• Dorothea von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Coppet · Date: 31.05.1809
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Dorothea von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Coppet
  • Date: 31.05.1809
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 45‒48.
  • Incipit: „[1] Wien den 31ten Mai [18]09
    Mein theurer Bruder, ich habe diesen Morgen Ihren Brief vom 13ten April erhalten, eben als ich [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-8
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,II,1
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs. m. Paraphe
  • Format: 18,7 x 11,3 cm
    Language
  • German
[1] Wien den 31ten Mai [18]09
Mein theurer Bruder, ich habe diesen Morgen Ihren Brief vom 13ten April erhalten, eben als ich mit mir zu Rathe gieng durch welchen Umweg ich Ihnen ein Lebenszeichen von mir geben könnte. Die Ankunft Ihres Briefes lehrte mich daß die ordentlichen Postwege wieder frey seyn. Ich lebe wirklich noch, und bin ziemlich gesund, das ist Alles was ich Ihnen von mir sagen kann.
Friedrich habe ich auf 24 Stunden hier gesehen; seit den 7ten ist er wieder zu seinem Herrn zurück, mit dem es gar nicht so schlecht steht als man uns vorreden will; er hat zwar heftige Schmerzen aber seine gute kräftige Natur reißt ihn ganz gewiß wieder durch, besonders dürfen wir nach der letzten günstig ausgefallnen Crisis die besten Hoffnungen fassen, und uns von den freilich furchtbaren aeußern Erscheinungen der Krankheit nicht irre machen lassen. Von Friedrich selbst habe ich seit seiner Abreise keine Nachricht weiter; ich hoffe es soll ihm gut gehen. Ich habe es verschmäht Wien zu verlassen, obgleich ich hätte Gelegenheit dazu finden können; jetzt ist meine Lage, so getrennt von Allem was mir theuer ist, zwar gar nicht angenehm aber ich finde eine Art von Beruhigung darin es bei dieser Gelegenheit nicht besser zu haben, als [2] andre ehrliche Leute; die bestimmte Hoffnung daß diese ängstliche Lage nicht gar lange mehr dauern kann, erhält mich. Ich lebe während der Zeit bei der Baronin Arnstein, die mich mit ungemeiner Gastfreundlichkeit bei sich aufgenommen hat; bei der Seltenheit und Theurung der Lebensmittel ist mir dies eine große Hülfe; Sie dürfen also in keiner Sorge um meinetwillen seyn. Friedrich und Sie haben hier viele thätige und wahrhafte Freunde, die mich auf jeden Fall schützen und unterstützen. Apropos von Freunden: unter sehr vielen beiderlei Geschlechts die mich sehr oft baten sie Ihnen zu empfehlen war auch M[a]d[a]me Bertôt, cidevant Nuis, die sich Ihrer immer mit Zärtlichkeit erinnerte; Sie werden es wahrscheinlich schon wissen daß sie ihren Begleiter den Herrn Bertôt geheyrathet hat, der ihr den Vortheil verschaft, ganz aufs neue wieder als junge Frau zu erscheinen; sie ist auch emigrirt, und wir wissen nicht wohin sie sich gewandt hat, denn sie musste die Stadt ganz plötzlich und unerwartet verlassen. Graf Johann Odonell war auf einige Tage hier, und ist am 9ten wieder fortgegangen; er war bis dahin glücklich und gesund, auch sein Neffe; seitdem haben wir keine Nachricht von ihnen; den Grafen Johann liebe ich sehr, es würde mich ungemein schmerzen, wenn ihm ein Unfall geschähe; wir sprachen diesen Winter [3] viel von Ihnen, und von der Frau v. Stael, er ist Ihr warmer Freund. – Sollten die Exemplare Ihres Werkes hier anlangen so werde ich sie in Empfang nehmen, und bis zur glücklichern Zeit der Vertheilung aufbewahren. Wann wird man sich wieder einmal auf eine ordentliche Lectüre freuen dürfen? Das Leben selbst, und noch dazu ein gar nicht angenehmes Leben verschlingt jedes andre Interesse – wenn diese Lage noch lange dauern sollte, – in der wir des Morgens nichts thun können als uns zu sorgen wo man etwas zu essen hernimmt, und ist diese Sorge auf 24 Stunden gehoben, nun auf Nachrichten warten, und jede, sie sey wahr oder falsch mit wahrem Heishunger ergreifen – so werden wir bald sämmtlich wohl noch etwas dümmer als gewöhnlich werden, und von Poesie und Litteratur wird nur wie von einer verschollnen Sage die Rede seyn. Wäre es nicht ein Verbrechen jetzt an die eignen Wünsche, und an das persönliche Wohlbehagen zu denken, so würde ich mich zu Ihnen und zu der Frau v. Stael am Ufer des Sees hinsehnen... aber das sind Träume, bei denen ich es auf Minuten zu vergessen suche daß ich die schönen Tage des Frühlings, vom Kriege umringt, in der Stadt Wien streng eingeschlossen, und getrennt von allem was mir auf Erden lieb ist, muß verschleichen lassen.
