• August Wilhelm von Schlegel to Franz Anton Joseph von Sickingen

  • Place of Dispatch: Stockholm · Place of Destination: Wien · Date: [14. Januar 1813]
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Franz Anton Joseph von Sickingen
  • Place of Dispatch: Stockholm
  • Place of Destination: Wien
  • Date: [14. Januar 1813]
  • Notations: Konzept. – Empfänger, Datum sowie Absende- und Empfangsort erschlossen. – Zur Frage des Adressaten sowie zur Datierung siehe: Körner, Josef: August Wilhelm Schlegel und Metternich. In: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 43 (1929), S. 123ff.
    Printed Text
  • Bibliography: Schmidt, Ludwig: Ein Brief August Wilhelm v. Schlegels an Metternich [recte: an Franz v. Sickingen]. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 23 (1902),S. 491‒495.
  • Verlag: Böhlau Verlag
  • Incipit: „[1] Stockholm Anfang 1813.
    Hochgebohrner Graf!
    Euer Excellenz verlängerter Aufenthalt in Prag beraubte mich des Vergnügens, Ihnen beym Abschiede aus Wien mündlich für [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34292
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.15,Nr.48
  • Number of Pages: 15 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 20,3 x 12,8 cm
    Language
  • German
[1] Stockholm Anfang 1813.
Hochgebohrner Graf!
Euer Excellenz verlängerter Aufenthalt in Prag beraubte mich des Vergnügens, Ihnen beym Abschiede aus Wien mündlich für Ihre immer gleich wohlwollende Aufnahme zu danken. Seine Kaiserliche Majestät war ebenfalls abwesend, sonst hätte ich gewünscht, meine innige Dankbarkeit für so viele mir und meinem Bruder bewiesene Gnade zu den Füssen dieses verehrten Monarchen legen zu dürfen. Bey dem Antritt einer Reise durch halb Europa, die mich vielleicht auf lange Zeit von meinem deutschen Vaterlande trennen sollte, wurde der Wunsch in mir lebhafter als je, mich ganz in Wien niederzulassen und unter dem Schutze des milden österreichischen Szepters ruhig meine übrigen Tage zu verleben.
Seit ich Ew. Excellenz zuletzt zu sehen die Ehre hatte, haben sich die erstaunlichsten und man darf wohl sagen, die entscheidend[2]sten Begebenheiten zugetragen. Ich habe zum Theil im Voraus ihren Schauplatz besucht, ich sah das unermessliche Moskau noch mit allen goldenen Kuppeln seiner Tempel strahlen, fünf Wochen ehe es ein Raub der Flammen ward. Ich sah aus allen Theilen Russlands die jungen noch kaum mit Waffen versehenen Schaaren herbeyziehen, welche bestimmt waren, das kriegsgeübte Heer Napoleons zu vernichten. Da ich das Glück hatte, mit Frau von Staël zu reisen, die überall, wo die Anerkennung des Verdienstes nicht gewaltsam gehemmt wird, die glänzendste Aufnahme findet, so gab mir diess Gelegenheit mit vielen Männern von dem bedeutendsten Einfluss auf die öffentlichen Begebenheiten bekannt zu werden. An die Spitze dieser historischen Bekanntschaften stelle ich die mit S. Kgl. Hoheit dem Kronprinzen von Schweden, der mich sehr gnädig aufgenommen und mich seines Zutrauens in gewissem Grade gewürdigt hat. Zwey Gespräche dieses für den Thron gebohrnen Helden mit Ihrem [3] hiesigen Geschäftsträger, denen ich zufällig beywohnte, geben mir eine besondere Veranlassung Ihnen zu schreiben. Ohne Zweifel wird Herr von Binder einen amtlichen Bericht davon erstattet haben, dieser geht aber den Umweg des Geschäftsganges. Ew. Excellenz geniessen dagegen den Vorzug, den Kaiser täglich im engsten Vertrauen zu sprechen und können die Aeusserungen des Kronprinzen der Erwägung Seiner Kaiserl. Maj. unmittelbar empfehlen.
