• Karl Gregor von Knorring to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Reval · Place of Destination: Bonn · Date: 20.06.1832
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl Gregor von Knorring
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Reval
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 20.06.1832
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 473‒475.
  • Incipit: „[1] Werthgeschätzter Freund,
    Das Leben hat uns so weit auseinander geführt, und persönliche Verhältnisse haben uns so lange getrennt, daß ich befürchten [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-33958
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.13,Nr.23
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 25,7 x 20,3 cm
    Language
  • German
[1] Werthgeschätzter Freund,
Das Leben hat uns so weit auseinander geführt, und persönliche Verhältnisse haben uns so lange getrennt, daß ich befürchten mußte, Sie werden nur mit Verwunderung einen Brief von mir empfangen, wenn mir Ihre edle Treue in der Freundschaft nicht bekannt wäre. Ich zweifle wohl nicht daß Ihr Bild unseren Herzen näher geblieben ist, als Ihnen das Unsrige; denn Sie haben ein reiches Leben gelebt, viele neue Freunde haben sich Ihnen angeschlossen; ein tiefsinniges Studium hat Sie in fortwährender Berührung mit ausgezeichneten Geistern erhalten, da hingegen das Schicksal uns eine Stelle angewiesen hat, auf der wir schmerzlich die Einsamkeit des Geistes fühlen, und deshalb ganz natürlich mit inniger Liebe, die, in der Jugend erworbenen Freunde im Herzen bewahren, aber demohngeachtet zweifle ich nicht, daß Sie mit Theilnahme die Zeilen empfangen werden, die auch Ihnen frühere Freunde, und entschwundene Tage zurückrufen.
Die nächste Veranlassung dieses Briefes, ich gestehe es, ist selbstsüchtig und Sie werden darum meine innigste Achtung und Freundschaft nicht für minder wahr halten, weil ich dies aufrichtig eingestehe; auch bin ich fest überzeugt, daß Ihr Charakter sich treu geblieben, und Sie, wie früher, so auch jetzt, jede Gelegenheit gern ergreifen, Ihre Freunde zu verbinden, deshalb will ich ohne weitere Vorrede Ihnen meine Wünsche mit Zuversicht ans Herz legen. Ich habe hier eine himmelschreiend-schmerzliche Ungerechtigkeit erfahren, die die letzte Zeit unseres Lebens aufs Bitterste vergiftet hat, und zu meinem höchsten Kummer, schmerzlich auf meinen Sohn zurückwirkt. Ich habe von jeh [2] den Grundsatz gehabt daß das Unvermeidliche mit Standhaftigkeit getragen werden muß, ohne die Freunde mit unnützem Jammer zu belästigen, daß aber auch alles Widerwärtige männlich bekämpft werden muß, und so habe ich auch die ganz entschiedene Hoffnung, vollkommner Erstattung alles Erlittenen zu erhalten, da aber diese Genugthuung nur durch den Kaiser selbst gewährt werden kann, so haben mir einflußreiche Freunde gerathen, meinen Nahmen, auf eine in den hiesigen Verhältnissen angenehme Weise bekannt zu machen. Die schöne Litteratur Rußlands ist im Erwachen und da es hier, wie Sie selbst werden Gelegenheit gehabt haben zu bemerken, so gut wie gar keinen Mittelstand giebt, sondern scharf geschieden, man zum Adel oder zum Volk gehört, so ist die Litteratur natürlich aristokratisch in den Händen der Aristokraten, und da alles Neue den größten Zauber übt, so ist ein litterärischer Ruhm das Bestreben eines Manchen, den andere Lockungen gleichgültig lassen, deshalb habe ich die Kenntniß der Russischen Sprache benutzt, um ein Werk zu beginnen worin ich den Deutschen in einer so viel als möglichen wörtlichen Uebertragung das Bemerkenswertheste der russischen schönen Litteratur vorzulegen gedenke, und es wäre mir höchst wichtig wenn in Deutschland von diesen Geistesproducten auf eine vortheilhafte Art Kenntniß genommen würde, denn dadurch würden sich mir sämmtliche Herren sehr verpflichtet fühlen, und dies würde vortheilhaft auf meine Angelegenheit zurückwirken. Sie kennen Schukowsky vielleicht selbst, und wissen in welcher Beziehung er zu der Kaiserlichen Familie steht. Puschkin ist ein vertrauter Freund des Ministers des Innern. Gribojedow war persischer Gesandter und Schwager des Fürsten Paskowitzsch.
