• Bernhard Joseph Docen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: München · Place of Destination: Coppet · Date: 16.06.1811
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Bernhard Joseph Docen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: München
  • Place of Destination: Coppet
  • Date: 16.06.1811
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 217‒219.
  • Incipit: „[1] München, d. 16 Jun[i] [18]11.
    Hochzuverehrender Herr Hofrath!
    Durch Ihre gütige Antwort vom 3 Jun. haben Sie mir ein ungemeines Vergnügen gemacht, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,14
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,4 x 11,3 cm
    Language
  • German
[1] München, d. 16 Jun[i] [18]11.
Hochzuverehrender Herr Hofrath!
Durch Ihre gütige Antwort vom 3 Jun. haben Sie mir ein ungemeines Vergnügen gemacht, und durch die gewogene Aufnahme meiner Zuschrift mein Urtheil über jene alten Fragmente bestärkt, in denen das innige Gefühl und die schöne, harmonische Sprache mehr, als ich mirʼs zu sagen getraute, mir gegen die Eschenbachʼischen Stanzen gefielen, in denen durchgängig alles steifer und geschraubter erscheint. Jenes Belehrende und Angenehme Ihrer Mittheilungen könnte ich öfter hoffen, wenn Sie in deutschen Landen lebten, und mir etwa das Glück würde, unter günstigeren Ausspicien dem Studium der deutschen Alterthumskunde zu leben; wie wohlthuend würde für die nicht so große Reihe die ausgebreitetere Theilnahme von Ihrer Seite seyn, für ursprünglich deutsche Bildung, oder, um es richtiger zu sagen, für die endliche Wiederverbindung der eigentlichen einheimischen Literatur, die seit 1500. und besonders seit der Reformation völlig wie auseinander gerissen wurde, von wo an man das Jenseitige hochmüthig der Vergessenheit anheim stellte, das Neue aber ohne Grund und Boden nur mühsam und vereinzelt sich empor zu winden [2] vermochte. Was mich betrifft, so kann ich wegen der Aufmerksamkeit, die ich (schon wegen der Beziehungen) dem Alterthum κατʼ ἐξοχήν nie zu versagen gedenke, bei der Fortdauer der bibliothekarischen Geschäfte für jene Studien fast nichts in größerem Umfange, wie ich so gern wollte, leisten; nach Jacobʼs Abreise suchte ich als Adjunct der Akademie das Conservatorium des hiesigen Antiquariums zu erhalten, und die Bibliothek zu verlaßen, welches alles sehr leicht gewesen wäre; allein Jacobi war durchaus gegen diesen Antrag, wiewohl ich mehrseitige Beweise von meinem früheren Studium der Geschichte p der alten Kunst darlegen konnte; grade in diesem Fach war meine Liebe zu den Studien vordem wie concentrirt, wie ich denn schon im 14. Jahre Winckelmannʼs G.[eschichte] d.[er] K.[unst] begierig gelesen, und der Vater mich gern zum Mahler oder Bildhauer hätte aufwachsen gesehen, wenn nicht das Vorurtheil des Standes bei der Mutter mehr vermocht hätte. An dessen Statt hat sich nun wol ein vielfältiges Interesse zur Literatur gebildet; dessen ungeachtet empfinde ich doch immermehr das armselige eines solchen bibliothekarischen Standes, wo man für so gar viele Dinge Interesse haben soll, die entweder in sich selbst höchst kleinlich, oder die man doch, bei aller sonstigen Achtung dafür, für immerdar unberührt laßen möchte.