Das erste dieser merkwürdigen Gespräche fiel vor an dem Tage, an welchem hier Napoleons Einzug in Moskau bekannt geworden war. Mitten in einem zahlreichen Kreise wandte sich der Kronprinz zu Herrn von Binder und sagte ihm „Wie ist es möglich, dass Ihr Hof dem Beherrscher Frankreichs bey einem Angriffe beysteht, dessen Erfolg für Oesterreich selbst die verderblichsten Folgen haben muss? Wenn Russland zu einem nachtheiligen Frieden genöthigt werden könnte, [4] so würde sich Oesterreich zwischen dem Rheinischen Bund und das wieder hergestellte Polen eingeklemmt finden, also zwischen lauter Staaten, die nur dem Namen nach eine eigene Regierung haben und auf jeden Wink Napoleons bereit sind, über ihre Nachbarn herzufallen. Noch liefert Oesterreich nur ein bestimmtes Contingent unter seinen eigenen Befehlshabern, und es haben keine französischen Truppen sein Gebiet betreten. Wird aber Napoleon, der nur abhängige Bundesgenossen leiden kann, nicht nach jedem Zuwachs an Macht seine Forderungen höher spannen? Oesterreich, indem es Russland schwächt, sich selbst vereinzelt und sich dem sogenannten Bundessystem des französischen Reichs ganz in die Hände liefert, beraubt es sich nicht aller Mittel solche Zumuthungen mit Festigkeit abzuweisen? Wenn Russlands europäischer Einfluss vernichtet ist, dann wird Napoleons nächste Unternehmung gegen die Türkey gerichtet seyn; er wird die unbedingte Mitwirkung der Oesterreichischen Kriegsmacht unter französischer Führung und für seine Truppen den Durchzug durch Ungarn [5] gebieterisch verlangen, der glückliche Erfolg dieses Krieges würde die Oesterreichischen Staaten auch im Süden und Osten mit französischen Provinzen umgeben, und auf jeden Fall wird Frankreichs Politik den einmal doch fest gefassten Fuss benutzen, um Spaltungen in der Monarchie selbst zu erregen, und von innen und aussen ihre Selbstständigkeit zu untergraben, während alle Möglichkeit eines erneuerten Bündnisses mit England, Russland oder irgend einer andern Macht für Oesterreich abgeschnitten seyn wird“.
Die Wahrheit dieser Betrachtungen war so einleuchtend, der Nachdruck, womit sie vorgetragen wurden, so unwiderstehlich, dass mich Hrn. von Binders sichtbare Verlegenheit nicht im mindesten Wunder nahm: es hätte wohl einem beredteren Manne begegnen können, hierauf zu verstummen. Was aber den Werth dieser Aeusserungen in seinen Augen unendlich erhöhte, war der Zeitpunkt, wo der Kronprinz seine Gesinnungen so entschieden kund gab. Russlands Standhaftigkeit war [6] eben auf die härteste Probe gestellt, und man konnte ihrer auch noch nicht gewiss seyn; die Anhänger Napoleons triumphirten an allen Enden Europas, und in der That schien er seinem ungeheuren Ziel, der allgemeinen Weltherrschaft, noch nie so nahe gewesen zu seyn. Sie sehen hieraus, wie unabhängig die Politik des Kronprinzen vom Wechsel des Glücks ist. Er handelt nach unwandelbaren Grundsätzen. Es ist nur erhabenen Gemüthern eigen, in einem weise überlegten, im Geleit der Ehre und Pflicht gefassten Entschlusse durch die Grösse der Schwierigkeiten noch mehr bestärkt zu werden.
Vor einigen Tagen speiste ich wieder bey dem Kronprinzen zugleich mit Hrn. von Binder. Napoleons Flucht und persönliche Rettung, deren Möglichkeit man zuvor mit gutem Grunde hatte bezweifeln können, war schon bekannt. Nach der Tafel nahm der Kronprinz Hrn. von Binder beyseit und redete lange mit ihm. Ich war daher nicht so naher Zeuge dieses Gesprächs als des ersten, kann Ihnen jedoch [7] dessen Hauptinhalt mit vollkommener Zuverlässigkeit mittheilen. Er bestand in den dringendsten Einladungen an Oesterreich, den verbündeten Mächten beyzutreten. Der Kronprinz bediente sich des Ausdrucks, er sey autorisirt, auf diesen Fall die Bedingungen des Friedens von Campo Formio zuzusichern. Die gegenwärtige Coalition, bemerkte er, gleiche durchaus nicht den vorhergehenden: in England, in Spanien und Portugall und jetzt in Russland sey der Krieg gegen Napoleon nicht bloss Sache der Regierungen, sondern er sey Nationalsache geworden. Russland habe seine unermesslichen Vertheidigungskräfte erst recht kennen gelernt und seine Politik werde in Zukunft nie mehr durch die Besorgniss eines Einfalls auf sein Gebiet bestimmt werden. Indessen sey es für Russland und alle übrigen seit zwölf Jahren beeinträchtigten Mächte Europas nicht hinreichend, einen ungerechten Angriff zurückgeschlagen zu haben; dessen Erneuerung müsse unmöglich gemacht werden. Hiezu sei es erfoderlich, Frankreichs Föderalsystem aufzulösen [8] und besonders Deutschland eine selbständige und wahrhaft deutsche Verfassung wiederzugeben. Man werde den Fürsten, welche ihre Unabhängigkeit wiedererwerben wollen, auf alle Weise die Hand bieten; wenn sie aber auf der Behauptung eines Bündnisses beharren, das einzig in der Aufopferung des Gutes und Blutes ihrer Unterthanen für die Vergrösserung fremder Herrschaft besteht, so können die coalisirten Mächte nicht umhin, den Hass der Völker gegen das französische Joch zu benutzen, um eine freywillige Bewegung hervorzubringen: und es lasse sich nicht berechnen, wie weit diese Bewegung um sich greifen werde und wie vielen jetzt bestehenden Regierungen sie den Umsturz drohe. Zuverlässig werde man die Waffen nicht eher niederlegen, bis die Unabhängigkeit Europas und eine völkerrechtliche Verfassung der gesitteten Welt unerschütterlich gegründet seyn wird.
