• Wilhelm von Humboldt to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Bonn · Date: 08.04.1823
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Wilhelm von Humboldt
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 08.04.1823
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Briefwechsel zwischen Wilhelm von Humboldt und August Wilhelm Schlegel. Hg. v. Albert Leitzmann. Halle 1908, S. 134‒141.
  • Incipit: „[1] Berlin, den 8. April, 1823.
    Ew. Hochwohlgebohrnen sage ich meinen freundschaftlichsten Dank für Ihren gütigen und belehrenden Brief vom 21. vorigen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Bonn, Universitäts- und Landesbibliothek
  • OAI Id: 1732855
  • Classification Number: S 507 : 10
  • Provenance: Betr. u.a. den Druck der Abhandlung Humboldts im 4. Heft der Indischen BibliothekGeschenk August Wilhelm von Schlegels an die Universitätsbibliothek Bonn (s. A. Klette und I. Staender, Chirographorum in Bibliotheca Academica Bonnensi servatorum catalogus, Bd. II, Bonn 1858-1876, S. 152).
  • Number of Pages: 7 e. S.
  • Format: 25 x 21,2 cm.
  • Particularities: Der Brief ist als Nr. 10 mit weiteren 26 Briefen Wilhelm von Humboldts an August Wilhelm von Schlegel in einen braunen marmorierten Pappeinband des 19. Jhs. eingebunden (Nr. 5: Brief von August Wilhelm von Schlegel an Wilhelm von Humboldt).
    Language
  • German
  • Sanskrit
[1] Berlin, den 8. April, 1823.
Ew. Hochwohlgebohrnen sage ich meinen freundschaftlichsten Dank für Ihren gütigen und belehrenden Brief vom 21. vorigen Monats. Ich habe ihn mit dem größesten Vergnügen gelesen, und die darin angeführten Sanskritstellen genau verglichen. Für die gütige Sorgfalt, die Sie meiner Abhandlung widmen, bin ich Ihnen ungemein verbunden, es thut mir aber sehr leid, daß ich sehe, daß sie Ihnen so viele Mühe mit dem Setzen der Indischen Stellen macht. Sie verdient wirklich nicht die Auszeichnung, daß Sie selbst dabei Hand an das Werk legen. Indeß kann ich mir freilich denken, daß es sehr schwer seyn muß, schon jetzt diesen Druck Setzern anzuvertrauen. Haben Sie wohl den Bernsteinschen Anfang des Hitopadesa gesehen? für Steindruck nimmt es sich ganz artig aus. Doch kann man immer nur von beweglichen Lettern wahre Fortschritte im Drucken von Sanskrit Werken erwarten. Vom Seinigen scheint in diesem Abdruck, die Wortabtheilung ausgenommen, wenig hinzugethan, und eine wörtliche Uebersetzung wäre in der That wünschenswerth gewesen, da die Englischen gar nicht zu brauchen sind. Auf der ersten Seite gleich hat er zwar Wilkins hitôpadês͗âyaṇ verworfen, aber sein minus recte ließe sich vielleicht besser auf das von ihm, ohne Elisionszeichen gesetzte -dês͗ôyaṇ anwenden. Denn Wilkins Lesart scheint mir ganz falsch, da aḥ mit einem andern a nicht in ein langes übergehen kann. Ew. Hochwohlgebohrnen aber, nicht wahr, billigen auch nicht die Weglassung der Elisionszeichen, besonders wenn man sie, wie Bernstein thut, manchmal setzt, manchmal ausläßt? In der Calcutter Ausgabe des Ramayana ist dies zwar auch [2] der Fall, allein diese dürfte auch nicht nachzuahmen seyn.
