• Caroline von Schelling to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Berlin · Date: 11. März [1802]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Caroline von Schelling
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: 11. März [1802]
  • Notations: Datum (Jahr) sowie Absende- und Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 370516575
  • Bibliography: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 2. Leipzig 1913, S. 315‒319 u. S. 637‒638 (Kommentar).
  • Incipit: „[1] [Jena] Donnerstag d. 11ten März [1802].
    Noch bin ich in der völligsten Ungewißheit, die mich, blos weil es Ungewißheit ist, ein [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36905
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.22,Nr.31
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs.
  • Format: 18,6 x 11,3 cm
    Language
  • German
[1] [Jena] Donnerstag d. 11ten März [1802].
Noch bin ich in der völligsten Ungewißheit, die mich, blos weil es Ungewißheit ist, ein wenig inkommodirt; von Grattenauer verlautet noch nichts. Ich will Dir indessen noch einmal schreiben, um Dir die merkwürdigste Woche aus Kotzebues Leben seit dem merkwürdigsten Jahr seines Lebens mitzutheilen; vielleicht hast Du schon davon gehört, allein ich will mich das nicht verdrießen lassen. Du mußt wissen, daß er sichs angelegen seyn läßt ein sehr brillantes Haus in Weimar zu machen, daß er alle Woche einen adelichen und einen bürgerlichen Thee giebt, und sein Adelsdiplom producirt hat, damit seine Frau an den Hof gehn kann. Da es mit Goethe nicht glückt, macht er Schillern unsinnig die Cour, und Frommans z. B. behaupten auch, daß er ihn gänzlich anbetet und aufrichtig über alle Schauspieldichter der Erde setzt. Nun hatte er auf Schillers Nahmenstag eine Fete veranstaltet, wo aus der Jungfrau, dem Don Carlos usw. Szenen aufgeführt [2] werden sollten, ja sogar die Glocke dramatisch rezitirt, und man spricht von einer großen Glocke von Pappe, die dazu verfertigt wurde. Die Imhof, die Egloffstein und fast lauter Adeliche waren die Spielenden, der Saal im Stadthause sollte den Schauplatz abgeben, und er hatte ihn vorläufig besprochen, ohne genau anzugeben, daß er ein Theater wollte aufschlagen lassen. Dieses wird von Etter[s]burg herbeygefahren, wie es aber vor dem Stadthause abgeladen werden soll, lassen es der Rath und Bürgerschaft nicht ein, weil es den Saal verderben würde. Kotzebue unterhandelt, aber erlangt nichts, und nun geht das ganze Fest in Trümmern, denn das Anerbieten andrer Locale, welche ihm geschahen, nahm er nicht an, weil sich im Moment die Sage erhob, Goethe [3] habe als Baudirekteur dem Stadtrath das nöthige inspirirt, und er wieder vollständig die Rolle des Verfolgten und Beneideten zu spielen gedachte. Auch geräth ganz Weimar über die Sache in Aufruhr, die Theilnehmenden hatten sich, besonders die Damen, herrliche Sachen angeschaft, viele Ausgaben waren von allen Seiten gemacht. Wer nicht laut zu schimpfen wagt, thut es doch in geheim, es gehn die dummsten Gerüchte und Urtheile herum, Goethe soll neidisch seyn, nicht sowohl auf Kotzebue als vielmehr auf Schiller, weil es dem galt, und er habe sich gleich hieher geflüchtet, wie er immer thue, wenn er dergl. angestellt habe. Nun trift noch ein andres Ereigniß hiemit zusammen. Kotzebue hat ein Stück gegeben: die Kleinstädter, aller Wahrscheinlichkeit [4] nach dasjenige, welches als Tollhaus angekündigt wurde. Goethe hat alle Persönlichkeiten darin gestrichen, und Du kanst Dir denken, auf wen diese gingen ‒ ja, ein Stück der Intrigue darin deutet das Weimarische Publikum auf eine Hausgeschichte von Goethe selbst. Kotzebue hat manches wegstreichen lassen, ist aber auf Einigem bestanden, was Goethe durchaus nicht zugab, nun nahm er das Stück ganz zurück. Über dieses kommt es in einem Conzert bey der Herzogin Mutter zu einem Wortwechsel zwischen G. und K., in welchen sich Frau von Kotzebue mischt und versichert, ihr Mann solle nun gar nichts mehr aufs Theater in Weimar geben. Nicht genug, die alte Kotzebübin schreibt Goethen einen [5] Brief ‒ welchen, das magst Du ermessen. So ist der Gott unter die Fischweiber gerathen. Er hat ihr geantwortet, und das müßte freylich lustig zu lesen seyn. Dies hat die Alte ohne Vorwissen ihres Sohnes gethan, welcher sich dem Teufel hat darüber ergeben wollen, allein es war geschehn.