Für die Aufrichtigkeit der Gesinnungen des Kronprinzen in Absicht auf Ihren Hof kann Ihnen seine eigne Lage bürgen. Als Oberhaupt einer unabhängigen Macht vom [9] zweyten Range muss er wünschen, dass ein dauerndes Gegengewicht gegen Frankreichs Uebermacht gebildet werde, und hiezu ist es nöthig, dass Oesterreich wieder in den ehemaligen Umfang seiner Macht eintrete. Der Kronprinz hat mir versichert, dass er in dem letzten Kriege, in der Zwischenzeit zwischen den Schlachten bey Aspern und Wagram, dem Oesterreichischen Ministerium durch den ehemaligen Secretär des Marchese Gallo zum Frieden gerathen, auch mit dem Bischof von St. Pölten in diesem Sinne gesprochen, weil er die Grösse der Zurüstungen kannte, welche die Schlacht bey Wagram nachher entschieden und wünschte, dass Oesterreich weniger nachtheilige Bedingungen erhalten möchte.
Nach Mittheilung dieser Gespräche darf ich nicht unterlassen, Hochgebohrner Graf, Ihnen noch ein Wort von dem Eindrucke zu sagen, den die grossen Eigenschaften des Kronprinzen von Schweden auf Alle machen, die das Glück haben ihn persönlich kennen zu lernen. Unter der einfachen [10] Offenheit, der ruhigen Würde und einnehmenden Anmuth seines Wesens sieht man das Feuer eines von der edelsten Ruhmbegierde durchdrungenen Geistes hervorblitzen. Seine natürliche Ueberlegenheit hat durch die Erfahrungen eines thatenreichen Lebens an Reife gewonnen und an Nachdruck nichts eingebüsst. Ein solcher Mann herrscht über die Gemüther, und so hat er auch hier schon der öffentlichen Meynung einen ganz neuen Schwung gegeben. Schweden erwartet mit Zuversicht von dieser glücklichen Wahl eines Thronfolgers einen Zeitraum des Wohlstandes, der innern Ruhe und Ordnung, des äusseren Einflusses und Ansehens. Zwischen dem Kaiser von Russland, dem Prinzen von Wales und dem Kronprinzen von Schweden herrscht das vollkommenste Zutrauen; und persönliche Neigung knüpft den Bund fester, den die Sicherheit und das Wohl ihrer Staaten fodert. Im nördlichen Deutschlande hat sich der Kronprinz durch schonende Führung des Krieges und menschenfreundliche Verwaltung sehr beliebt [11] gemacht; nach glaubwürdigen Berichten ist das Volk dort überall bereit, mit äusserster Anstrengung zur Abschüttelung des fremden Joches mitzuwirken. Man sieht mit Ungeduld der Erscheinung eines Befreyers aus dem Norden entgegen, eines neuen Gustav Adolphs, der jenem berühmten ebensowenig an Gerechtigkeitsliebe als an Kriegserfahrenheit und Heldenmuth nachsteht. Allein jetzt ist der Kampf weder ein Religions- noch ein bürgerlicher Krieg; alle ächt gesinnten Deutschen werden dabey gemeine Sache machen; die Theilnahme Schwedens an den deutschen Angelegenheiten ist nicht gegen Oesterreich gerichtet sondern allein gegen Frankreichs Uebermacht oder vielmehr gegen den Misbrauch, den sein Beherrscher davon macht. Noch hält Dänemark an der französischen Partey, aber wenn es sich ernsthaft von drey Mächten bedroht sieht, ohne von Frankreich Hülfe hoffen zu können, wird es ohne Zweifel seine Gesinnungen ändern. In den französischen Heeren und im Innern von Frankreich selbst wird der Name des [12] Kronprinzen von Schweden eine