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Mai 1812 <br>Liebe Freundin! Ich habe Ihre Briefe gestern bekommen. Ich hätte mich so gern an den ersten gehalten – jetzt bin ich wieder ganz ins Ungewisse zurückgeworfen. Ich hoffe, Ihr Gesundheitszustand hat sich zum mindesten nicht verschlechtert, da Sie ja daran denken, am Sonnabend eine Fahrt nach Cologny zu machen. Sorgen Sie mit allen Mitteln für Ihre körperliche und seelische Pflege.<br>Die kleine Besorgung der Paßpapiere ist erledigt. Die Pässe sind nicht völlig erneuert, sondern so geblieben, wie sie waren – nur die betreffenden Worte sind zugefügt. Ich habe hier jetzt bis zum Eintreffen Ihres morgigen Briefes nichts mehr zu tun.<br>Unsere Züricher Freunde haben scheinbar ihre Meinung im Laufe von zwei Stunden geändert. Wenn das nicht auf ein bloßes, einfaches Schwanken zurückgeht, so wird wohl der Grund der sein, daß sie irgendeinen Brief bekommen haben, der auf ihre Entschlüsse Einfluß hatte. Es war ja tatsächlich der Zeitpunkt, an dem die Post kam. Aber ich hätte so sehr gewünscht, sie hätten für den Fall, daß wirkliche Gründe vorlagen, sie mir mitgeteilt.<br>Gestern habe ich Albert alle Neuigkeiten geschrieben, die ich habe erfahren können. Seitdem habe ich nichts gehört. Die letzte Ausgabe der ›Allgemeinen Zeitung‹ enthält Angaben über die Reise des Kais[ers]. Er ist am Abend des 14. in Bayreuth eingetroffen und sollte noch am nächsten Tage bis Dresden kommen. Das ist allerdings eine starke Tagesreise. Der österreichische Kais[er] wohnte am 12. der Schließung des Reichstages in Preßburg bei; mithin scheint es mir unmöglich, daß er ebenso zeitig in Dresden eintrifft wie sein Schwiegersohn. Wenn Kaiser Napole[on] über Dresden hinaus sich noch nach Warschau begibt, dann begreife ich nicht, wo sich jetzt die Herrscher treffen wollen. 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Sie heiratete 1786 den schwedischen Diplomaten Erik Magnus von Staël-Holstein in Paris. Die Eheleute lebten von Anfang an getrennt. Zu ihren ersten Veröffentlichungen zählten die „Lettres sur les ecrits et le charactère de J.-J. Rousseau“, die 1788 erschienen. Neben der Tätigkeit als Schriftstellerin wurde Germaine de Staël-Holstein als einflussreiche Salonnière berühmt. Unter ihrem politischen Einfluss stand u.a. Benjamin Constant, mit dem sie eine langjährige Beziehung führte und der der Vater ihrer Tochter Albertine war. Ihr politischer Liberalismus und die Befürwortung einer konstitutionellen Monarchie führten 1792 zu ihrer Verbannung ins schweizerische Exil. Gemeinsam mit ihren Kindern bezog sie Schloss Coppet am Genfer See, das nun zum Treffpunkt Intellektueller und Künstler ganz Europas avancierte. Nur selten war der Schriftstellerin der Aufenthalt in Frankreich gestattet. 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Sie heiratete 1786 den schwedischen Diplomaten Erik Magnus von Staël-Holstein in Paris. Die Eheleute lebten von Anfang an getrennt. Zu ihren ersten Veröffentlichungen zählten die „Lettres sur les ecrits et le charactère de J.-J. Rousseau“, die 1788 erschienen. Neben der Tätigkeit als Schriftstellerin wurde Germaine de Staël-Holstein als einflussreiche Salonnière berühmt. Unter ihrem politischen Einfluss stand u.a. Benjamin Constant, mit dem sie eine langjährige Beziehung führte und der der Vater ihrer Tochter Albertine war. Ihr politischer Liberalismus und die Befürwortung einer konstitutionellen Monarchie führten 1792 zu ihrer Verbannung ins schweizerische Exil. Gemeinsam mit ihren Kindern bezog sie Schloss Coppet am Genfer See, das nun zum Treffpunkt Intellektueller und Künstler ganz Europas avancierte. Nur selten war der Schriftstellerin der Aufenthalt in Frankreich gestattet. 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Den 22. Mai 1812
Liebe Freundin! Ich habe Ihre Briefe gestern bekommen. Ich hätte mich so gern an den ersten gehalten – jetzt bin ich wieder ganz ins Ungewisse zurückgeworfen. Ich hoffe, Ihr Gesundheitszustand hat sich zum mindesten nicht verschlechtert, da Sie ja daran denken, am Sonnabend eine Fahrt nach Cologny zu machen. Sorgen Sie mit allen Mitteln für Ihre körperliche und seelische Pflege.
