• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Bern · Place of Destination: Unknown · Date: 11.08.1811
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Bern
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 11.08.1811
  • Notations: Aus rechtlichen Gründen wird vorerst die deutsche Übersetzung angezeigt.
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 237–239.
  • Incipit: „Bern, den 11. August 1811
    Liebe Freundin!
    Ich bin mit der festen Absicht hier angekommen, niemand zu sehen und mich wie eine Eule [...]“
    Language
  • German
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Bern, den 11. August 1811
Liebe Freundin!
Ich bin mit der festen Absicht hier angekommen, niemand zu sehen und mich wie eine Eule einzuschließen. Sie werden das leicht verstehen. Unterhaltungen wie in Fr[eiburg] erfordern ganze Wochen der Erholung – besonders wenn sie sich unmittelbar an eine Reise von fünfhundert Wegstunden anschließen, während der man sich bemüht hat, allen Freundschaftsverpflichtungen nachzukommen.
Einige Besuche muß ich freilich unbedingt machen: ich habe zunächst den jungen Freudenreich auf der Straße getroffen, der seinem Vater davon erzählte – heute muß ich endlich hingehen. An der table d’hôte traf ich auch Gaudot, der von einer Reise ins Gebirge zurückkam und nach Neufchâtel zurückwollte. Er ließ sich weder über den Stand der ihn interessierenden Angelegenheiten berichten, noch war er neugierig auf die neuen Kenntnisse, die ich mir auf meinen Reisen erworben habe, vielmehr hat er mich unbarmherzig mit ein paar Kapiteln Metaphysik gelangweilt, die er mir aus einem von ihm verfaßten gewaltigen Manuskript vorlas, einem Mischmasch aus Kant und einigen orientalischen Studien und Deklamationen, die er hier und da gesammelt hat. Er las mir das vor, die eine Augenbraue hochgezogen, die andere gesenkt, so wie bestimmte Masken in der alten Komödie ausgesehen haben sollen, und machte dazu noch viele andere erklärende Grimassen. Es ist das erste Mal, daß ich die Erfindung des Drucks gepriesen habe, denn die Menschen, die etwas drucken lassen wollen, brauchen ihre Hörer nicht, wenn sie sie treffen, festzuhalten und in ihre Höhle zu zerren, wie das die Szylla bei den Seefahrern machte.
Vorgestern abend traf ich auch an der table d’hôte Herrn Adrien de M[ontmorency]. Er war mit Herrn und Frau de Veyrac zusammen, aber am nächsten Morgen vor seiner Abreise sprachen wir noch allein miteinander, und er bekundete für Sie und mich die größte Liebenswürdigkeit. Er fuhr nach Solothurn und gab mir einen Brief für Herrn Mathieu, den ich hier erwarte. Herr von Falk ist nach Solothurn zurückgekehrt. Sonst habe ich Ihnen nichts Neues mitzuteilen – gestern waren keine Briefe für mich da – hoffentlich kommen heute einige an.
Unter den Reisenden, die kommen und gehen, um sich im Gebirge zu langweilen, war eine Dame aus der Bretagne, die lange bei Frau Odier gewesen ist. Sie galt allgemein als eine Schönheit. Sie sprach mich an; ich erinnerte mich auch ihres Gesichts, aber absolut nicht ihres Namens – vergebens habe ich mir den Kopf zerbrochen, auf ihn zu kommen, und das brachte mich ihr gegenüber in eine etwas peinliche Lage.
Der liebe Koreff also hat Ihnen den fabelhaften Dienst erwiesen, abgehackte Auszüge aus Ihrem Werk De l’Allemagne zusammenzustellen, die jetzt in der Welt verbreitet werden und von denen kein Teufel etwas versteht.
Ich möchte so gern wieder irgend eine literarische Arbeit anfangen – das ist meine einzige ewige Hoffnung. Aber dieser Zustand des Wartens und der Ungewißheit ist für derartige Arbeiten nicht günstig. In Ihr Gepäck ist meine Karte von der Post und ein deutsches Buch Museum der altdeutschen Litteratur geraten. Das ärgert mich sehr, denn dies Werk hatte mir ein Züricher Wissenschaftler aus Gefälligkeit überlassen; es enthält die Untersuchungen, mit denen ich mich augenblicklich beschäftige. Bitte schicken Sie es mir mit dem Gepäckwagen am nächsten Dienstag zurück.
Seien Sie doch so gut, meinen Freund Cham[isso] zu fragen, ob er nichts von einem gewissen Werk über die dramatische Kunst erfahren hat, das ins Französische übersetzt werden sollte. Diese Übersetzung scheint ins Wasser gefallen zu sein.
