• Friedrich Conrad Griepenkerl , Philipp Emanuel von Fellenberg to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Hofwil · Place of Destination: Bern · Date: 12.09.1811
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich Conrad Griepenkerl, Philipp Emanuel von Fellenberg
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Hofwil
  • Place of Destination: Bern
  • Date: 12.09.1811
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,39
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 23,2 x 18,8 cm
  • Incipit: „[1] Vielen Dank sind wir Ihnen schuldig, Herr Professor, für den vortrefflichen kleinen Aufsatz und für die Erlaubniss, welche Sie [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
[1] Vielen Dank sind wir Ihnen schuldig, Herr Professor, für den vortrefflichen kleinen Aufsatz und für die Erlaubniss, welche Sie mir neulich durch Frau von Haller gegeben haben. ich darf also bitten – und Sie wollen mir von Ihrem Reichthume mittheilen. Wie könnte ich diese Ihre gütige Zusage unbenutzt lassen! Der Erzieher bedarf so sehr der hülfreichen Unterstützung gelehrter Männer, er selbst hat nicht Zeit zu Untersuchungen, die um ihrer selbst willen unternommen sein wollen, wenn sie gelingen sollen, sein ganzer Fleiß ist der augenblicklichen Sorge für seine Zöglinge dahin gegeben. Und doch ist ihm zur vollendeten Führung seines Geschäftes fast das ganze menschliche Wissen nöthig: denn wo wäre irgend ein Zweig desselben, der nicht unter gegebenen Umständen bildender als jeder andere würken könnte? – Fände nur der Erzieher stets so freundliche Hülfe, als ich das Glück hatte von Ihnen zu erhalten! –
Die Bemerkungen in Ihrem interessanten Aufsatze, welche mir die meiste pädagogische Wichtigkeit zu haben scheinen, sind die über die eigene Verwandtschaft der neulateinischen Sprachen mit der Deutschen und der Lateinischen – über das Lied der Nibelungen – über Tassos befreites Jerusalem – über den Cid und Kalderons Werke – über die Lusiade des Camoens und über die pädagogische Unbrauchbarkeit der Französischen Literatur.
[2] ich erinnere mich, einmal von einem Versuche über die genetische Erklärung der neulateinischen Sprachen gehört zu haben. Ist dieser Versuch zu Stande gekommen? Hat er eine brauchbare Ausbeute gegeben? Beschäfftigt sich vielleicht mit dem Gegenstande jetzt irgend ein der Sache kundiger Mann?
Das Lied der Nibelungen ist schon in meiner Hand in der neuesten Ausgabe des H. v. d. Hagen. Ein vortreffliches Buch! Kein besseres möchte zu finden sein, um die schlafende Deutschheit wieder zu erwecken. Sein pädagogischer Gebrauch muß verbreitet werden. Wir wollen nach unseren Kräften dazu mitwürken. Aber der Vorarbeiten mangeln noch so viele. Welch ein Verdienst um die Wiederbelebung Deutschen Sinnes und Deutscher Kraft, um die rechte Würdigung aller Deutscher Dichtung erwarben sich die Männer, die uns die Verständniß dieses herrlichen Liedes eröffnen! Hier ist der Dank der Deutschen Nachwelt in hohem Grade zu gewinnen. Möchten Sie doch bald Muße finden, Ihr angefangenes Werk darüber zu vollenden! In dieser Beziehung freue ich mich, ich freue mich für Deutschland, daß Sie diesseit des Weltmeers bleiben. Verlassen Sie Ihr Vaterland nicht. Kein guter Sohn verläßt die erkrankte Mutter. – Aber bis Ihre vielversprechenden Arbeiten über das Lied der Nibelungen fertig sind – sagen Sie mir, welches ist das brauchbarste Wörterbuch? wo findet sich eine gute Grammatik dieser Sprache? [3] wo sind die unentbehrlichsten historischen Notizen aufgezeichnet? wo erhält man Auskunft über die Aussprache? was bedeuten die Zeichen über einzelnen Vokalen in der Ausgabe des H. v. d. Hagen? – Welche Gründe haben Sie, zu vermuthen, daß Attila im Lied der Nibelungen auftrete? – – –
Tasso singt eine frühere Begebenheit in Form, Ton und Sprache seiner Zeit. Sollte dies Gedicht geeignet sein, dem Zöglinge die Sinnesart, die Gestalt der Sitten und die ganze Art der Kreuzfahrer und ihres Zeitalters vorzuführen? Sollte nicht vielmehr die Graciä, die Feinheit, die Eleganz von Tassos Zeit daran zu erkennen sein? –
Der Cid ist wohl eins der bedeutendsten Werke zu pädagogischem Zweck. Hat die Sprache nicht zu große Schwierigkeiten? Ist Herders Übersetzung in den Hauptsachen durchaus treffend? – Fand Calderon so gute Erklärer als Schakspear? Auf allen Fall wird Ihre Übersetzung den Erzieher trefflich orientiren. –
Von der Lusiade des Camoens wuste ich am wenigsten. Sie zeichnen dies Gedicht als eins der herrlichsten aller Zeiten. Giebt die vor einigen Jahren erschienene Übersetzung desselben einen Begriff von dem Werthe des Originals?
