• August Wilhelm von Schlegel to Georg Andreas Reimer

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Unknown · Date: 30.11.1839
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Georg Andreas Reimer
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 30.11.1839
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 30172394Z
  • Bibliography: Imelmann, J.: Briefe A. W. Schlegels an Georg Andreas Reimer. In: Zeitschrift für Vergleichende Litteraturgeschichte und Renaissance-Litteratur N. F. 2 (1889), S. 441‒443.
  • Incipit: „[1] Bonn, d. 30. Nov. 1839.
    Sie sind im Irrtume, mein hochverehrter Herr und Freund, wenn Sie glauben, es hätte nur von [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 512512477
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,II,Nr.30
  • Number of Pages: 5 1/2 S.
    Language
  • German
[1] Bonn, d. 30. Nov. 1839.
Sie sind im Irrtume, mein hochverehrter Herr und Freund, wenn Sie glauben, es hätte nur von mir abgehangen, Ihnen meinen Shakespeare, so durchgesehen wie die ersten drei Stücke, binnen Jahresfrist zu liefern. Sie vergessen, außer der physischen Unmöglichkeit, die gelehrten Arbeiten, deren Fortsetzung und Vollendung von mir erwartet wird, endlich die älteren Ansprüche anderer Buchhändler.
Seit langen Jahren war ich nicht eigentlich krank, aber unpaß unsäglich oft. Im günstigsten Falle habe ich einige böse Stunden im Tage, die mir die Nachmittage verkümmern. Ich bedarf der Ruhe und einer sorgfältigen viel Zeit erfordernden Pflege.
Amtsgeschäfte. Zu den gewöhnlichen kam noch seit dem Herbste 38 das Decanat: viele Prüfungen, drei lateinische Reden, ein Programm, das in der gelehrten Welt ziemlich bedeutend gefunden wird.
Gelehrte Arbeiten. Die lateinische Übersetzung vom zweiten Bande des Râmâyana ist nachzuliefern, da die Abnehmer sie schon bezahlt haben. Die zweite Ausgabe der Bhagavad-gîtâ liegt [2] seit mehreren Jahren bis auf wenige Bogen gedruckt da. Die längst versprochene lateinische Übersetzung des Hitopadesa würde dem Absatz der beiden ersten Teile sehr zu Statten kommen.
Sie wissen, dass ich alle diese Werke auf meine Kosten habe drucken lassen. Nur durch den Verkauf kann ich einigen Ersatz erhalten; die Versäumnis ist mir also sehr nachteilig. Fragen Sie Herrn Weber.
Vor wenigstens drei Jahren meldete mir Herr Winter Sohn in Heidelberg, die zweite Ausgabe meiner dramatischen Vorlesungen sei fast erschöpft. Er hat mir vorteilhafte Bedingungen für die dritte Ausgabe gestellt, er ist zweimal darum hier gewesen. Endlich habe ich ihm den sorgfältig durchkorrigierten ersten Band schicken können. Aber um das viel gelesene Buch nicht so kahl in die Welt ausgehen zu lassen, will ich einen Anhang zum griechischen Theater geben. Dazu habe ich große Studien gemacht, bin aber mit der Abfassung noch wenig vorgerückt. Ich darf und will nun einmal nichts mittelmäßiges oder unbedeutendes liefern.
Die physische Unmöglichkeit liegt darin, daß der übersetzten Stücke siebzehn sind, und eine solche Durchsicht eines einzigen wie die bisherigen anderthalb bis zwei Monate erfordert, wenn ich auch mit dem Shakespeare zu Bett gehe und wieder aufstehe, wie ich es wirklich getan.
[3] Als Sie im August 38 hier waren, hatte ich meine Übersetzung in so langen Jahren nicht angesehen, daß ich in der Tat nicht wußte, wie vieler Verbesserungen sie noch bedürftig sein möchte. Die bloße Wegräumung der Druckfehler und der Tieckschen Veränderungen hätte ein verständiger Korrektor mittels Vergleichung der ersten Drucke ohne allen Aufenthalt besorgen können. Sie werden sich wohl erinnern, daß ich sowohl von der übergroßen Eile als Wohlfeilheit abriet. Gute Waare ist ihren Preis wert. Gut Ding will Weile haben.
