• August Wilhelm von Schlegel to Friedrich de La Motte-Fouqué

  • Place of Dispatch: Genf · Place of Destination: Nennhausen · Date: 12.03.1806
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Friedrich de La Motte-Fouqué
  • Place of Dispatch: Genf
  • Place of Destination: Nennhausen
  • Date: 12.03.1806
  • Notations: Da der Brief im Druck nur teilweise wiedergegeben ist, wurde er neu transkribiert. – Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm von Schlegel's sämmtliche Werke. Vermischte und kritische Schriften. Hg. v. Eduard Böcking. Zweiter Band: Charakteristiken und Litteratur. Leipzig 1846. S. 142–153.
  • Incipit: „[1] Laß dich herzlich umarmen, mein geliebter Freund und Bruder, und dir meinen Dank sagen für dein schönes Geschenk, einen rührenden [...]“
    Manuscript
  • Provider: Frankfurt am Main, Freies Deutsches Hochstift
  • Classification Number: Hs-26030
  • Number of Pages: 20 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 8°
    Language
  • German
  • Latin
    Editors
  • Varwig, Olivia
[1] Laß dich herzlich umarmen, mein geliebter Freund und Bruder, und dir meinen Dank sagen für dein schönes Geschenk, einen rührenden Beweis deiner Liebe zu dem Entfernten, und der durch sein Stillschweigen dich vergessen zu haben scheinen konnte. Andre werden es dir nicht leicht glauben, daß du mein Schüler seyst, ich selbst aber kann nicht umhin beschämt darein zu willigen, wenn du diesem freundlichen Irrthume noch treu bleiben willst: er ist das schönste Blatt in dem mäßigen Lorbeer, den mir meine dichterischen Bestrebungen mögen verdient haben.
Ich wollte auf deine Zueignung, die mir erst geraume Zeit nach meiner Zurückkunft aus Italien nebst den Schauspielen zu Handen gekommen, in einem Gedicht antworten, und dieß, um dich damit zu überraschen, irgendwo in ein öffentliches Blatt einrücken lassen:
Fern an Posilipo’s Bucht, und der gelblichen Tiber Gestade
Wandelt’ ich, da du den Gruß, trautester Freund! mir gesandt.
Nun erst, seit ich die Alpen dahinten im Süden zurückließ u. s. w.
Zufällig versäumte ich aber den rechten Zeitpunkt dazu. Indessen habe ich, wie Pindar sagt, viele [2] Pfeile in meinem Köcher, und denke es dir zu andrer Zeit nicht unwürdig zu erwiedern.
Ich habe deine Schauspiele mit großer Aufmerksamkeit und ungemeinem Genuß vielfältig gelesen, und hätte Stunden- ja Tagelang mit dir darüber zu schwatzen, wenn uns der Himmel die Freude des Wiedersehens gönnen wollte. In einem Briefe muß ich mich aber schon kürzer fassen. Im allgemeinen also: ich habe hier alle die Vorzüge auf kunstreichere und umfassendere Ganze verwandt wiedergefunden, womit die dramatischen Spiele glänzen: eine durchaus edle, zarte und gebildete Sinnesart, frische Jugendlichkeit, zierliche Feinheit, bew gewandte Bewegung, viel sinnreiches in der Erfindung, und sichre Fertigkeit in der Behandlung. In Sprache und Versbau besitzest du eine ungemeine Fülle und Mannichfaltigkeit, die einzigen Klippen, wofür du dich meines Bedünkens zu hüten hast, sind meines Bedünkens Dunkelheit, welche aus allzu künstlichen Wendungen entspringt, und Härte aus dem Streben nach Gedrängtheit. Mit vielem Geschick verflichtst du zuweilen prosaische Bestandtheile in den Ausdruck, wodurch er neuer und eigner erscheint, doch hüte dich, dieß Mittel allzu freygebig zu gebrauchen. Ich könnte wünschen, daß du dich in den beyden Schauspielen [3] weniger ausschließend an die südlichen Reimarten und besonders an die kurzen Verse gehalten hättest; dir gelingt alles was Deutsche Volksweise ist, oder sich dem annähert so vorzüglich, daß ich deswegen eine besondre Vorliebe für den Minnesinger und Rübezahl hege. In dem Falken finde ich in dieser Art nur die Lieder S. 70 und 104., und im Reh das Lied vom König Marke, und das Jagdlied. Zu jenem finde ich wohl noch den Übergang von dem Tone des Übrigen, das letzte aber scheint mir ganz fremdartig und vereinzelt da zu stehen, wiewohl ich es an sich außerordentlich liebe, sey es nun, daß es ganz dein ist, oder daß du etwas vorgefundnes benutzt. Es klingt recht wie ein Morgengruß mit dem Waldhorn. – In dem Reh ist doch als Szene mehr die Schweiz als ein ganz südliches Land angedeutet, und überhaupt scheint mir in diesen Dichtungen so wie in den dramat. Spielen dein Zweck gewesen zu seyn, südliche Musik und Farbenpracht mit altdeutscher Biedersitte zu verschmelzen.
Um meine Bemerkungen deutlich zu machen und zu rechtfertigen, müßte ich mit den Beyspielen ins einzelne gehen, was mich zu weit führen würde. Noch viel weitläuftiger würde es seyn, wenn ich alle Zeilen und Strophen ausheben wollte, die mir in hohem Grande gelungen, ja von der einnehmendsten Harmonie und Schönheit zu seyn scheinen. So viel ist ausgemacht, vor einer geringen Anzahl [4] Jahre wäre es noch unmöglich gewesen, alles dieß mit so viel anscheinender Leichtigkeit zu leisten. Es hat tief in den Schacht unsrer Sprache gegraben werden müssen, die Kunst des Versbaues hat gleichsam in eine ganz andre Region gesteigert werden müssen, um dergleichen möglich zu machen. Aber was vor ein zwanzig Jahren ein großes Aufheben würde veranlaßt haben, das nehmen die gedankenlosen Leser jetzt so hin, als müßte es nur so seyn; es scheint, daß ihre Unempfänglichkeit in demselben Verhältnisse zunimmt, wie die Fülle blühender Talente die sich seit kurzem entfaltet haben. Ich glaube auch hievon den Grund einzusehen, doch muß ich dazu etwas weiter aushohlen.