nicht zu berechnende Wirkung machen. Der General Bernadotte hat seinem Vaterlande ebenso wichtige Dienste geleistet als Moreau; sein Ruhm ist ebenso unbefleckt, aber an durchdringender Menschenkenntniss und an Stärke des Charakters ist er ihm unendlich überlegen. Wenn die Völker die Gerechtigkeit, die Mässigung und das Kriegsglück unter denselben Fahnen vereinigt sehen, so werden sie sich nicht länger mehr für die Allgewalt eines Einzigen aufopfern wollen. Frankreich wird einsehn, dass es unter der Last seiner Eroberungen erliegt, es wird sich endlich eine beschränkte monarchische Verfassung geben wollen, und wenn Napoleon zur rechten Zeit einlenkt, wenn er nicht alles für alles aufs Spiel setzt, so kann dies selbst für die Rechte seiner Nachkommenschaft nur vortheilhaft seyn. Denn der gesellschaftliche Zustand ist zu weit vorgeschritten, als dass eine gränzenlose Willkühr lange bestehen könnte.
[13] Ihr freyer Zutritt beym Kaiser, Hochgebohrner Graf, bürgt mir dafür, dass Sie diese Mittheilungen unmittelbar vor Seine Kaiserl. Majestät bringen können; Ihre Ergebenheit gegen den Monarchen, dass Sie es wollen. Welch ein Glück wäre es für das deutsche Vaterland, unter dem Schirm des doppelten Adlers wieder aufzublühen und den Kaiser von Oesterreich von neuem für sein freygewähltes Oberhaupt erkennen zu dürfen! Ich weiss wohl, dass Oesterreich bey seinen Aufopferungen für Deutschland während des Revolutionskrieges oft nur Undank, laue Unterstützung oder gar Widerstand gefunden hat. Jetzt sind wir durch die Begebenheiten belehrt; wir haben den Unterschied zwischen einem gesetzmässigen väterlichen Szepter und einer eisernen Ruthe ausländischer Herrschaft schrecklich erfahren. Unter allen redlichen Deutschen, Protestanten und Katholiken ist jetzt nur eine Stimme über die Verdienste sovieler grosser Kaiser aus dem durchlauchtigsten Erzhause um Deutschland. Alle aufgeklärten Männer sehen ein, dass der deutsche Staatenbund [14] einer kräftigeren Verfassung bedarf, als die war, welche ihn dem fremden Einflusse wehrlos überliefert hat, und dass die kaiserlichen Rechte weiter ausgedehnt werden müssen als ehemals. Es ist bey allen diesen Wünschen gar nicht einmal die Rede davon, Oesterreich in einen Krieg zu verwickeln. Sein Beytritt würde entscheidend seyn, er würde Preussen sich selbst zurückgeben; und Frankreich, durch die Aufreibung eines Heeres von mehr als 300.000 Mann aufs äusserste geschwächt, durch kostspielige statt der ehemaligen einträglichen Plünderungskriege in seinen Finanzen zerrüttet zugleich von Russland, England, Schweden, Spanien und Portugall bedrängt, ist nicht im Stande dem gesammten Europa zu widerstehen, das seine Unabhängigkeit und seine Ruhe mit Ungestüm zurückfodert. Oesterreich darf gleichsam nur die Hand ausstrecken, um auf den ersten Griff das Littoral und seine Slavonischen und Italiänischen Provinzen wieder in Besitz zu nehmen. Das habe ich auf meinen Reisen vielfältig erfahren, dass in allen Ländern, die geraume Zeit unter dem österreichischen Hause gestanden, seine Regierung im besten Andenken steht, und der alte Zustand auf das Sehnlichste zurückgewünscht wird.
