• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Kiel · Place of Destination: Unknown · Date: 13.12.1813
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Kiel
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 13.12.1813
  • Notations: Aus rechtlichen Gründen wird vorerst die deutsche Übersetzung angezeigt.
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 389–391.
  • Incipit: „Kiel, den 13. Dezember 1813
    Bei meiner Ankunft hier finde ich Ihren Brief vom 9. November vor, voll von den bittersten und [...]“
    Language
  • German
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Kiel, den 13. Dezember 1813
Bei meiner Ankunft hier finde ich Ihren Brief vom 9. November vor, voll von den bittersten und übertriebensten Vorwürfen. Ich bin wirklich verzweifelt darüber. So muß ich mich denn lang und breit rechtfertigen, während ich Ihnen sonst vielleicht interessante Dinge hätte berichten können.
Gott weiß: von dem Übergang über die Elbe bis zur Einnahme Leipzigs waren wir physisch und psychisch nicht dazu aufgelegt, Briefe zu schreiben. Unruhig warteten wir auf Ereignisse, von denen unser ganzes Schicksal abhing. In Zewitz, wo wir mehrere Tage Aufenthalt hatten, mußten Herr von Wetterstedt, die Herren vom Kabinett und ich als sechster in der einzigen Stube einer feuchten, dunklen Strohhütte durcheinander auf dem Stroh schlafen. In Rothenburg waren wir zwischen zwei scheußlichen Hohlwegen, die durch Regengüsse unwegsam geworden waren, eingeklemmt; nur das Korps von Bülow war vor uns, bei dessen Rückzug über die Saale unfehlbar die Brücke in unserer Nähe abgebrochen wäre. In Köthen glaubten wir, daß Bonaparte mit allen seinen Kräften über Wittenberg auf das rechte Ufer der Elbe durchgebrochen wäre (wobei wir dann hinter ihm standen), um auf Berlin zu marschieren und alle unsere Verbindungen mit der See abzuschneiden. Sir Charles Stewart hat das nach England geschrieben, ich aber konnte es nicht, weil kein Kurier abgesandt wurde, sondern nur Boten, die als solche nicht erkannt werden durften, und denen man einige Zeilen in dritter Abschrift für die Statthalter in Pommern und Schweden beigibt.
Nach der Schlacht bei Leipzig habe ich Ihnen von meinem Jubel aus der Stadt selbst berichtet. Während eines sehr schnellen Marsches habe ich Ihnen dann einen langen, ins Einzelne gehenden Brief von Heiligenstadt geschickt. Aber er ist noch auf dem Wege über den Norden gegangen, da die unmittelbare Verbindung erst wieder eröffnet wurde, als ich schon das Hauptqu[artier] verlassen hatte. Ich habe im Ambigu vom 20. 11. gelesen, daß damals zehn Postkolli von Göteborg verloren gingen.
Als der Prinz von Göttingen aufbrach, ließ er mich dort mit der Aufgabe zurück, mehrere Schriften zum Druck zu besorgen und eine umfangreiche Arbeit über die Abgefangenen Depeschen anzufertigen. Das hat mich länger aufgehalten, als ich dachte – ich bin dort mehr als drei Wochen geblieben. Während dieser Zeit konnte ich den Abgang von Kurieren nicht ausnutzen, weil ich keine Zeit hatte, mich über ihre Abfahrt zu unterrichten. Ich habe mich nur wenige Tage in Hannover aufgehalten. Auch hätte ich wohl einige Nachsicht zu beanspruchen, wenn ich mich der Freude und dem Glück hingab, meine Vaterstadt und meine Familie unter so außergewöhnlichen Umständen wiederzusehen. Ich mußte dann mit denselben Pferden achtzig Stunden in kleinen Tagereisen zurücklegen, um das Hauptquartier wieder zu erreichen, das ich erst in Segeberg, acht Meilen von hier, einholte. Jetzt aber geht der erste Kurier, den ich unglücklicherweise nicht benutzen kann, hier schon ab, da ja das alles für Ihren Brief an sich überflüssig wäre.