Wie Goethe, als er zuerst auftrat, und seine Zeitgenossen Klinger, Lenz u. s. w. (diese mit roheren Mißverständnissen) ihre ganze Zuversicht auf Darstellung der Leidenschaft setzten, und zwar mehr ihres äußern Ungestümes als ihrer innern Tiefe, so habe so meyne ich, haben die Dichter der letzten Epoche die Fantasie, und zwar die bloß spielende, müßige, träumerische Fantasie, allzusehr zum herrschenden Bestandtheile ihrer Dichtungen gemacht. Anfangs mochte dieß sehr heilsam und richtig seyn, wegen der vorhergegangnen Nüchternheit und Erstorbenheit dieser Seelenkraft. Am Ende aber fodert das Herz seine Rechte wieder, und in der Kunst wie im [5] Leben ist doch das Einfältigste und Nächste wieder das Höchste. Warum fühlen wir die romantische Poesie inniger und geheimnißvoller als die classische? Weil die Griechen nur die Poetik der Freude ersonnen hatten. Der Schmerz ist aber poetischer als das Vergnügen, und der Ernst als der Leichtsinn. Misverstehe mich nicht, ich weiß wohl daß es auch einen peinlichen Ernst und einen aetherischen Leichtsinn giebt. Die Poesie, sagt man, soll ein freyes und schönes Spiel seyn. Ganz recht, in so fern sie keinen untergeordneten beschränkten Zwecken dienen soll. Allein wollen wir sie bloß zum Festtagsschmuck des Geistes? zur Gespielin seiner Zerstreuungen? Oder bedürfen wir ihrer nicht weit mehr als einer erhabnen Trösterin in den innerlichen Drangsalen eines unschlüssigen, zagenden bekümmerten Gemüths, folglich als der Religion verwandt? Darum ist das Mitleid die höchste und heiligste Muse. Mitleid nenne ich das tiefe Gefühl der menschlichen Schicksale, von jeder selbstischen Regung geläutert und dadurch schon in die religiöse Sphäre erhoben. Darum ist ja auch die Tragödie und was im Epos ihr verwandt ist das Höchste der Poesie. Was ist es denn was im Homer, in den Niebelungen, im Dante, im Shake[6]speare die Gemüther so unwiderstehlich hinreißt, als jene Orakelsprüche des Herzens, jene tiefen Ahndungen worin das dunkle Räthsel unsres Daseyns sich aufzulösen scheint?
Nimm dazu, daß die Poesie, um lebendig zu wirken, immer in einem gewissen Gegensatze mit ihrem Zeitalter stehen muß. Die Spanische, die spielendste, sinnreichste, am meisten gaukelnd fantastische, ist in der Epoche des stolzesten Ehrgefühls der Nation und unter der Fülle kräftiger Leidenschaften und eines überströmenden Muthes entstanden. Unsre Zeit krankt gerade an allem was dem entgegengesetzt ist: an Schlaffheit, Unbestimmtheit, Gleichgültigkeit, Zerstückelung des Lebens in kleinliche Zerstreuungen und Unfähigkeit zu großen Bedürfnissen, einem allgemeinen mit dem Strom schwimmen, in welche Sümpfe des Elends und der Schande er auch hinuntertreiben mag. Wir bedürften also einer durchaus nicht träumerischen, sondern wachen, unmittelbaren, energischen und besonders einer patriotischen Poesie. Dieß ist eine gewaltsame, hartprüfende, entweder aus langem unsäglichen Unglück eine neue Gestalt der Dinge hervorzurufen bestimmte oder auch die ganze Europäische Bildung unter einem einförmigen Joch zu vernichten bestimmte Zeit. [7] Vielleicht sollte, so lange unsre nationale Selbstständigkeit, ja die Fortdauer des Deutschen Namens so dringend bedroht wird, die Poesie bey uns ganz der Beredsamkeit weichen, einer Beredsamkeit wie zb. in Müllers Vorrede zum 4ten Bande seiner Schweizergeschichte. Ich gestehe, daß ich für Gedichte, wie die meines Bruders auf den Rhein in der Taschenbuch Europa u dem Taschenbuch viele andre von ihm hingeben würde.
Wer wird uns Epochen der Deutschen Geschichte wo gleiche Gefahren uns drohten, und durch Biedersinn und Heldenmuth überwunden wurden, in einer Reihe Schauspiele wie die historischen von Shakspeare allgemein verständlich und für die Bühne aufführbar, darstellen? Tieck hatte ehemals diesen Plan mit dem 30jährigen Kriege, hat ihn aber leider nicht ausgeführt. Viele andre Zeiträume, we zum Beyspiel die Regierung Heinrichs des Viertn, der Hohenstaufen u. s. w. würden eben so reichhaltigen Stoff darbieten. Warum unternimmst du nicht dieß oder etwas ähnliches?
Doch ich kehre von dieser speciellen Abschweifung über die Zeitumstände zu meinen allgemeineren Betrachtungen zurück. Von dem was ich über die Freunde und Zeitgenossen gesagt, nehme ich mich keinesweges aus. Ich weiß gar wohl, daß [8] viele meiner Arbeiten nur als Kunstübungen zu betrachten sind, die zum allgemeineren Anbau des poetischen Gebietes das ihrige beytragen mochten aber auf keine sehr eindringliche Wirkung Anspruch machen können. Diejenigen von meinen Gedichten, die am meisten das Gemüth bewegen, sind gewiß die, wo mich ein persönliches Gefühl trieb, wie die Elegie über meinen verstorbnen Bruder und die Todtenopfer. Auch von der Elegie über Rom hoffe ich daß sie den gehörigen strengen Nachdruck hat, weil ich von der Gegenwart eines großen geschichtlichen und dennoch gewissermaßen, noch sichtbaren Gegenstandes erfüllt war. – Viele Dichtungen unsrer Freunde können allerdings sehr rühren und bewegen. So das Leben Berglingers im Klosterbruder, Novalis geistliche Lieder, Alarcos, Genoveva pp. – Alarcos ist fast übertrieben drastisch und hat daher auch seine Wirkung auf der Szene nicht verfehlt, aber der beständige Wechsel und das weitgesuchte in den Sylbenmaßen läßt wiederum einen nicht völlig aufs reine gebrachten Kunstversuch erkennen. – In der Genoveva ist nur in der ersten Hälfte das Fantastische zu sehr verschwendet, oder vielmehr nicht genug zusammengedrängt und auf wenige Brennpunkte ge- versammelt. – In dem bewundernswürdigen Octavian finde ich, besonders im zweyten Theil, die komischen [9] Szenen weit kräftiger u wahrhaft poetischer als die fantastischen, die manchmal viel zu weit ausgesponnen sind und ins blaue allegorischer Anspielungen ermüdend verschwimmen. Er hat die orientalische Sinnlichkeit mehr didaktisch abgehandelt als sie wie einen elektrischen Funken spüren lassen. (beyläufig zu bemerken, so sind auch die Verse zuweilen gar zu unbillig vernachläßigt.) – Das merkwürdigste Beyspiel aber von den Usurpationen der Fantasie über das Gefühl finde ich und fand ich immer im Lacrimas, wo unter blendender Farbenpracht die Herzenskälte sich nicht verbergen kann, und alle Ausdrücke der Liebe, Sehnsucht, Wehmuth u. s. w. in eine bloße Bildertechnik übergegangen sind.
Laß dichs nicht befremden, daß ich hier strenger urtheile, als du es vielleicht ge von mir zu hören gewohnt bist. Ich habe gleich beym ersten Eindrucke so empfunden, allein im Augenblicke der Hervorbringung und Erscheinung bin ich aus Grundsatz für die Werke meiner Freunde parteyisch, auch jetzt würde ich mich wohl hüten, so etwas öffentlich ja nur anders als im engsten Vertrauen zu sagen, so lange das vortreffliche an ihnen nur so unvollkommen anerkannt wird.
Wende mir nicht meine Vorliebe für den [10] so fantastischen, musikalischen und farbenspielenden Calderon ein. Meine Bewunderung hat alles was ich von ihm kenne; mein Herz haben ihm Stücke wie die Andacht zum Kreuze und der standhafte Prinz gewonnen. Wo religiöser oder nationaler Enthusiasmus eintritt, das ist er selbst; im übrigen offenbart sich nur der große Künstler. Aber auch da sorgt er immer zuerst sey es nun im wunderbaren, witzigen oder pathetischen, für das was am unmittelbarsten wirkt, für rasche Bewegung u frische Lebenskraft.