[15] Ew. Excellenz werden die Länge dieses Briefes mit der Wichtigkeit des Inhaltes entschuldigen. Sie werden auch der Uneigennützigkeit meiner Triebfedern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich bin ein Hannoveraner, gebohrener Unterthan des Königs von Grossbritannien, der meinem Vater immer besondere Achtung bezeugt hat. Ich weiss, dass der Prinz-Regent geäussert, er werde nie seine Rechte auf die deutschen Erbstaaten seines Hauses aufgeben. Ich darf also hoffen, nicht ohne ein Vaterland zu seyn; und wenn ein freygesinnter Mann nicht mehr in Deutschland athmen kann, so bin ich gewiss, in dem glücklichen England einen Zufluchtsort und gute Aufnahme zu finden. Es sind aber sowohl allgemeine Ueberzeugungen als persönliche Dankbarkeit, welche mich bewegen, meine Wünsche mit denen so vieler Deutschen für den Ruhm und die Wohlfahrt Oesterreichs zu vereinigen.
[16]
[1] Stockholm Anfang 1813.
Hochgebohrner Graf!
Euer Excellenz verlängerter Aufenthalt in Prag beraubte mich des Vergnügens, Ihnen beym Abschiede aus Wien mündlich für Ihre immer gleich wohlwollende Aufnahme zu danken. Seine Kaiserliche Majestät war ebenfalls abwesend, sonst hätte ich gewünscht, meine innige Dankbarkeit für so viele mir und meinem Bruder bewiesene Gnade zu den Füssen dieses verehrten Monarchen legen zu dürfen. Bey dem Antritt einer Reise durch halb Europa, die mich vielleicht auf lange Zeit von meinem deutschen Vaterlande trennen sollte, wurde der Wunsch in mir lebhafter als je, mich ganz in Wien niederzulassen und unter dem Schutze des milden österreichischen Szepters ruhig meine übrigen Tage zu verleben.
Seit ich Ew. Excellenz zuletzt zu sehen die Ehre hatte, haben sich die erstaunlichsten und man darf wohl sagen, die entscheidend[2]sten Begebenheiten zugetragen. Ich habe zum Theil im Voraus ihren Schauplatz besucht, ich sah das unermessliche Moskau noch mit allen goldenen Kuppeln seiner Tempel strahlen, fünf Wochen ehe es ein Raub der Flammen ward. Ich sah aus allen Theilen Russlands die jungen noch kaum mit Waffen versehenen Schaaren herbeyziehen, welche bestimmt waren, das kriegsgeübte Heer Napoleons zu vernichten. Da ich das Glück hatte, mit Frau von Staël zu reisen, die überall, wo die Anerkennung des Verdienstes nicht gewaltsam gehemmt wird, die glänzendste Aufnahme findet, so gab mir diess Gelegenheit mit vielen Männern von dem bedeutendsten Einfluss auf die öffentlichen Begebenheiten bekannt zu werden. An die Spitze dieser historischen Bekanntschaften stelle ich die mit S. Kgl. Hoheit dem Kronprinzen von Schweden, der mich sehr gnädig aufgenommen und mich seines Zutrauens in gewissem Grade gewürdigt hat. Zwey Gespräche dieses für den Thron gebohrnen Helden mit Ihrem [3] hiesigen Geschäftsträger, denen ich zufällig beywohnte, geben mir eine besondere Veranlassung Ihnen zu schreiben. Ohne Zweifel wird Herr von Binder einen amtlichen Bericht davon erstattet haben, dieser geht aber den Umweg des Geschäftsganges. Ew. Excellenz geniessen dagegen den Vorzug, den Kaiser täglich im engsten Vertrauen zu sprechen und können die Aeusserungen des Kronprinzen der Erwägung Seiner Kaiserl. Maj. unmittelbar empfehlen.
Das erste dieser merkwürdigen Gespräche fiel vor an dem Tage, an welchem hier Napoleons Einzug in Moskau bekannt geworden war. Mitten in einem zahlreichen Kreise wandte sich der Kronprinz zu Herrn von Binder und sagte ihm „Wie ist es möglich, dass Ihr Hof dem Beherrscher Frankreichs bey einem Angriffe beysteht, dessen Erfolg für Oesterreich selbst die verderblichsten Folgen haben muss? Wenn Russland zu einem nachtheiligen Frieden genöthigt werden könnte, [4] so würde sich Oesterreich zwischen dem Rheinischen Bund und das wieder hergestellte Polen eingeklemmt finden, also zwischen lauter Staaten, die nur dem Namen nach eine eigene Regierung haben und auf jeden Wink Napoleons bereit sind, über ihre Nachbarn herzufallen. Noch liefert Oesterreich nur ein bestimmtes Contingent unter seinen eigenen Befehlshabern, und es haben keine französischen Truppen sein Gebiet betreten. Wird aber Napoleon, der nur abhängige Bundesgenossen leiden kann, nicht nach jedem Zuwachs an Macht seine Forderungen höher spannen? Oesterreich, indem es Russland schwächt, sich selbst vereinzelt und sich dem sogenannten Bundessystem des französischen Reichs ganz in die Hände liefert, beraubt es sich nicht aller Mittel solche Zumuthungen mit Festigkeit abzuweisen? Wenn Russlands europäischer Einfluss vernichtet ist, dann wird Napoleons nächste Unternehmung gegen die Türkey gerichtet seyn; er wird die unbedingte Mitwirkung der Oesterreichischen Kriegsmacht unter französischer Führung und für seine Truppen den Durchzug durch Ungarn [5] gebieterisch verlangen, der glückliche Erfolg dieses Krieges würde die Oesterreichischen Staaten auch im Süden und Osten mit französischen Provinzen umgeben, und auf jeden Fall wird Frankreichs Politik den einmal doch fest gefassten Fuss benutzen, um Spaltungen in der Monarchie selbst zu erregen, und von innen und aussen ihre Selbstständigkeit zu untergraben, während alle Möglichkeit eines erneuerten Bündnisses mit England, Russland oder irgend einer andern Macht für Oesterreich abgeschnitten seyn wird“.