Schelling hat Goethe diesen Morgen gesprochen, er ist sehr gut gelaunt gewesen, aber sie waren zu kurz beysammen, als daß Schelling ihn gleich drauf hätte bringen mögen, um alles zu erfahren. Wir glauben freylich auch, daß Goethe an der Saalaffaire nicht unschuldig ist, vermuthlich mit Schiller und dem Herzog einverstanden, aber ist es nicht prächtig von ihm? Was die Kleinstädter betrifft, so steht nun zu erwarten, was Iffland thun wird ‒ erkundige [6] Dich doch gleich bey Unzelinen. Fast sollte ich doch denken, er würde sich hüten, zumal wenn diese Geschichte vorher verlautet und er sich nicht mit der Unwissenheit schützen kann. Da ein Tollhaus darin vorkommt, istʼs keine Frage, daß Kotzebue nur den Titel verändert hat. ‒ Er ist heut hier, denn er läßt in seinem Gartenhaus bauen, wo er im Sommer seyn will, nächsten Winter aber wird er den Staub schütteln, die Gegend meiden und nach Berlin oder Paris gehn.
Goethe hält sich denn doch tapfer gegen die Halunken und prononcirt sich scharf; es kann auch nicht schaden, daß er selbst einmal ins Handgemenge mit ihnen kommt. Er [7] hat sich sehr freundschaftlich nach Dir erkundigt, und Schelling hat mir die stattlich aufgesezte Antwort der Berliner Theaterdirektion signirt Iffland mitgebracht. Die Kostume zum Ion sind gestochen, und das nächste Heft des Modejournals wird sie mit bringen. Ich werde noch dafür sorgen, daß Tiek als Zeichner genannt wird.
Nun muß ich Dir noch etwas sagen, lieber Schlegel. Da sich Schelling genöthigt gesehn mit Gabler zu brechen, dessen Unrechtlichkeit immer zunahm und ihn wirklich in diesem Augenblick in Verlegenheit setzt, so hat er dazu greifen müssen mit dieser nehmlichen Post Ungern durch Hufeland Vorschläge zu thun. Da der neue Verleger durchaus noch 2 Hefte auf die Messe bringen [8] muß, so war keine Zeit zu verlieren. Er hat auch Cotta aufgefordert, diesen am ernstlichsten, an Unger ist die Anfrage doch nur wie vorläufig gestellt. Bisher hat er sich enthalten mit Anträgen an Unger zu gehn, da dieser so sehr gegen Dich gefehlt, aber er bittet Dich es nun nicht übel zu empfinden, da er es als Nothwehr für sein Journal thut, und in der Voraussetzung, daß Du selbst wahrscheinlich mit ihm wieder überein kommst. Gabler hat ihm in diesen Tagen viel Verdruß gemacht, und es ist noch nicht zu Ende, denn nun ruht das Gespräch, von dem ich Dir schrieb, weil Schelling kein Manusscript mehr hergiebt, bis Gabler einen Wechsel auf die Bezahlung ausgestellt hat, dessen sich dieser noch dazu mit Impertinenz weigert.

[9] Du wirst nun wissen, mein Freund, wann ich Dich sehn werde ‒ mir ist es verborgen. Ich hoffe, die Bernhardi ist wenigstens nicht kränker geworden.
Was mir unangenehm ist, ist, daß mein intendirter Reisegefährt und Fuhrmann mit mir über die Ungewißheit seufzen und daß ich kaum den Termin bestimmen kann, jenseit welchen ich nicht länger zu warten gedenke.
Wegen obiger Geschichte muß ich noch melden, daß sie mit der Unterdrückung Böttigers in Verbindung gebracht und über den Despotismus geschrien wird. Das Volk stellt sich ganz demokratisch an, nun es einmal nicht den Hammer [10] machen soll.
