• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Bern · Place of Destination: Unknown · Date: 01.01.1812 bis 02.01.1812
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Bern
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 01.01.1812 bis 02.01.1812
  • Notations: Aus rechtlichen Gründen wird vorerst die deutsche Übersetzung angezeigt.
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 267–268.
  • Incipit: „[Mittwoch] Bern, den 1. Januar 1812
    Es ist gut, daß wir die Winterquartiere bezogen haben, denn, wenn dieser Winter dort bei [...]“
    Language
  • German
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[Mittwoch] Bern, den 1. Januar 1812
Es ist gut, daß wir die Winterquartiere bezogen haben, denn, wenn dieser Winter dort bei Ihnen ebenso streng ist wie hier, so wäre Coppet in seinem augenblicklichen Zustand nicht bewohnbar gewesen. Heute früh stand das Thermometer auf 17 Grad Réaumur unter Null. Das eine meiner Zimmer, das nur einfache Fenster hat, wird zwar immer geheizt, hat aber doch morgens eine Eisschicht an den Scheiben, und im andern sind sogar die inneren Fenster an den Ecken gefroren. Und diese ungeheure Kälte scheint längere Zeit andauern zu wollen.
Anbei schicke ich meine kleinen Geschenke für Neujahr. Der Komet ist für Sie, aber Sie müssen ihn gegen das Licht halten. Es sind Wiener Muster – ich habe nichts Hübscheres finden können. Aber sagen Sie Ihren lieben Kindern, daß das Bild des Souverains mit dem nächsten Gepäckwagen mitkommt.
Herr von Freudenreich hat mir den Auszug aus den öffentlichen Akten, den Sie gern haben wollen, so schnell wie möglich, aber nur in der Ursprache, versprochen; er sagt, die Übersetzung brächte eine Verantwortung mit sich, die die Kanzlei nicht tragen könne. Die Meinung über Ihren Prozeß ist hier die gleiche wie im Waadtland, man behauptet sogar, er sei schon gegen den Antragsteller entschieden. Einzelne Leute vertreten die Ansicht, der Mann sei von ›Jemandem‹ vorgeschoben. Ein Herr Steiger, dessen Vater einer der Kommissäre für diese Landkäufe war, sagte mir, er erinnere sich der verschiedenen Kaufakte noch ganz genau und begreife nicht im geringsten, wie man aus ihnen einen Vorwand für einen Prozeß herleiten wolle.
Herr von Falk ist nicht hier; er ist nach einem Ort auf halbem Wege zwischen Solothurn und Basel gereist, um dort der Übergabe der Machtbefugnisse eines Landammanns an seinen Nachfolger beizuwohnen. Diese Handlung der Übergabe findet mit großer Feierlichkeit statt, und da er den Paten bei diesem lieben Kinde spielt, so muß er dabei sein. Die Zeremonie wird eisig gewesen sein.
Ich habe also in meinen Briefen die Art, mich wie ein Franzose auszudrücken? Ein prächtiges Kompliment. Seien Sie glücklich, daß ich nicht darnach strebe, ebenso zu handeln.
Der vortreffliche Herr Gautier ist böse mit mir, daß ich nicht in Lausanne geblieben bin. Merkwürdig, unter uns gesagt, daß die Menschen viel mehr Gewicht auf Auslegung und Interpretation als auf den Originaltext legen. Sie meinen, es genüge nicht, die Heilige Schrift zu lesen, sondern man müsse auch die Schriften von Frau Guyon kennen, die nach deren eigenem Geständnis ja nur aus ihr entwickelt sind. Aber es genügt auch noch nicht, sie zu lesen – man muß sie sich auch noch von einem auserwählten Schüler bis ins kleinste erklären lassen, der im Grunde nichts von seinem Gedankengut hinzuzugeben vermag. Es ist genau so, als wenn man sagte, Selterswasser an der Quelle in Niederselters getrunken, habe keine Heilkraft; es müsse auch noch in besondere Krüge abgefüllt und bei einem ganz bestimmten Händler gekauft werden.
