• Friedrich Schleiermacher to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Jena · Date: 17.02.1798
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich Schleiermacher
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Jena
  • Date: 17.02.1798
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Kritische Gesamtausgabe. Hg. v. Hans-Joachim Birkner u. Hermann Fischer. Berlin u.a. 1980ff. Abt. 5, Bd. 2. Briefwechsel 1796‒1798 (Briefe 327‒552). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1988, S. 276‒279.
  • Incipit: „[1] Berlin d 17t Febr. 98.
    Zur absoluten Zwekmäßigkeit ohne Zwek – so sehr ich auch aus Amtspflicht und Neigung im zweklosen [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-34477
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.25,Nr.3
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 18,7 x 11,5 cm
    Language
  • German
[1] Berlin d 17t Febr. 98.
Zur absoluten Zwekmäßigkeit ohne Zwek – so sehr ich auch aus Amtspflicht und Neigung im zweklosen aller Art lebe – kann ich doch mit Ihnen noch gar nicht kommen. Für Ihren Bruder habe ich zwar diesmal keine Geschäfte zu führen; aber wie viele für mich. Glauben Sie nicht, daß ich das für eins rechne Ihnen über Ihren prächtigen petillanten Brief, den ich mit vielem Jubel gefeiert habe, so viel schönes zu sagen als ich möchte und wüßte. Ach nein! Ihr Bruder wird mir das Zeugniß geben müßen, daß ich weit polemischer bin als dankbar und Sie müßen Sich also nicht wundern wenn ich damit anfange mich in Vertheidigungsstand gegen Sie zu sezen. Gewiß ich bin weit davon entfernt ihn zu verwöhnen. Ich sehe dem kreisenden Zustand in dem er sich schon so [2] lange befindet mit der hartherzigsten Gleichgültigkeit zu, lache ihn ins Fäustchen aus, wenn er über die üblen Zufälle seiner grossesse a quatre enfans klagt, und bin ganz ruhig seitdem ich nicht mehr fürchte, daß er sich mit der Niederkunft verrechnet; auch habe ich schon über manches von seinen selbstgeprägten Worten, welches er mir zu Schau präsentirte, mit krausem Gesicht mein veto ausgesprochen. Sie sehen also daß ich nicht an übertriebener Zärtlichkeit laborire, und daß in den Grundsäzen meiner Symbiotik das Verwöhnen keinen Plaz findet. Er verwöhnt mich aber nicht wenig: er läßt selten einen Abend hingehn, ohne mich, wenn ich von meinen Zügen zurükkehre, mit etwas köstlichem zu bewirthen, und läßt mich dabei so behaglich in meiner angestammten Faulheit hingehn, daß er mir schon lange nicht mehr zugemuthet hat etwas zu machen, und gewiß zum Theil mir zu Liebe die philosophischen Ansichten, wozu ich denn doch etwas hergeben soll in das ich weiß nicht wievielste Stük verwiesen hat. Mir gefällt das sehr wol, und ich laße mich durch die gewiße Aussicht bei dieser Verzärtelung ganz zu verderben gar nicht stören.
Ihre zweite Beschuldigung, daß ich Sie soviel an mir ist vernichte, will ich gar nicht widerlegen; aber wollte nur der Himmel sie wäre wahr: mein gutes Recht dazu wollt ich denn wol beweisen. Hat es je in der Welt eine größere [3] Anmaßung gegeben, als daß zwei solche Menschen existiren und nicht nur existiren sondern auch Brüder seyn wollen in einem Sinne von dem man in der modernen Welt kaum einen Begrif hat? Und soll nicht zu Folge dieser Anmaßung Jedermann das Recht haben einen von beiden zu vernichten? Solche Kränkungen müßen Sie sich beide gefallen laßen bis Sie völlig in ein Individuum zusammengeschmolzen sind, wozu ja viel Hofnung ist. Laßen Sie Sich dann nur von dem mystischen Hardenberg belehren, wie es anzufangen ist, daß Sie nach Willkühr auch einen Leib los werden – wozu ich den von Fr. Schlegel unmaßgeblich vorschlage – dann sind Sie über diese Vernichtung völlig hinaus. Man kann nicht wißen wie bald es dahin kommt; und um desto angelegentlicher bitte ich Sie über Ihr Herkommen doch endlich einen festen Schluß zu faßen damit ich Sie noch als A. W. Schlegel sehe. Sie scheinen aber, wenn ich es sagen darf, kein guter Diaskeuast und mit Ihren Grundsäzen hierüber nicht aufs reine gekommen zu seyn. Ihr Reiseplan ist