• August Wilhelm von Schlegel to Christian Gottlob Heyne

  • Place of Dispatch: Amsterdam · Place of Destination: Göttingen · Date: 29.06.1793
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Christian Gottlob Heyne
  • Place of Dispatch: Amsterdam
  • Place of Destination: Göttingen
  • Date: 29.06.1793
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 20‒23.
  • Incipit: „[1] Amsterdam d. 29 Jun. [17]93
    Wohlgebohrner
    Hochzuverehrender Herr Hofrath!
    Ihr Brief war mir ein sehr angenehmes Geschenk, und überraschte mich um so mehr, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-37113
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.3,Nr.30(4)
  • Number of Pages: 7 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,8 x 11,7 cm
    Language
  • German
[1] Amsterdam d. 29 Jun. [17]93
Wohlgebohrner
Hochzuverehrender Herr Hofrath!
Ihr Brief war mir ein sehr angenehmes Geschenk, und überraschte mich um so mehr, da ich es freylich durch mein Stillschweigen nicht um meine Deutschen Gönner und Freunde verdient habe, ihrem Andenken noch gegenwärtig zu seyn. Indessen kann ich doch versichern, daß die Aussicht, hier noch etwan vier Jahre zuzubringen – denn auf so lange sind meine Verbindungen eingegangen – mich nicht gleichgültig gegen mein Vaterland gemacht hat; noch weniger kann ich mich rühmen oder beschuldigen, in diesem Lande nationalisirt zu seyn. Zu Anfange hatte ich über die neuen Gegenstände, die mir vorkamen, zu schreiben; jetzt ist der erste Eindruck vorüber, Land und Leute sind mir gewöhnlich geworden, und die Beobachtungen im Detail, die mir noch übrig bleiben, sind nicht immer [2] interessant genug, um sie mitzutheilen. Das Litterarische Fach ist arm an neuen Produkten; politische Neuigkeiten, die uns sehr nahe betrafen, haben wir im Februar und März genug zu erzählen gehabt: Sie werden sie wahrscheinlich nicht viel später aus den öffentlichen Blättern erfahren haben. Die damahlige Lage war sehr seltsam und unangenehm – der Parteyhaß aufs höchste gespannt, und daher, wenn die Unternehmung der Franzosen gelungen wäre, üblere Folgen zu fürchten, als in irgend einem andern Lande. Da die Familie meines Zöglings zu der Partey gehört, welche alsdann gelitten haben würde, so hätte es leicht geschehen können, daß ich mit ihr genöthigt gewesen wäre, zu emigriren; wahrscheinlich nach England. Herr Muilman für seine Person hätte gewiß diese Partey ergreifen müssen, um einen Theil seines Vermögens, und vielleicht um sein Leben zu retten. Herr Hope ist wirklich ausgewandert, gleich auf die Nachricht von der Einnahme von Breda. Er hat nur seinen Neffen in dem Handelshause zurückgelassen, [3] und ist noch jetzt in England. Sein prachtvolles Landhaus und Gemähldegallerie ließ sich freylich nicht einpacken.
In so fern, werthester Herr Hofrath, haben Sie richtig gerathen, daß es mir recht wohl geht, und daß ich in der That undankbar seyn müßte, wenn ich über mein Schicksal klagen wollte. Ich habe, was die Hauptsache ist, mit sehr vernünftigen und billigen Leuten zu thun; ein reichliches Auskommen, und die gewisse Aussicht, am Ende der vier Jahre, die noch vor mir sind, eine ganz gute Summe zu erhalten. In Ansehung des physischen Lebens fehlt es mir an nichts – ich hätte etwan nur über das allzugute Leben zu klagen, wenn ich nicht gewiß wäre, daß ich gleichgültig dagegen bin, und mich desselben ohne Mühe wieder entwöhnen werde. – Von der andern Seite muß ich mir freylich für so viele Vortheile auch Entbehrungen gefallen lassen. Ich bin sehr gebunden, meine Muße beschränkt und unterbrochen; der Unterricht meines Zöglings, der diesen Winter zuerst ein Kollegium besucht hat, kostet viel Zeit und Mühe. Jeder schriftstellerische Plan, bey dem [4] man viele Bücher nachsehen muß, (und bey welchem müßte man es nicht?) ist schon wegen dieses Mangels für mich unausführbar. Es giebt hier keine öffentliche Bibliothek, die des Namens werth wäre, und die Holländer, welche etwan Privatbibliotheken haben, sind gar nicht mittheilsam damit. Deswegen habe ich auch das gelehrte Studium der Italiänischen Litteratur müssen liegen lassen; denn eine Sammlung ihrer besten Dichter reicht wohl zu meinem Vergnügen, aber nicht dazu hin. – Am besten kann ich mir noch die Griechen und Römer verschaffen, und auf die letztern führt mich auch der Unterricht, den ich ertheile.
