• Jacob Grimm to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Göttingen · Place of Destination: Bonn · Date: 23.10.1832
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Jacob Grimm
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Göttingen
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 23.10.1832
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 390911364-19040100
  • Bibliography: Schmidt, Ludwig: Briefe Jacob Grimms an August Wilhelm Schlegel. In: Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Litteratur 29 (1904), S. 162‒163.
  • Incipit: „[1] Göttingen 23. oct. 1832.
    Ich warte nicht erst die ankunft des mir gütigst versprochenen buches ab, um sowohl dafür, als auch [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-33708
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.9,Nr.48
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 25,1 x 20,8 cm
    Language
  • German
[1] Göttingen 23. oct. 1832.
Ich warte nicht erst die ankunft des mir gütigst versprochenen buches ab, um sowohl dafür, als auch für die dem neusten theil meiner grammatik geschenkte aufmerksamkeit meinen grössten dank zu erstatten. Wie sehr diese arbeit der nachsicht und aufinunterung bedarf, fühle ich wohl; brieflich auf alle einzelnheiten, welche stof zum tadel darbieten, einzugehen, wäre allerdings lästig, grossen gewinn würde es mir bringen, wenn mir Ihre mündliche belehrung und zurechtweisung über hauptmaterien zu theil werden könnten. Allzu erfüllt, oder vielmehr beengt von der ersten aufstellung wuste ich noch nicht gleich das rechte mass zu treffen und zu halten. Das buch ist auch für mich gedruckt, damit ich lerne in das fachwerk, wenn es taugt, das vielfach gehäufte material langsam einzutragen, zu ergänzen und alles überflüssige auszuscheiden.
Vollkommen gegründet ist die gemachte bemerkung, dass das p. 296 aus Diut. 3, 96 angeführte jar nicht zu dem abgehandelten jâriâ gehört; es wird in jâ ir aufzulösen sein. Dagegen will die entstehung jenes ausrufs aus der formel Jesus Maria nicht einleuchten. In so früher zeit müste sie sich irgend einmal vollständig auffinden lassen; sie scheint mir erst in späteren jahrhunderten entsprungen. [2] Von der interessanten beziehung des namens Perkunas auf ein sanskr. Parjanyas darf ich mir wohl erlauben öffentlich gebrauch zu machen? Nämlich ich habe vor eine deutsche mythologie zu schreiben, d. h. alle doch noch ziemlich zahlreichen überreste des deutschen heidenthums, abgesondert von dem nordischen element, so viel mir möglich sein wird, vollständig und genau zu sammeln; wobei dann auch mehrfache erwähnungen der slavischen und litthauischen nicht umgangen werden können. Bei jenem perkunas ist mir auch wohl das goth. fairguni eingefallen, freilich schon ein neutrum, aber der vom gebirge herziehende donner könnte mit der in unsere mythologie mehrmals eingreifenden idee eines donnerbergs (vielmehr donnersbergs) etwa zusammenhängen.
Warum soll Tôtila mit Theodorich (Thjudareiks) in verbindung gesetzt werden? Die buchstaben weichen zu sehr ab und ich habe noch das einzuwenden, dass Tôtila genau einem althochd., in urkunden nachweisbaren, Zuozilo entspricht. Zuozilo ist verkleinerung des gleichfalls vorkommenden namens Zuozo, wie Tôtila eines zu vermuthenden goth. Tôta; was Tôta u. Zuozo aussagen wissen wir freilich nicht mehr oder noch nicht; zwischen Zuozilo u. Diotrih werden Sie mir aber [3] den unübersteigbaren abstand einräumen.
