• Johann Carl Fürchtegott Schlegel , Julie Schlegel to August Wilhelm von Schlegel , Friedrich von Schlegel , Caroline von Schelling

  • Place of Dispatch: Hannover · Place of Destination: Jena · Date: 13.11.1796
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling, partially newly transcribed
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Johann Carl Fürchtegott Schlegel, Julie Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel, Friedrich von Schlegel, Caroline von Schelling
  • Place of Dispatch: Hannover
  • Place of Destination: Jena
  • Date: 13.11.1796
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 41‒42.
  • Incipit: „[1] [Edierter Text von Josef Körner:]
    Hannover d 13 Novb 1796
    Wie man dazu kommen kann, wertheste Frau Schwester, überall nicht zu schreiben, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.82
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 23,4 x 18,5 cm
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia (Anteil Neutranskription)
  • Varwig, Olivia (Anteil Neutranskription)
[1] [Edierter Text von Josef Körner:]
Hannover d 13 Novb 1796
Wie man dazu kommen kann, wertheste Frau Schwester, überall nicht zu schreiben, und selbst Briefe unbeantwortet zu lassen, über die man sich schon gefreuet hat, das können Sie an Ihrem theuren Herrn Gemal und dessen philosophischen Herrn Bruder sehen. Diese beyden berühmten Nichtschreiber mögen zu meiner Entschuldigung dienen, daß ich einen Brief so lange unbeantwortet lassen konnte, der noch dazu das Glück der Bewohnern der Hügel und Felsen an den Ufern der reißenden Saale, den Einwohnern der Residenzstadt an den hohen Ufern der bräunlichen Leine (Sie mögten ihr zwar gern flache Ufer, dem bedeutungsvollen Namen Hannover, Hohen-Ufer zuwider, andichten) schildert, und durch seinen muntern Ton bey letztem zum Aufruf der Freude wird, dem sie auch mitten in der Residenzstadt zu jeder Zeit gern und willig Gehör geben. – Vor mehrbesagten meinen Herrn Brüdern habe ich noch immer das voraus, daß sie sich ausschließend mit Gegenständen beschäftigen, an die ein jeder gern Theil hat, und die sie selbst zur Mittheilung drängen, – ich hingegen, mit practisch-juristischen Ideen mich beschäftige, mit denen ich kaum Professions Verwandten willkommen bin. – Mit Wilhelm ist es auch nicht immer so gewesen, [2] da er (wiewohl sonst nur immer mit der Heirath die gleichförmige Ordnung anhebt) vor seiner Verheirathung der regelmäßigste und musterhafteste Briefsteller war, und scheint es fast, daß er im Ehe Contracte mit ihnen eine solche Theilung eingegangen, wodurch er Ihnen die Briefe überlassen, und sich nur die Postscripte vorbehalten hat. – Aus meinem Stillschweigen würden Sie übrigens mit Unrecht auf Mangel der Theilnahme schließen. Meine Mutter erfreute uns oft durch die Mittheilung Ihrer Briefe; und der angenehmen darin enthaltenen Nachrichten. Bey Schriftstellern, und noch dazu bey so fleisigen Schriftstellern, die fast in jedem Monate irgend ein Product ihres Geistes ans Licht treten lassen, kann man ohnehin schon ihren jedesmaligen Zustand, und Befinden, aus ihren Geistes Producten ermessen, ohne daß es anderer Versicherungen bedarf. So habe ich z. B. aus Wilhelms Recension über Voßens Homer gesehen, daß er jetzt sehr heiter gestimmt seyn muß, da er sogar ächten Humor, und muntre Laune mit Sprachkritick, die sich sonst nicht immer zusammen vertragen, zu vereinigen weiß; – aus seinem Pigmalion: daß er jezt nicht von allem Erfreulichen entfernt, bloß in der Sehnsucht nach dem Entbehrten lebt, wie etwa bey dem Liede: Hinaus mein Blick pp – ferner: daß sein schriftstellerischer Beruf, als Pigmalion zu schaffen, und zu bilden, [3] ihm den anziehensten und schönsten Genuß gewährt.