Um doch wenigstens einen Handlanger Dienst in der gelehrten Welt zu leisten, habe ich den Winter über ein Buch aus dem Holländischen übersetzt: Nachrichten zur Aufklärung der Vorfälle während des letzten Krieges zwischen England und Holland, von J. Rendorp. Es ist von einem einsichtsvollen Staatsmanne geschrieben, und nach seinem Tode herausgekommen; die Beyträge, die es zur Geschichte der letzten Jahre liefert, sind vielleicht auch außerhalb Holland interessant. [5] Der erste Theil davon ist in Leipzig gedruckt: ich habe meinem Bruder geschrieben, Ihnen mit der ersten Gelegenheit ein Exemplar zu schicken. Wegen einer starken Stelle gegen HE. Schlözer, die ich nicht weglassen konnte, ohne das Buch zu verstümmeln, wünschte ich grade nicht als der Übersetzer davon bekannt zu seyn. – Hätte mich der Buchhändler nicht so sehr geeilt, so hätte ich noch mehr Anmerkungen, und eine ausführlichere Vorrede, über den Gesichtspunkt, woraus man die Geschichte Hollands in den letzten Jahren betrachten muß, hinzufügen können.
Die litterarischen Neuigkeiten wird wahrscheinlich Herr Wyttenbach, der Ihnen, wie er mir gesagt, vor einigen Wochen geschrieben, schon erschöpft haben. In der That ist auch, so viel ich weiß, seit den beyden Abhandlungen vom seligen Camper und dem oben erwähnten Buche nichts von Belang erschienen. Mit HE. Wyttenbachs Plutarch rückt es, wie es scheint, vorwärts; obgleich langsam. Der Bogen, den er mir davon gezeigt, war schön, doch mit vielen Abbreviaturen gedruckt. HE. Jeronymo [6] de Bosch Gedicht: de aequitate hominum, kennen Sie vermuthlich schon. Ich hörte ihn einen Theil davon in der hiesigen Gesellschaft Concordia et libertate hersagen. Er thut dieß mit vieler Anstrengung – rumpitur declamitando – nur Schade, daß ihn seine Bemühungen, die singende und taktmäßige Deklamation der Alten wieder herzustellen, nicht vor einer großen Ähnlichkeit mit dem widrigen Holländischen Predigertone beschützen.
Vielleicht ist es in Deutschland nicht sehr bekannt, daß die Amsterdamsche Dicht - en Letter oefenend Genootschap einen Preis von 50 Dukaten auf die beste aesthetische Beurtheilung des Klopstockschen Messias, welche vor dem ersten Dezember dieses Jahres, auch in Deutscher Sprache, nur mit Italiänischen Charakteren geschrieben, einlaufen wird, gesetzt hat. Indessen rathe ich dem, welcher darüber schreiben will, in Ansehung der religiösen Seite des Gedichts sich vorzusehen, sonst bekommt er den Preis gewiß nicht.
[7] Die hiesigen Erz-orthodoxen Lutheraner erbauen hier eine eigne prächtige Kirche, (unglücklicher Weise an einem Platze, wo sonst ein Tollhaus gestanden) die freylich nicht zum Beweise der humanen Denkart über solche Gegenstände, aber doch zur Zierde der Stadt dienen wird. Von den Streitigkeiten hört man schon seit geraumer Zeit nichts mehr – allein das Schisma ist vollkommen, und die schöne neue Kirche wird wahrscheinlich zur Aussöhnung der beyden Partheyen nichts beytragen. Wie sollte man eine Orthodoxie aufgeben, welche so viel Geld gekostet hat?
Verzeihen Sie, werthester Herr Hofrath, wenn ich Sie von uninteresanten Gegenständen unterhalten habe: ich wollte wenigstens den guten Willen zeigen, Ihnen etwas zu schreiben, das des Schreibens werth wäre.