eben so veränderlich als Ihr Entwurf für die ersten Journalstüke. Nun wollen Sie gar allein kommen? als ein Fragment? Das geht wahrhaftig nicht an. Einem armen Chorizonten wie ich wird dadurch sein ganzes Spiel verdorben; und Ihr Aufenthalt hier wird warlich nicht gewinnen, wenn Sie außer den Elegien, die Sie selbst über die Entfernung von Ihrer Frau Gemahlin anstimmen würden, noch so viel fremde Nänien hören müßen. Versezen Sie Sich in die Zeit, in die gute alte Zeit, wo die erregte Erwartung noch als der Grund angegeben wurde warum man sein Wort halten muß. Ich addressire meine Bitten an Sie; und wenn die [4] Schuld an der Frau Räthin liegen sollte, so gelten sie dafür daß Sie Ihr möglichstes thun um ihre Einwilligung zu erobern. Ihrer Rache, auch Ihrer vereinten Rache will ich mich dafür gern aussezen, wenn Sie Sich gleich meine Schuld an Fr. Schlegels hierbleiben zu groß vorstellen sollten. Glauben Sie nicht daß ich das für wenig halte; denn wer so eifrig protegirt wie Sie den Tiek und Ihre Frau Gemahlin die Ungern – Sie sehen was Ihr Bruder auf meine Discretion, die aber auch ordentlich weltberühmt ist, gewagt hat – deßen Rache muß auch nicht wenig furchtbar seyn. Bedenken Sie nur aber was daraus werden sollte, wenn Sie immer bei einander wären, und wie nöthig es ist, daß er hier Unger und Vieweg in Ordnung hält, und sehen Sie selbst wie dürr uns Berlin seyn müßte, wenn wir Sie dann alle auf einmal herausgeben müßten. Daß er nirgends fleißiger seyn kann, als hier, davon werden Sie Sich selbst überzeugen wenn der Collection von Feuerbränden in das Lager der literarischen und sonstigen Philister der Wilhelm Meister bald nachfolgt. Was sagen Sie zu diesen Randgloßen? Ich fürchte es werden noch manche neue Auflagen und Recensionen der Literatur, der Philosophie und der Menschheit überhaupt veranstaltet werden ehe die wichtigsten und anschaulichsten sogar in den Text aufgenommen werden. Schiken Sie sie nur bald wieder mit Ihrem Klopstok, nach dem wir ein unendliches Verlangen haben. Leben Sie wol; ich muß diesem Geschmier ein Ende machen: in dem Sie die zierliche Hand nicht werden rühmen können
[1] Berlin d 17t Febr. 98.
Zur absoluten Zwekmäßigkeit ohne Zwek – so sehr ich auch aus Amtspflicht und Neigung im zweklosen aller Art lebe – kann ich doch mit Ihnen noch gar nicht kommen. Für Ihren Bruder habe ich zwar diesmal keine Geschäfte zu führen; aber wie viele für mich. Glauben Sie nicht, daß ich das für eins rechne Ihnen über Ihren prächtigen petillanten Brief, den ich mit vielem Jubel gefeiert habe, so viel schönes zu sagen als ich möchte und wüßte. Ach nein! Ihr Bruder wird mir das Zeugniß geben müßen, daß ich weit polemischer bin als dankbar und Sie müßen Sich also nicht wundern wenn ich damit anfange mich in Vertheidigungsstand gegen Sie zu sezen. Gewiß ich bin weit davon entfernt ihn zu verwöhnen. Ich sehe dem kreisenden Zustand in dem er sich schon so [2] lange befindet mit der hartherzigsten Gleichgültigkeit zu, lache ihn ins Fäustchen aus, wenn er über die üblen Zufälle seiner grossesse a quatre enfans klagt, und bin ganz ruhig seitdem ich nicht mehr fürchte, daß er sich mit der Niederkunft verrechnet; auch habe ich schon über manches von seinen selbstgeprägten Worten, welches er mir zu Schau präsentirte, mit krausem Gesicht mein veto ausgesprochen. Sie sehen also daß ich nicht an übertriebener Zärtlichkeit laborire, und daß in den Grundsäzen meiner Symbiotik das Verwöhnen keinen Plaz findet. Er verwöhnt mich aber nicht wenig: er läßt selten einen Abend hingehn, ohne mich, wenn ich von meinen Zügen zurükkehre, mit etwas köstlichem zu bewirthen, und läßt mich dabei so behaglich in meiner angestammten Faulheit hingehn, daß er mir schon lange nicht mehr zugemuthet hat etwas zu machen, und gewiß zum Theil mir zu Liebe die philosophischen Ansichten, wozu ich denn doch etwas hergeben soll in das ich weiß nicht wievielste Stük verwiesen hat. Mir gefällt das sehr wol, und ich laße mich durch die gewiße Aussicht bei dieser Verzärtelung ganz zu verderben gar nicht stören.