Haben Sie etwas von meinem S[ain]t-Martin gelesen? Tun Sie es doch bitte, damit ich Ihre Meinung über ihn an diesen armen Petillet schreiben kann, mit dem ich mich vielleicht bei seinem bescheidenen Eifer besser verständigen kann, als mit den großen Meistern vom Fach.
Frau de Guyon war – zugestanden! – ein Vorbild von christlicher Resignation in ihrem Leiden, aber sie war eine Frau und daher wenig zum Handeln berufen. Sie betrachtete alles gewissermaßen nur mit dem Herzen, kam aber auf diesem Wege sehr weit. S[ain]t-Martin dagegen ist ein Seher, er macht die Seele weit, erhebt sie über die beschränkte, zeitliche Existenz, nähert sie dem großen Geheimnis und entschleiert so die verschiedenen Aspekte der Gottheit.
2. Januar. – Gestern abend fand ich bei meiner Rückkehr den Brief der lieben Albertine vor und dazu Ihre Zeilen. Ich mache mir über Ihr Befinden Sorgen und fürchte, der Abstecher nach C[oppet] hat Ihnen geschadet. Pflegen Sie sich sehr sorgsam; es könnte ein katarrhalisches Fieber daraus entstehen; denken Sie immer daran, daß, sollten Sie – was Gott verhüte! – krank werden, Sie nur ein Wort zu sagen brauchen und ich bin bei Ihnen.
Morgen werde ich Ihrem liebenswürdigen kleinen Sekretär schreiben; ich habe keine Zeit mehr, ihm heute so zu antworten, wie er es nach seinem reizenden Briefe verdient. Außerdem bekomme ich beim Schreiben eiskalte Finger – und habe keine Möglichkeit, sie wieder zu erwärmen.
Leben Sie wohl, ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre schnelle Genesung.
Der Tod des Grafen Stadion geht mir nahe – er war ohne Zweifel ein Freund, den wir in jenem Lande hatten.
Man behauptet, in Sizilien sei jetzt alles zur Entscheidung gekommen und die königliche Familie werde nach Malta gebracht.
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[Mittwoch] Bern, den 1. Januar 1812
Es ist gut, daß wir die Winterquartiere bezogen haben, denn, wenn dieser Winter dort bei Ihnen ebenso streng ist wie hier, so wäre Coppet in seinem augenblicklichen Zustand nicht bewohnbar gewesen. Heute früh stand das Thermometer auf 17 Grad Réaumur unter Null. Das eine meiner Zimmer, das nur einfache Fenster hat, wird zwar immer geheizt, hat aber doch morgens eine Eisschicht an den Scheiben, und im andern sind sogar die inneren Fenster an den Ecken gefroren. Und diese ungeheure Kälte scheint längere Zeit andauern zu wollen.
Anbei schicke ich meine kleinen Geschenke für Neujahr. Der Komet ist für Sie, aber Sie müssen ihn gegen das Licht halten. Es sind Wiener Muster – ich habe nichts Hübscheres finden können. Aber sagen Sie Ihren lieben Kindern, daß das Bild des Souverains mit dem nächsten Gepäckwagen mitkommt.
Herr von Freudenreich hat mir den Auszug aus den öffentlichen Akten, den Sie gern haben wollen, so schnell wie möglich, aber nur in der Ursprache, versprochen; er sagt, die Übersetzung brächte eine Verantwortung mit sich, die die Kanzlei nicht tragen könne. Die Meinung über Ihren Prozeß ist hier die gleiche wie im Waadtland, man behauptet sogar, er sei schon gegen den Antragsteller entschieden. Einzelne Leute vertreten die Ansicht, der Mann sei von ›Jemandem‹ vorgeschoben. Ein Herr Steiger, dessen Vater einer der Kommissäre für diese Landkäufe war, sagte mir, er erinnere sich der verschiedenen Kaufakte noch ganz genau und begreife nicht im geringsten, wie man aus ihnen einen Vorwand für einen Prozeß herleiten wolle.