Darf ich Sie um meine besten und ehrerbietigsten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin und Mademoiselle Tochter bitten. Ich habe die Ehre mit unbegränzter Hochachtung und den wärmsten Wünschen für Ihr fortdauerndes Wohlseyn zu seyn
Ew. Wohlgebohren
gehorsamster
A. W. Schlegel
[8]
[1] Amsterdam d. 29 Jun. [17]93
Wohlgebohrner
Hochzuverehrender Herr Hofrath!
Ihr Brief war mir ein sehr angenehmes Geschenk, und überraschte mich um so mehr, da ich es freylich durch mein Stillschweigen nicht um meine Deutschen Gönner und Freunde verdient habe, ihrem Andenken noch gegenwärtig zu seyn. Indessen kann ich doch versichern, daß die Aussicht, hier noch etwan vier Jahre zuzubringen – denn auf so lange sind meine Verbindungen eingegangen – mich nicht gleichgültig gegen mein Vaterland gemacht hat; noch weniger kann ich mich rühmen oder beschuldigen, in diesem Lande nationalisirt zu seyn. Zu Anfange hatte ich über die neuen Gegenstände, die mir vorkamen, zu schreiben; jetzt ist der erste Eindruck vorüber, Land und Leute sind mir gewöhnlich geworden, und die Beobachtungen im Detail, die mir noch übrig bleiben, sind nicht immer [2] interessant genug, um sie mitzutheilen. Das Litterarische Fach ist arm an neuen Produkten; politische Neuigkeiten, die uns sehr nahe betrafen, haben wir im Februar und März genug zu erzählen gehabt: Sie werden sie wahrscheinlich nicht viel später aus den öffentlichen Blättern erfahren haben. Die damahlige Lage war sehr seltsam und unangenehm – der Parteyhaß aufs höchste gespannt, und daher, wenn die Unternehmung der Franzosen gelungen wäre, üblere Folgen zu fürchten, als in irgend einem andern Lande. Da die Familie meines Zöglings zu der Partey gehört, welche alsdann gelitten haben würde, so hätte es leicht geschehen können, daß ich mit ihr genöthigt gewesen wäre, zu emigriren; wahrscheinlich nach England. Herr Muilman für seine Person hätte gewiß diese Partey ergreifen müssen, um einen Theil seines Vermögens, und vielleicht um sein Leben zu retten. Herr Hope ist wirklich ausgewandert, gleich auf die Nachricht von der Einnahme von Breda. Er hat nur seinen Neffen in dem Handelshause zurückgelassen, [3] und ist noch jetzt in England. Sein prachtvolles Landhaus und Gemähldegallerie ließ sich freylich nicht einpacken.
In so fern, werthester Herr Hofrath, haben Sie richtig gerathen, daß es mir recht wohl geht, und daß ich in der That undankbar seyn müßte, wenn ich über mein Schicksal klagen wollte. Ich habe, was die Hauptsache ist, mit sehr vernünftigen und billigen Leuten zu thun; ein reichliches Auskommen, und die gewisse Aussicht, am Ende der vier Jahre, die noch vor mir sind, eine ganz gute Summe zu erhalten. In Ansehung des physischen Lebens fehlt es mir an nichts – ich hätte etwan nur über das allzugute Leben zu klagen, wenn ich nicht gewiß wäre, daß ich gleichgültig dagegen bin, und mich desselben ohne Mühe wieder entwöhnen werde. – Von der andern Seite muß ich mir freylich für so viele Vortheile auch Entbehrungen gefallen lassen. Ich bin sehr gebunden, meine Muße beschränkt und unterbrochen; der Unterricht meines Zöglings, der diesen Winter zuerst ein Kollegium besucht hat, kostet viel Zeit und Mühe. Jeder schriftstellerische Plan, bey dem [4] man viele Bücher nachsehen muß, (und bey welchem müßte man es nicht?) ist schon wegen dieses Mangels für mich unausführbar. Es giebt hier keine öffentliche Bibliothek, die des Namens werth wäre, und die Holländer, welche etwan Privatbibliotheken haben, sind gar nicht mittheilsam damit. Deswegen habe ich auch das gelehrte Studium der Italiänischen Litteratur müssen liegen lassen; denn eine Sammlung ihrer besten Dichter reicht wohl zu meinem Vergnügen, aber nicht dazu hin. – Am besten kann ich mir noch die Griechen und Römer verschaffen, und auf die letztern führt mich auch der Unterricht, den ich ertheile.