Von den vorgeschlagenen Bedingungen, die Sie mir schriftlich zurückließen, ohne daß wir doch einen förmlichen Vertrag schlossen, stehe ich gänzlich ab. Gegen eine kleine Leibrente in meinem Alter, waren viele Einwendungen zu machen, die ich bei Ihrem kurzen Aufenthalte nicht gemacht habe.
Für jedes Schauspiel, so durchgesehen wie die drei ersten, 10 Friedrichsd’or, scheint mir ein mäßiges Honorar zu sein. Wenn Sie dies nicht genehmigen, so habe ich nichts einzuwenden. Aber dann verschonen Sie mich mit der Fortsetzung.
Nun muß ich noch den Punkt Rechtens ins Klare setzen. Mit Ungers Verlag war das Recht auf Sie übergegangen, den alten Vorrat durch neu gedruckte Exemplare zu ergänzen. Aber das preußische Landrecht unterscheidet sehr [4] genau Auflage und Ausgabe. Ein nach Inhalt und Form unveränderter Abdruck ist eine neue Auflage. Hingegen ein verändertes Format bezeichnet schon eine neue Ausgabe. Dies haben Sie auch selbst bei Tiecks Unternehmen durch die mir zugestandene Entschädigung anerkannt. Das jetzige ist wieder eine neue Ausgabe.
Wenn ich nun meine Übersetzung ausbessern, ergänzen, mit Einleitungen und Anmerkungen begleiten wollte, so träte ich wieder in alle meine Rechte ein. Sie werden sagen, ich würde keinen Verleger finden. Wahrscheinlich genug! Nun denn, so kann ich das Buch ja auf eigne Kosten drucken lassen. Das bin ich ohnehin schon gewohnt.
Übrigens wäre ich wohl töricht, wenn ich in Deutschland für Geld schreiben wollte. Die Honorare sind zu bettelhaft, ausgenommen für Novellen und dergleichen Papageien-Futter. Vor vielen Jahren wurden mir Anträge von einer englischen Zeitschrift gemacht, die ich unbenutzt ließ. Das Journal des Débats hat mir 125 Franken für jeden litterarischen Artikel gezahlt. Ich habe das auch nicht fortgesetzt. Sie haben über den geringen Absatz meiner Kritischen Schriften geklagt. Es war mir ungemein empfindlich. Aber, in Wahrheit, ich kann nicht für den Blödsinn des deutschen Lesepublikums einstehen. Diese Aufsätze sind, nach Gehalt und Form, meisterhaft: wer gute Prosa schreiben lernen will, mag sie nur fleißig studieren.
[5] Mein Manifest, ich meine meinen langen Brief an Sie, über die tragikomische Geschichte meines Shakespeare habe ich abschriftlich an den Freund in Dresden gesendet; auch zum K. Johann und Richard II Kritiken seiner Kritiken. Diese sende ich Ihnen jetzt. Sie mögen als Probe eines Kommentars gelten, der niemals geschrieben werden wird. Tieck hat nicht geantwortet: ein Anderer möchte dies übel vermerken; aber er weiß wohl, daß er von dem alten Freunde keine öffentliche Rüge zu besorgen hat. Bei den Übersetzungen aus der Dresdener Schule verschlagen mir die Anmerkungen nichts. Aber bei den meinigen, falls ich die Durchsicht nicht selbst vornehmen kann, möge der Korrektor genau Acht geben. Schlagen Sie einmal den Sturm auf, Seite 249, Zeile 11 von unten. Hier steht vor der Rede Miranda. Streichen Sie das gleich in Ihrem Exemplar aus, und setzen Sie Prospero dafür. Es ist nichts als ein aufgewärmter Druckfehler, und eine arge Versündigung am Shakespeare und an der Miranda selbst: aber ich müßte ein paar Seiten voll schreiben, um die ganze Verkehrtheit davon ins Licht zu setzen. Macbeth, Seite 292, Zeile 14 von unten. Es ist wieder ein aufgegabelter Druckfehler: school statt shoal. In der Anmerkung heißt es: "Bank ist [6] hier die Schülerbank." – Aber, du Guter! eine Schülerbank heißt bench, und bank kann dies durchaus nicht bedeuten.
Dergleichen habe ich beim bloßen Blättern gefunden.
Ich erhielt bis jetzt vier Bände der neuen Ausgabe.
Die Teltower Rüben sind noch nicht angekommen, aber bei der jetzigen gelinden Witterung leiden sie vom Frost wohl keine Gefahr. Ich bin Ihnen für die gütige Aufmerksamkeit ungemein verbunden.