Die Wahrheit dieser Betrachtungen war so einleuchtend, der Nachdruck, womit sie vorgetragen wurden, so unwiderstehlich, dass mich Hrn. von Binders sichtbare Verlegenheit nicht im mindesten Wunder nahm: es hätte wohl einem beredteren Manne begegnen können, hierauf zu verstummen. Was aber den Werth dieser Aeusserungen in seinen Augen unendlich erhöhte, war der Zeitpunkt, wo der Kronprinz seine Gesinnungen so entschieden kund gab. Russlands Standhaftigkeit war [6] eben auf die härteste Probe gestellt, und man konnte ihrer auch noch nicht gewiss seyn; die Anhänger Napoleons triumphirten an allen Enden Europas, und in der That schien er seinem ungeheuren Ziel, der allgemeinen Weltherrschaft, noch nie so nahe gewesen zu seyn. Sie sehen hieraus, wie unabhängig die Politik des Kronprinzen vom Wechsel des Glücks ist. Er handelt nach unwandelbaren Grundsätzen. Es ist nur erhabenen Gemüthern eigen, in einem weise überlegten, im Geleit der Ehre und Pflicht gefassten Entschlusse durch die Grösse der Schwierigkeiten noch mehr bestärkt zu werden.
Vor einigen Tagen speiste ich wieder bey dem Kronprinzen zugleich mit Hrn. von Binder. Napoleons Flucht und persönliche Rettung, deren Möglichkeit man zuvor mit gutem Grunde hatte bezweifeln können, war schon bekannt. Nach der Tafel nahm der Kronprinz Hrn. von Binder beyseit und redete lange mit ihm. Ich war daher nicht so naher Zeuge dieses Gesprächs als des ersten, kann Ihnen jedoch [7] dessen Hauptinhalt mit vollkommener Zuverlässigkeit mittheilen. Er bestand in den dringendsten Einladungen an Oesterreich, den verbündeten Mächten beyzutreten. Der Kronprinz bediente sich des Ausdrucks, er sey autorisirt, auf diesen Fall die Bedingungen des Friedens von Campo Formio zuzusichern. Die gegenwärtige Coalition, bemerkte er, gleiche durchaus nicht den vorhergehenden: in England, in Spanien und Portugall und jetzt in Russland sey der Krieg gegen Napoleon nicht bloss Sache der Regierungen, sondern er sey Nationalsache geworden. Russland habe seine unermesslichen Vertheidigungskräfte erst recht kennen gelernt und seine Politik werde in Zukunft nie mehr durch die Besorgniss eines Einfalls auf sein Gebiet bestimmt werden. Indessen sey es für Russland und alle übrigen seit zwölf Jahren beeinträchtigten Mächte Europas nicht hinreichend, einen ungerechten Angriff zurückgeschlagen zu haben; dessen Erneuerung müsse unmöglich gemacht werden. Hiezu sei es erfoderlich, Frankreichs Föderalsystem aufzulösen [8] und besonders Deutschland eine selbständige und wahrhaft deutsche Verfassung wiederzugeben. Man werde den Fürsten, welche ihre Unabhängigkeit wiedererwerben wollen, auf alle Weise die Hand bieten; wenn sie aber auf der Behauptung eines Bündnisses beharren, das einzig in der Aufopferung des Gutes und Blutes ihrer Unterthanen für die Vergrösserung fremder Herrschaft besteht, so können die coalisirten Mächte nicht umhin, den Hass der Völker gegen das französische Joch zu benutzen, um eine freywillige Bewegung hervorzubringen: und es lasse sich nicht berechnen, wie weit diese Bewegung um sich greifen werde und wie vielen jetzt bestehenden Regierungen sie den Umsturz drohe. Zuverlässig werde man die Waffen nicht eher niederlegen, bis die Unabhängigkeit Europas und eine völkerrechtliche Verfassung der gesitteten Welt unerschütterlich gegründet seyn wird.