Um in eine andre Region herabzusteigen: woher kommt denn Schillers großer Ruhm und Popularität anders, als daher, daß er sein ganzes Leben hindurch (etwa die romantische Fratze der Jungfrau von Orleans, und die tragische Fratze der Braut von Messina ausgenommen, welche deswegen auch nicht die geringste Rührung hervorbringen konnten) dem nachgejagt hat, was ergreift und erschüttert, er mochte es nun per fas aut nefas habhaft werden. Der Irrthum des Publicums lag nicht in der Wirkung selbst, sondern in der Unbekanntschaft mit Schillers Vorbildern, und der Unfähigkeit das übel verknüpfte Gewebe seiner Compositionen zu entwirren. – Sein Wilhelm Tell hat mich fast [11] mit ihm ausgesöhnt, wiewohl er ihn, möchte ich sagen, mehr Johannes Müllern als sich selbst zu danken hat.
Was den Werken der neuesten Periode zur vollkommen gel vollkommen gelungnen Wirkung fehlt, liegt keinesweges an dem Maße der aufgewandten Kraft, sondern an der Richtung und Absicht. Man kann eben so viel Tapferkeit, Stärke und Übung in den Waffen bey einem Kampfspiel aufwenden, als bey einer Schlacht, wo es Freyheit, Vaterland, Weib und Kind, die Gräber der Vorfahren und die Tempel der Götter gilt; aber du wirst mir zugeben daß die Erwartung der Entscheidung hier die Gemüther der theilnehmenden Zuschauer ganz anders bewegt als dort.
Jene Richtung rührt zum Theil von den Umständen her, unter welchen wir die Poesie wieder zu beleben gesucht haben. Wir fanden eine solche Masse prosaischer Plattheit vor, so erbärmlicher Götzen des öffentlichen Beyfalls, daß wir so wenig als möglich mit einem gemeinen Publicum wollten zu schaffen haben, und beschlossen für die paar Dutzend ächte Deutsche, welche in unsern Augen die eigentliche Nation ausmachten, ausschließend zu dichten. Ich mache dieß Recht dem Dichter auch nicht im mindesten streitig; nur der dramatische (wenigstens theatral.) hat [12] die Aufgabe popular zu seyn, den Gebildetsten zu genügen und den großen Haufen anzulocken, was auch Shakspeare und Calderon geleistet haben.
Ich komme nochmals auf deine Compositionen zurück. Die erste Sammlung haben wir selbst als dramatische Spiele bezeichnet, u sie entsprechen diesem Namen auf die anmuthigste Weise. Nur den Johannes Nepomucenus ausgenommen, was ein der vollständigen tragischen Entwickelung fähiger Stoff ist, haben die übrigen eine spielende Handlung, es xxx herrscht darin mehr Galanterie als Liebe, und von d vom Ritterthume ist die festliche Seite aufgefaßt. In dem Reh scheint mir die finstre Gemüthsart Balduins, die zuletzt in Versuche des Meuchelmords und Verraths ausbricht, all anfangs zu wenig angedeutet, überhaupt in der ersten Hälfte einige Zweydeutigkeit in der Schilderung der Charaktere. Vielleicht ist auch die Liebe zu dem Reh neben den Kämpfen wirklicher Leidenschaft in der Brust der Gräfin allzu kindlich und idyllenmäßig. – In dem Falken finde ich im Ganzen mehr Haltung. Nur möchte ich im Scherze sagen, Arduin habe nicht zx so gar unrecht, nicht, es sey ein Frauenregiment wobey auf die Länge nichts kluges heraus kommen kann; sobald es die Behauptung eines Königreichs gilt, und wäre es auch nur das Königreich Würtmberg, muß doch einiger Ernst bey der Sache seyn. [13] Die Foderung weiblicher Liebeswürdigkeit, daß die Männer mit ihr das Leben vertändeln sollen, dürfte, so weit getrieben, ein Eingriff in die Rechte wichtigerer Angelegenheiten seyn.
Schreibe mir über alles dieß, mein geliebter Freund, und widerlege mich, wenn ich deine Absichten nicht gehörig verstanden habe, vor allen Dingen aber sieh in allem nur meine Liebe zu dir und deiner Poesie, deren Gedeihen mir so sehr am Herzen liegt. Du wirst dich erinnern, daß ich schon ehedem solche Ermahnungen an dich ergehen lassen, und deine Gattin auf stimmte mir darin bey, als wir den Anfang des Falken lasen. Lieber Freund, was soll ich sagen? Du bist allzu glücklich und es von jeher gewesen. Ein recht herzhaftes Unglück in deiner frühen Jugend hätte dir großen Vortheil schaffen können. Nun wolle der Himmel xx auf alle Weise verhüten, daß du es noch nachhohlen solltest. Du hast zwar eine Zeitlang verlassen in der Asche gelebt, aber bald hat dich eine wohlthätige Zauberin in ihren Kreis gezogen, wo du nun heitre und selige Tage lebst. Benutze fernerhin deine Muße zu schönen Dichtungen, begxxxx begeistre dich, wie du es immer gethan, an den alten Denkmalen, unsrer Poesie und Geschichte, und wenn es noch eines besondern Sporns zu Behandlung nationaler Gegenstände bedarf, so sieh die jetzige Versunkenheit an, gegen [14] das, was wir vormals waren, und – faciat indignatio versum.
Die Romanzen vom Thale Ronceval haben mir große Freude gemacht. Ich sahe wohl, daß sie von einem kunstgeübten Freunde herrühren müßten, doch zweifelte ich, ob ich sie dir zuschreiben sollte, bis Friedrich m es mir meldete, der sie jedoch selbst noch nicht gesehen hatte. Da bist du in der Wahl des Gegenstandes mit meinem Bruder zusammengetroffen, mir ist die so verschiedne Behandlung, die doch bey beyden ächt und gediegen scheint (den Turpin selbst habe ich noch nicht vergleichen können) oder hast du noch etwas andres vor Augen gehabt?) äußerst merkwürdig gewesen. Die Schlußromanze bey dir ist ein rechtes Meisterstück, der durchgeführte Reim macht mir den Eindruck eines Choralgesanges.
Gieb mir recht ausführliche Nachricht von deinen Studien, ausgeführten Planen u Arbeiten und ferneren Planen, es kann sich niemand lebhafter dafür interessiren.
Da Nun einige Nachrichten von den Freunden und mir. Daß mein Bruder vorigen Herbst sechs Wochen in Coppet bey uns war, wirst du wissen. Du kannst denken wie lebhaft unsre Mittheilungen über alle Gegenstände des beyderseitigen Nachdenkens waren. Er hat mir eine große Lust zur [15] orientalischen Literatur gemacht, besonders zum Persischen u Indischen, u ich gehe gewiß daran, sobald sich Gelegenheit findet, was aber nicht eher seyn dürfte als bey einem längeren Aufenthalte in Paris oder London. Von hier ging Friedrich nach Paris, wo er einen großen Theil des Winters zugebracht, u viel an Indischem gearbeitet. Unter andern hat er eine Abschrift der Sakontala zum Behuf einer neuen Übersetzung genommen. Er schreibt die Indischen Sxxx Lettern so vortrefflich wie irgend ein Bramine, mit welchem Charakter er überhaupt immer mehr Ähnlichkeit gewinnt. In Cöln hat er seine oriental. Studien nicht weiter führen, sondern nur die schon gemachten ordnen u entwickeln können. Dagegen hat er sich viel mit dem Mittelalter, der Deutschen Geschichte, den Kirchenvätern u. s. w. beschäftigt. Ich fodre ihn sehr auf zu einer Geschichte der Deutschen.