[4] Ich will nicht leugnen, daß ich etwas empfindlich darüber war, daß Sie, ein Mann der immer die liebenswürdigste Schonung, und die feinste Delikatesse im Umgang mit Frauen zu beobachten, sich zu einem dauernden Gesetz gemacht hat, daß Sie gerade mich so unschonend behandeln wollten; um so schmerzlicher traf mich diese Auszeichnung (die auf keinen Fall ich verdient zu haben mir bewusst war) da Sie so ganz berechtigt waren auf meine wärmste Dankbarkeit zu zählen, da Sie so viel für uns gethan hatten! Mich dünkt man müßte eigentlich dem, der uns Verpflichtungen hat, mit verdoppelter Schonung begegnen, weil diese Verpflichtung ihm sonst zum drückenden Gefühl werden dürfte. Von Herzen gern fühl ich mich dankbar ergeben aber das Bewusstseyn als ließe ich mir irgend etwas um irgend einen Preis gefallen, das erdulde ich nicht. – Ich war damals gezwungen die Gelegenheit herzureisen anzunehmen, ohne vorher Ihre Genehmigung einhohlen zu können, weil mir die Zeit nicht dazu vergönnt war. Ich hatte auf sechs Briefe die ich Ihnen geschrieben (in dem letzten hatte ich, wann ich mich recht erinnere zu verstehen gegeben, daß ich bey Friedrich zu seyn wünschte) gar keine Antwort erhalten, ich hatte also auch keinen Grund anzunehmen, als könnten Sie noch aus einer andern Ursache gegen meine Herreise seyn, als wegen der großen [5] Unkosten; da ich nun ohne große Kosten herzureisen Gelegenheit fand, und diese Reise auch ohne fremde Beihülfe bestreiten konnte, so wäre es ja ungereimt gewesen, die Gelegenheit ungenützt vorübergehen zu lassen. Lieber Wilhelm, es ist nun alles wieder gut, ein paar gütige Worte von Ihnen haben mich ganz wieder beruhigt; kein Wort weiter davon, als noch eine einzige Bitte: Seyn Sie mir gut, und haben Sie Zutrauen zu mir; nicht der Ausgang einer Sache lenke Ihr Urtheil über mich, sondern nur meine Absicht! Wie auch je das Glück mir einen günstigen oder ungünstigen Ausgang bei meinem Vorhaben zuwenden mag, meine Absichten werden nie anderst gefunden werden als treu und einzig nur bedacht für den Vortheil des theuren geliebten Mannes, dem ich bis in den Tod ergeben bleibe. Der Ausgang krönt die Sache nur in den Augen des Haufens – die That allein liegt in unsre Hand, der Ausgang steht in der Hand Gottes – und so glauben Sie mir mein theurer Bruder, es war nothwendig und recht her zu reisen, und ich würde es nicht bereut haben, auch wenn der Ausgang dieser gewagten Reise nicht günstig gewesen wäre. Und so wie die Sachen sich jetzt gewendet haben [6] wer kann noch jetzt für einen glücklichen Erfolg stehen? Und doch war es recht gethan zu haben was er that, das werden Sie mir gewiß zugeben.
Gott seegne Sie für das was Sie für die Mutter thun, Sie erfüllen alle unsre Pflichten mit; ich kann nur Ihnen herzlich danken und für Ihr Wohlergehen beten.
Leben Sie wohl lieber guter Wilhelm, schreiben Sie mir doch einmal wieder, Ihre Briefe sind mir in meiner Abgeschiedenheit doppelt werth. Ich bitte Sie mich dem Andenken der Frau von Stael zu empfehlen. Albert grüße ich recht von Herzen, ich denke noch jeden Sonntag um 12 Uhr an ihn, und meine immer ich müßte ihn mit seinem Schwerdt über den Gang rasseln hören. Leben Sie wohl.
