• Christian Lassen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: London · Place of Destination: Bonn · Date: 04.06.1824
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Christian Lassen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: London
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 04.06.1824
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 370508637
  • Bibliography: Schlegel, August Wilhelm; Lassen, Christian: Briefwechsel. Hg. v. Willibald Kirfel. Bonn 1914, S. 38‒43.
  • Incipit: „[1] London, d. 4. Juni 1824.
    Hochwohlgebohrner Herr Professor!
    Hochverehrtester Lehrer!
    Die beiden Handschriften des Ram[ayana], womit ich jetzt vorzüglich beschäftigt bin, geben mir [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-34965
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.14,Nr.20
  • Number of Pages: 3 S. auf Doppelbl., hs. m. U. u. Adresse
  • Format: 25 x 19,8 cm
    Language
  • German
[1] London, d. 4. Juni 1824.
Hochwohlgebohrner Herr Professor!
Hochverehrtester Lehrer!
Die beiden Handschriften des Ram[ayana], womit ich jetzt vorzüglich beschäftigt bin, geben mir zu so vielen Bemerkungen Stoff, daß es mir erlaubt seyn möge, Ihnen in diesem Briefe beinahe ausschließlich davon Bericht abzustatten. Da Ewr. Hochwohlgebohren selbst mit ähnlichen Betrachtungen gegenwärtig auch wohl sehr sich beschäftigen, darf ich vielleicht hoffen, daß diese Bemerkungen für Sie einiges Interesse haben werden.
Das erste Buch in dem Manuscript von Herrn Todd, deßen Collation ich jetzt beendigt habe, trägt das Datum Samvat 1769, und wenn ich letzthin vermuthete, daß dieses vielleicht ein Schreibfehler sey, so nehme ich dieses jetzt zurück, nachdem ich das ganze Buch durchgelesen habe und genöthigt worden bin, es mit den folgenden zu vergleichen. Erstens ist das Papier verschieden; zweitens ist das erste Buch weit besser erhalten, als die folgenden, und endlich scheint mir der Stil der Gemählde nicht auf denselben oder einen gleichzeitigen Mahler zu führen. Obwohl die Abweichungen nicht unbeträchtlich sind, habe ich doch eine weit größere Uebereinstimmung gefunden, als ich anfangs hoffte, und namentlich ist die Uebereinstimmung in den Episoden des ersten Buches so groß und durchgreifend, daß wir auf eine ganz identische Quelle schließen müßen. Ich glaube bemerkt zu haben, daß diejenigen Capitel, die bloß Nahmen haben, abweichender sind als diejenigen, bei denen die Zahl angegeben wird, welche wiederum mit den Zahlen des Tilaka genau zusammentrifft. Die Ausbeute der Collation beträgt 27 Bogen, und ich hoffe, daß durch die Weise, wie ich die Varianten angegeben habe, es Ihnen jedesmahl keine Schwierigkeit machen wird, die Variante zu der gehörigen Stelle der Ser[amporer] Ausgabe zu referiren. Obwohl der Codex im Ganzen sehr incorrect geschrieben ist, liefert er doch einige sehr empfehlenswerthe Lesarten, ja einige ausgemachte Verbesserungen. Was aber eben diese Schreibfehler betrifft, so bin ich einigermaaßen unentschlossen, wie weit ich in der genauen Angabe derselben gehen soll, und in wie fern es mir erlaubt seyn kann, sie aus dem Stegereif zu corrigiren. [2] Daß der Schreiber des ersten Buchs gar kein Sanskrit verstanden hat, darüber zweifle ich keinen Augenblick. Seine Fehler sind in der That frech: Anusvara und Visarga sind ihm ganz unbekannte Wesen gewesen und er geht völlig damit um, wie Kinder mit einem Messer. Mit den langen und kurzen Vocalen steht es nicht viel besser und sogar Verwechselungen der Vargas der Consonanten sind ihm nicht fremd (z. B. Bharaṯha und dergl.). Von den verschiedenen Sibilanten spreche ich gar nicht. Solche ausgemachte Fehler habe ich größentheils ohne weitere Bemerkung corrigirt, da dabei wohl nicht leicht ein Versehen begangen werden kann, außer etwa bei Epitheten, die auf zwei Personen bezogen werden können. Sie können aber bei solchen Stellen ohne Verantwortung mit unbeschränkter Freiheit verfahren, da das Manuscript dazu berechtigt: ich hielt es aber für erlaubt, solche Fehler zu corrigiren, theils weil eine