Auf den Bhagavad-Gîtâ bin ich überaus begierig, und denke mich, vorzüglich wenn ich ihn von hier in einigen Wochen zu erhalten das Glück haben kann, diesen Sommer damit zu beschäftigen. Ein mit solcher Kenntniß und Sorgfalt bearbeitetes Werk recht wiederholt und gründlich zu studiren, ist unstreitig die beste Manier eine Sprache zu erlernen, und dies habe ich mir vorgesetzt damit zu thun. Da ich doch durch andre Dinge verhindert werde, mich fast ausschließlich mit dem Sanskrit zu beschäftigen, muß ich doch auf eine ausgebreitete Lectüre Verzicht leisten, und möchte lieber die Sprache und grammatische Form in wenigen, aber oft wiedergelesenen Büchern studiren.
Es hat mich sehr gefreut, daß etwas, das ich über den Locativus im Hitopadesa gesagt hatte, mir eine so schöne Uebersetzung eines Distichon verschafft hat. Ich bin überzeugt, daß, wenn Ew. Hochwohlgebohrnen es der Mühe werth hielten, Stücke in dem Originalsilbenmasse zu übersetzen, es Ihnen vortreflich gelingen würde, und dann ist dies Silbenmaß für eigentliche Uebersetzungen doch passender, als der Hexameter. Dieser scheint mir immer zu sehr an das Griechische Epos zu erinnern, und der Unterschied zwischen diesem und dem Indischen ist gerade im höchsten Grade interessant. Das letzte kommt mir, wenige Stellen ausgenommen, immer mehr didaktisch und lyrisch, als wahrhaft episch vor, und wenn man einzelne Stellen beachtet und analysirt, so findet man ganze Verse, wo die Wörter aus lauter fast metaphysischen Ideen zusammengesetzt sind. Ueberhaupt ist, wenn ich mich nicht irre, eine viel größere Masse abstrakter, oder rein logischer Begriffe und Wortelemente, als anschaulicher und sinnlicher. In Homer und den Griechen ist es gerade umgekehrt. Es ist dies freilich auch natürlich. Denn das Indische Epos ist doch immer zugleich, oft ganz heiliger Natur, Krieg und Heldensinn spielen eine untergeordnete Rolle darin, und das um welches sich Alles dreht, ist Brahmanen Heiligkeit, und [3] abgezognes Nachdenken. Diese objective Beschaffenheit wirkt auf die subjective Stimmung des Dichters, der nun auch mehr raisonnirt und Empfindungen darstellt, als schildert und erzählt. Es wäre sehr interessant, nur aus dem jetzt gedruckten Theil des Ramayana eine Sammlung wirklich schön zusammengesetzter metaphysischer Ausdrücke zu machen.
Ew. Hochwohlgebohrnen legen die Analyse der 12 ersten Seiten des Hitopadesa, die ich auch besitze, dem Professor Haughton bei. Bopp sagte mir immer, sie sey von Hamilton, er sehe aber nicht gern, daß man es sage, weil er selbst fühle, daß die Arbeit schwach sey. Auf Manus Gesetze machen mich Ew. Hochwohlgebohrnen sehr begierig. Ich habe noch gar nichts davon gelesen.
Das Asiatische Journal enthält recht viel sehr interessante Dinge, allein, wie Sie richtig vermuthen, gar nichts für die Indische Literatur. Sehr merkwürdig sind die Versuche der Entzifferung der Persepolitanischen und Aegyptisch hieratischen Schrift. Man scheint da doch dem Geheimniß viel näher zu kommen.
Der Druck des ganzen Ramayana ist freilich ein langes Unternehmen. Es wäre aber auch ein sehr schönes. Ich besitze auch vom jetzt Gedruckten leider nur den 1. und 3. Theil, und als ich die Abhandlung schrieb, wo ich größtentheils auf dem Lande war, hatte ich nur den ersten.
