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den 4ten Juni 91</span>.<br>Fast bin ich besorgt, da ich noch immer nichts von Dir höre. – Ich kann mir denken, daß alles neue Dir wenige Zeit übrig läßt für freundschaftlichen Genuß. Denn ich weiß daß Du im Getriebe kleiner Sorgen so viel Schönes auf dem Fluge entwendest, wie Du <span class="slant-italic ">kannst</span>. – So eben diesen Morgen laß ich eins Deiner Lieblingsbücher. <span class="index-367 tp-26403 index-4756 tp-26404 ">Herders</span><span class="index-4756 tp-26404 "> Plastik</span> – ich glaube seinen Charakter itzt mehr zu verstehen wie in <span class="index-2 tp-26395 ">Göttingen</span> – es hat mich vergnügt mich in sein Wesen zu versetzen – und gewiß ist es das <span class="slant-italic ">seineste </span>seiner Werke um mich eines Ausdrucks von ihm zu bedienen. Sehr zart und fein ist sein Sinn, aber auch empfindlich und verletzbar durch das kleinste. Seine Sprache ist wie eine blumenreiche Wiese und wenn sie sich erhebt wie der Regenbogen. In der Plastik ist sie sehr bilderreich und ich glaube orientalisch; es fügt sich in einander wie ein Blumenstrauß. – Es fehlt ihm <span class="slant-italic ">ganz </span>an Kraft zum Wiederstande; seine Klagen quälen mich noch widerlicher wie die <span class="index-307 tp-26396 ">des Rousseau</span>. Aechte Schönheit muß sich als Siegerin über das Schicksal zeigen. – Aber für das Schöne ist Herder zu zärtlich und das Erhabene gar das würde ihn niederdrücken. – Eine kleine Stelle für <span class="slant-italic ">Dich </span>wegen Herabsetzung der Landschaften „die Tafel der Schöpfung schildern ist Ihnen unedel; als ob nicht Himmel und Erde besser wäre und mehr auf sich hätte, als ein Krüppel, der zwischen ihnen schleicht, und dessen Konterfeyung mit Gewalt <span class="slant-italic ">einzige</span> würdige Mahlerey sein soll.“ Einige seiner Klaglieder sind Dir zu nahe geworden; sie zerstören die Ruhe und lähmen den Muth. <span class="index-4755 tp-26402 index-4754 tp-26401 ">Einige Lieder von </span><span class="index-4755 tp-26402 index-4754 tp-26401 index-137 tp-26397 ">Göthe</span>, unter andern die Worte, an die wir uns bey der Farth aus <span class="index-173 tp-47406 ">Hannover</span> erinnerten, haben die entgegengesetzte Wirkung. Sie tönen mir oft noch vor, und haben eine Zauberkraft. An ein solches Wort heftet sich so viel Erinnerung ehemaligen Entschlusses und Genußes, – so daß es plötzliches Licht in die Finsterniß bringt.<br><br>den 8ten Juni.<br>Vor einigen Tagen brachte ich einen Nachmittag bey <span class="index-4753 tp-26400 ">Oesern</span> zu. Ich wünschte Du könntest ihn sehen; es war mir wirklich als ob ich <span class="index-328 tp-26399 ">Winkelmann</span> als Greiß reden höre. – Er <span class="slant-italic ">kann nichts </span>als erzählen, zu raisonniren ist er nicht fähig: erzählen – oder mahlen hätte ich sagen sollen. Sein Gespräch ist so bestimmt so energisch so fest und so anmaßungsloß wie Winckelmanns Styl. Er hat Genie. In Verhältnißen mag er wohl plump und selbstisch handeln können. – Aber wie seine Worte treffen und tief eindringen, kann ich Dir nicht sagen; ich hange an seinem Munde. –<br>Ich wünsche ein Bild, Zeichnung, oder zum wenigsten Silhouette von Dir zu haben. 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Aus finanziellen Nöten wohnte Schlegel in Dresden bei seiner Schwester Charlotte. 