Längst habe ich bedauert, dass sich Bopp Ihr wohlwollen verscherzt hat; wieweit dabei seine schuld geht vermag ich nicht zu beurtheilen, denn ohne zweifel liegen dabei auch persönliche anlässe des misfallens im spiel, die mangelhaftigkeit seiner arbeiten und bestrebungen erklärt es nicht allein. Mir sind diese, soviel ich sehen kann, doch verdienstlich und fruchtbar erschienen und einen gewissen zergliedernden, wenn auch mitunter etwas trocknen, scharfsinn möchte ich ihm nicht abstreiten. Wenn ich nicht irre erkennt auch das Humboldt, dessen urtheil wir beide verehren, an. Die gabe der anmuthigen und ein grösseres publicum einnehmenden darstellung ist freilich nur wenigen verliehen; auch Humboldt, bei allem gedankenreichthum, besitzt sie nicht. Ueberdies treibt mir Bopp mit etymologien ein allzu luftiges spiel, und ich will nicht leugnen, dass diese manier von seinen schülern noch mehr gemisbraucht wird. Ihre autorität würde, wenn die privatverhältnisse nicht getrübt worden wären, solche nachtheile und verirrungen am sichersten zu boden drücken!
[4] Die gegebenen nachrichten von dem fortgang Ihrer grossen arbeiten haben mich höchst erfreut, über die meinigen weiss ich weniger zu berichten. Statt der mir eingeräumten 48 stunden bleiben, nach abzug der dienstgeschäfte und anderer Störungen täglich kaum 2 oder 3, die ich meinen studien widmen darf, so dass sie nur langsam vorrücken. Gegenwärtig schreibe ich an einem buch über unsere deutsche thierfabel, wozu mich Mones verfehlter commentar zu dem Isengrinus und Reinardus angeregt hatte. Sobald das buch fertig ist, werde ich mir erlauben es Ihnen zu übersenden. Wie gern und vortheilhaft würde ich dabei schon den begierig erwarteten commentar zum Hitopadesa gebrauchen! Zwar ist im Hitop. nur eine Fabel (die vom shakal der in blaue farbe fällt) für den Reinhard fuhs von bedeutung, aber die erläuterung der im Sanskrit den thieren beigelegten eigennamen wird mich besonders anziehen. Darf ich bitten mich herrn prof. Lassen angelegentlich zu empfehlen und Welkern herzlich zu grüssen, dessen sachen, wie ich höre, wieder eine günstige wendung nehmen.
Mit grösster verehrung
Ihr gehorsamster
Jac. Grimm.
[1] Göttingen 23. oct. 1832.
Ich warte nicht erst die ankunft des mir gütigst versprochenen buches ab, um sowohl dafür, als auch für die dem neusten theil meiner grammatik geschenkte aufmerksamkeit meinen grössten dank zu erstatten. Wie sehr diese arbeit der nachsicht und aufinunterung bedarf, fühle ich wohl; brieflich auf alle einzelnheiten, welche stof zum tadel darbieten, einzugehen, wäre allerdings lästig, grossen gewinn würde es mir bringen, wenn mir Ihre mündliche belehrung und zurechtweisung über hauptmaterien zu theil werden könnten. Allzu erfüllt, oder vielmehr beengt von der ersten aufstellung wuste ich noch nicht gleich das rechte mass zu treffen und zu halten. Das buch ist auch für mich gedruckt, damit ich lerne in das fachwerk, wenn es taugt, das vielfach gehäufte material langsam einzutragen, zu ergänzen und alles überflüssige auszuscheiden.
