• August Ludwig Hülsen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Fehrbellin-Lentzke · Place of Destination: Jena · Date: 08.07.1799
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Ludwig Hülsen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Fehrbellin-Lentzke
  • Place of Destination: Jena
  • Date: 08.07.1799
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Flitner, Willy: August Ludwig Hülsen und der Bund der freien Männer. Jena 1913, S. 102‒104.
  • Incipit: „[1] Lentzke d. 8t Juli 99
    Ihren schönen und langen Brief vom 8t März habe ich vor 4 Wochen endlich erhalten, und [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-33865
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.11,Nr.12
  • Number of Pages: 8S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 17,1 x 9,9 cm
    Language
  • German
[1] Lentzke d. 8t Juli 99
Ihren schönen und langen Brief vom 8t März habe ich vor 4 Wochen endlich erhalten, und ich würde nicht gesäumt haben, Ihnen schon längst dafür meinen freundschaftlichsten Dank zu sagen, wenn meine gegenwärtige Lage und die nöthige Pflege meines Gartens mich nicht immer daran verhindert hätten. Da ich soeben ein längeres Schreiben an Ihren Bruder vollendet habe, so kann ich auch jetzt nicht mehr das Vergnügen haben, mich so ausführlich, wie ich wünschte, mit Ihnen zu unterhalten. Es sey Ihnen aber mein Gruß eine leise und schöne Erinnerung, und ein Zusichern ganzer Ewigkeiten, die wir in freier Berührung unsrer Geister noch verleben werden. Was jeder thut auch in der möglichsten Abgezogenheit vom Menschen, thut er dennoch für diesen, und keine [2] Freude und kein höherer Gewinn wird in seinem Busen ersterben, daß sie irgend einem verlohren ginge. Jetzt leben wir in ziemlicher Ferne, und wenn ich auch wol hoffe, Sie bald wiederzusehen; so werde ich doch schwerlich lange in Ihrer Nähe seyn können. Über unsere Wirkungskreise ließe sich manches sagen. Voraussetzen kann ich aber, jeder hat den unendlichen, ewig bleibenden. Mein Geschäft stellen Sie sich aber durchaus nicht nach irgend einer Ihnen bekannten Schulform vor. Ich unterrichte freilich. Aber welcher Mensch thut das nicht, der mit Menschen ist und lebt? Stunden gebe ich also nicht, wie man das auf gut katholisch zu nennen pflegt, und das Leben mit noch unverbildeten Knaben wird mir daher eine Quelle von ganz andern Freuden, als ich von irgend einem Amte [3] im Staate erwarten konnte. Wie dem nun seyn möge, ich bin zufrieden und glücklich. Sie haben Recht, erziehen und bilden kann nur das freie Wesen sich selbst. Aber die Bedingung ist durch unser Verhältnis in der Natur gegeben: jeder kann es nur zugleich unter Menschen. Unsere Berührung soll also die seyn, daß sie die Selbstbildung beabsichtige; und so möchte ich doch nicht sagen, daß ich nicht nöthig hätte mich zu kümmern wie die Menschen mit denen ich lebe, meine Winke und Worte sich zu eigen machen wollen, weil sie das selbst zu [ver]antworten hätten. Als akademischer Lehrer auf einer christlichen Universität, können Sie freilich kaum anders sprechen. Aber eben darum halte ich diese Schule auch noch für höchst unvollkommen, und bin wohl überzeugt, daß die [4] Bildung unsers Geschlechts davon zum mindesten abhängt, und vielmehr einem Genius zugeschrieben werden muß, der überall, wo Menschen sind, still und unsichtbar wandelt, weil er durch das Geräusch leerer Formen sich nie verkündigen kann. Über die Systeme der Philosophie unterhalte ich noch immer ketzerische Gedanken. Es ist aber alles auf gutem Wege, und mein Wort soll Niemand stöhren, so wie mich selbst Niemand stöhren wird. Zuweilen wünschte ich wol das himmlische Feuer herab, und bin unwillig auf die Menschen. Aber es bleibt in meinem Busen, und sehe ich das Licht der Sonne und verliehrt mein Blick sich in jenen Bahnen, dann athme ich so frei, und sehe keine Nebel und keine stürmende Gewölke. Lange kann das Reich der Kirche nicht mehr stehen, und wo es einmal fällt, wird [5] ein neuer Himmel über uns aufgehn und kein Buchstabe den Blick auf seine Götter uns verhüllen. Leben ist bei ihnen, und Leben nur sind sie. Aber die Menschen suchen den Tod, und einer erwürgt den andern von Aristoteles bis auf Fichte.