Mit Sophie Tieck war ich im vorigen Frühling noch vierzehn Tage bis drey Wochen in Rom zusammen. Sie brachte ein Schauspiel nach einer Spanischen Geschichte Egidio u Isabella fertig mit, hoffentlich wird es nächstens im Druck erscheinen, das Mspt ist nach Deutschl. geschickt. Auch hatte sie Flore u Blanscheflur in Stanzen zu behandeln angefangen u als ich Rom verließ, war ich der 4te Gesang fertig, u seitdem meldet sie mir daß sie alle 12 Gesänge vollendet hat. Dieß ist wie mich [16] dünkt bis jetzt ihr gelungenstes Werk. Ich habe immer geglaubt, ihr Talent neige sich mehr zum Epischen als zum dramatischen; in der Stanza hat sie eine große Meisterschaft erreicht; Sprache u Versbau sind von der süßesten Lieblichkeit, u dabey manichfaltiger Fülle; was ihren zarten Dx Dichtungen zuweilen fehlte, körperliche Bestandheit, ist hier durch die alte Fabel gegeben, u der Gegenstand ganz ihrer Sinnesart angemessen.
Von Ludwig Tiecks Arbeiten in Rom habe ich bis jetzt nichts vernommen, sey es daß ihn seine Gesundheit, Stimmung, oder die Betrachtung so vieler neuen Gegenstände bis jetzt abl abgehalten; oder man es mir nur nicht gemeldet hat. Xx Ohne Zweifel wird doch die künstliche südliche Kunstwelt sehr befruchtend auf seinen Geist wirken. – Sophie Tieck hatte sich vorgenommen, sobald es ihre Gesundheit erlaubte, die altdeutschen Mspte im Vatican genau durchzugehen.
Der Bildhauer hat erst Zeit nöthig gehabt sich nach der Betrachtung der großen Kunstwerke wieder zu sammeln. Jetzt arbeitet er an einem Basrelief für Neckers Grabmal.
Vom sogenannten Mahler Müller schreiben mir die Freunde aus Rom viel Gutes, ich habe ihn nur ihn sehr flüchtig gesehen, weil er den Prinzen Von Bayern herumführte, u also niemals zu haben war. – Die andern Deutschen u Deutschgesinnten Künstler in Rom hiengen sehr an mir.
[17] Du kannst denken, daß ich während der sieben Monate in Italien nicht viel Muße zu andern Studien übrig hatte, als we die welche die gegenwärtigen Gegenstände foderten. In Rom haben mich die Geschichtl. Alterthümer fast noch mehr beschäftigt als die Kunst. Die Elegie habe ich dort angefangen, aber erst in Coppet vollendet. Du begreifst wohl, daß man ein solches Gedicht nicht in der Geschwindigkeit macht. Schreibe mir, wie es dir gefallen. Viele specielle Anspielungen müssen freylich für den verlohren gehen, der nicht in Rom gewesen. – Einen Aufsatz von mir über die Künstler in Rom, den ich auch seit der Zurückkunft geschrieben, wirst du im Intell. Bl. der Jenaischen ALZ. gelesen haben. – Ferner habe ich viel über die Etymologie, besonders des Latein. aufgeschrieben, doch bin ich seit dem Winter von diesem Studium in welches ich leicht leidenschaftlich hineingerathen, abgelenkt worden. Endlich habe ich im Herbst, als Versuch ob ich in französ. Sprache öffentlich auftreten könnte, einen philosophischen Aufsatz angefangen über Geschichte der Menschheit der Religionen u. s. w. Ich habe etwa 50 Seiten geschrieben, die außerordentlichen Beyfall gefunden haben, besonders auch von Seite des Styls. Verschmähe diese Fertigkeit nicht, wozu mich meine [18] Lebensweise einladet, man soll ja auch den Heiden das Evangelium predigen. Es könnte seyn, daß ich in einiger Zeit mit einer Schrift über das Theater aufträte, besonders mit polemischen Zwecken gegen das französische Theater.
Vom Shaksp. u Calderon habe ich die versprochnen folgenden Bände immer noch nicht fertig. Sie drücken mich auf dem Herzen wie Marmelsteine, u fügen mir ein wahres Übel zu. Meine Reisen u andre Zerstreuungen ziehen mich von anhaltendem Arbeiten daran ab, u doch läßt der Gedanke, daß dieses zuvörderst geleistet werden muß, mich nicht mit ungetheiltem Geist andre Plane ausbilden. Doch hoffe ich in ein paar Monaten damit zu Rande zu seyn. Das poetische Übersetzen ist eine Kunst die man sehr schwer lernt, u äußerst leicht verlernt, man wenn man nicht beständig in das Joch eingezwängt ist, weiß man es nicht mehr zu tragen. Jedoch habe ich lachen müssen über das Anstellen von Heinse mit seiner sinnlosen prosaischen Übersetzung vom Ariost, in den Briefen an Gleim. – Was ist es denn mit einer Bearbeitung des Hamlet von Musje Schütz in Halle, die ich angekündigt gesehen? Es wird wohl halb ein Plagiat u halb eine Sauerey seyn.
[19] Melde mir recht viel von den Vorfällen in unsrer Literatur, nicht nur von den eigentlichen Werken sondern auch dem Gange der Zeitschriften, dem Theater, den Schreyern u andern Anekdoten. Auch von den dîs minorium gentium, den neuen Spatzen welche geflogen u den Künstlern welche geplatzt sind. – Bis zur Ostermesse 1805 habe ich ziemlich viel neue Sachen erhalten.
Wie treibt’s nur der alte Goethe? Ich höre er hat Stella zu einem Trauerspiele umgearbeitet, worin Fernando u Stella verdienter Maßen umkommen. Es scheint er will alle seine Jugendsünden wiedergutmachen, er hat schon vorlängst mit Claudine von Villabella angefangen. Nur vor Einer Sünde hütet er sich nicht, die am wenigsten Verzeihung hoffen kann: nämlich der Sünde wider den heiligen Geist. Sein Winckelmann, das sind wieder verkleidete Propyläen, die also das Publicum doch auf alle Weise hinunterwürgen soll. Und was soll uns eine steife, ganz französisch lautende Übersetzung eines Dialogs, den Diderot selbst vermuthl. verworfen hat? Ich habe recht über die barbarische Avantage lachen müssen, die Shaksp. u Calderon bey ihren Stücken gehabt haben sollen. Dieß ist eine wahrhaft barbarische Art zu schreiben, dergleichen sich jene Großen nie zu Schulden kommen lassen. [20] Man versichert mir, daß Goethe öffentlich im Gespräch unverhohlen Partey gegen die neue Schule nimmt, u das ist ganz in der Ordnung. Warum zieht er nicht gedruckt gegen sie zu Felde?
Hast du Müllers Bekanntschaft gemacht? Das ist ein göttlicher Mensch, bey solcher Begeisterung von so unergründlich tiefer Gelehrsamkeit. Ich habe eine verwirrte Nachricht gehört von einer neuen Schrift von ihm: was ist es denn damit?
Vergilt mir nicht gleiches mit gleichem geliebter Freund, u schreibe mir ohne Zögern, ich will es dann auch zuverläßig fortsetzen.
Lebe tausendmal wohl, ich schließe dich u die deinigen in mein Herz.
Genf d. 12 März 1806.