Ich weiß recht wohl, daß ich Ihnen in diesen Proben der Russischen schönen Litteratur keine Meisterwerke vorlege, aber man kann von dem erwachenden Geist nicht gleich edle Früchte, wie von dem Gereiften, erwarten, und [3] schöne Anlagen, glaube ich, sind darin nicht zu verkennen, und eine billige Kritik wäre um so gerechter, da die einsichtsvollen Kritiker Rußlands selbst, zwar ihre Poeten, als solche, sehr hoch verehren, aber mit Bescheidenheit zugeben, daß sie als Europäische Dichter, nicht den gleichen Rang einnehmen können. Gribojedowʼs witziges Lustspiel, glaube ich, kann sehr wohl einen Vergleich mit Sheridanʼs School for Scandal aushalten, und ich glaube, es wird Ihnen eine heitere Stunde gewähren, und Ihnen, weil es ein so treues Sittengemählde ist, vielleicht Ihren Aufenthalt hier im Lande lebhaft ins Gedächtniß zurückrufen. Ist es nun, verehrter Freund, zu viel erwartet, wenn ich hoffe, Sie werden sich durch die Wichtigkeit des Dienstes den Sie uns dadurch leisten, bestimmen lassen, etwas für die ehrenvolle Bekanntmachung meines Unternehmens, entweder selbst zu thun, oder dies durch Ihnen ergebene litterärische Freunde bewerkstelligen lassen? Glauben Sie mir es ist keine thörigte Eitelkeit die mich bestimmt diesen Wunsch zu hegen, sondern ein wichtiger, ernsthafter, in unser Lebensglück eingreifender Grund; denn ich weiß sehr wohl, daß das was ich Ihnen bieten kann, nicht an sich von so hohem Werthe ist, daß ich hoffen dürfte Ihre Zeit dafür in Anspruch zu nehmen, obgleich, dem philosophischen Beobachter, der Beginn geistiger Entwickelung eines grossen Volkes, nicht gleichgültig seyn kann; in gewissem Grade würden Sie sich also immer dafür interressieren, aber nur von Ihrer Freundschaft kann ich hoffen, daß Sie den Hervorbringungen russischer Autoren, die ich Ihnen hiermit überreiche, besondere Aufmerksamkeit schenken werden.
Die Litteratur ist in unserer Provinz ein Luxus-Artikel, den die Meisten ohne Anstrengung entbehren, es ist also natürlich, daß ich meine [4] Uebersetzungen auf meine Kosten drucken lasse; zu beklagen ist es aber, daß die Drucker so wenig geübt werden, und ich ein schlechter Korrector bin, daß so viele Druckfehler stehen bleiben, und der Druck mir hierdurch einen Sprachfehler aufbürdet, der hier in unserer Provinz allgemein ist, nehmlich die häufige Verwechselung des Dativs und Accusativs.
Meine Frau wollte Sie selbst bitten ihr ein freundschaftliches Andenken zu behalten, aber ihre Gesundheit die seit einiger Zeit ernsthaft angegriffen ist, verbietet ihr heute jede Anstrengung, und sie trägt mir deshalb auf Sie aufs Herzlichste zu grüßen; ich hoffe der Gebrauch der Seebäder, den sie seit einigen Tagen begonnen hat, soll vortheilhaft auf ihre Gesundheit wirken, und so den Kummer mildern, den ich darüber schon lange leide.
Eine große Freude würde es uns beiden veruhrsachen wenn wir einmal wieder durch einen Brief von Ihnen die Versicherung erhielten, daß die Freundschaft die Sie ehedem für uns empfanden, nicht durch den Einfluß der Zeit vernichtet ist. Ich darf von mir behaupten, daß ich in ungeschwächter Achtung und Freundschaft bin wie immer, verehrter
Freund,
Ihr
aufrichtig ergebener
Karl von Knorring.