Ew. Hochwohlgebohrnen sind sehr gütig, nach meinen Amerikanischen Untersuchungen zu fragen. Wenn man, wie ich doch für nöthig halte, Alles im Détail verfolgen will, ist es eine mühsame und langsame Arbeit. Doch bin ich mit den einzelnen Grammatiken, deren ich einige zwanzig gemacht, bis auf wenige fertig. Zu den Wörterbüchern hat man leider noch weniger Materialien, ausführliche eigentlich nur von vier Sprachen. Mit diesem Theil wird man also eher fertig. Bis zu Ende des Jahres hoffe ich alle Vorarbeiten vollendet zu haben, und dann an das Werk selbst gehen zu können. Ich werde es aber nicht übereilen, in Sprachuntersuchungen kann man nie zu viel zusammenfassen, und da man doch [4] immer zulernt, so bringt ein Verstreichen von einigen Jahren immer Gewinn. Ich glaube aber gewiß, daß eine vollständige und aus dem richtigen Gesichtspunkt gemachte Darstellung der Amerikanischen Sprachen viele Aufklärungen über den Bau und die Entstehung der Sprachen geben muß. Es sind soviel Naturspecimina von Sprachen, anders gebildet, als die unsrigen, mehr.
Die Versversetzungen, welche Sie für einige Stellen des Nalas vorschlagen, haben meine völligste Zustimmung, und ebenso auch die von Bopp, dem ich Ihren Brief mittheilte. Es steht nur an, ob man in Stellen, wo, wie hier, die Handschriften mit Bengalischer und Devanagari Schrift übereinstimmen, sich solche Aenderungen erlauben dürfe. s͗akyasê hat er in der Stelle XI. 4–6. nicht für das Passivum genommen, sondern geglaubt, daß sich die Bedeutung des Verbum 4. Conjugation mit dem Infinitiv vereinigen lasse.
Mich über die Nischadas zu belehren, haben Ew. Hochwohlgebohrnen mir einen wahren Dienst erwiesen. Auch mir war nie deutlich, wie man auf einige Stellen den Castenbegriff anwenden konnte.
Was Sie von den Verben des Wollens sagen, bestätigt meine Bemerkung, wie es mir scheint. Denn in was͗a liegt doch auch der Nebenbegriff der Macht, des Ansehens. Was ich aber sagen wollte, ist gerade, daß es kein Verbum im Indischen giebt, welches bloß und einfach wollen anzeigte, ohne nicht auch (nicht gerade an jeder einzelnen Stelle, aber überhaupt) einen Nebenbegriff zu haben. Ich wünschte aber sehr, Sie fügten das von Ihnen Angeführte in Ihrem Namen bei, indem es die Sache offenbar vervollständigt. Daß Wilkins auch bei was͗ wish, desire hat, muß man wohl nicht so genau nehmen, wie Vieles bei ihm.
In Note 35. §. 12. über das Können bitte ich Sie das Ende von Der reine Begriff u. s. f. an wegzulassen. Zwar glaube ich, daß man in dem Infinitivus passivi doch dem s͗ak seine passive Form anrechnen muß. Denn ich halte nicht dafür, daß man sie gewissermaßen auf den Infinitiv übertragen kann. Der Infinitiv wird, meines Erachtens, nicht activ, noch passiv, aber das ihn regierende [5] Verbum wird in einer Bedeutung genommen, in welcher nun, nach Art unsrer Sprachen, ein passiver Infinitiv hervorkommt. Allein die Paar in der Note gesagten Worte klären die Sache nicht genug auf, und sie ist überhaupt schwer aufzuklären, da es ein sehr eigner Gebrauch ist. Wie ich es mir denke, ist es folgendermaßen. Der Indische Infinitiv ist kein eigentlicher, der, als solcher, nothwendig ein Activum und Passivum haben müßte, sondern ein Gerundium, das, seiner Natur nach, weder activ noch passiv, sondern gegen diese Kategorie der grammatischen Form gleichgültig ist. Nun verbindet man im Sanskrit mit diesem gleichgültigen Gerundium das Können im Activum und Passivum. Können kann aber auch kein Passivum haben, das Können im Activum heißt also im Sanskrit angenommener Maßen ausschließlich eine Fähigkeit zu thun, im Passivum eine Fähigkeit zu leiden. Wird nun das Gerundium mit der Fähigkeit zu leiden verbunden, so ist in