Herr von Falk ist nicht hier; er ist nach einem Ort auf halbem Wege zwischen Solothurn und Basel gereist, um dort der Übergabe der Machtbefugnisse eines Landammanns an seinen Nachfolger beizuwohnen. Diese Handlung der Übergabe findet mit großer Feierlichkeit statt, und da er den Paten bei diesem lieben Kinde spielt, so muß er dabei sein. Die Zeremonie wird eisig gewesen sein.
Ich habe also in meinen Briefen die Art, mich wie ein Franzose auszudrücken? Ein prächtiges Kompliment. Seien Sie glücklich, daß ich nicht darnach strebe, ebenso zu handeln.
Der vortreffliche Herr Gautier ist böse mit mir, daß ich nicht in Lausanne geblieben bin. Merkwürdig, unter uns gesagt, daß die Menschen viel mehr Gewicht auf Auslegung und Interpretation als auf den Originaltext legen. Sie meinen, es genüge nicht, die Heilige Schrift zu lesen, sondern man müsse auch die Schriften von Frau Guyon kennen, die nach deren eigenem Geständnis ja nur aus ihr entwickelt sind. Aber es genügt auch noch nicht, sie zu lesen – man muß sie sich auch noch von einem auserwählten Schüler bis ins kleinste erklären lassen, der im Grunde nichts von seinem Gedankengut hinzuzugeben vermag. Es ist genau so, als wenn man sagte, Selterswasser an der Quelle in Niederselters getrunken, habe keine Heilkraft; es müsse auch noch in besondere Krüge abgefüllt und bei einem ganz bestimmten Händler gekauft werden.
Haben Sie etwas von meinem S[ain]t-Martin gelesen? Tun Sie es doch bitte, damit ich Ihre Meinung über ihn an diesen armen Petillet schreiben kann, mit dem ich mich vielleicht bei seinem bescheidenen Eifer besser verständigen kann, als mit den großen Meistern vom Fach.
Frau de Guyon war – zugestanden! – ein Vorbild von christlicher Resignation in ihrem Leiden, aber sie war eine Frau und daher wenig zum Handeln berufen. Sie betrachtete alles gewissermaßen nur mit dem Herzen, kam aber auf diesem Wege sehr weit. S[ain]t-Martin dagegen ist ein Seher, er macht die Seele weit, erhebt sie über die beschränkte, zeitliche Existenz, nähert sie dem großen Geheimnis und entschleiert so die verschiedenen Aspekte der Gottheit.
2. Januar. – Gestern abend fand ich bei meiner Rückkehr den Brief der lieben Albertine vor und dazu Ihre Zeilen. Ich mache mir über Ihr Befinden Sorgen und fürchte, der Abstecher nach C[oppet] hat Ihnen geschadet. Pflegen Sie sich sehr sorgsam; es könnte ein katarrhalisches Fieber daraus entstehen; denken Sie immer daran, daß, sollten Sie – was Gott verhüte! – krank werden, Sie nur ein Wort zu sagen brauchen und ich bin bei Ihnen.
Morgen werde ich Ihrem liebenswürdigen kleinen Sekretär schreiben; ich habe keine Zeit mehr, ihm heute so zu antworten, wie er es nach seinem reizenden Briefe verdient. Außerdem bekomme ich beim Schreiben eiskalte Finger – und habe keine Möglichkeit, sie wieder zu erwärmen.
Leben Sie wohl, ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre schnelle Genesung.
Der Tod des Grafen Stadion geht mir nahe – er war ohne Zweifel ein Freund, den wir in jenem Lande hatten.
Man behauptet, in Sizilien sei jetzt alles zur Entscheidung gekommen und die königliche Familie werde nach Malta gebracht.
· Original , 01.01.1812
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