Ihrer Meinung, daß die Fragmente selbst von Eschenbach her[3]stammen möchten, würde ich vollkommen beitreten, wenn nur die immerhin noch räthselhafte Stelle über eine frühere Bearbeitung nicht im Wege stünde. (Von Stoll erwarte ich Nachricht über das Daseyn oder Nichtdaseyn dieser Stelle in der Wiener H[and]S.[chrift]; die Hannöversche enthält nur den letzteren Theil, Grimm hat mir einiges daraus übersandt, sie ist ein wenig inʼs niederdeutsche umgesetzt.) Aber wenn das ganze Gedicht in jener alten Form vorhanden gewesen wäre, so ist der Verlust desselben, ich darf nicht sagen unbegreiflich, denn wie vieles ging nicht verloren, sondern im höchsten Grade zu bedauern, da die sämmtlichen übrigen Werke in den kurzen Reimpaaren ihn nicht ersetzen können, unter welchen der treffliche Reinfrit von Bruneswig leider auch nicht ganz vollständig ist. Was das Alter der Fragmente betrifft, so hat Grebneri compendium historiae universalis mich über Hermanns Todesjahr getäuscht, sonst wäre die übrige Rechnung richtiger ausgefallen. Die jugendliche Frische der Sprache in diesen Strophen hindert jedoch, ihre Erscheinung diesseits 1220 zu setzen. Wie dem allem auch sey, so möchte ich Ihren übrigen Gründen für die Eschenbachische Autorschaft hier ungern begegnen, da es besser seyn wird, wenn Ihnen bei einer gelegentlichen Anzeige gefallen sollte, Ihrer Ansicht freies Feld zu geben; mir ist jede Erregung des Zweifels so gut wie Belehrung. Ich wünsche nur, daß Büschingʼs Sendschreiben (wovon eines an Ihren Bruder Fr.[iedrich]) [4] nun bald auch erschienen; da ich über die Regensburger Blätter noch gern einen Anhang geben möchte. – Nichts würde ich lieber sehen, als daß meine Freunde B.[üsching] und v. d. Hagen statt andrer Gedichte nur etwa die Wiener H[and]S.[chrift] des Titurel, mit der Hanöverschen verglichen, im II. Bande mittheilten; aber, Sie haben sehr Recht, wie werden solche große Werke ohne sichernde Subscription dem Druck übergeben werden können? Ich habe vielfältig über diesen Punct nach Berlin geschrieben; sollten denn unsre Fürsten izt so gar lauer seyn, als sie 1780. bei Myllerʼs Sammlung es – doch in der That nicht waren? – Gewiß würde es auf die beiden Herausgeber Eindruck machen, wenn auch Sie zu einer erneuerten besseren Ausgabe des Titurel sie gelegentlich aufforderten.
Ueber das Fortschreiten meiner Vergleichung des freilich etwas jüngeren H[ohen]Emser Manuscriptes des Nibelungen Liedes werde ich Ew. Wohlgeboren das nächstemal schreiben, eben so über das Alter jenes Metellus Tigurinus, worüber ein Literatus aus dem ehemaligen Kl.[oster] Tegernsee, den ich bisher vergebens zu sprechen suchte, mir ohne Zweifel Auskunft geben wird, da er mit der ganzen Literatur des Baierlandes in jenen Zeiten sich sehr genau beschäftigt hat. Unterdessen beharre ich mit der größten Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ergebenster
B. J. Docen
[1] München, d. 16 Jun[i] [18]11.
Hochzuverehrender Herr Hofrath!
Durch Ihre gütige Antwort vom 3 Jun. haben Sie mir ein ungemeines Vergnügen gemacht, und durch die gewogene Aufnahme meiner Zuschrift mein Urtheil über jene alten Fragmente bestärkt, in denen das innige Gefühl und die schöne, harmonische Sprache mehr, als ich mirʼs zu sagen getraute, mir gegen die Eschenbachʼischen Stanzen gefielen, in denen durchgängig alles steifer und geschraubter erscheint. Jenes Belehrende und Angenehme Ihrer Mittheilungen könnte ich öfter hoffen, wenn Sie in deutschen Landen lebten, und mir etwa das Glück würde, unter günstigeren Ausspicien dem Studium der deutschen Alterthumskunde zu leben; wie wohlthuend würde für die nicht so große Reihe die ausgebreitetere Theilnahme von Ihrer Seite seyn, für ursprünglich deutsche Bildung, oder, um es richtiger zu sagen, für die endliche Wiederverbindung der eigentlichen einheimischen Literatur, die seit 1500. und besonders seit der Reformation völlig wie auseinander gerissen wurde, von wo an man das Jenseitige hochmüthig der Vergessenheit anheim stellte, das Neue aber ohne Grund und Boden nur mühsam und vereinzelt sich empor zu winden [2] vermochte. Was mich betrifft, so kann ich wegen der Aufmerksamkeit, die ich (schon wegen der Beziehungen) dem Alterthum κατʼ ἐξοχήν nie zu versagen gedenke, bei der Fortdauer der bibliothekarischen Geschäfte für jene Studien fast nichts in größerem Umfange, wie ich so gern wollte, leisten; nach Jacobʼs Abreise suchte ich als Adjunct der Akademie das Conservatorium des hiesigen Antiquariums zu erhalten, und die Bibliothek zu verlaßen, welches alles sehr leicht gewesen wäre; allein Jacobi war durchaus gegen diesen Antrag, wiewohl ich mehrseitige Beweise von meinem früheren Studium der Geschichte p der alten Kunst darlegen konnte; grade in diesem Fach war meine Liebe zu den Studien vordem wie concentrirt, wie ich denn schon im 14. Jahre Winckelmannʼs G.[eschichte] d.[er] K.[unst] begierig gelesen, und der Vater mich gern zum Mahler oder Bildhauer hätte aufwachsen gesehen, wenn nicht das Vorurtheil des Standes bei der Mutter mehr vermocht hätte. An dessen Statt hat sich nun wol ein vielfältiges Interesse zur Literatur gebildet; dessen ungeachtet empfinde ich doch immermehr das armselige eines solchen bibliothekarischen Standes, wo man für so gar viele Dinge Interesse haben soll, die entweder in sich selbst höchst kleinlich, oder die man doch, bei aller sonstigen Achtung dafür, für immerdar unberührt laßen möchte.