einer Sprache, die einen Infinitivus passivi hat, eine solche Redensart am besten durch diesen zu übersetzen. In der Stelle Nalas XX. 5 heißt es, wörtlich übersetzt, nicht: das Kleid kann nicht wiedergebracht werden, sondern das Kleid ist nicht fähig das Wiederbringen zu erleiden. Dies zu erleiden drückt die passive Form des Könnens aus. Sehr deutlich wird dies in dem Gegensatz der Stellen im Nalas XIV. 7. a. und XXVI. 21. a. In der ersten steht s͗aktô’ smi, fähig zu thun, in der andern s͗akyâ, fähig zu erfahren. Das Sehen in der letzten Stelle bleibt immer dasselbe, man mag s͗akyâ oder s͗aktâ setzen, allein im ersten Fall erleidet Damayanti es, im andern thut sie es, oder ist vielmehr fähig es zu leiden, oder zu thun. Man könnte aus diesen passiven Redensarten eine Einwendung gegen die Behauptung, daß der Sanskrit Infinitiv ein Accusativus sey, hernehmen, indem man sagte, daß sich ein solcher von einem Passivum nicht regieren lasse, aber dies wäre gewiß unrichtig. Der Accusativ kann bei dieser Fähigkeit zu leiden sehr gut stehen, und würde in andern Sprachen durch eine Praeposition erläutert werden. s͗aktaḥ und s͗akyaḥ kommen dem lateinischen potis gleich, das den Unterschied jener durch den Infinitivus activi und passivi ausdrückt. Nun regiert potis in der Regel freilich den Infinitiv, [6] allein bisweilen auch den Accusativus. So bei Varro: ut videamus quid pastores potis sunt. Dies kommt der Sanskrit Redensart sehr nahe. Von s͗akyaḥ mag dann derselbe Gebrauch auf das Verbum übergetragen seyn.
Immer aber bleibt dies active und passive können logisch unrichtig. Denn das Können ist immer eine Kraft und also eher der Natur eines Activums, selbst wenn dies Können auf ein Leiden gerichtet ist.
Ew. Hochwohlgebornen sind sehr gütig in Note 31. §. 8. von einem kleinen Misverständniß zu sprechen, wo ein großes Versehen ist. Von einem sichtbaren Participium activi wie von einem Participium passivi zu sprechen, ist eine der unbegreiflichen Verblendungen, die Gottlob nur wenigen Menschen, mir aber leider nur zu oft begegnen. Ich sehe mit vorgefaßter Meinung eine Stelle an, und werde dann bisweilen den offenbarsten Irrthum nicht gewahr. Denn sonst war es unmöglich pârayataḥ nicht für den Genitiv anzusehen, und daß er es nicht nach der 1. Declination seyn konnte, fiel auch in die Augen. Sie werden wenigstens finden, daß meine Bitte an Sie, ja zu prüfen, ob nicht irgendwo ein arger Verstoß gemacht sey, nicht überflüssig war, und aus richtiger Selbstkenntniß floß. Ich danke Ihnen ausnehmend mir erspart zu haben, damit vor dem Publicum zu erscheinen, und bitte Sie in der Note 31. die ganze Stelle: Auf gleiche Weise erkläre ich – in der intransitiven der ursprünglichen. wegzulassen. Ich würde diese Bitte auf die ganze Note ausdehnen, wenn ich das nicht für wichtig hielte, andre auf genauere Erörterung dieses wirklich schwierigen Punkts aufmerksam zu machen. Dies scheint mir überhaupt der Nutzen, den meine Abhandlung haben kann, mehrere Fragen anzuregen, auf die man in der bisherigen Art, das Sanskrit zu treiben, weniger gekommen war.
Ew. Hochwohlgebornen werden von dem Unglück des armen Wilken gehört haben. Leider dauert seine Geistesverrückung noch fort, und da in 3 Tagen alle sogenannten kritischen Tage vorüber seyn werden, und er kein Fieber mehr hat, so tritt nun die Besorgniß ein, daß das Uebel chronisch werden kann. Wenn man sieht, daß ein ruhiger, besonnener, gelehrter Mann so plötzlich durch [7] zurückgetretene Gicht, oder was es sonst sey, um seinen Verstand kommen kann, so sollte man glauben, daß der Natur vielmehr an ihren chemischen Operationen im Körper und der Welt, als an dem Verstande der Menschen gelegen sey.