Addressire nach Coppet près Geneve, dam en Suisse, damit der Brief durch Frankr. geht.
Giebt mir doch Nachricht von Hülsen. Ich stehe bey ihm mit dem Schreiben in einer alten Schuld
Hat Tieck noch vor seiner Abreise nach Italien die längst bestellte Büste von Goethe geliefert? Ich habe den vergeßlichen Menschen so oft erinnert.
Hättet ihr nichts dagegen wenn ich das Sonett an dich bey deiner Vermählung mit der Aufschrift an Pellegrin etwa in einem Almanach drucken ließe?
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[5] 2
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[1] Laß dich herzlich umarmen, mein geliebter Freund und Bruder, und dir meinen Dank sagen für dein schönes Geschenk, einen rührenden Beweis deiner Liebe zu dem Entfernten, und der durch sein Stillschweigen dich vergessen zu haben scheinen konnte. Andre werden es dir nicht leicht glauben, daß du mein Schüler seyst, ich selbst aber kann nicht umhin beschämt darein zu willigen, wenn du diesem freundlichen Irrthume noch treu bleiben willst: er ist das schönste Blatt in dem mäßigen Lorbeer, den mir meine dichterischen Bestrebungen mögen verdient haben.
Ich wollte auf deine Zueignung, die mir erst geraume Zeit nach meiner Zurückkunft aus Italien nebst den Schauspielen zu Handen gekommen, in einem Gedicht antworten, und dieß, um dich damit zu überraschen, irgendwo in ein öffentliches Blatt einrücken lassen:
Fern an Posilipo’s Bucht, und der gelblichen Tiber Gestade
Wandelt’ ich, da du den Gruß, trautester Freund! mir gesandt.
Nun erst, seit ich die Alpen dahinten im Süden zurückließ u. s. w.
Zufällig versäumte ich aber den rechten Zeitpunkt dazu. Indessen habe ich, wie Pindar sagt, viele [2] Pfeile in meinem Köcher, und denke es dir zu andrer Zeit nicht unwürdig zu erwiedern.
Ich habe deine Schauspiele mit großer Aufmerksamkeit und ungemeinem Genuß vielfältig gelesen, und hätte Stunden- ja Tagelang mit dir darüber zu schwatzen, wenn uns der Himmel die Freude des Wiedersehens gönnen wollte. In einem Briefe muß ich mich aber schon kürzer fassen. Im allgemeinen also: ich habe hier alle die Vorzüge auf kunstreichere und umfassendere Ganze verwandt wiedergefunden, womit die dramatischen Spiele glänzen: eine durchaus edle, zarte und gebildete Sinnesart, frische Jugendlichkeit, zierliche Feinheit, bew gewandte Bewegung, viel sinnreiches in der Erfindung, und sichre Fertigkeit in der Behandlung. In Sprache und Versbau besitzest du eine ungemeine Fülle und Mannichfaltigkeit, die einzigen Klippen, wofür du dich meines Bedünkens zu hüten hast, sind meines Bedünkens Dunkelheit, welche aus allzu künstlichen Wendungen entspringt, und Härte aus dem Streben nach Gedrängtheit. Mit vielem Geschick verflichtst du zuweilen prosaische Bestandtheile in den Ausdruck, wodurch er neuer und eigner erscheint, doch hüte dich, dieß Mittel allzu freygebig zu gebrauchen. Ich könnte wünschen, daß du dich in den beyden Schauspielen [3] weniger ausschließend an die südlichen Reimarten und besonders an die kurzen Verse gehalten hättest; dir gelingt alles was Deutsche Volksweise ist, oder sich dem annähert so vorzüglich, daß ich deswegen eine besondre Vorliebe für den Minnesinger und Rübezahl hege. In dem Falken finde ich in dieser Art nur die Lieder S. 70 und 104., und im Reh das Lied vom König Marke, und das Jagdlied. Zu jenem finde ich wohl noch den Übergang von dem Tone des Übrigen, das letzte aber scheint mir ganz fremdartig und vereinzelt da zu stehen, wiewohl ich es an sich außerordentlich liebe, sey es nun, daß es ganz dein ist, oder daß du etwas vorgefundnes benutzt. Es klingt recht wie ein Morgengruß mit dem Waldhorn. – In dem Reh ist doch als Szene mehr die Schweiz als ein ganz südliches Land angedeutet, und überhaupt scheint mir in diesen Dichtungen so wie in den dramat. Spielen dein Zweck gewesen zu seyn, südliche Musik und Farbenpracht mit altdeutscher Biedersitte zu verschmelzen.
Um meine Bemerkungen deutlich zu machen und zu rechtfertigen, müßte ich mit den Beyspielen ins einzelne gehen, was mich zu weit führen würde. Noch viel weitläuftiger würde es seyn, wenn ich alle Zeilen und Strophen ausheben wollte, die mir in hohem Grande gelungen, ja von der einnehmendsten Harmonie und Schönheit zu seyn scheinen. So viel ist ausgemacht, vor einer geringen Anzahl [4] Jahre wäre es noch unmöglich gewesen, alles dieß mit so viel anscheinender Leichtigkeit zu leisten. Es hat tief in den Schacht unsrer Sprache gegraben werden müssen, die Kunst des Versbaues hat gleichsam in eine ganz andre Region gesteigert werden müssen, um dergleichen möglich zu machen. Aber was vor ein zwanzig Jahren ein großes Aufheben würde veranlaßt haben, das nehmen die gedankenlosen Leser jetzt so hin, als müßte es nur so seyn; es scheint, daß ihre Unempfänglichkeit in demselben Verhältnisse zunimmt, wie die Fülle blühender Talente die sich seit kurzem entfaltet haben. Ich glaube auch hievon den Grund einzusehen, doch muß ich dazu etwas weiter aushohlen.
Wie Goethe, als er zuerst auftrat, und seine Zeitgenossen Klinger, Lenz u. s. w. (diese mit roheren Mißverständnissen) ihre ganze Zuversicht auf Darstellung der Leidenschaft setzten, und zwar mehr ihres äußern Ungestümes als ihrer innern Tiefe, so habe so meyne ich, haben die Dichter der letzten Epoche die Fantasie, und zwar die bloß spielende, müßige, träumerische Fantasie, allzusehr zum herrschenden Bestandtheile ihrer Dichtungen gemacht. Anfangs mochte dieß sehr heilsam und richtig seyn, wegen der vorhergegangnen Nüchternheit und Erstorbenheit dieser Seelenkraft. Am Ende aber fodert das Herz seine Rechte wieder, und in der Kunst wie im [5] Leben ist doch das Einfältigste und Nächste wieder das Höchste. Warum fühlen wir die romantische Poesie inniger und geheimnißvoller als die classische? Weil die Griechen nur die Poetik der Freude ersonnen hatten. Der Schmerz ist aber poetischer als das Vergnügen, und der Ernst als der Leichtsinn. Misverstehe mich nicht, ich weiß wohl daß es auch einen peinlichen Ernst und einen aetherischen Leichtsinn giebt. Die Poesie, sagt man, soll ein freyes und schönes Spiel seyn. Ganz recht, in so fern sie keinen untergeordneten beschränkten Zwecken dienen soll. Allein wollen wir sie bloß zum Festtagsschmuck des Geistes? zur Gespielin seiner Zerstreuungen? Oder bedürfen wir ihrer nicht weit mehr als einer erhabnen Trösterin in den innerlichen Drangsalen eines unschlüssigen, zagenden bekümmerten Gemüths, folglich als der Religion verwandt? Darum ist das Mitleid die höchste und heiligste Muse. Mitleid nenne ich das tiefe Gefühl der menschlichen Schicksale, von jeder selbstischen Regung geläutert und dadurch schon in die religiöse Sphäre erhoben. Darum ist ja auch die Tragödie und was im Epos ihr verwandt ist das Höchste der Poesie. Was ist es denn was im Homer, in den Niebelungen, im Dante, im Shake[6]speare die Gemüther so unwiderstehlich hinreißt, als jene Orakelsprüche des Herzens, jene tiefen Ahndungen worin das dunkle Räthsel unsres Daseyns sich aufzulösen scheint?