Was Sie Früchte der Transcendental-Philosophie nennen, kenne ich nicht. Halten Sie es meiner Einfalt zu Guthe, ich sehe die Bäume an, ob sie auch Früchte tragen durch beßre Pflege der Menschen. Den Geist aber kenne ich wol, der ewig thätig ist, sich selbst zu verklähren, um den Gegenstand seiner Behandlung als sein Werk zu begreifen. Sprünge giebt es in unserm Bewußtseyn nicht [6] sondern sein Umfang ist nur Einer. Kann ich je anders philosophiert haben? Ich sehe es vielleicht nicht so deutlich; aber doch sehe ich das Eine nur und das Bleibende.
Was Sie mir über meine Naturbetrachtungen geäußert haben, ist mir schätzbar wie Freundes Wort. Ihrer Meynung bin ich aber nicht, da ich über Darstellung und ihre Kunst etwas von Ihren Grundsätzen abweiche. Ihrem Bruder habe ich darüber ein mehreres geschrieben, und er theilt es Ihnen wohl einmal mit. Sprächen Sie bloß von einer gewißen Unbehülflichkeit in meinen Sätzen und ihren Verbindungen, so könnten Sie recht haben. Ich fühle es selbst zu gut, wie wenig Gewandtheit ich darin noch habe: und fühle es ebenso [7] deutlich bei andern. Es würde mir aber schwer werden, meine Forderung begreiflich zu machen, da ich eben die Sprache selbst noch viel zu ungebildet finde. Sie beurtheilen aber in einer andern Beziehung. Sie finden meine Betrachtungen dem Wesen nach erhabene Hymnen, und fordern, daß sie es auch in der Form seyn sollten. Warum finden Sie doch jenes? Können Sie es anders als durch die Form derselben? Es wäre Ihnen anders der Reflex gar nicht möglich. Zeigen Sie mir nun eine andere Form, so weiß ich nicht, wie diese anders als in einer schönen Darstellung Gültigkeit haben sollte: und wer sie also gerade aufgenommen hat, nur für den ist sie gültig. Das ist ge[8]wiß, meine Naturbetrachtungen sind noch das Schwerste, was ich bis jetzt geschrieben habe, und ich rechne auch nicht darauf, von vielen verstanden zu werden. Mein Gefühl ist kein Taumel der Kunst, sondern Wahrheit durch innige Erhebung im lichten Anschauen meines Gegenstandes. Vielleicht schicke ich Ihnen bald einmal einen Versuch in Hexametern, und zwar in abgesetzten Reihen, wenn es die Muse nicht anders gebiethet. Auf das 4te Stück Ihres Athen[äums] bin ich sehr begierig, um der schönen Gemählde willen, die Sie uns im vorhergehenden geschenkt haben. Ich danke Ihnen für das Vergnügen, das mir die Lectüre gewährt hat, und wünsche Ihnen Muth und Gesundheit Ihr Werk zu vollenden. Empfehlen Sie mich Ihrer Caroline schönstens und bestens und leben Sie recht wohl.
Immer der Ihrige Hülsen
[1] Lentzke d. 8t Juli 99
Ihren schönen und langen Brief vom 8t März habe ich vor 4 Wochen endlich erhalten, und ich würde nicht gesäumt haben, Ihnen schon längst dafür meinen freundschaftlichsten Dank zu sagen, wenn meine gegenwärtige Lage und die nöthige Pflege meines Gartens mich nicht immer daran verhindert hätten. Da ich soeben ein längeres Schreiben an Ihren Bruder vollendet habe, so kann ich auch jetzt nicht mehr das Vergnügen haben, mich so ausführlich, wie ich wünschte, mit Ihnen zu unterhalten. Es sey Ihnen aber mein Gruß eine leise und schöne Erinnerung, und ein Zusichern ganzer Ewigkeiten, die wir in freier Berührung unsrer Geister noch verleben werden. Was jeder thut auch in der möglichsten Abgezogenheit vom Menschen, thut er dennoch für diesen, und keine [2] Freude und kein höherer Gewinn wird in seinem Busen ersterben, daß sie irgend einem verlohren ginge. Jetzt leben wir in ziemlicher Ferne, und wenn ich auch wol hoffe, Sie bald wiederzusehen; so werde ich doch schwerlich lange in Ihrer Nähe seyn können. Über unsere Wirkungskreise ließe sich manches sagen. Voraussetzen kann ich aber, jeder hat den unendlichen, ewig bleibenden. Mein Geschäft stellen Sie sich aber durchaus nicht nach irgend einer Ihnen bekannten Schulform vor. Ich unterrichte freilich. Aber welcher Mensch thut das nicht, der mit Menschen ist und lebt? Stunden gebe ich also nicht, wie man das auf gut katholisch zu nennen pflegt, und das Leben mit noch unverbildeten Knaben wird mir daher eine Quelle von ganz andern Freuden, als ich von irgend einem Amte [3] im Staate erwarten konnte. Wie dem nun seyn möge, ich bin zufrieden und glücklich. Sie haben Recht, erziehen und bilden