Leben Sie herzlich wohl, und lassen Sie mich bald hören, daß der Frühling jede der Klagen verscheucht hat, die Ihr Brief über Ihre Gesundheit enthält. Ich bin sehr wohl, und habe auch von dem Winter wenig gelitten, allein mich ihm auch fast nicht ausgesetzt. Mit der hochachtungsvollsten Freundschaft
der Ihrige,
Humboldt.
[8]
[1] Berlin, den 8. April, 1823.
Ew. Hochwohlgebohrnen sage ich meinen freundschaftlichsten Dank für Ihren gütigen und belehrenden Brief vom 21. vorigen Monats. Ich habe ihn mit dem größesten Vergnügen gelesen, und die darin angeführten Sanskritstellen genau verglichen. Für die gütige Sorgfalt, die Sie meiner Abhandlung widmen, bin ich Ihnen ungemein verbunden, es thut mir aber sehr leid, daß ich sehe, daß sie Ihnen so viele Mühe mit dem Setzen der Indischen Stellen macht. Sie verdient wirklich nicht die Auszeichnung, daß Sie selbst dabei Hand an das Werk legen. Indeß kann ich mir freilich denken, daß es sehr schwer seyn muß, schon jetzt diesen Druck Setzern anzuvertrauen. Haben Sie wohl den Bernsteinschen Anfang des Hitopadesa gesehen? für Steindruck nimmt es sich ganz artig aus. Doch kann man immer nur von beweglichen Lettern wahre Fortschritte im Drucken von Sanskrit Werken erwarten. Vom Seinigen scheint in diesem Abdruck, die Wortabtheilung ausgenommen, wenig hinzugethan, und eine wörtliche Uebersetzung wäre in der That wünschenswerth gewesen, da die Englischen gar nicht zu brauchen sind. Auf der ersten Seite gleich hat er zwar Wilkins hitôpadês͗âyaṇ verworfen, aber sein minus recte ließe sich vielleicht besser auf das von ihm, ohne Elisionszeichen gesetzte -dês͗ôyaṇ anwenden. Denn Wilkins Lesart scheint mir ganz falsch, da aḥ mit einem andern a nicht in ein langes übergehen kann. Ew. Hochwohlgebohrnen aber, nicht wahr, billigen auch nicht die Weglassung der Elisionszeichen, besonders wenn man sie, wie Bernstein thut, manchmal setzt, manchmal ausläßt? In der Calcutter Ausgabe des Ramayana ist dies zwar auch [2] der Fall, allein diese dürfte auch nicht nachzuahmen seyn.
Auf den Bhagavad-Gîtâ bin ich überaus begierig, und denke mich, vorzüglich wenn ich ihn von hier in einigen Wochen zu erhalten das Glück haben kann, diesen Sommer damit zu beschäftigen. Ein mit solcher Kenntniß und Sorgfalt bearbeitetes Werk recht wiederholt und gründlich zu studiren, ist unstreitig die beste Manier eine Sprache zu erlernen, und dies habe ich mir vorgesetzt damit zu thun. Da ich doch durch andre Dinge verhindert werde, mich fast ausschließlich mit dem Sanskrit zu beschäftigen, muß ich doch auf eine ausgebreitete Lectüre Verzicht leisten, und möchte lieber die Sprache und grammatische Form in wenigen, aber oft wiedergelesenen Büchern studiren.