Für die Aufrichtigkeit der Gesinnungen des Kronprinzen in Absicht auf Ihren Hof kann Ihnen seine eigne Lage bürgen. Als Oberhaupt einer unabhängigen Macht vom [9] zweyten Range muss er wünschen, dass ein dauerndes Gegengewicht gegen Frankreichs Uebermacht gebildet werde, und hiezu ist es nöthig, dass Oesterreich wieder in den ehemaligen Umfang seiner Macht eintrete. Der Kronprinz hat mir versichert, dass er in dem letzten Kriege, in der Zwischenzeit zwischen den Schlachten bey Aspern und Wagram, dem Oesterreichischen Ministerium durch den ehemaligen Secretär des Marchese Gallo zum Frieden gerathen, auch mit dem Bischof von St. Pölten in diesem Sinne gesprochen, weil er die Grösse der Zurüstungen kannte, welche die Schlacht bey Wagram nachher entschieden und wünschte, dass Oesterreich weniger nachtheilige Bedingungen erhalten möchte.
Nach Mittheilung dieser Gespräche darf ich nicht unterlassen, Hochgebohrner Graf, Ihnen noch ein Wort von dem Eindrucke zu sagen, den die grossen Eigenschaften des Kronprinzen von Schweden auf Alle machen, die das Glück haben ihn persönlich kennen zu lernen. Unter der einfachen [10] Offenheit, der ruhigen Würde und einnehmenden Anmuth seines Wesens sieht man das Feuer eines von der edelsten Ruhmbegierde durchdrungenen Geistes hervorblitzen. Seine natürliche Ueberlegenheit hat durch die Erfahrungen eines thatenreichen Lebens an Reife gewonnen und an Nachdruck nichts eingebüsst. Ein solcher Mann herrscht über die Gemüther, und so hat er auch hier schon der öffentlichen Meynung einen ganz neuen Schwung gegeben. Schweden erwartet mit Zuversicht von dieser glücklichen Wahl eines Thronfolgers einen Zeitraum des Wohlstandes, der innern Ruhe und Ordnung, des äusseren Einflusses und Ansehens. Zwischen dem Kaiser von Russland, dem Prinzen von Wales und dem Kronprinzen von Schweden herrscht das vollkommenste Zutrauen; und persönliche Neigung knüpft den Bund fester, den die Sicherheit und das Wohl ihrer Staaten fodert. Im nördlichen Deutschlande hat sich der Kronprinz durch schonende Führung des Krieges und menschenfreundliche Verwaltung sehr beliebt [11] gemacht; nach glaubwürdigen Berichten ist das Volk dort überall bereit, mit äusserster Anstrengung zur Abschüttelung des fremden Joches mitzuwirken. Man sieht mit Ungeduld der Erscheinung eines Befreyers aus dem Norden entgegen, eines neuen Gustav Adolphs, der jenem berühmten ebensowenig an Gerechtigkeitsliebe als an Kriegserfahrenheit und Heldenmuth nachsteht. Allein jetzt ist der Kampf weder ein Religions- noch ein bürgerlicher Krieg; alle ächt gesinnten Deutschen werden dabey gemeine Sache machen; die Theilnahme Schwedens an den deutschen Angelegenheiten ist nicht gegen Oesterreich gerichtet sondern allein gegen Frankreichs Uebermacht oder vielmehr gegen den Misbrauch, den sein Beherrscher davon macht. Noch hält Dänemark an der französischen Partey, aber wenn es sich ernsthaft von drey Mächten bedroht sieht, ohne von Frankreich Hülfe hoffen zu können, wird es ohne Zweifel seine Gesinnungen ändern. In den französischen Heeren und im Innern von Frankreich selbst wird der Name des [12] Kronprinzen von Schweden eine nicht zu berechnende Wirkung machen. Der General Bernadotte hat seinem Vaterlande ebenso wichtige Dienste geleistet als Moreau; sein Ruhm ist ebenso unbefleckt, aber an durchdringender Menschenkenntniss und an Stärke des Charakters ist er ihm unendlich überlegen. Wenn die Völker die Gerechtigkeit, die Mässigung und das Kriegsglück unter denselben Fahnen vereinigt sehen, so werden sie sich nicht länger mehr für die Allgewalt eines Einzigen aufopfern wollen. Frankreich wird einsehn, dass es unter der Last seiner Eroberungen erliegt, es wird sich endlich eine beschränkte monarchische Verfassung geben wollen, und wenn Napoleon zur rechten Zeit einlenkt, wenn er nicht alles für alles aufs Spiel setzt, so kann dies selbst für die Rechte seiner Nachkommenschaft nur vortheilhaft seyn. Denn der gesellschaftliche Zustand ist zu weit vorgeschritten, als dass eine gränzenlose Willkühr lange bestehen könnte.