Um doch wenigstens einen Handlanger Dienst in der gelehrten Welt zu leisten, habe ich den Winter über ein Buch aus dem Holländischen übersetzt: Nachrichten zur Aufklärung der Vorfälle während des letzten Krieges zwischen England und Holland, von J. Rendorp. Es ist von einem einsichtsvollen Staatsmanne geschrieben, und nach seinem Tode herausgekommen; die Beyträge, die es zur Geschichte der letzten Jahre liefert, sind vielleicht auch außerhalb Holland interessant. [5] Der erste Theil davon ist in Leipzig gedruckt: ich habe meinem Bruder geschrieben, Ihnen mit der ersten Gelegenheit ein Exemplar zu schicken. Wegen einer starken Stelle gegen HE. Schlözer, die ich nicht weglassen konnte, ohne das Buch zu verstümmeln, wünschte ich grade nicht als der Übersetzer davon bekannt zu seyn. – Hätte mich der Buchhändler nicht so sehr geeilt, so hätte ich noch mehr Anmerkungen, und eine ausführlichere Vorrede, über den Gesichtspunkt, woraus man die Geschichte Hollands in den letzten Jahren betrachten muß, hinzufügen können.
Die litterarischen Neuigkeiten wird wahrscheinlich Herr Wyttenbach, der Ihnen, wie er mir gesagt, vor einigen Wochen geschrieben, schon erschöpft haben. In der That ist auch, so viel ich weiß, seit den beyden Abhandlungen vom seligen Camper und dem oben erwähnten Buche nichts von Belang erschienen. Mit HE. Wyttenbachs Plutarch rückt es, wie es scheint, vorwärts; obgleich langsam. Der Bogen, den er mir davon gezeigt, war schön, doch mit vielen Abbreviaturen gedruckt. HE. Jeronymo [6] de Bosch Gedicht: de aequitate hominum, kennen Sie vermuthlich schon. Ich hörte ihn einen Theil davon in der hiesigen Gesellschaft Concordia et libertate hersagen. Er thut dieß mit vieler Anstrengung – rumpitur declamitando – nur Schade, daß ihn seine Bemühungen, die singende und taktmäßige Deklamation der Alten wieder herzustellen, nicht vor einer großen Ähnlichkeit mit dem widrigen Holländischen Predigertone beschützen.
Vielleicht ist es in Deutschland nicht sehr bekannt, daß die Amsterdamsche Dicht - en Letter oefenend Genootschap einen Preis von 50 Dukaten auf die beste aesthetische Beurtheilung des Klopstockschen Messias, welche vor dem ersten Dezember dieses Jahres, auch in Deutscher Sprache, nur mit Italiänischen Charakteren geschrieben, einlaufen wird, gesetzt hat. Indessen rathe ich dem, welcher darüber schreiben will, in Ansehung der religiösen Seite des Gedichts sich vorzusehen, sonst bekommt er den Preis gewiß nicht.
[7] Die hiesigen Erz-orthodoxen Lutheraner erbauen hier eine eigne prächtige Kirche, (unglücklicher Weise an einem Platze, wo sonst ein Tollhaus gestanden) die freylich nicht zum Beweise der humanen Denkart über solche Gegenstände, aber doch zur Zierde der Stadt dienen wird. Von den Streitigkeiten hört man schon seit geraumer Zeit nichts mehr – allein das Schisma ist vollkommen, und die schöne neue Kirche wird wahrscheinlich zur Aussöhnung der beyden Partheyen nichts beytragen. Wie sollte man eine Orthodoxie aufgeben, welche so viel Geld gekostet hat?
Verzeihen Sie, werthester Herr Hofrath, wenn ich Sie von uninteresanten Gegenständen unterhalten habe: ich wollte wenigstens den guten Willen zeigen, Ihnen etwas zu schreiben, das des Schreibens werth wäre.
Darf ich Sie um meine besten und ehrerbietigsten Empfehlungen an Ihre Frau Gemahlin und Mademoiselle Tochter bitten. Ich habe die Ehre mit unbegränzter Hochachtung und den wärmsten Wünschen für Ihr fortdauerndes Wohlseyn zu seyn
Ew. Wohlgebohren
gehorsamster
A. W. Schlegel
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