Es hat mich sehr gefreut, daß etwas, das ich über den Locativus im Hitopadesa gesagt hatte, mir eine so schöne Uebersetzung eines Distichon verschafft hat. Ich bin überzeugt, daß, wenn Ew. Hochwohlgebohrnen es der Mühe werth hielten, Stücke in dem Originalsilbenmasse zu übersetzen, es Ihnen vortreflich gelingen würde, und dann ist dies Silbenmaß für eigentliche Uebersetzungen doch passender, als der Hexameter. Dieser scheint mir immer zu sehr an das Griechische Epos zu erinnern, und der Unterschied zwischen diesem und dem Indischen ist gerade im höchsten Grade interessant. Das letzte kommt mir, wenige Stellen ausgenommen, immer mehr didaktisch und lyrisch, als wahrhaft episch vor, und wenn man einzelne Stellen beachtet und analysirt, so findet man ganze Verse, wo die Wörter aus lauter fast metaphysischen Ideen zusammengesetzt sind. Ueberhaupt ist, wenn ich mich nicht irre, eine viel größere Masse abstrakter, oder rein logischer Begriffe und Wortelemente, als anschaulicher und sinnlicher. In Homer und den Griechen ist es gerade umgekehrt. Es ist dies freilich auch natürlich. Denn das Indische Epos ist doch immer zugleich, oft ganz heiliger Natur, Krieg und Heldensinn spielen eine untergeordnete Rolle darin, und das um welches sich Alles dreht, ist Brahmanen Heiligkeit, und [3] abgezognes Nachdenken. Diese objective Beschaffenheit wirkt auf die subjective Stimmung des Dichters, der nun auch mehr raisonnirt und Empfindungen darstellt, als schildert und erzählt. Es wäre sehr interessant, nur aus dem jetzt gedruckten Theil des Ramayana eine Sammlung wirklich schön zusammengesetzter metaphysischer Ausdrücke zu machen.
Ew. Hochwohlgebohrnen legen die Analyse der 12 ersten Seiten des Hitopadesa, die ich auch besitze, dem Professor Haughton bei. Bopp sagte mir immer, sie sey von Hamilton, er sehe aber nicht gern, daß man es sage, weil er selbst fühle, daß die Arbeit schwach sey. Auf Manus Gesetze machen mich Ew. Hochwohlgebohrnen sehr begierig. Ich habe noch gar nichts davon gelesen.
Das Asiatische Journal enthält recht viel sehr interessante Dinge, allein, wie Sie richtig vermuthen, gar nichts für die Indische Literatur. Sehr merkwürdig sind die Versuche der Entzifferung der Persepolitanischen und Aegyptisch hieratischen Schrift. Man scheint da doch dem Geheimniß viel näher zu kommen.
Der Druck des ganzen Ramayana ist freilich ein langes Unternehmen. Es wäre aber auch ein sehr schönes. Ich besitze auch vom jetzt Gedruckten leider nur den 1. und 3. Theil, und als ich die Abhandlung schrieb, wo ich größtentheils auf dem Lande war, hatte ich nur den ersten.
Ew. Hochwohlgebohrnen sind sehr gütig, nach meinen Amerikanischen Untersuchungen zu fragen. Wenn man, wie ich doch für nöthig halte, Alles im Détail verfolgen will, ist es eine mühsame und langsame Arbeit. Doch bin ich mit den einzelnen Grammatiken, deren ich einige zwanzig gemacht, bis auf wenige fertig. Zu den Wörterbüchern hat man leider noch weniger Materialien, ausführliche eigentlich nur von vier Sprachen. Mit diesem Theil wird man also eher fertig. Bis zu Ende des Jahres hoffe ich alle Vorarbeiten vollendet zu haben, und dann an das Werk selbst gehen zu können. Ich werde es aber nicht übereilen, in Sprachuntersuchungen kann man nie zu viel zusammenfassen, und da man doch [4] immer zulernt, so bringt ein Verstreichen von einigen Jahren immer Gewinn. Ich glaube aber gewiß, daß eine vollständige und aus dem richtigen Gesichtspunkt gemachte Darstellung der Amerikanischen Sprachen viele Aufklärungen über den Bau und die Entstehung der Sprachen geben muß. Es sind soviel Naturspecimina von Sprachen, anders gebildet, als die unsrigen, mehr.