Ihrer Meinung, daß die Fragmente selbst von Eschenbach her[3]stammen möchten, würde ich vollkommen beitreten, wenn nur die immerhin noch räthselhafte Stelle über eine frühere Bearbeitung nicht im Wege stünde. (Von Stoll erwarte ich Nachricht über das Daseyn oder Nichtdaseyn dieser Stelle in der Wiener H[and]S.[chrift]; die Hannöversche enthält nur den letzteren Theil, Grimm hat mir einiges daraus übersandt, sie ist ein wenig inʼs niederdeutsche umgesetzt.) Aber wenn das ganze Gedicht in jener alten Form vorhanden gewesen wäre, so ist der Verlust desselben, ich darf nicht sagen unbegreiflich, denn wie vieles ging nicht verloren, sondern im höchsten Grade zu bedauern, da die sämmtlichen übrigen Werke in den kurzen Reimpaaren ihn nicht ersetzen können, unter welchen der treffliche Reinfrit von Bruneswig leider auch nicht ganz vollständig ist. Was das Alter der Fragmente betrifft, so hat Grebneri compendium historiae universalis mich über Hermanns Todesjahr getäuscht, sonst wäre die übrige Rechnung richtiger ausgefallen. Die jugendliche Frische der Sprache in diesen Strophen hindert jedoch, ihre Erscheinung diesseits 1220 zu setzen. Wie dem allem auch sey, so möchte ich Ihren übrigen Gründen für die Eschenbachische Autorschaft hier ungern begegnen, da es besser seyn wird, wenn Ihnen bei einer gelegentlichen Anzeige gefallen sollte, Ihrer Ansicht freies Feld zu geben; mir ist jede Erregung des Zweifels so gut wie Belehrung. Ich wünsche nur, daß Büschingʼs Sendschreiben (wovon eines an Ihren Bruder Fr.[iedrich]) [4] nun bald auch erschienen; da ich über die Regensburger Blätter noch gern einen Anhang geben möchte. – Nichts würde ich lieber sehen, als daß meine Freunde B.[üsching] und v. d. Hagen statt andrer Gedichte nur etwa die Wiener H[and]S.[chrift] des Titurel, mit der Hanöverschen verglichen, im II. Bande mittheilten; aber, Sie haben sehr Recht, wie werden solche große Werke ohne sichernde Subscription dem Druck übergeben werden können? Ich habe vielfältig über diesen Punct nach Berlin geschrieben; sollten denn unsre Fürsten izt so gar lauer seyn, als sie 1780. bei Myllerʼs Sammlung es – doch in der That nicht waren? – Gewiß würde es auf die beiden Herausgeber Eindruck machen, wenn auch Sie zu einer erneuerten besseren Ausgabe des Titurel sie gelegentlich aufforderten.
Ueber das Fortschreiten meiner Vergleichung des freilich etwas jüngeren H[ohen]Emser Manuscriptes des Nibelungen Liedes werde ich Ew. Wohlgeboren das nächstemal schreiben, eben so über das Alter jenes Metellus Tigurinus, worüber ein Literatus aus dem ehemaligen Kl.[oster] Tegernsee, den ich bisher vergebens zu sprechen suchte, mir ohne Zweifel Auskunft geben wird, da er mit der ganzen Literatur des Baierlandes in jenen Zeiten sich sehr genau beschäftigt hat. Unterdessen beharre ich mit der größten Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ergebenster
B. J. Docen
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