[4] Schakspear schwebt über aller Zeit. ich würde Bedenken tragen, an ihn irgend etwas zu knüpfen. Er allein hat so viel Bildendes als die ganze Englische Geschichte. Er ist der Probestein des vielgewandten Geistes. Hat der Jüngling nicht Talent und Zeit, um ihn in der schweren Ursprache zu lesen, so darf ihm doch Ihre herrliche Übersetzung nicht fehlen. –
Wissen Sie ein Mittel, das Bedürfniß des Französisch-Plauderns, wodurch dem Kinde und dem Knaben die edle Jugendzeit vergiftet ward, unschädlich zu machen? – Sind Sie auch der Meinung, daß es kein Mittel gebe, noch den Jüngling gut Französisch reden zu lehren?
Ist es durchaus unumgänglich, daß schon das Kind durch dies unglückliche Gemengsel die Seele seiner Muttersprache verliere? – – – – – – – – – – –
Wenn einst Homer, das Lied der Nibelungen und so viele andere Herrlichkeiten die läppischen Kinderschriften verdrängt haben, dann ist es Zeit, auch anderen Hoffnungen wieder Raum zu geben. –
Mit der innigsten Hochachtung und Dankbarkeit habe ich die Ehre, mich zu nennen
Ihren
ergebensten
F. Griepenkerl
Hofwyl bei Bern d. 12ten 9ten
1811

Es versteht sich wohl von Selbst daß Griepenkerl auch für mich dankt. Hochachtungsvoll Ihr
Fellenberg
[1] Vielen Dank sind wir Ihnen schuldig, Herr Professor, für den vortrefflichen kleinen Aufsatz und für die Erlaubniss, welche Sie mir neulich durch Frau von Haller gegeben haben. ich darf also bitten – und Sie wollen mir von Ihrem Reichthume mittheilen. Wie könnte ich diese Ihre gütige Zusage unbenutzt lassen! Der Erzieher bedarf so sehr der hülfreichen Unterstützung gelehrter Männer, er selbst hat nicht Zeit zu Untersuchungen, die um ihrer selbst willen unternommen sein wollen, wenn sie gelingen sollen, sein ganzer Fleiß ist der augenblicklichen Sorge für seine Zöglinge dahin gegeben. Und doch ist ihm zur vollendeten Führung seines Geschäftes fast das ganze menschliche Wissen nöthig: denn wo wäre irgend ein Zweig desselben, der nicht unter gegebenen Umständen bildender als jeder andere würken könnte? – Fände nur der Erzieher stets so freundliche Hülfe, als ich das Glück hatte von Ihnen zu erhalten! –
Die Bemerkungen in Ihrem interessanten Aufsatze, welche mir die meiste pädagogische Wichtigkeit zu haben scheinen, sind die über die eigene Verwandtschaft der neulateinischen Sprachen mit der Deutschen und der Lateinischen – über das Lied der Nibelungen – über Tassos befreites Jerusalem – über den Cid und Kalderons Werke – über die Lusiade des Camoens und über die pädagogische Unbrauchbarkeit der Französischen Literatur.
[2] ich erinnere mich, einmal von einem Versuche über die genetische Erklärung der neulateinischen Sprachen gehört zu haben. Ist dieser Versuch zu Stande gekommen? Hat er eine brauchbare Ausbeute gegeben? Beschäfftigt sich vielleicht mit dem Gegenstande jetzt irgend ein der Sache kundiger Mann?