Wenn man durch Meere und vielleicht durch Heere von einander getrennt ist, sollte man seinen Freunden nicht wegen einer einfachen Briefverspätung, die durch tausend verschiedene Zufälle verursacht sein kann, Vorwürfe machen. Überhaupt sollte man im allgemeinen nicht außer sich geraten, ohne einen handgreiflichen Beweis von Treulosigkeit in den Händen zu haben. Und auch dann sollte man noch recht vorsichtig sein, weil man Monate braucht, um das Unglück, das man anrichtet, wiedergutzumachen. Woher wußten Sie, daß ich nicht krank oder im Sterben lag, und ob man mir Ihren Brief nicht als eine Art Wegzehrung für die andere Welt überreichte? Ich konnte auch schon tot sein – sehr viel tapferere Männer als ich sind in diesem Feldzug gestorben, ohne daß man sich beeilt hätte, es nach England zu melden.
Sie haben sich oft über die vielen Briefe, die ich Ihnen während dieses Sommers schrieb, lobend ausgesprochen. Tragen denn gute Werke bei Ihnen nicht ein wenig zur Vergebung der Sünden bei? Sie haben völlig freie Zeit, ich bin nicht Herr meiner Zeit, selbst wenn ich nicht gerade etwas Besonderes tue. Oft muß ich stundenlang warten, um eine Audienz von fünf Minuten zu erhalten. So geht der Tag hin. Abends bin ich nun einmal nicht imstande, Briefe zu schreiben; außerdem schadet es meinen Augen. Sie müssen sich ein wenig in meine Lage versetzen und dem Wanderleben des Hauptqu[artiers] etwas Rechnung tragen, wo man tausendmal hin- und hergerissen wird, tausend Unbequemlichkeiten ausgesetzt ist und tausendmal seine Zeit vertrödelt.
Auch ich hörte mehrere Male von Ihnen lange Zeit nichts – aber ich habe immer Wind und Meer dafür verantwortlich gemacht. Gestern sagte mir Löwenhjelm, er habe Ihr Werk De l’Allemagne in Frankreich gesehen und Sir Ch. Stewart besäße es sogar schon. Ich denke, daß ich wohl das erste Exemplar auf dem Kontinent verdiente – ich bin überzeugt, daß Sie es mir bestimmt haben, aber ich würde mir nicht einfallen lassen, Ihnen Vorwürfe über einen solchen Ihrer Absicht zuwiderlaufenden Zufall zu machen.
Liebe Freundin! Ich meine, daß Nachsicht eine der wesentlichsten Eigenschaften der Freundschaft ist – nur sie kann Frieden und einen freundlichen Schein über das Leben breiten; die Freundschaft verlöre ihren ganzen Zauber, wenn sie Stürme hervorriefe. Sie wissen, daß eine Art Indolenz und Langsamkeit in meinem Charakter liegen; bestimmt hätte ich mehr erreichen können, als ich es mit meinen Fähigkeiten zuwege gebracht habe. Ich habe nun einmal nicht das Talent, in ein paar Augenblicken eine Masse Briefe zu schreiben; ich brauche Ruhe dazu – es ist immer ein Entschluß, eine Arbeit für mich. An einem der ersten Tage, an dem ich Sie in Berlin traf, sagte ich Ihnen, als ich sah, wie Sie eine Unmasse von Billetts erhielten und darauf antworteten: das wäre mein Tod. Jetzt bin ich in einem Alter, wo man nur schwer seine Fehler ablegt, wenn man auch den besten Willen dazu hat. Während des ganzen Sommers habe ich an Friedrich nicht ein einziges Mal geschrieben – er beklagt sich auch darüber, und mit Recht, aber doch nur in freundlichen Worten.
Heute soll ein Kurier abgefertigt werden. Um keine Verzögerung zu wagen, schließe ich meinen Brief, fange aber sofort einen neuen an. Was für ein Jammer, seitenlang all das schreiben zu müssen! Nun – meine Schuld ist es nicht! Ich schicke Ihnen einen Brief von Herrn Benjamin Constant, der darüber klagt, daß er seit Juni keinen Brief von Ihnen gehabt hat. Baudissin ist zu meiner großen Freude hier; er dankt Ihnen sehr für Ihren Brief und wird Ihnen selber schreiben. Tausend Grüße!