Ihre D[orothea] S[chlegel].
[1] Wien den 31ten Mai [18]09
Mein theurer Bruder, ich habe diesen Morgen Ihren Brief vom 13ten April erhalten, eben als ich mit mir zu Rathe gieng durch welchen Umweg ich Ihnen ein Lebenszeichen von mir geben könnte. Die Ankunft Ihres Briefes lehrte mich daß die ordentlichen Postwege wieder frey seyn. Ich lebe wirklich noch, und bin ziemlich gesund, das ist Alles was ich Ihnen von mir sagen kann.
Friedrich habe ich auf 24 Stunden hier gesehen; seit den 7ten ist er wieder zu seinem Herrn zurück, mit dem es gar nicht so schlecht steht als man uns vorreden will; er hat zwar heftige Schmerzen aber seine gute kräftige Natur reißt ihn ganz gewiß wieder durch, besonders dürfen wir nach der letzten günstig ausgefallnen Crisis die besten Hoffnungen fassen, und uns von den freilich furchtbaren aeußern Erscheinungen der Krankheit nicht irre machen lassen. Von Friedrich selbst habe ich seit seiner Abreise keine Nachricht weiter; ich hoffe es soll ihm gut gehen. Ich habe es verschmäht Wien zu verlassen, obgleich ich hätte Gelegenheit dazu finden können; jetzt ist meine Lage, so getrennt von Allem was mir theuer ist, zwar gar nicht angenehm aber ich finde eine Art von Beruhigung darin es bei dieser Gelegenheit nicht besser zu haben, als [2] andre ehrliche Leute; die bestimmte Hoffnung daß diese ängstliche Lage nicht gar lange mehr dauern kann, erhält mich. Ich lebe während der Zeit bei der Baronin Arnstein, die mich mit ungemeiner Gastfreundlichkeit bei sich aufgenommen hat; bei der Seltenheit und Theurung der Lebensmittel ist mir dies eine große Hülfe; Sie dürfen also in keiner Sorge um meinetwillen seyn. Friedrich und Sie haben hier viele thätige und wahrhafte Freunde, die mich auf jeden Fall schützen und unterstützen. Apropos von Freunden: unter sehr vielen beiderlei Geschlechts die mich sehr oft baten sie Ihnen zu empfehlen war auch M[a]d[a]me Bertôt, cidevant Nuis, die sich Ihrer immer mit Zärtlichkeit erinnerte; Sie werden es wahrscheinlich schon wissen daß sie ihren Begleiter den Herrn Bertôt geheyrathet hat, der ihr den Vortheil verschaft, ganz aufs neue wieder als junge Frau zu erscheinen; sie ist auch emigrirt, und wir wissen nicht wohin sie sich gewandt hat, denn sie musste die Stadt ganz plötzlich und unerwartet verlassen. Graf Johann Odonell war auf einige Tage hier, und ist am 9ten wieder fortgegangen; er war bis dahin glücklich und gesund, auch sein Neffe; seitdem haben wir keine Nachricht von ihnen; den Grafen Johann liebe ich sehr, es würde mich ungemein schmerzen, wenn ihm ein Unfall geschähe; wir sprachen diesen Winter [3] viel von Ihnen, und von der Frau v. Stael, er ist Ihr warmer Freund. – Sollten die Exemplare Ihres Werkes hier anlangen so werde ich sie in Empfang nehmen, und bis zur glücklichern Zeit der Vertheilung aufbewahren. Wann wird man sich wieder einmal auf eine ordentliche Lectüre freuen dürfen? Das Leben selbst, und noch dazu ein gar nicht angenehmes Leben verschlingt jedes andre Interesse – wenn diese Lage noch lange dauern sollte, – in der wir des Morgens nichts thun können als uns zu sorgen wo man etwas zu essen hernimmt, und ist diese Sorge auf 24 Stunden gehoben, nun auf Nachrichten warten, und jede, sie sey wahr oder falsch mit wahrem Heishunger ergreifen – so werden wir bald sämmtlich wohl noch etwas dümmer als gewöhnlich werden, und von Poesie und Litteratur wird nur wie von einer verschollnen Sage die Rede seyn. Wäre es nicht ein Verbrechen jetzt an die eignen Wünsche, und an das persönliche Wohlbehagen zu denken, so würde ich mich zu Ihnen und zu der Frau v. Stael am Ufer des Sees hinsehnen... aber das sind Träume, bei denen ich es auf Minuten zu vergessen suche daß ich die schönen Tage des Frühlings, vom Kriege umringt, in der Stadt Wien streng eingeschlossen, und getrennt von allem was mir auf Erden lieb ist, muß verschleichen lassen.