lateinische Abschrift die Verbeßerung nicht so augenblicklich an die Hand giebt, theils auch, weil ich fürchtete, daß so viele und so grobe Fehler einer nachläßigen Collation möchten zugeschrieben werden. Ferner: wo ich gesehen habe, daß der Schreiber eben dasselbe hat schreiben wollen, was die Ed[itio] Ser[amporica] hat, aber sich so verschrieben, daß es durchaus keinen Sinn giebt, habe ich nichts angemerkt. Weiter bin ich nicht gegangen; denn ich habe mich sehr oft überzeugt, daß Fehler oft aus guten Lesarten entstanden sind und darauf zurückführen, und bin weit entfernt, mir die Einsicht zuzutrauen, gleich sehen zu können, welche Fehler brauchbar seyen und welche absolut verwerflich. Es giebt freilich eine Classe von gleichgültigen Varianten, die ein geübter Critiker bei einem so großen Werke vielleicht nicht anmerken würde: ich meine z. B. wenn für mahânṛĭshih steht mahâmunih, oder für tasyaîtat vachanañ ṣrutvâ steht: ṣrutvaîtad vachanañ tasya ‒ doch hierüber steht mir kein Ausspruch zu. ‒ Ich bin natürlich gleich zu einer Abschrift des zweiten Buches geschritten und werde die Sache so einrichten, daß wo es mir möglich ist, ich den Toddʼschen Codex als Mittel gebrauche, die übrigen darnach zu vergleichen: wo es nicht angeht, schreibe ich ganz ab. Da ich in meinem Buche auf einer Seite den Cod. T[odd] abschreibe, auf der gegenüberstehenden die Varianten der Devanag[ari] Hdschrften angebe, fürchte ich nicht, daß die Klarheit der Ausgabe dadurch getrübt werden kann.
[3] Wenig erfreuliches habe ich Ihnen von [dem b]engalischen Codex zu sagen: so groß die Uebereinstimmung einerseits ist, selbst in solchen Lesarten, die bloß in der Ed[itio] Ser[amporica] vorkommen und in gewißen Ausdrücken, die mehr nach dem Grammatiker irgend einer Schule, als nach einem freien und lebendigen Gebrauch der Rede schmecken, so sind andernseits in der Mitte des 1sten Buchs die Capitel vorherrschend, wo auch gar keine Uebereinstimmung in den Worten mit irgend einem andern mir bekannten Text statt findet. Ich muß diese Abweichungen meinem Gefühl nach freilich für sehr werthlos halten: sie scheinen mir bloß die Auswüchse eines müßigen Kopfes zu seyn, der nichts besseres wußte, als sich an der geheiligten Tradition der Vorwelt zu vergreifen. Den Beweis zu führen, übernehme ich jetzt nicht, um so mehr, da, wenn ich Recht habe, Ewr. Hochwohlgebohren die Sache selbst weit besser einsehen werden, und wenn ich Unrecht habe, ich die Mühe doch umsonst mir gemacht haben würde. Da ich viele Capitel ganz abschreiben muß und auch solche Capitel, wo die Abweichungen gering sind, eben so sorgfältig verglichen seyn wollen, bin ich der Wahrheit nach, auch erst zum 32sten Capitel so vorgerückt. Es kömmt meine bisherige Ungeübtheit in der Lesung der Bengal. Schrift hinzu. Dazu kömmt, daß die Lesung eines jeden Bengal. Codex ein neues Studium von vorne an erfordert. Die Devana[gari] Hdschrften haben Eigenthümlichkeiten, die mehr ganzen Provinzen angehören; die Bengal. dagegen solche, die ein jedes schreibende Individuum für sich angenommen hat, ohngefähr wie die Europäischen Kalographen jeder eine eigene Hand sich bildet. Gewisse Combinationen, die in andern Beng[alischen] Manuscripten sehr deutlich sind, sind es in diesem nicht: ich finde hier in der That keinen Unterschied zwischen tm‒mu‒so. Ich füge schließlich hinzu, daß ich mit der Abschrift des Cod. A zum 54sten Blatte gekommen bin: das ganze zweite Buch hält 200. Die zweifelhaften Stellen des 1ten Buches habe ich mit den Manuscripten abgesendet, und das Packet muß jetzt, hoffe ich, angekommen seyn, da Baron Werther mich versicherte, daß er es gleich absenden könnte. Da ich nur bestimmte Stunden auf der Royal Soc[iety] habe, kann ich mir selbst keinen Zeitpunct bestimmen, binnen welchem ich Ihnen die nächste Sendung meiner Collation liefern kann. Die Vergleichung des Ghata Karpara würde ich längst unternommen habe[n]: es ist aber hier kein Codex davon vorhanden: wenigstens nicht in den Cataloguen, und ich muß es dem Zufall überlassen, ob ich einen auffinden werde.
