen Kinder, ihnen gekostet, so ist dieses wohl die geringste Belohnung, die sie verdienen, zu deren Erhöhung Du wie ich gewiß überzeugt bin durch Fleiß und Sparsamkeit auf der Academie daß Deinige beytragen wirst.
Du wirst mir zwar freylich mit recht antworten daß ich gerade derjenige unter Deinen Brüdern bin der das wenigste Recht hat, Dir diesen guten Rath zu ertheilen – aber nimm ihn immer mit dem Geständniß meines Unrechts an, wie ich ihn gebe – brüderlich.
Ohne Zweifel hast Du während meiner Abwesenheit, – Deine Wißenschaften sehr erweitert – und auch gewiß Deine literarische Kenntniße und eigene Fähigkeiten dazu.
Sey doch so gut und schreib mir wie es itzt in unsern liebem Vaterland in diesem Stücke [2] außiehet. – Dauert das süße Reich des Musenalmanachs mit rosenumkränzten Scepter noch immer – oder hat es Teutschland eingesehn, daß für unsre nordische Sprache, bieder und hoch wie sie ist – die verzerrten Empfindeleyen, (die nie, selbst in der weichlichen Sele eines Orientalens gefühlt wurden) und der weiche Flötenton der sie allein leidlich machen kann, nicht anpaßend ist? –
Schreiben die Müller und die Wezels noch immer Romane die in den Herzen unserer Landpfarrers Töchter, und den Schränken der Curländischen Edelleute, ihrer Unsterblichkeit Ende bey der Trauung oder dem Concurse sehn?
Sucht noch jedes neu auftretende wahre Genie die Sprache nach seiner Laune umzubilden – und schreien ihnen dann gleich alle die Sünder von Kraftmännern und dergl. nach, äffen ihre Fehler ohne ihre wahren Schönheiten zu empfinden –?
Ist die Sprache endlich im Hafen unter den Schutz eines übersehenden Genies angelangt.
Wir sind noch lange nicht wo wir sein müssen und sein können. – Wir wären auch wirklich däucht mir ein großes Theil [3] weiter, wenn nicht Klopstock und andere wirklich große Männer, gesucht hätten den alten Grund umzureißen – immer hätte es gut sein mögen diesen Grund gleich anfangs zu legen – aber itzt da schon die Hälfte des Gebäudes fertig – hieße es uns muthwillig um 1 Jahrhundert zurücksetzen. – und es kann endlich mit diesem alten Grunde ein Gebäude werden, das es an wahrem, innern Gehalte denen aller andern Nationen zuvorthut. –
Ich weiß nicht, ich sehe immer auf Dich, als auf den, dem unser um die Teutsche Litteratur so sehr verdienter Vater – den Ruhm der Schlegelschen Familie in diesem Fache – um ihn zu vermehren, zum besondern Erbtheil überlaßen wird.
Es ist dieses zwar ein großes Ziel – denn bis itzt war noch immer der Name – Schlegel – unter den Häuptern. – Ohne unermüdeten Fleiß – (denn ohne diesen scharrt sich selbst das Genie, nur einen dürftigen, mit den ersten Jugendjahren verwehenden, Schatz, in den Feldern der Phantasie zusammen) gelangt man dahin freylich nicht. – aber die Größe des Zwecks – und der Stolz auf Deinen Namen und Vorfahren wird Dich hiezu anfeuern.
Weil dieser Brief doch einmal von nichts wie [4] Litteratur, Styl etc. handelt, so will ich Dir noch eine Bemerkung mittheilen die mir bey dem Studio der englischen Schriftsteller aufgestoßen.
Es wird Dir bekannt sein daß im Anfang eh unsre Sprache Original ward, sie sich mehr nach der französischen als nach der englischen gebildet, – ich glaube es könnte ihr noch zum Vortheil gereichen, wenn wir etwas von der Gedankenfülle des englischen Styls annähmen, dabey müßten wir uns aber sehr in acht nehmen, ihnen die Art ihrer Stärke des Ausdrucks (die oft mehr bizarrerie wie wahre Kraft besitzt und oft ins unedle fällt – besonders in einigen ihrer Poeten – von welchen Fehler wie Du selbst finden wirst der erhabne Joung nicht frey ist) nicht nachzuahmen.
Jetzo däucht mich ist so wie ganz Engelland auf ihre Litteratur sehr sur le declin, ihre Wochenschriften werden elend – und die neuen Romane sind nur sehr mittelmäßig – unter andern habe ich einen the young Philosopher gefunden der ein bloßer Auszug aus dem Agathon ist – welches er aber nicht eingesteht. Uebrigens ist die teutsche Litteratur den Engelländern noch ziemlich unbekannt und vor 2 Jahren sprach ich mit verschiedenen Englischen Belletristen, so den Gesnerischen Tod Abels weit beßer fanden wie den Messias. Kürzlich ist der Werther übersetzt und Nathan von Raspe übertragen worden; beide mit Beyfall. – Doch ich habe schon viel unnützes Zeug geschwatzt, und vom guten Styl in einem sehr schlechten geschrieben. Den wenigen übrigen Platz dieses Blattes laß mich noch dazu anwenden Dich ohne bilderreichen und edlen Ausdruck aber wahr und bieder zu versichern daß [2] ich Dich herzlich liebe – und ich es bisweilen drüber vergeße das ich in Indien bin – wenn meine Sehnsucht – nicht nach dem leeren Namen Vaterland – sondern nach euch die ich liebe, mir den allzusüßen Traum schenkt – daß ich Dich noch einst als reifenden Mann an diesen Busen drücken soll.
CA. Schlegel
[1] P. S. Noch eins bester Bruder, was ich bald vergessen hätte – Du gehst itzt nach der Academie oder doch bald – und ich gedenke itzt etwas Geld stehn zu laßen – damit es nun für meine Angriffe gesichert ist – so nimm Du es in Verwahrung – über die Zinsen wollen wir in 8 Jahren Abrede nehmen.
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