Höre, wenn Goethe das Intriguenstück, das bewußte, nur bey sich gehabt hätte, so läse ich es nun heute Abend. Schellingen wird er es schicken, sobald er wieder drüben ist.
Adieu, Lieber.
[1] [Jena] Donnerstag d. 11ten März [1802].
Noch bin ich in der völligsten Ungewißheit, die mich, blos weil es Ungewißheit ist, ein wenig inkommodirt; von Grattenauer verlautet noch nichts. Ich will Dir indessen noch einmal schreiben, um Dir die merkwürdigste Woche aus Kotzebues Leben seit dem merkwürdigsten Jahr seines Lebens mitzutheilen; vielleicht hast Du schon davon gehört, allein ich will mich das nicht verdrießen lassen. Du mußt wissen, daß er sichs angelegen seyn läßt ein sehr brillantes Haus in Weimar zu machen, daß er alle Woche einen adelichen und einen bürgerlichen Thee giebt, und sein Adelsdiplom producirt hat, damit seine Frau an den Hof gehn kann. Da es mit Goethe nicht glückt, macht er Schillern unsinnig die Cour, und Frommans z. B. behaupten auch, daß er ihn gänzlich anbetet und aufrichtig über alle Schauspieldichter der Erde setzt. Nun hatte er auf Schillers Nahmenstag eine Fete veranstaltet, wo aus der Jungfrau, dem Don Carlos usw. Szenen aufgeführt [2] werden sollten, ja sogar die Glocke dramatisch rezitirt, und man spricht von einer großen Glocke von Pappe, die dazu verfertigt wurde. Die Imhof, die Egloffstein und fast lauter Adeliche waren die Spielenden, der Saal im Stadthause sollte den Schauplatz abgeben, und er hatte ihn vorläufig besprochen, ohne genau anzugeben, daß er ein Theater wollte aufschlagen lassen. Dieses wird von Etter[s]burg herbeygefahren, wie es aber vor dem Stadthause abgeladen werden soll, lassen es der Rath und Bürgerschaft nicht ein, weil es den Saal verderben würde. Kotzebue unterhandelt, aber erlangt nichts, und nun geht das ganze Fest in Trümmern, denn das Anerbieten andrer Locale, welche ihm geschahen, nahm er nicht an, weil sich im Moment die Sage erhob, Goethe [3] habe als Baudirekteur dem Stadtrath das nöthige inspirirt, und er wieder vollständig die Rolle des Verfolgten und Beneideten zu spielen gedachte. Auch geräth ganz Weimar über die Sache in Aufruhr, die Theilnehmenden hatten sich, besonders die Damen, herrliche Sachen angeschaft, viele Ausgaben waren von allen Seiten gemacht. Wer nicht laut zu schimpfen wagt, thut es doch in geheim, es gehn die dummsten Gerüchte und Urtheile herum, Goethe soll neidisch seyn, nicht sowohl auf Kotzebue als vielmehr auf Schiller, weil es dem galt, und er habe sich gleich hieher geflüchtet, wie er immer thue, wenn er dergl. angestellt habe. Nun trift noch ein andres Ereigniß hiemit zusammen. Kotzebue hat ein Stück gegeben: die Kleinstädter, aller Wahrscheinlichkeit [4] nach dasjenige, welches als Tollhaus angekündigt wurde. Goethe hat alle Persönlichkeiten darin gestrichen, und Du kanst Dir denken, auf wen diese gingen ‒ ja, ein Stück der Intrigue darin deutet das Weimarische Publikum auf eine Hausgeschichte von Goethe selbst. Kotzebue hat manches wegstreichen lassen, ist aber auf Einigem bestanden, was Goethe durchaus nicht zugab, nun nahm er das Stück ganz zurück. Über dieses kommt es in einem Conzert bey der Herzogin Mutter zu einem Wortwechsel zwischen G. und K., in welchen sich Frau von Kotzebue mischt und versichert, ihr Mann solle nun gar nichts mehr aufs Theater in Weimar geben. Nicht genug, die alte Kotzebübin schreibt Goethen einen [5] Brief ‒ welchen, das magst Du ermessen. So ist der Gott unter die Fischweiber gerathen. Er hat ihr geantwortet, und das müßte freylich lustig zu lesen seyn. Dies hat die Alte ohne Vorwissen ihres Sohnes gethan, welcher sich dem Teufel hat darüber ergeben wollen, allein es war geschehn.