[4] Ich will nicht leugnen, daß ich etwas empfindlich darüber war, daß Sie, ein Mann der immer die liebenswürdigste Schonung, und die feinste Delikatesse im Umgang mit Frauen zu beobachten, sich zu einem dauernden Gesetz gemacht hat, daß Sie gerade mich so unschonend behandeln wollten; um so schmerzlicher traf mich diese Auszeichnung (die auf keinen Fall ich verdient zu haben mir bewusst war) da Sie so ganz berechtigt waren auf meine wärmste Dankbarkeit zu zählen, da Sie so viel für uns gethan hatten! Mich dünkt man müßte eigentlich dem, der uns Verpflichtungen hat, mit verdoppelter Schonung begegnen, weil diese Verpflichtung ihm sonst zum drückenden Gefühl werden dürfte. Von Herzen gern fühl ich mich dankbar ergeben aber das Bewusstseyn als ließe ich mir irgend etwas um irgend einen Preis gefallen, das erdulde ich nicht. – Ich war damals gezwungen die Gelegenheit herzureisen anzunehmen, ohne vorher Ihre Genehmigung einhohlen zu können, weil mir die Zeit nicht dazu vergönnt war. Ich hatte auf sechs Briefe die ich Ihnen geschrieben (in dem letzten hatte ich, wann ich mich recht erinnere zu verstehen gegeben, daß ich bey Friedrich zu seyn wünschte) gar keine Antwort erhalten, ich hatte also auch keinen Grund anzunehmen, als könnten Sie noch aus einer andern Ursache gegen meine Herreise seyn, als wegen der großen [5] Unkosten; da ich nun ohne große Kosten herzureisen Gelegenheit fand, und diese Reise auch ohne fremde Beihülfe bestreiten konnte, so wäre es ja ungereimt gewesen, die Gelegenheit ungenützt vorübergehen zu lassen. Lieber Wilhelm, es ist nun alles wieder gut, ein paar gütige Worte von Ihnen haben mich ganz wieder beruhigt; kein Wort weiter davon, als noch eine einzige Bitte: Seyn Sie mir gut, und haben Sie Zutrauen zu mir; nicht der Ausgang einer Sache lenke Ihr Urtheil über mich, sondern nur meine Absicht! Wie auch je das Glück mir einen günstigen oder ungünstigen Ausgang bei meinem Vorhaben zuwenden mag, meine Absichten werden nie anderst gefunden werden als treu und einzig nur bedacht für den Vortheil des theuren geliebten Mannes, dem ich bis in den Tod ergeben bleibe. Der Ausgang krönt die Sache nur in den Augen des Haufens – die That allein liegt in unsre Hand, der Ausgang steht in der Hand Gottes – und so glauben Sie mir mein theurer Bruder, es war nothwendig und recht her zu reisen, und ich würde es nicht bereut haben, auch wenn der Ausgang dieser gewagten Reise nicht günstig gewesen wäre. Und so wie die Sachen sich jetzt gewendet haben [6] wer kann noch jetzt für einen glücklichen Erfolg stehen? Und doch war es recht gethan zu haben was er that, das werden Sie mir gewiß zugeben.
Gott seegne Sie für das was Sie für die Mutter thun, Sie erfüllen alle unsre Pflichten mit; ich kann nur Ihnen herzlich danken und für Ihr Wohlergehen beten.
Leben Sie wohl lieber guter Wilhelm, schreiben Sie mir doch einmal wieder, Ihre Briefe sind mir in meiner Abgeschiedenheit doppelt werth. Ich bitte Sie mich dem Andenken der Frau von Stael zu empfehlen. Albert grüße ich recht von Herzen, ich denke noch jeden Sonntag um 12 Uhr an ihn, und meine immer ich müßte ihn mit seinem Schwerdt über den Gang rasseln hören. Leben Sie wohl.
Ihre D[orothea] S[chlegel].
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