Mit der größen Hochachtung
und Dankbarkeit
Chr. Laßen.
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[1] London, d. 4. Juni 1824.
Hochwohlgebohrner Herr Professor!
Hochverehrtester Lehrer!
Die beiden Handschriften des Ram[ayana], womit ich jetzt vorzüglich beschäftigt bin, geben mir zu so vielen Bemerkungen Stoff, daß es mir erlaubt seyn möge, Ihnen in diesem Briefe beinahe ausschließlich davon Bericht abzustatten. Da Ewr. Hochwohlgebohren selbst mit ähnlichen Betrachtungen gegenwärtig auch wohl sehr sich beschäftigen, darf ich vielleicht hoffen, daß diese Bemerkungen für Sie einiges Interesse haben werden.
Das erste Buch in dem Manuscript von Herrn Todd, deßen Collation ich jetzt beendigt habe, trägt das Datum Samvat 1769, und wenn ich letzthin vermuthete, daß dieses vielleicht ein Schreibfehler sey, so nehme ich dieses jetzt zurück, nachdem ich das ganze Buch durchgelesen habe und genöthigt worden bin, es mit den folgenden zu vergleichen. Erstens ist das Papier verschieden; zweitens ist das erste Buch weit besser erhalten, als die folgenden, und endlich scheint mir der Stil der Gemählde nicht auf denselben oder einen gleichzeitigen Mahler zu führen. Obwohl die Abweichungen nicht unbeträchtlich sind, habe ich doch eine weit größere Uebereinstimmung gefunden, als ich anfangs hoffte, und namentlich ist die Uebereinstimmung in den Episoden des ersten Buches so groß und durchgreifend, daß wir auf eine ganz identische Quelle schließen müßen. Ich glaube bemerkt zu haben, daß diejenigen Capitel, die bloß Nahmen haben, abweichender sind als diejenigen, bei denen die Zahl angegeben wird, welche wiederum mit den Zahlen des Tilaka genau zusammentrifft. Die Ausbeute der Collation beträgt 27 Bogen, und ich hoffe, daß durch die Weise, wie ich die Varianten angegeben habe, es Ihnen jedesmahl keine Schwierigkeit machen wird, die Variante zu der gehörigen Stelle der Ser[amporer] Ausgabe zu referiren. Obwohl der Codex im Ganzen sehr incorrect geschrieben ist, liefert er doch einige sehr empfehlenswerthe Lesarten, ja einige ausgemachte Verbesserungen. Was aber eben diese Schreibfehler betrifft, so bin ich einigermaaßen unentschlossen, wie weit ich in der genauen Angabe derselben gehen soll, und in wie fern es mir erlaubt seyn kann, sie aus dem Stegereif zu corrigiren. [2] Daß der Schreiber des ersten Buchs gar kein Sanskrit verstanden hat, darüber zweifle ich keinen Augenblick. Seine Fehler sind in der That frech: Anusvara und Visarga sind ihm ganz unbekannte Wesen gewesen und er geht völlig damit um, wie Kinder mit einem Messer. Mit den langen und kurzen Vocalen steht es nicht viel besser und sogar Verwechselungen der Vargas der Consonanten sind ihm nicht fremd (z. B. Bharaṯha und dergl.). Von den verschiedenen Sibilanten spreche ich gar nicht. Solche ausgemachte Fehler habe ich größentheils ohne weitere Bemerkung corrigirt, da dabei wohl nicht leicht ein Versehen begangen werden kann, außer etwa bei Epitheten, die auf zwei Personen bezogen werden können. Sie können aber bei solchen Stellen ohne Verantwortung mit unbeschränkter Freiheit verfahren, da das Manuscript dazu berechtigt: ich hielt es aber für erlaubt, solche Fehler zu corrigiren, theils weil eine lateinische Abschrift die Verbeßerung nicht so augenblicklich an die Hand giebt, theils auch, weil ich fürchtete, daß so viele und so grobe Fehler einer nachläßigen Collation möchten zugeschrieben werden. Ferner: wo ich gesehen habe, daß der Schreiber eben dasselbe hat schreiben wollen, was die Ed[itio] Ser[amporica] hat, aber sich so verschrieben, daß es durchaus keinen Sinn giebt, habe ich nichts angemerkt. Weiter bin ich nicht gegangen; denn ich habe mich sehr oft