Leben Sie wohl; ich hoffe, daß Sie glücklich heimgekehrt sind.
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Bern, den 11. August 1811
Liebe Freundin!
Ich bin mit der festen Absicht hier angekommen, niemand zu sehen und mich wie eine Eule einzuschließen. Sie werden das leicht verstehen. Unterhaltungen wie in Fr[eiburg] erfordern ganze Wochen der Erholung – besonders wenn sie sich unmittelbar an eine Reise von fünfhundert Wegstunden anschließen, während der man sich bemüht hat, allen Freundschaftsverpflichtungen nachzukommen.
Einige Besuche muß ich freilich unbedingt machen: ich habe zunächst den jungen Freudenreich auf der Straße getroffen, der seinem Vater davon erzählte – heute muß ich endlich hingehen. An der table d’hôte traf ich auch Gaudot, der von einer Reise ins Gebirge zurückkam und nach Neufchâtel zurückwollte. Er ließ sich weder über den Stand der ihn interessierenden Angelegenheiten berichten, noch war er neugierig auf die neuen Kenntnisse, die ich mir auf meinen Reisen erworben habe, vielmehr hat er mich unbarmherzig mit ein paar Kapiteln Metaphysik gelangweilt, die er mir aus einem von ihm verfaßten gewaltigen Manuskript vorlas, einem Mischmasch aus Kant und einigen orientalischen Studien und Deklamationen, die er hier und da gesammelt hat. Er las mir das vor, die eine Augenbraue hochgezogen, die andere gesenkt, so wie bestimmte Masken in der alten Komödie ausgesehen haben sollen, und machte dazu noch viele andere erklärende Grimassen. Es ist das erste Mal, daß ich die Erfindung des Drucks gepriesen habe, denn die Menschen, die etwas drucken lassen wollen, brauchen ihre Hörer nicht, wenn sie sie treffen, festzuhalten und in ihre Höhle zu zerren, wie das die Szylla bei den Seefahrern machte.
Vorgestern abend traf ich auch an der table d’hôte Herrn Adrien de M[ontmorency]. Er war mit Herrn und Frau de Veyrac zusammen, aber am nächsten Morgen vor seiner Abreise sprachen wir noch allein miteinander, und er bekundete für Sie und mich die größte Liebenswürdigkeit. Er fuhr nach Solothurn und gab mir einen Brief für Herrn Mathieu, den ich hier erwarte. Herr von Falk ist nach Solothurn zurückgekehrt. Sonst habe ich Ihnen nichts Neues mitzuteilen – gestern waren keine Briefe für mich da – hoffentlich kommen heute einige an.
Unter den Reisenden, die kommen und gehen, um sich im Gebirge zu langweilen, war eine Dame aus der Bretagne, die lange bei Frau Odier gewesen ist. Sie galt allgemein als eine Schönheit. Sie sprach mich an; ich erinnerte mich auch ihres Gesichts, aber absolut nicht ihres Namens – vergebens habe ich mir den Kopf zerbrochen, auf ihn zu kommen, und das brachte mich ihr gegenüber in eine etwas peinliche Lage.
Der liebe Koreff also hat Ihnen den fabelhaften Dienst erwiesen, abgehackte Auszüge aus Ihrem Werk De l’Allemagne zusammenzustellen, die jetzt in der Welt verbreitet werden und von denen kein Teufel etwas versteht.
Ich möchte so gern wieder irgend eine literarische Arbeit anfangen – das ist meine einzige ewige Hoffnung. Aber dieser Zustand des Wartens und der Ungewißheit ist für derartige Arbeiten nicht günstig. In Ihr Gepäck ist meine Karte von der Post und ein deutsches Buch Museum der altdeutschen Litteratur geraten. Das ärgert mich sehr, denn dies Werk hatte mir ein Züricher Wissenschaftler aus Gefälligkeit überlassen; es enthält die Untersuchungen, mit denen ich mich augenblicklich beschäftige. Bitte schicken Sie es mir mit dem Gepäckwagen am nächsten Dienstag zurück.
Seien Sie doch so gut, meinen Freund Cham[isso] zu fragen, ob er nichts von einem gewissen Werk über die dramatische Kunst erfahren hat, das ins Französische übersetzt werden sollte. Diese Übersetzung scheint ins Wasser gefallen zu sein.
Leben Sie wohl; ich hoffe, daß Sie glücklich heimgekehrt sind.
· Original , 11.08.1811
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