Nimm dazu, daß die Poesie, um lebendig zu wirken, immer in einem gewissen Gegensatze mit ihrem Zeitalter stehen muß. Die Spanische, die spielendste, sinnreichste, am meisten gaukelnd fantastische, ist in der Epoche des stolzesten Ehrgefühls der Nation und unter der Fülle kräftiger Leidenschaften und eines überströmenden Muthes entstanden. Unsre Zeit krankt gerade an allem was dem entgegengesetzt ist: an Schlaffheit, Unbestimmtheit, Gleichgültigkeit, Zerstückelung des Lebens in kleinliche Zerstreuungen und Unfähigkeit zu großen Bedürfnissen, einem allgemeinen mit dem Strom schwimmen, in welche Sümpfe des Elends und der Schande er auch hinuntertreiben mag. Wir bedürften also einer durchaus nicht träumerischen, sondern wachen, unmittelbaren, energischen und besonders einer patriotischen Poesie. Dieß ist eine gewaltsame, hartprüfende, entweder aus langem unsäglichen Unglück eine neue Gestalt der Dinge hervorzurufen bestimmte oder auch die ganze Europäische Bildung unter einem einförmigen Joch zu vernichten bestimmte Zeit. [7] Vielleicht sollte, so lange unsre nationale Selbstständigkeit, ja die Fortdauer des Deutschen Namens so dringend bedroht wird, die Poesie bey uns ganz der Beredsamkeit weichen, einer Beredsamkeit wie zb. in Müllers Vorrede zum 4ten Bande seiner Schweizergeschichte. Ich gestehe, daß ich für Gedichte, wie die meines Bruders auf den Rhein in der Taschenbuch Europa u dem Taschenbuch viele andre von ihm hingeben würde.
Wer wird uns Epochen der Deutschen Geschichte wo gleiche Gefahren uns drohten, und durch Biedersinn und Heldenmuth überwunden wurden, in einer Reihe Schauspiele wie die historischen von Shakspeare allgemein verständlich und für die Bühne aufführbar, darstellen? Tieck hatte ehemals diesen Plan mit dem 30jährigen Kriege, hat ihn aber leider nicht ausgeführt. Viele andre Zeiträume, we zum Beyspiel die Regierung Heinrichs des Viertn, der Hohenstaufen u. s. w. würden eben so reichhaltigen Stoff darbieten. Warum unternimmst du nicht dieß oder etwas ähnliches?
Doch ich kehre von dieser speciellen Abschweifung über die Zeitumstände zu meinen allgemeineren Betrachtungen zurück. Von dem was ich über die Freunde und Zeitgenossen gesagt, nehme ich mich keinesweges aus. Ich weiß gar wohl, daß [8] viele meiner Arbeiten nur als Kunstübungen zu betrachten sind, die zum allgemeineren Anbau des poetischen Gebietes das ihrige beytragen mochten aber auf keine sehr eindringliche Wirkung Anspruch machen können. Diejenigen von meinen Gedichten, die am meisten das Gemüth bewegen, sind gewiß die, wo mich ein persönliches Gefühl trieb, wie die Elegie über meinen verstorbnen Bruder und die Todtenopfer. Auch von der Elegie über Rom hoffe ich daß sie den gehörigen strengen Nachdruck hat, weil ich von der Gegenwart eines großen geschichtlichen und dennoch gewissermaßen, noch sichtbaren Gegenstandes erfüllt war. – Viele Dichtungen unsrer Freunde können allerdings sehr rühren und bewegen. So das Leben Berglingers im Klosterbruder, Novalis geistliche Lieder, Alarcos, Genoveva pp. – Alarcos ist fast übertrieben drastisch und hat daher auch seine Wirkung auf der Szene nicht verfehlt, aber der beständige Wechsel und das weitgesuchte in den Sylbenmaßen läßt wiederum einen nicht völlig aufs reine gebrachten Kunstversuch erkennen. – In der Genoveva ist nur in der ersten Hälfte das Fantastische zu sehr verschwendet, oder vielmehr nicht genug zusammengedrängt und auf wenige Brennpunkte ge- versammelt. – In dem bewundernswürdigen Octavian finde ich, besonders im zweyten Theil, die komischen [9] Szenen weit kräftiger u wahrhaft poetischer als die fantastischen, die manchmal viel zu weit ausgesponnen sind und ins blaue allegorischer Anspielungen ermüdend verschwimmen. Er hat die orientalische Sinnlichkeit mehr didaktisch abgehandelt als sie wie einen elektrischen Funken spüren lassen. (beyläufig zu bemerken, so sind auch die Verse zuweilen gar zu unbillig vernachläßigt.) – Das merkwürdigste Beyspiel aber von den Usurpationen der Fantasie über das Gefühl finde ich und fand ich immer im Lacrimas, wo unter blendender Farbenpracht die Herzenskälte sich nicht verbergen kann, und alle Ausdrücke der Liebe, Sehnsucht, Wehmuth u. s. w. in eine bloße Bildertechnik übergegangen sind.
Laß dichs nicht befremden, daß ich hier strenger urtheile, als du es vielleicht ge von mir zu hören gewohnt bist. Ich habe gleich beym ersten Eindrucke so empfunden, allein im Augenblicke der Hervorbringung und Erscheinung bin ich aus Grundsatz für die Werke meiner Freunde parteyisch, auch jetzt würde ich mich wohl hüten, so etwas öffentlich ja nur anders als im engsten Vertrauen zu sagen, so lange das vortreffliche an ihnen nur so unvollkommen anerkannt wird.
Wende mir nicht meine Vorliebe für den [10] so fantastischen, musikalischen und farbenspielenden Calderon ein. Meine Bewunderung hat alles was ich von ihm kenne; mein Herz haben ihm Stücke wie die Andacht zum Kreuze und der standhafte Prinz gewonnen. Wo religiöser oder nationaler Enthusiasmus eintritt, das ist er selbst; im übrigen offenbart sich nur der große Künstler. Aber auch da sorgt er immer zuerst sey es nun im wunderbaren, witzigen oder pathetischen, für das was am unmittelbarsten wirkt, für rasche Bewegung u frische Lebenskraft.
Um in eine andre Region herabzusteigen: woher kommt denn Schillers großer Ruhm und Popularität anders, als daher, daß er sein ganzes Leben hindurch (etwa die romantische Fratze der Jungfrau von Orleans, und die tragische Fratze der Braut von Messina ausgenommen, welche deswegen auch nicht die geringste Rührung hervorbringen konnten) dem nachgejagt hat, was ergreift und erschüttert, er mochte es nun per fas aut nefas habhaft werden. Der Irrthum des Publicums lag nicht in der Wirkung selbst, sondern in der Unbekanntschaft mit Schillers Vorbildern, und der Unfähigkeit das übel verknüpfte Gewebe seiner Compositionen zu entwirren. – Sein Wilhelm Tell hat mich fast [11] mit ihm ausgesöhnt, wiewohl er ihn, möchte ich sagen, mehr Johannes Müllern als sich selbst zu danken hat.