Die Versversetzungen, welche Sie für einige Stellen des Nalas vorschlagen, haben meine völligste Zustimmung, und ebenso auch die von Bopp, dem ich Ihren Brief mittheilte. Es steht nur an, ob man in Stellen, wo, wie hier, die Handschriften mit Bengalischer und Devanagari Schrift übereinstimmen, sich solche Aenderungen erlauben dürfe. s͗akyasê hat er in der Stelle XI. 4–6. nicht für das Passivum genommen, sondern geglaubt, daß sich die Bedeutung des Verbum 4. Conjugation mit dem Infinitiv vereinigen lasse.
Mich über die Nischadas zu belehren, haben Ew. Hochwohlgebohrnen mir einen wahren Dienst erwiesen. Auch mir war nie deutlich, wie man auf einige Stellen den Castenbegriff anwenden konnte.
Was Sie von den Verben des Wollens sagen, bestätigt meine Bemerkung, wie es mir scheint. Denn in was͗a liegt doch auch der Nebenbegriff der Macht, des Ansehens. Was ich aber sagen wollte, ist gerade, daß es kein Verbum im Indischen giebt, welches bloß und einfach wollen anzeigte, ohne nicht auch (nicht gerade an jeder einzelnen Stelle, aber überhaupt) einen Nebenbegriff zu haben. Ich wünschte aber sehr, Sie fügten das von Ihnen Angeführte in Ihrem Namen bei, indem es die Sache offenbar vervollständigt. Daß Wilkins auch bei was͗ wish, desire hat, muß man wohl nicht so genau nehmen, wie Vieles bei ihm.
In Note 35. §. 12. über das Können bitte ich Sie das Ende von Der reine Begriff u. s. f. an wegzulassen. Zwar glaube ich, daß man in dem Infinitivus passivi doch dem s͗ak seine passive Form anrechnen muß. Denn ich halte nicht dafür, daß man sie gewissermaßen auf den Infinitiv übertragen kann. Der Infinitiv wird, meines Erachtens, nicht activ, noch passiv, aber das ihn regierende [5] Verbum wird in einer Bedeutung genommen, in welcher nun, nach Art unsrer Sprachen, ein passiver Infinitiv hervorkommt. Allein die Paar in der Note gesagten Worte klären die Sache nicht genug auf, und sie ist überhaupt schwer aufzuklären, da es ein sehr eigner Gebrauch ist. Wie ich es mir denke, ist es folgendermaßen. Der Indische Infinitiv ist kein eigentlicher, der, als solcher, nothwendig ein Activum und Passivum haben müßte, sondern ein Gerundium, das, seiner Natur nach, weder activ noch passiv, sondern gegen diese Kategorie der grammatischen Form gleichgültig ist. Nun verbindet man im Sanskrit mit diesem gleichgültigen Gerundium das Können im Activum und Passivum. Können kann aber auch kein Passivum haben, das Können im Activum heißt also im Sanskrit angenommener Maßen ausschließlich eine Fähigkeit zu thun, im Passivum eine Fähigkeit zu leiden. Wird nun das Gerundium mit der Fähigkeit zu leiden verbunden, so ist in einer Sprache, die einen Infinitivus passivi hat, eine solche Redensart am besten durch diesen zu übersetzen. In der Stelle Nalas XX. 5 heißt es, wörtlich übersetzt, nicht: das Kleid kann nicht wiedergebracht werden, sondern das Kleid ist nicht fähig das Wiederbringen zu erleiden. Dies zu erleiden drückt die passive Form des Könnens aus. Sehr deutlich wird dies in dem Gegensatz der Stellen im Nalas XIV. 7. a. und XXVI. 21. a. In der ersten steht s͗aktô’ smi, fähig zu thun, in der andern s͗akyâ, fähig zu erfahren. Das Sehen in der letzten Stelle bleibt immer dasselbe, man mag s͗akyâ oder s͗aktâ setzen, allein im ersten Fall erleidet Damayanti es, im andern thut sie es, oder ist vielmehr fähig es zu leiden, oder zu thun. Man könnte aus diesen passiven Redensarten eine Einwendung gegen die Behauptung, daß der Sanskrit Infinitiv ein Accusativus sey, hernehmen, indem man sagte, daß sich ein solcher von einem Passivum nicht regieren lasse, aber dies wäre gewiß unrichtig. Der Accusativ kann bei dieser Fähigkeit zu leiden sehr gut stehen, und würde in andern Sprachen durch eine Praeposition erläutert werden. s͗aktaḥ und s͗akyaḥ kommen dem lateinischen potis gleich, das den Unterschied jener durch den Infinitivus activi und passivi ausdrückt. Nun regiert potis in der Regel freilich den Infinitiv, [6] allein bisweilen auch den Accusativus. So bei Varro: ut videamus quid pastores potis sunt. Dies kommt der Sanskrit Redensart sehr nahe. Von s͗akyaḥ mag dann derselbe Gebrauch auf das Verbum übergetragen seyn.