Die kleine Besorgung der Paßpapiere ist erledigt. Die Pässe sind nicht völlig erneuert, sondern so geblieben, wie sie waren – nur die betreffenden Worte sind zugefügt. Ich habe hier jetzt bis zum Eintreffen Ihres morgigen Briefes nichts mehr zu tun.
Unsere Züricher Freunde haben scheinbar ihre Meinung im Laufe von zwei Stunden geändert. Wenn das nicht auf ein bloßes, einfaches Schwanken zurückgeht, so wird wohl der Grund der sein, daß sie irgendeinen Brief bekommen haben, der auf ihre Entschlüsse Einfluß hatte. Es war ja tatsächlich der Zeitpunkt, an dem die Post kam. Aber ich hätte so sehr gewünscht, sie hätten für den Fall, daß wirkliche Gründe vorlagen, sie mir mitgeteilt.
Gestern habe ich Albert alle Neuigkeiten geschrieben, die ich habe erfahren können. Seitdem habe ich nichts gehört. Die letzte Ausgabe der ›Allgemeinen Zeitung‹ enthält Angaben über die Reise des Kais[ers]. Er ist am Abend des 14. in Bayreuth eingetroffen und sollte noch am nächsten Tage bis Dresden kommen. Das ist allerdings eine starke Tagesreise. Der österreichische Kais[er] wohnte am 12. der Schließung des Reichstages in Preßburg bei; mithin scheint es mir unmöglich, daß er ebenso zeitig in Dresden eintrifft wie sein Schwiegersohn. Wenn Kaiser Napole[on] über Dresden hinaus sich noch nach Warschau begibt, dann begreife ich nicht, wo sich jetzt die Herrscher treffen wollen. Sollte dagegen der französische Kais[er] noch einige Zeit in Dr[esden] bleiben, um die Familienzusammenkunft zu ermöglichen, so ist das für mich der Beweis, daß noch Verhandlungen im Gange sind.
In der Ansprache des Kronprinzen von Schweden an die Abgeordneten des Reichstages ist weder vom Krieg noch von einer Allianz die Rede, sondern allein von seiner Absicht, die Rechte Schwedens zu behaupten und es vor jeder Unterjochung bei der augenblicklichen Konstellation Europas zu bewahren.
Man hat keineswegs vom Frieden mit der Türkei gesprochen. Herr von Wolff hat mir immer versichert, daß dieser Friede nicht so bald zustande kommen würde.
Herr de St.-Pr[iest] ist hier nicht durchgekommen oder er hat nicht haltgemacht. Er hat auch Herrn von Schraut nicht um einen Paß gebeten. Dieser meinte, er werde ihn auf die Bitte seines Neffen hin von der Staatskanzlei in W[ien] erhalten haben.
Vorgestern aß ich bei Herrn von Sch[raut] zu Mittag, aber Sie wissen, daß man bei Beamten nicht die Reserve durchbrechen darf, die sie sich selber bei gewissen Gegenständen auferlegen. Er hat mir nichts gegen oder für den Kauf von Ländereien bei dem augenblicklichen Wechselkurs gesagt, aber ich habe keinen Grund anzunehmen, daß er seit dem letzten Sommer seine Meinung darüber geändert hat.
Ich sah die jungen Freudenreichs, die mich nach Ihrem Befinden fragten. Ich sagte, daß Sie Ruhe brauchten; es sei denn, daß man Ihnen in der Folgezeit den Besuch von Bädern verordnete.
Viele Leute sind schon auf dem Lande. Herr von Falk ist letzthin auf sein Landgut bei Solothurn gefahren und hat hier nur seinen Sekretär Herrn Rouyer zurückgelassen. Die Tagsatzung beginnt gegen Ende des Monats in Basel. Herr Freudenreich ist vom Großen Rat, der augenblicklich versammelt ist, zum ersten Abgeordneten von hier ernannt worden. Die Grenzsperre wird zunächst noch nicht in Wirksamkeit treten, sondern nur vorbereitet; sie wird von wenigen Truppen durchgeführt werden, wie man sagt, und sich auf die Ostgrenze beschränken.
Unter den Arbeitern, die der Großen Armee folgen, sollen sich auch Schornsteinfeger befinden, wahrscheinlich, wie die Feuerwehrleute, für den Fall, daß man Barackenlager einrichtet.