Was den Werken der neuesten Periode zur vollkommen gel vollkommen gelungnen Wirkung fehlt, liegt keinesweges an dem Maße der aufgewandten Kraft, sondern an der Richtung und Absicht. Man kann eben so viel Tapferkeit, Stärke und Übung in den Waffen bey einem Kampfspiel aufwenden, als bey einer Schlacht, wo es Freyheit, Vaterland, Weib und Kind, die Gräber der Vorfahren und die Tempel der Götter gilt; aber du wirst mir zugeben daß die Erwartung der Entscheidung hier die Gemüther der theilnehmenden Zuschauer ganz anders bewegt als dort.
Jene Richtung rührt zum Theil von den Umständen her, unter welchen wir die Poesie wieder zu beleben gesucht haben. Wir fanden eine solche Masse prosaischer Plattheit vor, so erbärmlicher Götzen des öffentlichen Beyfalls, daß wir so wenig als möglich mit einem gemeinen Publicum wollten zu schaffen haben, und beschlossen für die paar Dutzend ächte Deutsche, welche in unsern Augen die eigentliche Nation ausmachten, ausschließend zu dichten. Ich mache dieß Recht dem Dichter auch nicht im mindesten streitig; nur der dramatische (wenigstens theatral.) hat [12] die Aufgabe popular zu seyn, den Gebildetsten zu genügen und den großen Haufen anzulocken, was auch Shakspeare und Calderon geleistet haben.
Ich komme nochmals auf deine Compositionen zurück. Die erste Sammlung haben wir selbst als dramatische Spiele bezeichnet, u sie entsprechen diesem Namen auf die anmuthigste Weise. Nur den Johannes Nepomucenus ausgenommen, was ein der vollständigen tragischen Entwickelung fähiger Stoff ist, haben die übrigen eine spielende Handlung, es xxx herrscht darin mehr Galanterie als Liebe, und von d vom Ritterthume ist die festliche Seite aufgefaßt. In dem Reh scheint mir die finstre Gemüthsart Balduins, die zuletzt in Versuche des Meuchelmords und Verraths ausbricht, all anfangs zu wenig angedeutet, überhaupt in der ersten Hälfte einige Zweydeutigkeit in der Schilderung der Charaktere. Vielleicht ist auch die Liebe zu dem Reh neben den Kämpfen wirklicher Leidenschaft in der Brust der Gräfin allzu kindlich und idyllenmäßig. – In dem Falken finde ich im Ganzen mehr Haltung. Nur möchte ich im Scherze sagen, Arduin habe nicht zx so gar unrecht, nicht, es sey ein Frauenregiment wobey auf die Länge nichts kluges heraus kommen kann; sobald es die Behauptung eines Königreichs gilt, und wäre es auch nur das Königreich Würtmberg, muß doch einiger Ernst bey der Sache seyn. [13] Die Foderung weiblicher Liebeswürdigkeit, daß die Männer mit ihr das Leben vertändeln sollen, dürfte, so weit getrieben, ein Eingriff in die Rechte wichtigerer Angelegenheiten seyn.
Schreibe mir über alles dieß, mein geliebter Freund, und widerlege mich, wenn ich deine Absichten nicht gehörig verstanden habe, vor allen Dingen aber sieh in allem nur meine Liebe zu dir und deiner Poesie, deren Gedeihen mir so sehr am Herzen liegt. Du wirst dich erinnern, daß ich schon ehedem solche Ermahnungen an dich ergehen lassen, und deine Gattin auf stimmte mir darin bey, als wir den Anfang des Falken lasen. Lieber Freund, was soll ich sagen? Du bist allzu glücklich und es von jeher gewesen. Ein recht herzhaftes Unglück in deiner frühen Jugend hätte dir großen Vortheil schaffen können. Nun wolle der Himmel xx auf alle Weise verhüten, daß du es noch nachhohlen solltest. Du hast zwar eine Zeitlang verlassen in der Asche gelebt, aber bald hat dich eine wohlthätige Zauberin in ihren Kreis gezogen, wo du nun heitre und selige Tage lebst. Benutze fernerhin deine Muße zu schönen Dichtungen, begxxxx begeistre dich, wie du es immer gethan, an den alten Denkmalen, unsrer Poesie und Geschichte, und wenn es noch eines besondern Sporns zu Behandlung nationaler Gegenstände bedarf, so sieh die jetzige Versunkenheit an, gegen [14] das, was wir vormals waren, und – faciat indignatio versum.
Die Romanzen vom Thale Ronceval haben mir große Freude gemacht. Ich sahe wohl, daß sie von einem kunstgeübten Freunde herrühren müßten, doch zweifelte ich, ob ich sie dir zuschreiben sollte, bis Friedrich m es mir meldete, der sie jedoch selbst noch nicht gesehen hatte. Da bist du in der Wahl des Gegenstandes mit meinem Bruder zusammengetroffen, mir ist die so verschiedne Behandlung, die doch bey beyden ächt und gediegen scheint (den Turpin selbst habe ich noch nicht vergleichen können) oder hast du noch etwas andres vor Augen gehabt?) äußerst merkwürdig gewesen. Die Schlußromanze bey dir ist ein rechtes Meisterstück, der durchgeführte Reim macht mir den Eindruck eines Choralgesanges.
Gieb mir recht ausführliche Nachricht von deinen Studien, ausgeführten Planen u Arbeiten und ferneren Planen, es kann sich niemand lebhafter dafür interessiren.
Da Nun einige Nachrichten von den Freunden und mir. Daß mein Bruder vorigen Herbst sechs Wochen in Coppet bey uns war, wirst du wissen. Du kannst denken wie lebhaft unsre Mittheilungen über alle Gegenstände des beyderseitigen Nachdenkens waren. Er hat mir eine große Lust zur [15] orientalischen Literatur gemacht, besonders zum Persischen u Indischen, u ich gehe gewiß daran, sobald sich Gelegenheit findet, was aber nicht eher seyn dürfte als bey einem längeren Aufenthalte in Paris oder London. Von hier ging Friedrich nach Paris, wo er einen großen Theil des Winters zugebracht, u viel an Indischem gearbeitet. Unter andern hat er eine Abschrift der Sakontala zum Behuf einer neuen Übersetzung genommen. Er schreibt die Indischen Sxxx Lettern so vortrefflich wie irgend ein Bramine, mit welchem Charakter er überhaupt immer mehr Ähnlichkeit gewinnt. In Cöln hat er seine oriental. Studien nicht weiter führen, sondern nur die schon gemachten ordnen u entwickeln können. Dagegen hat er sich viel mit dem Mittelalter, der Deutschen Geschichte, den Kirchenvätern u. s. w. beschäftigt. Ich fodre ihn sehr auf zu einer Geschichte der Deutschen.