Reval d.
20t Juny
1832.
[1] Werthgeschätzter Freund,
Das Leben hat uns so weit auseinander geführt, und persönliche Verhältnisse haben uns so lange getrennt, daß ich befürchten mußte, Sie werden nur mit Verwunderung einen Brief von mir empfangen, wenn mir Ihre edle Treue in der Freundschaft nicht bekannt wäre. Ich zweifle wohl nicht daß Ihr Bild unseren Herzen näher geblieben ist, als Ihnen das Unsrige; denn Sie haben ein reiches Leben gelebt, viele neue Freunde haben sich Ihnen angeschlossen; ein tiefsinniges Studium hat Sie in fortwährender Berührung mit ausgezeichneten Geistern erhalten, da hingegen das Schicksal uns eine Stelle angewiesen hat, auf der wir schmerzlich die Einsamkeit des Geistes fühlen, und deshalb ganz natürlich mit inniger Liebe, die, in der Jugend erworbenen Freunde im Herzen bewahren, aber demohngeachtet zweifle ich nicht, daß Sie mit Theilnahme die Zeilen empfangen werden, die auch Ihnen frühere Freunde, und entschwundene Tage zurückrufen.
Die nächste Veranlassung dieses Briefes, ich gestehe es, ist selbstsüchtig und Sie werden darum meine innigste Achtung und Freundschaft nicht für minder wahr halten, weil ich dies aufrichtig eingestehe; auch bin ich fest überzeugt, daß Ihr Charakter sich treu geblieben, und Sie, wie früher, so auch jetzt, jede Gelegenheit gern ergreifen, Ihre Freunde zu verbinden, deshalb will ich ohne weitere Vorrede Ihnen meine Wünsche mit Zuversicht ans Herz legen. Ich habe hier eine himmelschreiend-schmerzliche Ungerechtigkeit erfahren, die die letzte Zeit unseres Lebens aufs Bitterste vergiftet hat, und zu meinem höchsten Kummer, schmerzlich auf meinen Sohn zurückwirkt. Ich habe von jeh [2] den Grundsatz gehabt daß das Unvermeidliche mit Standhaftigkeit getragen werden muß, ohne die Freunde mit unnützem Jammer zu belästigen, daß aber auch alles Widerwärtige männlich bekämpft werden muß, und so habe ich auch die ganz entschiedene Hoffnung, vollkommner Erstattung alles Erlittenen zu erhalten, da aber diese Genugthuung nur durch den Kaiser selbst gewährt werden kann, so haben mir einflußreiche Freunde gerathen, meinen Nahmen, auf eine in den hiesigen Verhältnissen angenehme Weise bekannt zu machen. Die schöne Litteratur Rußlands ist im Erwachen und da es hier, wie Sie selbst werden Gelegenheit gehabt haben zu bemerken, so gut wie gar keinen Mittelstand giebt, sondern scharf geschieden, man zum Adel oder zum Volk gehört, so ist die Litteratur natürlich aristokratisch in den Händen der Aristokraten, und da alles Neue den größten Zauber übt, so ist ein litterärischer Ruhm das Bestreben eines Manchen, den andere Lockungen gleichgültig lassen, deshalb habe ich die Kenntniß der Russischen Sprache benutzt, um ein Werk zu beginnen worin ich den Deutschen in einer so viel als möglichen wörtlichen Uebertragung das Bemerkenswertheste der russischen schönen Litteratur vorzulegen gedenke, und es wäre mir höchst wichtig wenn in Deutschland von diesen Geistesproducten auf eine vortheilhafte Art Kenntniß genommen würde, denn dadurch würden sich mir sämmtliche Herren sehr verpflichtet fühlen, und dies würde vortheilhaft auf meine Angelegenheit zurückwirken. Sie kennen Schukowsky vielleicht selbst, und wissen in welcher Beziehung er zu der Kaiserlichen Familie steht. Puschkin ist ein vertrauter Freund des Ministers des Innern. Gribojedow war persischer Gesandter und Schwager des Fürsten Paskowitzsch.