Das Lied der Nibelungen ist schon in meiner Hand in der neuesten Ausgabe des H. v. d. Hagen. Ein vortreffliches Buch! Kein besseres möchte zu finden sein, um die schlafende Deutschheit wieder zu erwecken. Sein pädagogischer Gebrauch muß verbreitet werden. Wir wollen nach unseren Kräften dazu mitwürken. Aber der Vorarbeiten mangeln noch so viele. Welch ein Verdienst um die Wiederbelebung Deutschen Sinnes und Deutscher Kraft, um die rechte Würdigung aller Deutscher Dichtung erwarben sich die Männer, die uns die Verständniß dieses herrlichen Liedes eröffnen! Hier ist der Dank der Deutschen Nachwelt in hohem Grade zu gewinnen. Möchten Sie doch bald Muße finden, Ihr angefangenes Werk darüber zu vollenden! In dieser Beziehung freue ich mich, ich freue mich für Deutschland, daß Sie diesseit des Weltmeers bleiben. Verlassen Sie Ihr Vaterland nicht. Kein guter Sohn verläßt die erkrankte Mutter. – Aber bis Ihre vielversprechenden Arbeiten über das Lied der Nibelungen fertig sind – sagen Sie mir, welches ist das brauchbarste Wörterbuch? wo findet sich eine gute Grammatik dieser Sprache? [3] wo sind die unentbehrlichsten historischen Notizen aufgezeichnet? wo erhält man Auskunft über die Aussprache? was bedeuten die Zeichen über einzelnen Vokalen in der Ausgabe des H. v. d. Hagen? – Welche Gründe haben Sie, zu vermuthen, daß Attila im Lied der Nibelungen auftrete? – – –
Tasso singt eine frühere Begebenheit in Form, Ton und Sprache seiner Zeit. Sollte dies Gedicht geeignet sein, dem Zöglinge die Sinnesart, die Gestalt der Sitten und die ganze Art der Kreuzfahrer und ihres Zeitalters vorzuführen? Sollte nicht vielmehr die Graciä, die Feinheit, die Eleganz von Tassos Zeit daran zu erkennen sein? –
Der Cid ist wohl eins der bedeutendsten Werke zu pädagogischem Zweck. Hat die Sprache nicht zu große Schwierigkeiten? Ist Herders Übersetzung in den Hauptsachen durchaus treffend? – Fand Calderon so gute Erklärer als Schakspear? Auf allen Fall wird Ihre Übersetzung den Erzieher trefflich orientiren. –
Von der Lusiade des Camoens wuste ich am wenigsten. Sie zeichnen dies Gedicht als eins der herrlichsten aller Zeiten. Giebt die vor einigen Jahren erschienene Übersetzung desselben einen Begriff von dem Werthe des Originals?
[4] Schakspear schwebt über aller Zeit. ich würde Bedenken tragen, an ihn irgend etwas zu knüpfen. Er allein hat so viel Bildendes als die ganze Englische Geschichte. Er ist der Probestein des vielgewandten Geistes. Hat der Jüngling nicht Talent und Zeit, um ihn in der schweren Ursprache zu lesen, so darf ihm doch Ihre herrliche Übersetzung nicht fehlen. –
Wissen Sie ein Mittel, das Bedürfniß des Französisch-Plauderns, wodurch dem Kinde und dem Knaben die edle Jugendzeit vergiftet ward, unschädlich zu machen? – Sind Sie auch der Meinung, daß es kein Mittel gebe, noch den Jüngling gut Französisch reden zu lehren?
Ist es durchaus unumgänglich, daß schon das Kind durch dies unglückliche Gemengsel die Seele seiner Muttersprache verliere? – – – – – – – – – – –
Wenn einst Homer, das Lied der Nibelungen und so viele andere Herrlichkeiten die läppischen Kinderschriften verdrängt haben, dann ist es Zeit, auch anderen Hoffnungen wieder Raum zu geben. –
Mit der innigsten Hochachtung und Dankbarkeit habe ich die Ehre, mich zu nennen
Ihren
ergebensten
F. Griepenkerl
Hofwyl bei Bern d. 12ten 9ten
1811

Es versteht sich wohl von Selbst daß Griepenkerl auch für mich dankt. Hochachtungsvoll Ihr
Fellenberg
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