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Kiel, den 13. Dezember 1813
Bei meiner Ankunft hier finde ich Ihren Brief vom 9. November vor, voll von den bittersten und übertriebensten Vorwürfen. Ich bin wirklich verzweifelt darüber. So muß ich mich denn lang und breit rechtfertigen, während ich Ihnen sonst vielleicht interessante Dinge hätte berichten können.
Gott weiß: von dem Übergang über die Elbe bis zur Einnahme Leipzigs waren wir physisch und psychisch nicht dazu aufgelegt, Briefe zu schreiben. Unruhig warteten wir auf Ereignisse, von denen unser ganzes Schicksal abhing. In Zewitz, wo wir mehrere Tage Aufenthalt hatten, mußten Herr von Wetterstedt, die Herren vom Kabinett und ich als sechster in der einzigen Stube einer feuchten, dunklen Strohhütte durcheinander auf dem Stroh schlafen. In Rothenburg waren wir zwischen zwei scheußlichen Hohlwegen, die durch Regengüsse unwegsam geworden waren, eingeklemmt; nur das Korps von Bülow war vor uns, bei dessen Rückzug über die Saale unfehlbar die Brücke in unserer Nähe abgebrochen wäre. In Köthen glaubten wir, daß Bonaparte mit allen seinen Kräften über Wittenberg auf das rechte Ufer der Elbe durchgebrochen wäre (wobei wir dann hinter ihm standen), um auf Berlin zu marschieren und alle unsere Verbindungen mit der See abzuschneiden. Sir Charles Stewart hat das nach England geschrieben, ich aber konnte es nicht, weil kein Kurier abgesandt wurde, sondern nur Boten, die als solche nicht erkannt werden durften, und denen man einige Zeilen in dritter Abschrift für die Statthalter in Pommern und Schweden beigibt.
Nach der Schlacht bei Leipzig habe ich Ihnen von meinem Jubel aus der Stadt selbst berichtet. Während eines sehr schnellen Marsches habe ich Ihnen dann einen langen, ins Einzelne gehenden Brief von Heiligenstadt geschickt. Aber er ist noch auf dem Wege über den Norden gegangen, da die unmittelbare Verbindung erst wieder eröffnet wurde, als ich schon das Hauptqu[artier] verlassen hatte. Ich habe im Ambigu vom 20. 11. gelesen, daß damals zehn Postkolli von Göteborg verloren gingen.
Als der Prinz von Göttingen aufbrach, ließ er mich dort mit der Aufgabe zurück, mehrere Schriften zum Druck zu besorgen und eine umfangreiche Arbeit über die Abgefangenen Depeschen anzufertigen. Das hat mich länger aufgehalten, als ich dachte – ich bin dort mehr als drei Wochen geblieben. Während dieser Zeit konnte ich den Abgang von Kurieren nicht ausnutzen, weil ich keine Zeit hatte, mich über ihre Abfahrt zu unterrichten. Ich habe mich nur wenige Tage in Hannover aufgehalten. Auch hätte ich wohl einige Nachsicht zu beanspruchen, wenn ich mich der Freude und dem Glück hingab, meine Vaterstadt und meine Familie unter so außergewöhnlichen Umständen wiederzusehen. Ich mußte dann mit denselben Pferden achtzig Stunden in kleinen Tagereisen zurücklegen, um das Hauptquartier wieder zu erreichen, das ich erst in Segeberg, acht Meilen von hier, einholte. Jetzt aber geht der erste Kurier, den ich unglücklicherweise nicht benutzen kann, hier schon ab, da ja das alles für Ihren Brief an sich überflüssig wäre.
