• Dorothea von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Frankfurt am Main · Place of Destination: Paris · Date: 10.09.1817
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Dorothea von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Frankfurt am Main
  • Place of Destination: Paris
  • Date: 10.09.1817
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 29. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Vom Wiener Kongress zum Frankfurter Bundestag (10. September 1814 ‒ 31. Oktober 1818). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Jean-Jacques Anstett unter Mitarbeit von Ursula Behler. Paderborn 1980, S. 356‒358.
  • Incipit: „[1] Frankfurth 10ten Sept: 17
    Theuerster Bruder! Seit acht Tagen sind wir wieder hier in unsrer fürstlichen Mansarde eingekehrt, nachdem wir während [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.39
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 20,8 x 12,3 cm
    Language
  • German
[1] Frankfurth 10ten Sept: 17
Theuerster Bruder! Seit acht Tagen sind wir wieder hier in unsrer fürstlichen Mansarde eingekehrt, nachdem wir während 7 Wochen uns in den Heilbädern des Taunus herumgetrieben haben, in Wießbaden, Schwalbach, und Schlangenbad. Friedrich haben die Bäder von Wießbaden Wunder gethan, er fühlt keine Beschwerde mehr, spaziert leicht und gern mehrere Stunden lang über alle Berge, und ich lebe der erneuten Hoffnung, daß nun seine Beine wieder leichter sind, so wird er nicht länger säumen sich den Kopf und das Gemüth zu erleichtern durch Vollendung der Werke, die er zur eignen Beschwerde immer mit sich herum trägt, ohne sie von sich zu geben. Was mich selber betrifft so sagen alle Bekannte ich hätte mich verjüngt in den Bädern, und sähe sehr wohl aus; dergl[eichen] glaubt man gern, freut sich wenigstens daß die andern es glauben; so recht von Herzen aber kann ich mich der Würkung nicht erfreuen; ich leide noch immer sehr an Schmerzen in den Beinen und im linken Arm; <doch> wenigstens habe ich etwas mehr an innerer Kraft gewonnen, diese Schmerzen zu ertragen, und das ist freilich Etwas! Gott wolle daß ich diese, und jede Schmerzen, die mir auferlegt werden, mit Geduld und Heiterkeit, zum Heil meiner Seele ertragen lerne! – An Sie [2] geliebter Bruder haben wir in dieser Zeit mehr und öfterer als jemals gedacht, mit innigster Theilnahme. Sie werden sagen: „hättet Ihr dafür nur ein Einziges mal geschrieben, das wäre mir lieber.“ Aber im Grunde ist unsre stillschweigende dauernde Theilnahme doch besser; denn was hätten wir Ihnen wohl sagen können, was Sie nicht selber sich mit dem innigsten Gefühl sich gesagt haben? Wir konnten ja nur ahnden was Sie gelitten, was Sie verlohren haben und so kann auch alles was wir Ihnen darüber sagen könnten, Sie kaum berühren; denn Sie wissen ja Alles besser. Wohl dem dem bey einem solchen Verlust die Ueberzeugung befestigt wird, daß die Ewigkeit uns nicht trennt, vielmehr uns, die wir uns in der Liebe schon hier vereinigten, uns ohne Trennung, und ohne Ende vereinigt! – Wenn Sie einmal mit Ruhe sich jener schmerzlichen Auftritte erinnern mögen, so bitte ich Sie um die Liebe, mir die letzten Stunden, Augenblicke, und die letzten Worte Ihrer verewigten Freundin mitzutheilen. Ich kann nicht leugnen, daß das Sterben der ausgezeichneten Personen anfängt mir wichtiger und bedeutender zu werden, als selbst ihr Leben, das mehr oder weniger sich doch immer nur in dem magischen Kreis des Zeitgeistes auf gleiche Weise [3] mit fortbewegt; wenigstens in so weit wir es im äußern Thun wahrnehmen können. Das innere Leben des Menschen, und in wie fern er seine Seele diesem Zeitgeiste zu entwinden, oder sich ihm zu widersetzen gewußt hat, dies richtet ein andrer Richter! – Werden Sie vielleicht