überzeugt, daß Fehler oft aus guten Lesarten entstanden sind und darauf zurückführen, und bin weit entfernt, mir die Einsicht zuzutrauen, gleich sehen zu können, welche Fehler brauchbar seyen und welche absolut verwerflich. Es giebt freilich eine Classe von gleichgültigen Varianten, die ein geübter Critiker bei einem so großen Werke vielleicht nicht anmerken würde: ich meine z. B. wenn für mahânṛĭshih steht mahâmunih, oder für tasyaîtat vachanañ ṣrutvâ steht: ṣrutvaîtad vachanañ tasya ‒ doch hierüber steht mir kein Ausspruch zu. ‒ Ich bin natürlich gleich zu einer Abschrift des zweiten Buches geschritten und werde die Sache so einrichten, daß wo es mir möglich ist, ich den Toddʼschen Codex als Mittel gebrauche, die übrigen darnach zu vergleichen: wo es nicht angeht, schreibe ich ganz ab. Da ich in meinem Buche auf einer Seite den Cod. T[odd] abschreibe, auf der gegenüberstehenden die Varianten der Devanag[ari] Hdschrften angebe, fürchte ich nicht, daß die Klarheit der Ausgabe dadurch getrübt werden kann.
[3] Wenig erfreuliches habe ich Ihnen von [dem b]engalischen Codex zu sagen: so groß die Uebereinstimmung einerseits ist, selbst in solchen Lesarten, die bloß in der Ed[itio] Ser[amporica] vorkommen und in gewißen Ausdrücken, die mehr nach dem Grammatiker irgend einer Schule, als nach einem freien und lebendigen Gebrauch der Rede schmecken, so sind andernseits in der Mitte des 1sten Buchs die Capitel vorherrschend, wo auch gar keine Uebereinstimmung in den Worten mit irgend einem andern mir bekannten Text statt findet. Ich muß diese Abweichungen meinem Gefühl nach freilich für sehr werthlos halten: sie scheinen mir bloß die Auswüchse eines müßigen Kopfes zu seyn, der nichts besseres wußte, als sich an der geheiligten Tradition der Vorwelt zu vergreifen. Den Beweis zu führen, übernehme ich jetzt nicht, um so mehr, da, wenn ich Recht habe, Ewr. Hochwohlgebohren die Sache selbst weit besser einsehen werden, und wenn ich Unrecht habe, ich die Mühe doch umsonst mir gemacht haben würde. Da ich viele Capitel ganz abschreiben muß und auch solche Capitel, wo die Abweichungen gering sind, eben so sorgfältig verglichen seyn wollen, bin ich der Wahrheit nach, auch erst zum 32sten Capitel so vorgerückt. Es kömmt meine bisherige Ungeübtheit in der Lesung der Bengal. Schrift hinzu. Dazu kömmt, daß die Lesung eines jeden Bengal. Codex ein neues Studium von vorne an erfordert. Die Devana[gari] Hdschrften haben Eigenthümlichkeiten, die mehr ganzen Provinzen angehören; die Bengal. dagegen solche, die ein jedes schreibende Individuum für sich angenommen hat, ohngefähr wie die Europäischen Kalographen jeder eine eigene Hand sich bildet. Gewisse Combinationen, die in andern Beng[alischen] Manuscripten sehr deutlich sind, sind es in diesem nicht: ich finde hier in der That keinen Unterschied zwischen tm‒mu‒so. Ich füge schließlich hinzu, daß ich mit der Abschrift des Cod. A zum 54sten Blatte gekommen bin: das ganze zweite Buch hält 200. Die zweifelhaften Stellen des 1ten Buches habe ich mit den Manuscripten abgesendet, und das Packet muß jetzt, hoffe ich, angekommen seyn, da Baron Werther mich versicherte, daß er es gleich absenden könnte. Da ich nur bestimmte Stunden auf der Royal Soc[iety] habe, kann ich mir selbst keinen Zeitpunct bestimmen, binnen welchem ich Ihnen die nächste Sendung meiner Collation liefern kann. Die Vergleichung des Ghata Karpara würde ich längst unternommen habe[n]: es ist aber hier kein Codex davon vorhanden: wenigstens nicht in den Cataloguen, und ich muß es dem Zufall überlassen, ob ich einen auffinden werde.
Mit der größen Hochachtung
und Dankbarkeit
Chr. Laßen.
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