Gestern hat man hier eine unglaubliche Geschichte erzählt: Herr Perceval sei während einer Parlamentssitzung durch den Pistolenschuß eines Mitgliedes der Opposition getötet worden; möglicherweise ist er in einem Duell gefallen, aber diese Nachricht scheint mir unbegründet.
Sie sehen, ich schreibe Ihnen alles, was Interesse für Sie haben könnte. Ich kann im Augenblick auch nichts anderes oder besseres tun. Ich wäre überaus glücklich, wenn ich Ihnen tatsächlich von Nutzen sein könnte, aber Sie müssen das wollen. Ich halte mich immer bereit, Ihre Aufträge auszuführen, und werde das mit dem größten Eifer tun.
Leben Sie wohl, liebe Freundin! Ich bete für Ihr Wohlergehen und Ihre Gesundheit. Ihren morgigen Brief erwarte ich mit der größten Ungeduld. Tausend Grüße Ihren Kindern!
Niemand wundert sich, mich hier zu sehen, da man weiß, daß ich in einem kleinen Kreise, in dem ich mich wohlfühle, gern empfangen werde.
Liebe Freundin! Ich habe Ihre Briefe gestern bekommen. Ich hätte mich so gern an den ersten gehalten – jetzt bin ich wieder ganz ins Ungewisse zurückgeworfen. Ich hoffe, Ihr Gesundheitszustand hat sich zum mindesten nicht verschlechtert, da Sie ja daran denken, am Sonnabend eine Fahrt nach Cologny zu machen. Sorgen Sie mit allen Mitteln für Ihre körperliche und seelische Pflege.
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Herr de St.-Pr[iest] ist hier nicht durchgekommen oder er hat nicht haltgemacht. Er hat auch Herrn von Schraut nicht um einen Paß gebeten. Dieser meinte, er werde ihn auf die Bitte seines Neffen hin von der Staatskanzlei in W[ien] erhalten haben.
Vorgestern aß ich bei Herrn von Sch[raut] zu Mittag, aber Sie wissen, daß man bei Beamten nicht die Reserve durchbrechen darf, die sie sich selber bei gewissen Gegenständen auferlegen. Er hat mir nichts gegen oder für den Kauf von Ländereien bei dem augenblicklichen Wechselkurs gesagt, aber ich habe keinen Grund anzunehmen, daß er seit dem letzten Sommer seine Meinung darüber geändert hat.
Ich sah die jungen Freudenreichs, die mich nach Ihrem Befinden fragten. Ich sagte, daß Sie Ruhe brauchten; es sei denn, daß man Ihnen in der Folgezeit den Besuch von Bädern verordnete.
Viele Leute sind schon auf dem Lande. Herr von Falk ist letzthin auf sein Landgut bei Solothurn gefahren und hat hier nur seinen Sekretär Herrn Rouyer zurückgelassen. Die Tagsatzung beginnt gegen Ende des Monats in Basel. Herr Freudenreich ist vom Großen Rat, der augenblicklich versammelt ist, zum ersten Abgeordneten von hier ernannt worden. Die Grenzsperre wird zunächst noch nicht in Wirksamkeit treten, sondern nur vorbereitet; sie wird von wenigen Truppen durchgeführt werden, wie man sagt, und sich auf die Ostgrenze beschränken.
Unter den Arbeitern, die der Großen Armee folgen, sollen sich auch Schornsteinfeger befinden, wahrscheinlich, wie die Feuerwehrleute, für den Fall, daß man Barackenlager einrichtet.
Gestern hat man hier eine unglaubliche Geschichte erzählt: Herr Perceval sei während einer Parlamentssitzung durch den Pistolenschuß eines Mitgliedes der Opposition getötet worden; möglicherweise ist er in einem Duell gefallen, aber diese Nachricht scheint mir unbegründet.
Sie sehen, ich schreibe Ihnen alles, was Interesse für Sie haben könnte. Ich kann im Augenblick auch nichts anderes oder besseres tun. Ich wäre überaus glücklich, wenn ich Ihnen tatsächlich von Nutzen sein könnte, aber Sie müssen das wollen. Ich halte mich immer bereit, Ihre Aufträge auszuführen, und werde das mit dem größten Eifer tun.
Leben Sie wohl, liebe Freundin! Ich bete für Ihr Wohlergehen und Ihre Gesundheit. Ihren morgigen Brief erwarte ich mit der größten Ungeduld. Tausend Grüße Ihren Kindern!
Niemand wundert sich, mich hier zu sehen, da man weiß, daß ich in einem kleinen Kreise, in dem ich mich wohlfühle, gern empfangen werde.
· Original , 22.05.1812