Deine ebengedachte Rezension, lieber Wilhelm, hat mir die angenehmste Unterhaltung verschafft; und wiewohl mir Vossens Odüssee in der ersten Ausgabe schon oft reichliches Vergnügen gewährt hat, und noch immer gewährt, so finde ich doch, insoweit ich es wegen mangelnder Sprachkenntnisse beurtheilen kann, Dein Urtheil billig und gerecht. Ich betrachte sie für mich als eine der lehrreichsten und anziehensten Abhandlungen über den Geist der Sprache und Metrick; da ich den homerischen nicht mehr in seiner Urquelle kennen zu lernen hoffen kann. – In dem Urtheile, daß die neuere Ausgabe der Odüssee der ältern, eben wegen der daran verwandten Kunst nachsteht, kömmst Du auch mit dem Göttingischen Recensenten überein, der es aber nur mehr angiebt, als genau entwickelt. Seine Recension ist glaube ich mit der Deinigen ungefähr zu gleicher Zeit erschienen. – Ich wünschte wohl, daß du mich künftig auf deine Recensionen, und die Stücke die sie enthalten, im voraus aufmerksam machtest, da ich selten die Musse habe, viel zu lesen, und ich ohnehin die Journale immer gleich weiter schicken muß. – Hierbey fällt mir ein, daß mein Schwager Krause, und dessen Schwager Rector Meinecke, die Du hier hast kennen lernen, sehr wünschen, daß Du des letztern seine Uebersetzung des Lucrez recensirtest. – Von Dir, lieber Fritz, mögte ich mir einmal ein Urtheil über Boutterweckʼs [4] Septimius Severus, oder die Eleusinischen Geheimnisse erbitten. Ich lese es jetzt mit Papen, der sich euch bestens empfehlen läßt, zusammen. Es enthält die prima elementa der Kantischen Philosophie in schönem Gewande. – Rückt die Herausgabe Deines Werkes noch nicht weiter vorwärts?
Sie haben, wertheste Frau Schwester, meine Mutter wegen der Epigramme in Schillers Almanach an mich verwiesen. Ich habe ihn bis jezt nur bey andern gesehen, da er bey Dietrich in Göttingen, wo ich ihn mitnehmen wollte, schon vergriffen war. Ich zweifle auch, daß ich sie alle, wenn sie alle einen bestimmten Sinn haben sollten, werde enträzeln können. – Ich höre aus Dresden, daß Sie zusammen auf Ostern den schönen Plan vor haben, dort hinzureisen, und möchte so gern daran theilnehmen, wenn es nicht so unendlich weit wäre. – Meine ganze Reiselust ist durch die hübsche Reise, die ich mit meiner lieben Frau, um meine Mutter abzuholen, nach Moringen Göttingen und da herum gemacht, erwacht, doch werden wir uns vorerst noch solches versagen müssen.

[Neutranskription:]
Da mein Mann Ihnen schon so viel vorgeplaudert hat und mir nur ein kleines Plätzchen offen gelaßen ist, so will ich es dazu benutzen, Sie meine liebe Geschw[i]ster zu bitten, mich nicht zu vergessen und uns auch oft mit Briefen zu erfreuen. ich kann Ihnen von hir nichts schreiben, was Sie besonders Intreßiren könnte. Die kleine Reise nach Göttingen hat mir unendlich viel vergnügen gemacht. wir hätten große Lust osteren auch nach Dreßden zu Reisen, aber noch müßen wir uns dieses vergnügen versagen. ich dennke Sie besuchen uns hir auch mahl. leben Sie wohl
Julie S.
[1] [Edierter Text von Josef Körner:]
Hannover d 13 Novb 1796
Wie man dazu kommen kann, wertheste Frau Schwester, überall nicht zu schreiben, und selbst Briefe unbeantwortet zu lassen, über die man sich schon gefreuet hat, das können Sie an Ihrem theuren Herrn Gemal und dessen philosophischen Herrn Bruder sehen. Diese beyden berühmten Nichtschreiber mögen zu meiner Entschuldigung dienen, daß ich einen Brief so lange unbeantwortet lassen konnte, der noch dazu das Glück der Bewohnern der Hügel und Felsen an den Ufern der reißenden Saale, den Einwohnern der Residenzstadt an den hohen Ufern der bräunlichen Leine (Sie mögten ihr zwar gern flache Ufer, dem bedeutungsvollen Namen Hannover, Hohen-Ufer zuwider, andichten) schildert, und durch seinen muntern Ton bey letztem zum Aufruf der Freude wird, dem sie auch mitten in der Residenzstadt zu jeder Zeit gern und willig Gehör geben. – Vor mehrbesagten meinen Herrn Brüdern habe ich noch immer das voraus, daß sie sich ausschließend mit Gegenständen beschäftigen, an die ein jeder gern Theil hat, und die sie selbst zur Mittheilung drängen, – ich hingegen, mit practisch-juristischen Ideen mich beschäftige, mit denen ich kaum Professions Verwandten willkommen bin. – Mit Wilhelm ist es auch nicht immer so gewesen, [2] da er (wiewohl sonst nur immer mit der Heirath die gleichförmige Ordnung anhebt) vor seiner Verheirathung der regelmäßigste und musterhafteste Briefsteller war, und scheint es fast, daß er im Ehe Contracte mit ihnen eine solche Theilung eingegangen, wodurch er Ihnen die Briefe überlassen, und sich nur die Postscripte vorbehalten hat. – Aus meinem Stillschweigen würden Sie übrigens mit Unrecht auf Mangel der Theilnahme schließen. Meine Mutter erfreute uns oft durch die Mittheilung Ihrer Briefe; und der angenehmen darin enthaltenen Nachrichten. Bey Schriftstellern, und noch dazu bey so fleisigen Schriftstellern, die fast in jedem Monate irgend ein Product ihres Geistes ans Licht treten lassen, kann man ohnehin schon ihren jedesmaligen Zustand, und Befinden, aus ihren Geistes Producten ermessen, ohne daß es anderer Versicherungen bedarf. So habe ich z. B. aus Wilhelms Recension über Voßens Homer gesehen, daß er jetzt sehr heiter gestimmt seyn muß, da er sogar ächten Humor, und muntre Laune mit Sprachkritick, die sich sonst nicht immer zusammen vertragen, zu vereinigen weiß; – aus seinem Pigmalion: daß er jezt nicht von allem Erfreulichen entfernt, bloß in der Sehnsucht nach dem Entbehrten lebt, wie etwa bey dem Liede: Hinaus mein Blick pp – ferner: daß sein schriftstellerischer Beruf, als Pigmalion zu schaffen, und zu bilden, [3] ihm den anziehensten und schönsten Genuß gewährt.