Mit Sophie Tieck war ich im vorigen Frühling noch vierzehn Tage bis drey Wochen in Rom zusammen. Sie brachte ein Schauspiel nach einer Spanischen Geschichte Egidio u Isabella fertig mit, hoffentlich wird es nächstens im Druck erscheinen, das Mspt ist nach Deutschl. geschickt. Auch hatte sie Flore u Blanscheflur in Stanzen zu behandeln angefangen u als ich Rom verließ, war ich der 4te Gesang fertig, u seitdem meldet sie mir daß sie alle 12 Gesänge vollendet hat. Dieß ist wie mich [16] dünkt bis jetzt ihr gelungenstes Werk. Ich habe immer geglaubt, ihr Talent neige sich mehr zum Epischen als zum dramatischen; in der Stanza hat sie eine große Meisterschaft erreicht; Sprache u Versbau sind von der süßesten Lieblichkeit, u dabey manichfaltiger Fülle; was ihren zarten Dx Dichtungen zuweilen fehlte, körperliche Bestandheit, ist hier durch die alte Fabel gegeben, u der Gegenstand ganz ihrer Sinnesart angemessen.
Von Ludwig Tiecks Arbeiten in Rom habe ich bis jetzt nichts vernommen, sey es daß ihn seine Gesundheit, Stimmung, oder die Betrachtung so vieler neuen Gegenstände bis jetzt abl abgehalten; oder man es mir nur nicht gemeldet hat. Xx Ohne Zweifel wird doch die künstliche südliche Kunstwelt sehr befruchtend auf seinen Geist wirken. – Sophie Tieck hatte sich vorgenommen, sobald es ihre Gesundheit erlaubte, die altdeutschen Mspte im Vatican genau durchzugehen.
Der Bildhauer hat erst Zeit nöthig gehabt sich nach der Betrachtung der großen Kunstwerke wieder zu sammeln. Jetzt arbeitet er an einem Basrelief für Neckers Grabmal.
Vom sogenannten Mahler Müller schreiben mir die Freunde aus Rom viel Gutes, ich habe ihn nur ihn sehr flüchtig gesehen, weil er den Prinzen Von Bayern herumführte, u also niemals zu haben war. – Die andern Deutschen u Deutschgesinnten Künstler in Rom hiengen sehr an mir.
[17] Du kannst denken, daß ich während der sieben Monate in Italien nicht viel Muße zu andern Studien übrig hatte, als we die welche die gegenwärtigen Gegenstände foderten. In Rom haben mich die Geschichtl. Alterthümer fast noch mehr beschäftigt als die Kunst. Die Elegie habe ich dort angefangen, aber erst in Coppet vollendet. Du begreifst wohl, daß man ein solches Gedicht nicht in der Geschwindigkeit macht. Schreibe mir, wie es dir gefallen. Viele specielle Anspielungen müssen freylich für den verlohren gehen, der nicht in Rom gewesen. – Einen Aufsatz von mir über die Künstler in Rom, den ich auch seit der Zurückkunft geschrieben, wirst du im Intell. Bl. der Jenaischen ALZ. gelesen haben. – Ferner habe ich viel über die Etymologie, besonders des Latein. aufgeschrieben, doch bin ich seit dem Winter von diesem Studium in welches ich leicht leidenschaftlich hineingerathen, abgelenkt worden. Endlich habe ich im Herbst, als Versuch ob ich in französ. Sprache öffentlich auftreten könnte, einen philosophischen Aufsatz angefangen über Geschichte der Menschheit der Religionen u. s. w. Ich habe etwa 50 Seiten geschrieben, die außerordentlichen Beyfall gefunden haben, besonders auch von Seite des Styls. Verschmähe diese Fertigkeit nicht, wozu mich meine [18] Lebensweise einladet, man soll ja auch den Heiden das Evangelium predigen. Es könnte seyn, daß ich in einiger Zeit mit einer Schrift über das Theater aufträte, besonders mit polemischen Zwecken gegen das französische Theater.
Vom Shaksp. u Calderon habe ich die versprochnen folgenden Bände immer noch nicht fertig. Sie drücken mich auf dem Herzen wie Marmelsteine, u fügen mir ein wahres Übel zu. Meine Reisen u andre Zerstreuungen ziehen mich von anhaltendem Arbeiten daran ab, u doch läßt der Gedanke, daß dieses zuvörderst geleistet werden muß, mich nicht mit ungetheiltem Geist andre Plane ausbilden. Doch hoffe ich in ein paar Monaten damit zu Rande zu seyn. Das poetische Übersetzen ist eine Kunst die man sehr schwer lernt, u äußerst leicht verlernt, man wenn man nicht beständig in das Joch eingezwängt ist, weiß man es nicht mehr zu tragen. Jedoch habe ich lachen müssen über das Anstellen von Heinse mit seiner sinnlosen prosaischen Übersetzung vom Ariost, in den Briefen an Gleim. – Was ist es denn mit einer Bearbeitung des Hamlet von Musje Schütz in Halle, die ich angekündigt gesehen? Es wird wohl halb ein Plagiat u halb eine Sauerey seyn.
[19] Melde mir recht viel von den Vorfällen in unsrer Literatur, nicht nur von den eigentlichen Werken sondern auch dem Gange der Zeitschriften, dem Theater, den Schreyern u andern Anekdoten. Auch von den dîs minorium gentium, den neuen Spatzen welche geflogen u den Künstlern welche geplatzt sind. – Bis zur Ostermesse 1805 habe ich ziemlich viel neue Sachen erhalten.
Wie treibt’s nur der alte Goethe? Ich höre er hat Stella zu einem Trauerspiele umgearbeitet, worin Fernando u Stella verdienter Maßen umkommen. Es scheint er will alle seine Jugendsünden wiedergutmachen, er hat schon vorlängst mit Claudine von Villabella angefangen. Nur vor Einer Sünde hütet er sich nicht, die am wenigsten Verzeihung hoffen kann: nämlich der Sünde wider den heiligen Geist. Sein Winckelmann, das sind wieder verkleidete Propyläen, die also das Publicum doch auf alle Weise hinunterwürgen soll. Und was soll uns eine steife, ganz französisch lautende Übersetzung eines Dialogs, den Diderot selbst vermuthl. verworfen hat? Ich habe recht über die barbarische Avantage lachen müssen, die Shaksp. u Calderon bey ihren Stücken gehabt haben sollen. Dieß ist eine wahrhaft barbarische Art zu schreiben, dergleichen sich jene Großen nie zu Schulden kommen lassen. [20] Man versichert mir, daß Goethe öffentlich im Gespräch unverhohlen Partey gegen die neue Schule nimmt, u das ist ganz in der Ordnung. Warum zieht er nicht gedruckt gegen sie zu Felde?
Hast du Müllers Bekanntschaft gemacht? Das ist ein göttlicher Mensch, bey solcher Begeisterung von so unergründlich tiefer Gelehrsamkeit. Ich habe eine verwirrte Nachricht gehört von einer neuen Schrift von ihm: was ist es denn damit?
Vergilt mir nicht gleiches mit gleichem geliebter Freund, u schreibe mir ohne Zögern, ich will es dann auch zuverläßig fortsetzen.
Lebe tausendmal wohl, ich schließe dich u die deinigen in mein Herz.
Genf d. 12 März 1806.
Addressire nach Coppet près Geneve, dam en Suisse, damit der Brief durch Frankr. geht.
Giebt mir doch Nachricht von Hülsen. Ich stehe bey ihm mit dem Schreiben in einer alten Schuld
Hat Tieck noch vor seiner Abreise nach Italien die längst bestellte Büste von Goethe geliefert? Ich habe den vergeßlichen Menschen so oft erinnert.
Hättet ihr nichts dagegen wenn ich das Sonett an dich bey deiner Vermählung mit der Aufschrift an Pellegrin etwa in einem Almanach drucken ließe?
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Notizen

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