Schelling hat Goethe diesen Morgen gesprochen, er ist sehr gut gelaunt gewesen, aber sie waren zu kurz beysammen, als daß Schelling ihn gleich drauf hätte bringen mögen, um alles zu erfahren. Wir glauben freylich auch, daß Goethe an der Saalaffaire nicht unschuldig ist, vermuthlich mit Schiller und dem Herzog einverstanden, aber ist es nicht prächtig von ihm? Was die Kleinstädter betrifft, so steht nun zu erwarten, was Iffland thun wird ‒ erkundige [6] Dich doch gleich bey Unzelinen. Fast sollte ich doch denken, er würde sich hüten, zumal wenn diese Geschichte vorher verlautet und er sich nicht mit der Unwissenheit schützen kann. Da ein Tollhaus darin vorkommt, istʼs keine Frage, daß Kotzebue nur den Titel verändert hat. ‒ Er ist heut hier, denn er läßt in seinem Gartenhaus bauen, wo er im Sommer seyn will, nächsten Winter aber wird er den Staub schütteln, die Gegend meiden und nach Berlin oder Paris gehn.
Goethe hält sich denn doch tapfer gegen die Halunken und prononcirt sich scharf; es kann auch nicht schaden, daß er selbst einmal ins Handgemenge mit ihnen kommt. Er [7] hat sich sehr freundschaftlich nach Dir erkundigt, und Schelling hat mir die stattlich aufgesezte Antwort der Berliner Theaterdirektion signirt Iffland mitgebracht. Die Kostume zum Ion sind gestochen, und das nächste Heft des Modejournals wird sie mit bringen. Ich werde noch dafür sorgen, daß Tiek als Zeichner genannt wird.
Nun muß ich Dir noch etwas sagen, lieber Schlegel. Da sich Schelling genöthigt gesehn mit Gabler zu brechen, dessen Unrechtlichkeit immer zunahm und ihn wirklich in diesem Augenblick in Verlegenheit setzt, so hat er dazu greifen müssen mit dieser nehmlichen Post Ungern durch Hufeland Vorschläge zu thun. Da der neue Verleger durchaus noch 2 Hefte auf die Messe bringen [8] muß, so war keine Zeit zu verlieren. Er hat auch Cotta aufgefordert, diesen am ernstlichsten, an Unger ist die Anfrage doch nur wie vorläufig gestellt. Bisher hat er sich enthalten mit Anträgen an Unger zu gehn, da dieser so sehr gegen Dich gefehlt, aber er bittet Dich es nun nicht übel zu empfinden, da er es als Nothwehr für sein Journal thut, und in der Voraussetzung, daß Du selbst wahrscheinlich mit ihm wieder überein kommst. Gabler hat ihm in diesen Tagen viel Verdruß gemacht, und es ist noch nicht zu Ende, denn nun ruht das Gespräch, von dem ich Dir schrieb, weil Schelling kein Manusscript mehr hergiebt, bis Gabler einen Wechsel auf die Bezahlung ausgestellt hat, dessen sich dieser noch dazu mit Impertinenz weigert.

[9] Du wirst nun wissen, mein Freund, wann ich Dich sehn werde ‒ mir ist es verborgen. Ich hoffe, die Bernhardi ist wenigstens nicht kränker geworden.
Was mir unangenehm ist, ist, daß mein intendirter Reisegefährt und Fuhrmann mit mir über die Ungewißheit seufzen und daß ich kaum den Termin bestimmen kann, jenseit welchen ich nicht länger zu warten gedenke.
Wegen obiger Geschichte muß ich noch melden, daß sie mit der Unterdrückung Böttigers in Verbindung gebracht und über den Despotismus geschrien wird. Das Volk stellt sich ganz demokratisch an, nun es einmal nicht den Hammer [10] machen soll.
Höre, wenn Goethe das Intriguenstück, das bewußte, nur bey sich gehabt hätte, so läse ich es nun heute Abend. Schellingen wird er es schicken, sobald er wieder drüben ist.
Adieu, Lieber.
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