Wenn man durch Meere und vielleicht durch Heere von einander getrennt ist, sollte man seinen Freunden nicht wegen einer einfachen Briefverspätung, die durch tausend verschiedene Zufälle verursacht sein kann, Vorwürfe machen. Überhaupt sollte man im allgemeinen nicht außer sich geraten, ohne einen handgreiflichen Beweis von Treulosigkeit in den Händen zu haben. Und auch dann sollte man noch recht vorsichtig sein, weil man Monate braucht, um das Unglück, das man anrichtet, wiedergutzumachen. Woher wußten Sie, daß ich nicht krank oder im Sterben lag, und ob man mir Ihren Brief nicht als eine Art Wegzehrung für die andere Welt überreichte? Ich konnte auch schon tot sein – sehr viel tapferere Männer als ich sind in diesem Feldzug gestorben, ohne daß man sich beeilt hätte, es nach England zu melden.
Sie haben sich oft über die vielen Briefe, die ich Ihnen während dieses Sommers schrieb, lobend ausgesprochen. Tragen denn gute Werke bei Ihnen nicht ein wenig zur Vergebung der Sünden bei? Sie haben völlig freie Zeit, ich bin nicht Herr meiner Zeit, selbst wenn ich nicht gerade etwas Besonderes tue. Oft muß ich stundenlang warten, um eine Audienz von fünf Minuten zu erhalten. So geht der Tag hin. Abends bin ich nun einmal nicht imstande, Briefe zu schreiben; außerdem schadet es meinen Augen. Sie müssen sich ein wenig in meine Lage versetzen und dem Wanderleben des Hauptqu[artiers] etwas Rechnung tragen, wo man tausendmal hin- und hergerissen wird, tausend Unbequemlichkeiten ausgesetzt ist und tausendmal seine Zeit vertrödelt.
Auch ich hörte mehrere Male von Ihnen lange Zeit nichts – aber ich habe immer Wind und Meer dafür verantwortlich gemacht. Gestern sagte mir Löwenhjelm, er habe Ihr Werk De l’Allemagne in Frankreich gesehen und Sir Ch. Stewart besäße es sogar schon. Ich denke, daß ich wohl das erste Exemplar auf dem Kontinent verdiente – ich bin überzeugt, daß Sie es mir bestimmt haben, aber ich würde mir nicht einfallen lassen, Ihnen Vorwürfe über einen solchen Ihrer Absicht zuwiderlaufenden Zufall zu machen.
Liebe Freundin! Ich meine, daß Nachsicht eine der wesentlichsten Eigenschaften der Freundschaft ist – nur sie kann Frieden und einen freundlichen Schein über das Leben breiten; die Freundschaft verlöre ihren ganzen Zauber, wenn sie Stürme hervorriefe. Sie wissen, daß eine Art Indolenz und Langsamkeit in meinem Charakter liegen; bestimmt hätte ich mehr erreichen können, als ich es mit meinen Fähigkeiten zuwege gebracht habe. Ich habe nun einmal nicht das Talent, in ein paar Augenblicken eine Masse Briefe zu schreiben; ich brauche Ruhe dazu – es ist immer ein Entschluß, eine Arbeit für mich. An einem der ersten Tage, an dem ich Sie in Berlin traf, sagte ich Ihnen, als ich sah, wie Sie eine Unmasse von Billetts erhielten und darauf antworteten: das wäre mein Tod. Jetzt bin ich in einem Alter, wo man nur schwer seine Fehler ablegt, wenn man auch den besten Willen dazu hat. Während des ganzen Sommers habe ich an Friedrich nicht ein einziges Mal geschrieben – er beklagt sich auch darüber, und mit Recht, aber doch nur in freundlichen Worten.
Heute soll ein Kurier abgefertigt werden. Um keine Verzögerung zu wagen, schließe ich meinen Brief, fange aber sofort einen neuen an. Was für ein Jammer, seitenlang all das schreiben zu müssen! Nun – meine Schuld ist es nicht! Ich schicke Ihnen einen Brief von Herrn Benjamin Constant, der darüber klagt, daß er seit Juni keinen Brief von Ihnen gehabt hat. Baudissin ist zu meiner großen Freude hier; er dankt Ihnen sehr für Ihren Brief und wird Ihnen selber schreiben. Tausend Grüße!
· Original , 13.12.1813
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