Immer aber bleibt dies active und passive können logisch unrichtig. Denn das Können ist immer eine Kraft und also eher der Natur eines Activums, selbst wenn dies Können auf ein Leiden gerichtet ist.
Ew. Hochwohlgebornen sind sehr gütig in Note 31. §. 8. von einem kleinen Misverständniß zu sprechen, wo ein großes Versehen ist. Von einem sichtbaren Participium activi wie von einem Participium passivi zu sprechen, ist eine der unbegreiflichen Verblendungen, die Gottlob nur wenigen Menschen, mir aber leider nur zu oft begegnen. Ich sehe mit vorgefaßter Meinung eine Stelle an, und werde dann bisweilen den offenbarsten Irrthum nicht gewahr. Denn sonst war es unmöglich pârayataḥ nicht für den Genitiv anzusehen, und daß er es nicht nach der 1. Declination seyn konnte, fiel auch in die Augen. Sie werden wenigstens finden, daß meine Bitte an Sie, ja zu prüfen, ob nicht irgendwo ein arger Verstoß gemacht sey, nicht überflüssig war, und aus richtiger Selbstkenntniß floß. Ich danke Ihnen ausnehmend mir erspart zu haben, damit vor dem Publicum zu erscheinen, und bitte Sie in der Note 31. die ganze Stelle: Auf gleiche Weise erkläre ich – in der intransitiven der ursprünglichen. wegzulassen. Ich würde diese Bitte auf die ganze Note ausdehnen, wenn ich das nicht für wichtig hielte, andre auf genauere Erörterung dieses wirklich schwierigen Punkts aufmerksam zu machen. Dies scheint mir überhaupt der Nutzen, den meine Abhandlung haben kann, mehrere Fragen anzuregen, auf die man in der bisherigen Art, das Sanskrit zu treiben, weniger gekommen war.
Ew. Hochwohlgebornen werden von dem Unglück des armen Wilken gehört haben. Leider dauert seine Geistesverrückung noch fort, und da in 3 Tagen alle sogenannten kritischen Tage vorüber seyn werden, und er kein Fieber mehr hat, so tritt nun die Besorgniß ein, daß das Uebel chronisch werden kann. Wenn man sieht, daß ein ruhiger, besonnener, gelehrter Mann so plötzlich durch [7] zurückgetretene Gicht, oder was es sonst sey, um seinen Verstand kommen kann, so sollte man glauben, daß der Natur vielmehr an ihren chemischen Operationen im Körper und der Welt, als an dem Verstande der Menschen gelegen sey.
Leben Sie herzlich wohl, und lassen Sie mich bald hören, daß der Frühling jede der Klagen verscheucht hat, die Ihr Brief über Ihre Gesundheit enthält. Ich bin sehr wohl, und habe auch von dem Winter wenig gelitten, allein mich ihm auch fast nicht ausgesetzt. Mit der hochachtungsvollsten Freundschaft
der Ihrige,
Humboldt.
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