Vollkommen gegründet ist die gemachte bemerkung, dass das p. 296 aus Diut. 3, 96 angeführte jar nicht zu dem abgehandelten jâriâ gehört; es wird in jâ ir aufzulösen sein. Dagegen will die entstehung jenes ausrufs aus der formel Jesus Maria nicht einleuchten. In so früher zeit müste sie sich irgend einmal vollständig auffinden lassen; sie scheint mir erst in späteren jahrhunderten entsprungen. [2] Von der interessanten beziehung des namens Perkunas auf ein sanskr. Parjanyas darf ich mir wohl erlauben öffentlich gebrauch zu machen? Nämlich ich habe vor eine deutsche mythologie zu schreiben, d. h. alle doch noch ziemlich zahlreichen überreste des deutschen heidenthums, abgesondert von dem nordischen element, so viel mir möglich sein wird, vollständig und genau zu sammeln; wobei dann auch mehrfache erwähnungen der slavischen und litthauischen nicht umgangen werden können. Bei jenem perkunas ist mir auch wohl das goth. fairguni eingefallen, freilich schon ein neutrum, aber der vom gebirge herziehende donner könnte mit der in unsere mythologie mehrmals eingreifenden idee eines donnerbergs (vielmehr donnersbergs) etwa zusammenhängen.
Warum soll Tôtila mit Theodorich (Thjudareiks) in verbindung gesetzt werden? Die buchstaben weichen zu sehr ab und ich habe noch das einzuwenden, dass Tôtila genau einem althochd., in urkunden nachweisbaren, Zuozilo entspricht. Zuozilo ist verkleinerung des gleichfalls vorkommenden namens Zuozo, wie Tôtila eines zu vermuthenden goth. Tôta; was Tôta u. Zuozo aussagen wissen wir freilich nicht mehr oder noch nicht; zwischen Zuozilo u. Diotrih werden Sie mir aber [3] den unübersteigbaren abstand einräumen.
Längst habe ich bedauert, dass sich Bopp Ihr wohlwollen verscherzt hat; wieweit dabei seine schuld geht vermag ich nicht zu beurtheilen, denn ohne zweifel liegen dabei auch persönliche anlässe des misfallens im spiel, die mangelhaftigkeit seiner arbeiten und bestrebungen erklärt es nicht allein. Mir sind diese, soviel ich sehen kann, doch verdienstlich und fruchtbar erschienen und einen gewissen zergliedernden, wenn auch mitunter etwas trocknen, scharfsinn möchte ich ihm nicht abstreiten. Wenn ich nicht irre erkennt auch das Humboldt, dessen urtheil wir beide verehren, an. Die gabe der anmuthigen und ein grösseres publicum einnehmenden darstellung ist freilich nur wenigen verliehen; auch Humboldt, bei allem gedankenreichthum, besitzt sie nicht. Ueberdies treibt mir Bopp mit etymologien ein allzu luftiges spiel, und ich will nicht leugnen, dass diese manier von seinen schülern noch mehr gemisbraucht wird. Ihre autorität würde, wenn die privatverhältnisse nicht getrübt worden wären, solche nachtheile und verirrungen am sichersten zu boden drücken!
[4] Die gegebenen nachrichten von dem fortgang Ihrer grossen arbeiten haben mich höchst erfreut, über die meinigen weiss ich weniger zu berichten. Statt der mir eingeräumten 48 stunden bleiben, nach abzug der dienstgeschäfte und anderer Störungen täglich kaum 2 oder 3, die ich meinen studien widmen darf, so dass sie nur langsam vorrücken. Gegenwärtig schreibe ich an einem buch über unsere deutsche thierfabel, wozu mich Mones verfehlter commentar zu dem Isengrinus und Reinardus angeregt hatte. Sobald das buch fertig ist, werde ich mir erlauben es Ihnen zu übersenden. Wie gern und vortheilhaft würde ich dabei schon den begierig erwarteten commentar zum Hitopadesa gebrauchen! Zwar ist im Hitop. nur eine Fabel (die vom shakal der in blaue farbe fällt) für den Reinhard fuhs von bedeutung, aber die erläuterung der im Sanskrit den thieren beigelegten eigennamen wird mich besonders anziehen. Darf ich bitten mich herrn prof. Lassen angelegentlich zu empfehlen und Welkern herzlich zu grüssen, dessen sachen, wie ich höre, wieder eine günstige wendung nehmen.
Mit grösster verehrung
Ihr gehorsamster
Jac. Grimm.
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