Deine ebengedachte Rezension, lieber Wilhelm, hat mir die angenehmste Unterhaltung verschafft; und wiewohl mir Vossens Odüssee in der ersten Ausgabe schon oft reichliches Vergnügen gewährt hat, und noch immer gewährt, so finde ich doch, insoweit ich es wegen mangelnder Sprachkenntnisse beurtheilen kann, Dein Urtheil billig und gerecht. Ich betrachte sie für mich als eine der lehrreichsten und anziehensten Abhandlungen über den Geist der Sprache und Metrick; da ich den homerischen nicht mehr in seiner Urquelle kennen zu lernen hoffen kann. – In dem Urtheile, daß die neuere Ausgabe der Odüssee der ältern, eben wegen der daran verwandten Kunst nachsteht, kömmst Du auch mit dem Göttingischen Recensenten überein, der es aber nur mehr angiebt, als genau entwickelt. Seine Recension ist glaube ich mit der Deinigen ungefähr zu gleicher Zeit erschienen. – Ich wünschte wohl, daß du mich künftig auf deine Recensionen, und die Stücke die sie enthalten, im voraus aufmerksam machtest, da ich selten die Musse habe, viel zu lesen, und ich ohnehin die Journale immer gleich weiter schicken muß. – Hierbey fällt mir ein, daß mein Schwager Krause, und dessen Schwager Rector Meinecke, die Du hier hast kennen lernen, sehr wünschen, daß Du des letztern seine Uebersetzung des Lucrez recensirtest. – Von Dir, lieber Fritz, mögte ich mir einmal ein Urtheil über Boutterweckʼs [4] Septimius Severus, oder die Eleusinischen Geheimnisse erbitten. Ich lese es jetzt mit Papen, der sich euch bestens empfehlen läßt, zusammen. Es enthält die prima elementa der Kantischen Philosophie in schönem Gewande. – Rückt die Herausgabe Deines Werkes noch nicht weiter vorwärts?
Sie haben, wertheste Frau Schwester, meine Mutter wegen der Epigramme in Schillers Almanach an mich verwiesen. Ich habe ihn bis jezt nur bey andern gesehen, da er bey Dietrich in Göttingen, wo ich ihn mitnehmen wollte, schon vergriffen war. Ich zweifle auch, daß ich sie alle, wenn sie alle einen bestimmten Sinn haben sollten, werde enträzeln können. – Ich höre aus Dresden, daß Sie zusammen auf Ostern den schönen Plan vor haben, dort hinzureisen, und möchte so gern daran theilnehmen, wenn es nicht so unendlich weit wäre. – Meine ganze Reiselust ist durch die hübsche Reise, die ich mit meiner lieben Frau, um meine Mutter abzuholen, nach Moringen Göttingen und da herum gemacht, erwacht, doch werden wir uns vorerst noch solches versagen müssen.

[Neutranskription:]
Da mein Mann Ihnen schon so viel vorgeplaudert hat und mir nur ein kleines Plätzchen offen gelaßen ist, so will ich es dazu benutzen, Sie meine liebe Geschw[i]ster zu bitten, mich nicht zu vergessen und uns auch oft mit Briefen zu erfreuen. ich kann Ihnen von hir nichts schreiben, was Sie besonders Intreßiren könnte. Die kleine Reise nach Göttingen hat mir unendlich viel vergnügen gemacht. wir hätten große Lust osteren auch nach Dreßden zu Reisen, aber noch müßen wir uns dieses vergnügen versagen. ich dennke Sie besuchen uns hir auch mahl. leben Sie wohl
Julie S.
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