[13] Ihr freyer Zutritt beym Kaiser, Hochgebohrner Graf, bürgt mir dafür, dass Sie diese Mittheilungen unmittelbar vor Seine Kaiserl. Majestät bringen können; Ihre Ergebenheit gegen den Monarchen, dass Sie es wollen. Welch ein Glück wäre es für das deutsche Vaterland, unter dem Schirm des doppelten Adlers wieder aufzublühen und den Kaiser von Oesterreich von neuem für sein freygewähltes Oberhaupt erkennen zu dürfen! Ich weiss wohl, dass Oesterreich bey seinen Aufopferungen für Deutschland während des Revolutionskrieges oft nur Undank, laue Unterstützung oder gar Widerstand gefunden hat. Jetzt sind wir durch die Begebenheiten belehrt; wir haben den Unterschied zwischen einem gesetzmässigen väterlichen Szepter und einer eisernen Ruthe ausländischer Herrschaft schrecklich erfahren. Unter allen redlichen Deutschen, Protestanten und Katholiken ist jetzt nur eine Stimme über die Verdienste sovieler grosser Kaiser aus dem durchlauchtigsten Erzhause um Deutschland. Alle aufgeklärten Männer sehen ein, dass der deutsche Staatenbund [14] einer kräftigeren Verfassung bedarf, als die war, welche ihn dem fremden Einflusse wehrlos überliefert hat, und dass die kaiserlichen Rechte weiter ausgedehnt werden müssen als ehemals. Es ist bey allen diesen Wünschen gar nicht einmal die Rede davon, Oesterreich in einen Krieg zu verwickeln. Sein Beytritt würde entscheidend seyn, er würde Preussen sich selbst zurückgeben; und Frankreich, durch die Aufreibung eines Heeres von mehr als 300.000 Mann aufs äusserste geschwächt, durch kostspielige statt der ehemaligen einträglichen Plünderungskriege in seinen Finanzen zerrüttet zugleich von Russland, England, Schweden, Spanien und Portugall bedrängt, ist nicht im Stande dem gesammten Europa zu widerstehen, das seine Unabhängigkeit und seine Ruhe mit Ungestüm zurückfodert. Oesterreich darf gleichsam nur die Hand ausstrecken, um auf den ersten Griff das Littoral und seine Slavonischen und Italiänischen Provinzen wieder in Besitz zu nehmen. Das habe ich auf meinen Reisen vielfältig erfahren, dass in allen Ländern, die geraume Zeit unter dem österreichischen Hause gestanden, seine Regierung im besten Andenken steht, und der alte Zustand auf das Sehnlichste zurückgewünscht wird.
[15] Ew. Excellenz werden die Länge dieses Briefes mit der Wichtigkeit des Inhaltes entschuldigen. Sie werden auch der Uneigennützigkeit meiner Triebfedern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich bin ein Hannoveraner, gebohrener Unterthan des Königs von Grossbritannien, der meinem Vater immer besondere Achtung bezeugt hat. Ich weiss, dass der Prinz-Regent geäussert, er werde nie seine Rechte auf die deutschen Erbstaaten seines Hauses aufgeben. Ich darf also hoffen, nicht ohne ein Vaterland zu seyn; und wenn ein freygesinnter Mann nicht mehr in Deutschland athmen kann, so bin ich gewiss, in dem glücklichen England einen Zufluchtsort und gute Aufnahme zu finden. Es sind aber sowohl allgemeine Ueberzeugungen als persönliche Dankbarkeit, welche mich bewegen, meine Wünsche mit denen so vieler Deutschen für den Ruhm und die Wohlfahrt Oesterreichs zu vereinigen.
[16]
· Abschrift , 14.01.1813
· La Courneuve, Archives du Ministère de l’Europe et des Affaires Etrangères
· Correspondance politique Suède 298, folios 47–52
×
×