Ich weiß recht wohl, daß ich Ihnen in diesen Proben der Russischen schönen Litteratur keine Meisterwerke vorlege, aber man kann von dem erwachenden Geist nicht gleich edle Früchte, wie von dem Gereiften, erwarten, und [3] schöne Anlagen, glaube ich, sind darin nicht zu verkennen, und eine billige Kritik wäre um so gerechter, da die einsichtsvollen Kritiker Rußlands selbst, zwar ihre Poeten, als solche, sehr hoch verehren, aber mit Bescheidenheit zugeben, daß sie als Europäische Dichter, nicht den gleichen Rang einnehmen können. Gribojedowʼs witziges Lustspiel, glaube ich, kann sehr wohl einen Vergleich mit Sheridanʼs School for Scandal aushalten, und ich glaube, es wird Ihnen eine heitere Stunde gewähren, und Ihnen, weil es ein so treues Sittengemählde ist, vielleicht Ihren Aufenthalt hier im Lande lebhaft ins Gedächtniß zurückrufen. Ist es nun, verehrter Freund, zu viel erwartet, wenn ich hoffe, Sie werden sich durch die Wichtigkeit des Dienstes den Sie uns dadurch leisten, bestimmen lassen, etwas für die ehrenvolle Bekanntmachung meines Unternehmens, entweder selbst zu thun, oder dies durch Ihnen ergebene litterärische Freunde bewerkstelligen lassen? Glauben Sie mir es ist keine thörigte Eitelkeit die mich bestimmt diesen Wunsch zu hegen, sondern ein wichtiger, ernsthafter, in unser Lebensglück eingreifender Grund; denn ich weiß sehr wohl, daß das was ich Ihnen bieten kann, nicht an sich von so hohem Werthe ist, daß ich hoffen dürfte Ihre Zeit dafür in Anspruch zu nehmen, obgleich, dem philosophischen Beobachter, der Beginn geistiger Entwickelung eines grossen Volkes, nicht gleichgültig seyn kann; in gewissem Grade würden Sie sich also immer dafür interressieren, aber nur von Ihrer Freundschaft kann ich hoffen, daß Sie den Hervorbringungen russischer Autoren, die ich Ihnen hiermit überreiche, besondere Aufmerksamkeit schenken werden.
Die Litteratur ist in unserer Provinz ein Luxus-Artikel, den die Meisten ohne Anstrengung entbehren, es ist also natürlich, daß ich meine [4] Uebersetzungen auf meine Kosten drucken lasse; zu beklagen ist es aber, daß die Drucker so wenig geübt werden, und ich ein schlechter Korrector bin, daß so viele Druckfehler stehen bleiben, und der Druck mir hierdurch einen Sprachfehler aufbürdet, der hier in unserer Provinz allgemein ist, nehmlich die häufige Verwechselung des Dativs und Accusativs.
Meine Frau wollte Sie selbst bitten ihr ein freundschaftliches Andenken zu behalten, aber ihre Gesundheit die seit einiger Zeit ernsthaft angegriffen ist, verbietet ihr heute jede Anstrengung, und sie trägt mir deshalb auf Sie aufs Herzlichste zu grüßen; ich hoffe der Gebrauch der Seebäder, den sie seit einigen Tagen begonnen hat, soll vortheilhaft auf ihre Gesundheit wirken, und so den Kummer mildern, den ich darüber schon lange leide.
Eine große Freude würde es uns beiden veruhrsachen wenn wir einmal wieder durch einen Brief von Ihnen die Versicherung erhielten, daß die Freundschaft die Sie ehedem für uns empfanden, nicht durch den Einfluß der Zeit vernichtet ist. Ich darf von mir behaupten, daß ich in ungeschwächter Achtung und Freundschaft bin wie immer, verehrter
Freund,
Ihr
aufrichtig ergebener
Karl von Knorring.
Reval d.
20t Juny
1832.
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