Leben Sie recht wohl, mein hochverehrter Freund, und seien Sie meiner freundschaftlichsten Gesinnung gewiß, wenn ich auch nicht immer Ihren Wünschen entsprechen kann.
Ganz der Ihrige
A. W. v. Schlegel
[1] Bonn, d. 30. Nov. 1839.
Sie sind im Irrtume, mein hochverehrter Herr und Freund, wenn Sie glauben, es hätte nur von mir abgehangen, Ihnen meinen Shakespeare, so durchgesehen wie die ersten drei Stücke, binnen Jahresfrist zu liefern. Sie vergessen, außer der physischen Unmöglichkeit, die gelehrten Arbeiten, deren Fortsetzung und Vollendung von mir erwartet wird, endlich die älteren Ansprüche anderer Buchhändler.
Seit langen Jahren war ich nicht eigentlich krank, aber unpaß unsäglich oft. Im günstigsten Falle habe ich einige böse Stunden im Tage, die mir die Nachmittage verkümmern. Ich bedarf der Ruhe und einer sorgfältigen viel Zeit erfordernden Pflege.
Amtsgeschäfte. Zu den gewöhnlichen kam noch seit dem Herbste 38 das Decanat: viele Prüfungen, drei lateinische Reden, ein Programm, das in der gelehrten Welt ziemlich bedeutend gefunden wird.
Gelehrte Arbeiten. Die lateinische Übersetzung vom zweiten Bande des Râmâyana ist nachzuliefern, da die Abnehmer sie schon bezahlt haben. Die zweite Ausgabe der Bhagavad-gîtâ liegt [2] seit mehreren Jahren bis auf wenige Bogen gedruckt da. Die längst versprochene lateinische Übersetzung des Hitopadesa würde dem Absatz der beiden ersten Teile sehr zu Statten kommen.
Sie wissen, dass ich alle diese Werke auf meine Kosten habe drucken lassen. Nur durch den Verkauf kann ich einigen Ersatz erhalten; die Versäumnis ist mir also sehr nachteilig. Fragen Sie Herrn Weber.
Vor wenigstens drei Jahren meldete mir Herr Winter Sohn in Heidelberg, die zweite Ausgabe meiner dramatischen Vorlesungen sei fast erschöpft. Er hat mir vorteilhafte Bedingungen für die dritte Ausgabe gestellt, er ist zweimal darum hier gewesen. Endlich habe ich ihm den sorgfältig durchkorrigierten ersten Band schicken können. Aber um das viel gelesene Buch nicht so kahl in die Welt ausgehen zu lassen, will ich einen Anhang zum griechischen Theater geben. Dazu habe ich große Studien gemacht, bin aber mit der Abfassung noch wenig vorgerückt. Ich darf und will nun einmal nichts mittelmäßiges oder unbedeutendes liefern.
Die physische Unmöglichkeit liegt darin, daß der übersetzten Stücke siebzehn sind, und eine solche Durchsicht eines einzigen wie die bisherigen anderthalb bis zwei Monate erfordert, wenn ich auch mit dem Shakespeare zu Bett gehe und wieder aufstehe, wie ich es wirklich getan.
[3] Als Sie im August 38 hier waren, hatte ich meine Übersetzung in so langen Jahren nicht angesehen, daß ich in der Tat nicht wußte, wie vieler Verbesserungen sie noch bedürftig sein möchte. Die bloße Wegräumung der Druckfehler und der Tieckschen Veränderungen hätte ein verständiger Korrektor mittels Vergleichung der ersten Drucke ohne allen Aufenthalt besorgen können. Sie werden sich wohl erinnern, daß ich sowohl von der übergroßen Eile als Wohlfeilheit abriet. Gute Waare ist ihren Preis wert. Gut Ding will Weile haben.
Von den vorgeschlagenen Bedingungen, die Sie mir schriftlich zurückließen, ohne daß wir doch einen förmlichen Vertrag schlossen, stehe ich gänzlich ab. Gegen eine kleine Leibrente in meinem Alter, waren viele Einwendungen zu machen, die ich bei Ihrem kurzen Aufenthalte nicht gemacht habe.