Ihre zweite Beschuldigung, daß ich Sie soviel an mir ist vernichte, will ich gar nicht widerlegen; aber wollte nur der Himmel sie wäre wahr: mein gutes Recht dazu wollt ich denn wol beweisen. Hat es je in der Welt eine größere [3] Anmaßung gegeben, als daß zwei solche Menschen existiren und nicht nur existiren sondern auch Brüder seyn wollen in einem Sinne von dem man in der modernen Welt kaum einen Begrif hat? Und soll nicht zu Folge dieser Anmaßung Jedermann das Recht haben einen von beiden zu vernichten? Solche Kränkungen müßen Sie sich beide gefallen laßen bis Sie völlig in ein Individuum zusammengeschmolzen sind, wozu ja viel Hofnung ist. Laßen Sie Sich dann nur von dem mystischen Hardenberg belehren, wie es anzufangen ist, daß Sie nach Willkühr auch einen Leib los werden – wozu ich den von Fr. Schlegel unmaßgeblich vorschlage – dann sind Sie über diese Vernichtung völlig hinaus. Man kann nicht wißen wie bald es dahin kommt; und um desto angelegentlicher bitte ich Sie über Ihr Herkommen doch endlich einen festen Schluß zu faßen damit ich Sie noch als A. W. Schlegel sehe. Sie scheinen aber, wenn ich es sagen darf, kein guter Diaskeuast und mit Ihren Grundsäzen hierüber nicht aufs reine gekommen zu seyn. Ihr Reiseplan ist eben so veränderlich als Ihr Entwurf für die ersten Journalstüke. Nun wollen Sie gar allein kommen? als ein Fragment? Das geht wahrhaftig nicht an. Einem armen Chorizonten wie ich wird dadurch sein ganzes Spiel verdorben; und Ihr Aufenthalt hier wird warlich nicht gewinnen, wenn Sie außer den Elegien, die Sie selbst über die Entfernung von Ihrer Frau Gemahlin anstimmen würden, noch so viel fremde Nänien hören müßen. Versezen Sie Sich in die Zeit, in die gute alte Zeit, wo die erregte Erwartung noch als der Grund angegeben wurde warum man sein Wort halten muß. Ich addressire meine Bitten an Sie; und wenn die [4] Schuld an der Frau Räthin liegen sollte, so gelten sie dafür daß Sie Ihr möglichstes thun um ihre Einwilligung zu erobern. Ihrer Rache, auch Ihrer vereinten Rache will ich mich dafür gern aussezen, wenn Sie Sich gleich meine Schuld an Fr. Schlegels hierbleiben zu groß vorstellen sollten. Glauben Sie nicht daß ich das für wenig halte; denn wer so eifrig protegirt wie Sie den Tiek und Ihre Frau Gemahlin die Ungern – Sie sehen was Ihr Bruder auf meine Discretion, die aber auch ordentlich weltberühmt ist, gewagt hat – deßen Rache muß auch nicht wenig furchtbar seyn. Bedenken Sie nur aber was daraus werden sollte, wenn Sie immer bei einander wären, und wie nöthig es ist, daß er hier Unger und Vieweg in Ordnung hält, und sehen Sie selbst wie dürr uns Berlin seyn müßte, wenn wir Sie dann alle auf einmal herausgeben müßten. Daß er nirgends fleißiger seyn kann, als hier, davon werden Sie Sich selbst überzeugen wenn der Collection von Feuerbränden in das Lager der literarischen und sonstigen Philister der Wilhelm Meister bald nachfolgt. Was sagen Sie zu diesen Randgloßen? Ich fürchte es werden noch manche neue Auflagen und Recensionen der Literatur, der Philosophie und der Menschheit überhaupt veranstaltet werden ehe die wichtigsten und anschaulichsten sogar in den Text aufgenommen werden. Schiken Sie sie nur bald wieder mit Ihrem Klopstok, nach dem wir ein unendliches Verlangen haben. Leben Sie wol; ich muß diesem Geschmier ein Ende machen: in dem Sie die zierliche Hand nicht werden rühmen können
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