etwas über den Tod der Frau v. Stael bey der Herausgabe ihrer hinterlaßnen Schriften sagen? Sie haben ein ehrenvolles, Ihnen gewiß überaus theueres Geschäft mit dieser Herausgabe übernommen; und jeder der Sie, und der die Seelige kennt und ehrt, freut sich auf dieses interessante Werk. Wir vor Allen, aber das darf ich doch nicht verbergen, daß wir hoffen, dieses Werk, als Vermächtniß der Freundschaft, als Uebernahme der zärtlichsten Dankbarkeit, wird das Letzte seyn, daß Sie Ihrer Muttersprache entziehen werden. Diese war ja wohl nicht undankbar gegen Sie? vielmehr verdanken Sie und wir Alle, ja dieser schönen Muttersprache Alles was Sie großes und herrliches gedacht und hervorgebracht haben; warum es ihr also entgehen lassen, was Sie in übler Laune gegen die Landsleute einwenden? Wir können es immer noch für nichts anders als augenblickliche Verstimmung bey Ihnen halten, wenn Sie davon reden, sich dem Vaterlande zu entziehen. Undankbar [4] sind Ihre Landsleute gewiß nicht gegen Sie, vielmehr wird Ihre Abwesenheit tief gefühlt und bedauert. Darüber habe ich, da ich in den Bädern mehr Bekanntschaften aus den gebildeten Ständen Deutschlands gemacht habe, aufs Neue, viele Merkmale gesehen. Daß die deutschen Fürsten so unthätig sind, das sollten Sie gar nicht so übel nehmen, wären Sie in der Nähe, so würden Sie das gewiß gelinder beurtheilen. Und haben denn die ausländischen Fürsten denn so gar viel für die Deutschen gethan, die ihre Kraft ihnen freiwillig schenkten? – Freunde finden Sie auch im Vaterlande und Sie werden doch ewig nicht wo anders Einheimisch. Ist die Nachricht gegründet daß Sie einen Ruf nach Berlin haben? und werden Sie ihn wirklich ausschlagen? – Sollen es die Landsleute inne werden (was Sie neulich uns schrieben) „daß Sie nur einen Ruf im Vaterlande suchten, um denselben auswärts geltend zu machen?“ O bedenken Sie doch, wie ungerecht das ist! – –
Wir haben von Charlotten Brief; sie leidet fortwährend an Gicht an den Händen, und wünscht sehr, weil jede andre Handarbeit ihr sauer wird, irgend einen neuen Roman oder sonst ein leichtes französisches Buch zu uebersetzen. Können Sie ihr darin nicht helfen? Die guten lieben Leute plagen und grämen sich sehr, ihr Kind so übel versorgt zu haben; Ihr Stillschweigen schmerzt die arme Schwester sehr.
Mit schwesterlicher Liebe
Ihre Dorothea S.
[1] Frankfurth 10ten Sept: 17
Theuerster Bruder! Seit acht Tagen sind wir wieder hier in unsrer fürstlichen Mansarde eingekehrt, nachdem wir während 7 Wochen uns in den Heilbädern des Taunus herumgetrieben haben, in Wießbaden, Schwalbach, und Schlangenbad. Friedrich haben die Bäder von Wießbaden Wunder gethan, er fühlt keine Beschwerde mehr, spaziert leicht und gern mehrere Stunden lang über alle Berge, und ich lebe der erneuten Hoffnung, daß nun seine Beine wieder leichter sind, so wird er nicht länger säumen sich den Kopf und das Gemüth zu erleichtern durch Vollendung der Werke, die er zur eignen Beschwerde immer mit sich herum trägt, ohne sie von sich zu geben. Was mich selber betrifft so sagen alle Bekannte ich hätte mich verjüngt in den Bädern, und sähe sehr wohl aus; dergl[eichen] glaubt man gern, freut sich wenigstens daß die andern es glauben; so recht von Herzen aber kann ich mich der Würkung nicht erfreuen; ich leide noch immer sehr an Schmerzen in den Beinen und im linken Arm; <doch> wenigstens habe ich etwas mehr an innerer Kraft gewonnen, diese Schmerzen zu ertragen, und das ist freilich Etwas! Gott wolle daß ich diese, und jede Schmerzen, die mir auferlegt werden, mit Geduld und Heiterkeit, zum Heil meiner Seele ertragen lerne! – An Sie [2] geliebter Bruder haben wir in dieser Zeit mehr und öfterer als jemals gedacht, mit innigster Theilnahme. Sie werden sagen: „hättet Ihr dafür nur ein Einziges mal geschrieben, das wäre mir lieber.