kann nur das freie Wesen sich selbst. Aber die Bedingung ist durch unser Verhältnis in der Natur gegeben: jeder kann es nur zugleich unter Menschen. Unsere Berührung soll also die seyn, daß sie die Selbstbildung beabsichtige; und so möchte ich doch nicht sagen, daß ich nicht nöthig hätte mich zu kümmern wie die Menschen mit denen ich lebe, meine Winke und Worte sich zu eigen machen wollen, weil sie das selbst zu [ver]antworten hätten. Als akademischer Lehrer auf einer christlichen Universität, können Sie freilich kaum anders sprechen. Aber eben darum halte ich diese Schule auch noch für höchst unvollkommen, und bin wohl überzeugt, daß die [4] Bildung unsers Geschlechts davon zum mindesten abhängt, und vielmehr einem Genius zugeschrieben werden muß, der überall, wo Menschen sind, still und unsichtbar wandelt, weil er durch das Geräusch leerer Formen sich nie verkündigen kann. Über die Systeme der Philosophie unterhalte ich noch immer ketzerische Gedanken. Es ist aber alles auf gutem Wege, und mein Wort soll Niemand stöhren, so wie mich selbst Niemand stöhren wird. Zuweilen wünschte ich wol das himmlische Feuer herab, und bin unwillig auf die Menschen. Aber es bleibt in meinem Busen, und sehe ich das Licht der Sonne und verliehrt mein Blick sich in jenen Bahnen, dann athme ich so frei, und sehe keine Nebel und keine stürmende Gewölke. Lange kann das Reich der Kirche nicht mehr stehen, und wo es einmal fällt, wird [5] ein neuer Himmel über uns aufgehn und kein Buchstabe den Blick auf seine Götter uns verhüllen. Leben ist bei ihnen, und Leben nur sind sie. Aber die Menschen suchen den Tod, und einer erwürgt den andern von Aristoteles bis auf Fichte.
Was Sie Früchte der Transcendental-Philosophie nennen, kenne ich nicht. Halten Sie es meiner Einfalt zu Guthe, ich sehe die Bäume an, ob sie auch Früchte tragen durch beßre Pflege der Menschen. Den Geist aber kenne ich wol, der ewig thätig ist, sich selbst zu verklähren, um den Gegenstand seiner Behandlung als sein Werk zu begreifen. Sprünge giebt es in unserm Bewußtseyn nicht [6] sondern sein Umfang ist nur Einer. Kann ich je anders philosophiert haben? Ich sehe es vielleicht nicht so deutlich; aber doch sehe ich das Eine nur und das Bleibende.
Was Sie mir über meine Naturbetrachtungen geäußert haben, ist mir schätzbar wie Freundes Wort. Ihrer Meynung bin ich aber nicht, da ich über Darstellung und ihre Kunst etwas von Ihren Grundsätzen abweiche. Ihrem Bruder habe ich darüber ein mehreres geschrieben, und er theilt es Ihnen wohl einmal mit. Sprächen Sie bloß von einer gewißen Unbehülflichkeit in meinen Sätzen und ihren Verbindungen, so könnten Sie recht haben. Ich fühle es selbst zu gut, wie wenig Gewandtheit ich darin noch habe: und fühle es ebenso [7] deutlich bei andern. Es würde mir aber schwer werden, meine Forderung begreiflich zu machen, da ich eben die Sprache selbst noch viel zu ungebildet finde. Sie beurtheilen aber in einer andern Beziehung. Sie finden meine Betrachtungen dem Wesen nach erhabene Hymnen, und fordern, daß sie es auch in der Form seyn sollten. Warum finden Sie doch jenes? Können Sie es anders als durch die Form derselben? Es wäre Ihnen anders der Reflex gar nicht möglich. Zeigen Sie mir nun eine andere Form, so weiß ich nicht, wie diese anders als in einer schönen Darstellung Gültigkeit haben sollte: und wer sie also gerade aufgenommen hat, nur für den ist sie gültig. Das ist ge[8]wiß, meine Naturbetrachtungen sind noch das Schwerste, was ich bis jetzt geschrieben habe, und ich rechne auch nicht darauf, von vielen verstanden zu werden. Mein Gefühl ist kein Taumel der Kunst, sondern Wahrheit durch innige Erhebung im lichten Anschauen meines Gegenstandes. Vielleicht schicke ich Ihnen bald einmal einen Versuch in Hexametern, und zwar in abgesetzten Reihen, wenn es die Muse nicht anders gebiethet. Auf das 4te Stück Ihres Athen[äums] bin ich sehr begierig, um der schönen Gemählde willen, die Sie uns im vorhergehenden geschenkt haben. Ich danke Ihnen für das Vergnügen, das mir die Lectüre gewährt hat, und wünsche Ihnen Muth und Gesundheit Ihr Werk zu vollenden. Empfehlen Sie mich Ihrer Caroline schönstens und bestens und leben Sie recht wohl.
Immer der Ihrige Hülsen
×
×