Für jedes Schauspiel, so durchgesehen wie die drei ersten, 10 Friedrichsd’or, scheint mir ein mäßiges Honorar zu sein. Wenn Sie dies nicht genehmigen, so habe ich nichts einzuwenden. Aber dann verschonen Sie mich mit der Fortsetzung.
Nun muß ich noch den Punkt Rechtens ins Klare setzen. Mit Ungers Verlag war das Recht auf Sie übergegangen, den alten Vorrat durch neu gedruckte Exemplare zu ergänzen. Aber das preußische Landrecht unterscheidet sehr [4] genau Auflage und Ausgabe. Ein nach Inhalt und Form unveränderter Abdruck ist eine neue Auflage. Hingegen ein verändertes Format bezeichnet schon eine neue Ausgabe. Dies haben Sie auch selbst bei Tiecks Unternehmen durch die mir zugestandene Entschädigung anerkannt. Das jetzige ist wieder eine neue Ausgabe.
Wenn ich nun meine Übersetzung ausbessern, ergänzen, mit Einleitungen und Anmerkungen begleiten wollte, so träte ich wieder in alle meine Rechte ein. Sie werden sagen, ich würde keinen Verleger finden. Wahrscheinlich genug! Nun denn, so kann ich das Buch ja auf eigne Kosten drucken lassen. Das bin ich ohnehin schon gewohnt.
Übrigens wäre ich wohl töricht, wenn ich in Deutschland für Geld schreiben wollte. Die Honorare sind zu bettelhaft, ausgenommen für Novellen und dergleichen Papageien-Futter. Vor vielen Jahren wurden mir Anträge von einer englischen Zeitschrift gemacht, die ich unbenutzt ließ. Das Journal des Débats hat mir 125 Franken für jeden litterarischen Artikel gezahlt. Ich habe das auch nicht fortgesetzt. Sie haben über den geringen Absatz meiner Kritischen Schriften geklagt. Es war mir ungemein empfindlich. Aber, in Wahrheit, ich kann nicht für den Blödsinn des deutschen Lesepublikums einstehen. Diese Aufsätze sind, nach Gehalt und Form, meisterhaft: wer gute Prosa schreiben lernen will, mag sie nur fleißig studieren.
[5] Mein Manifest, ich meine meinen langen Brief an Sie, über die tragikomische Geschichte meines Shakespeare habe ich abschriftlich an den Freund in Dresden gesendet; auch zum K. Johann und Richard II Kritiken seiner Kritiken. Diese sende ich Ihnen jetzt. Sie mögen als Probe eines Kommentars gelten, der niemals geschrieben werden wird. Tieck hat nicht geantwortet: ein Anderer möchte dies übel vermerken; aber er weiß wohl, daß er von dem alten Freunde keine öffentliche Rüge zu besorgen hat. Bei den Übersetzungen aus der Dresdener Schule verschlagen mir die Anmerkungen nichts. Aber bei den meinigen, falls ich die Durchsicht nicht selbst vornehmen kann, möge der Korrektor genau Acht geben. Schlagen Sie einmal den Sturm auf, Seite 249, Zeile 11 von unten. Hier steht vor der Rede Miranda. Streichen Sie das gleich in Ihrem Exemplar aus, und setzen Sie Prospero dafür. Es ist nichts als ein aufgewärmter Druckfehler, und eine arge Versündigung am Shakespeare und an der Miranda selbst: aber ich müßte ein paar Seiten voll schreiben, um die ganze Verkehrtheit davon ins Licht zu setzen. Macbeth, Seite 292, Zeile 14 von unten. Es ist wieder ein aufgegabelter Druckfehler: school statt shoal. In der Anmerkung heißt es: "Bank ist [6] hier die Schülerbank." – Aber, du Guter! eine Schülerbank heißt bench, und bank kann dies durchaus nicht bedeuten.
Dergleichen habe ich beim bloßen Blättern gefunden.
Ich erhielt bis jetzt vier Bände der neuen Ausgabe.
Die Teltower Rüben sind noch nicht angekommen, aber bei der jetzigen gelinden Witterung leiden sie vom Frost wohl keine Gefahr. Ich bin Ihnen für die gütige Aufmerksamkeit ungemein verbunden.
Leben Sie recht wohl, mein hochverehrter Freund, und seien Sie meiner freundschaftlichsten Gesinnung gewiß, wenn ich auch nicht immer Ihren Wünschen entsprechen kann.
Ganz der Ihrige
A. W. v. Schlegel
×
×