“ Aber im Grunde ist unsre stillschweigende dauernde Theilnahme doch besser; denn was hätten wir Ihnen wohl sagen können, was Sie nicht selber sich mit dem innigsten Gefühl sich gesagt haben? Wir konnten ja nur ahnden was Sie gelitten, was Sie verlohren haben und so kann auch alles was wir Ihnen darüber sagen könnten, Sie kaum berühren; denn Sie wissen ja Alles besser. Wohl dem dem bey einem solchen Verlust die Ueberzeugung befestigt wird, daß die Ewigkeit uns nicht trennt, vielmehr uns, die wir uns in der Liebe schon hier vereinigten, uns ohne Trennung, und ohne Ende vereinigt! – Wenn Sie einmal mit Ruhe sich jener schmerzlichen Auftritte erinnern mögen, so bitte ich Sie um die Liebe, mir die letzten Stunden, Augenblicke, und die letzten Worte Ihrer verewigten Freundin mitzutheilen. Ich kann nicht leugnen, daß das Sterben der ausgezeichneten Personen anfängt mir wichtiger und bedeutender zu werden, als selbst ihr Leben, das mehr oder weniger sich doch immer nur in dem magischen Kreis des Zeitgeistes auf gleiche Weise [3] mit fortbewegt; wenigstens in so weit wir es im äußern Thun wahrnehmen können. Das innere Leben des Menschen, und in wie fern er seine Seele diesem Zeitgeiste zu entwinden, oder sich ihm zu widersetzen gewußt hat, dies richtet ein andrer Richter! – Werden Sie vielleicht etwas über den Tod der Frau v. Stael bey der Herausgabe ihrer hinterlaßnen Schriften sagen? Sie haben ein ehrenvolles, Ihnen gewiß überaus theueres Geschäft mit dieser Herausgabe übernommen; und jeder der Sie, und der die Seelige kennt und ehrt, freut sich auf dieses interessante Werk. Wir vor Allen, aber das darf ich doch nicht verbergen, daß wir hoffen, dieses Werk, als Vermächtniß der Freundschaft, als Uebernahme der zärtlichsten Dankbarkeit, wird das Letzte seyn, daß Sie Ihrer Muttersprache entziehen werden. Diese war ja wohl nicht undankbar gegen Sie? vielmehr verdanken Sie und wir Alle, ja dieser schönen Muttersprache Alles was Sie großes und herrliches gedacht und hervorgebracht haben; warum es ihr also entgehen lassen, was Sie in übler Laune gegen die Landsleute einwenden? Wir können es immer noch für nichts anders als augenblickliche Verstimmung bey Ihnen halten, wenn Sie davon reden, sich dem Vaterlande zu entziehen. Undankbar [4] sind Ihre Landsleute gewiß nicht gegen Sie, vielmehr wird Ihre Abwesenheit tief gefühlt und bedauert. Darüber habe ich, da ich in den Bädern mehr Bekanntschaften aus den gebildeten Ständen Deutschlands gemacht habe, aufs Neue, viele Merkmale gesehen. Daß die deutschen Fürsten so unthätig sind, das sollten Sie gar nicht so übel nehmen, wären Sie in der Nähe, so würden Sie das gewiß gelinder beurtheilen. Und haben denn die ausländischen Fürsten denn so gar viel für die Deutschen gethan, die ihre Kraft ihnen freiwillig schenkten? – Freunde finden Sie auch im Vaterlande und Sie werden doch ewig nicht wo anders Einheimisch. Ist die Nachricht gegründet daß Sie einen Ruf nach Berlin haben? und werden Sie ihn wirklich ausschlagen? – Sollen es die Landsleute inne werden (was Sie neulich uns schrieben) „daß Sie nur einen Ruf im Vaterlande suchten, um denselben auswärts geltend zu machen?“ O bedenken Sie doch, wie ungerecht das ist! – –
Wir haben von Charlotten Brief; sie leidet fortwährend an Gicht an den Händen, und wünscht sehr, weil jede andre Handarbeit ihr sauer wird, irgend einen neuen Roman oder sonst ein leichtes französisches Buch zu uebersetzen. Können Sie ihr darin nicht helfen? Die guten lieben Leute plagen und grämen sich sehr, ihr Kind so übel versorgt zu haben; Ihr Stillschweigen schmerzt die arme Schwester sehr.
Mit schwesterlicher Liebe
Ihre Dorothea S.
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