1796 ging er gemeinsam mit seinem Bruder nach Jena. Mit der Herausgabe des „Athenaeum“ seit dem Jahr 1798 begründete Schlegel zusammen mit seinem Bruder August Wilhelm das wichtigste Publikationsorgan der Frühromantik. Neben literaturtheoretischen und -kritischen Schriften publizierte er den Roman „Lucinde“ (1799) und hielt nach seiner Habilitation (1800) Vorlesungen über Transzendentalphilosophie. Nach dem Zerfall des Jenaer Kreises zog Schlegel mit seiner Freundin Dorothea nach Paris. Dort begründete er die Zeitschrift „Europa“ und begann das Studium des Sanskrit. 1804 heiratete er Dorothea Veit und zog nach Köln, um dort Privatvorlesungen zu halten. Seine und Dorotheas Konversion zum Katholizismus sowie die Veröffentlichung seiner Schrift „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ (1808) waren entscheidende Wendepunkte im Leben Friedrich von Schlegels. Seit 1808 wohnte Schlegel in Wien und arbeitete als Hofsekretär. Daneben hielt er Vorlesungen zur Ästhetik und Philosophie. 1812 erschien die von Schlegel herausgegebene Zeitschrift „Deutsches Museum“, seit 1820 die „Concordia“. Schlegel nahm 1814 als Beobachter am Wiener Kongress teil und wirkte von 1815 bis 1818 als Legationsrat im Frankfurter Bundestag im Auftrag Österreichs. Geldnöte zwangen Dorothea 1818, sich zeitweise in Obhut ihrer Söhne nach Rom zu begeben. Schlegel selbst kehrte nach Wien zurück. Nachdem er in Wien seine Vorlesungen zur „Philosophie des Lebens“ (1827) und zur „Philosophie der Geschichte“ (1828) gehalten hatte, reiste er 1828 nach Dresden, wo er „Vorlesungen über die Philosophie der Sprache und des Wortes“ vorbereitete. 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Aus finanziellen Nöten wohnte Schlegel in Dresden bei seiner Schwester Charlotte. 1796 ging er gemeinsam mit seinem Bruder nach Jena. Mit der Herausgabe des „Athenaeum“ seit dem Jahr 1798 begründete Schlegel zusammen mit seinem Bruder August Wilhelm das wichtigste Publikationsorgan der Frühromantik. Neben literaturtheoretischen und -kritischen Schriften publizierte er den Roman „Lucinde“ (1799) und hielt nach seiner Habilitation (1800) Vorlesungen über Transzendentalphilosophie. Nach dem Zerfall des Jenaer Kreises zog Schlegel mit seiner Freundin Dorothea nach Paris. Dort begründete er die Zeitschrift „Europa“ und begann das Studium des Sanskrit. 1804 heiratete er Dorothea Veit und zog nach Köln, um dort Privatvorlesungen zu halten. Seine und Dorotheas Konversion zum Katholizismus sowie die Veröffentlichung seiner Schrift „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ (1808) waren entscheidende Wendepunkte im Leben Friedrich von Schlegels. Seit 1808 wohnte Schlegel in Wien und arbeitete als Hofsekretär. Daneben hielt er Vorlesungen zur Ästhetik und Philosophie. 1812 erschien die von Schlegel herausgegebene Zeitschrift „Deutsches Museum“, seit 1820 die „Concordia“. Schlegel nahm 1814 als Beobachter am Wiener Kongress teil und wirkte von 1815 bis 1818 als Legationsrat im Frankfurter Bundestag im Auftrag Österreichs. Geldnöte zwangen Dorothea 1818, sich zeitweise in Obhut ihrer Söhne nach Rom zu begeben. Schlegel selbst kehrte nach Wien zurück. Nachdem er in Wien seine Vorlesungen zur „Philosophie des Lebens“ (1827) und zur „Philosophie der Geschichte“ (1828) gehalten hatte, reiste er 1828 nach Dresden, wo er „Vorlesungen über die Philosophie der Sprache und des Wortes“ vorbereitete. 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Ein wichtiger Grund für den Bruch mit dem älteren Bruder war neben der Konversion die konservative Ausrichtung von Friedrich von Schlegels „Concordia“.', '39_status_person' => 'Vollständig', '39_sourcename0' => 'AWS-ap-00gq-0.jpg', 'folders' => array( (int) 0 => 'Personen', (int) 1 => 'Personen' ), '_label' => '', '_descr' => '', '_model' => 'Person', '_model_title' => 'Person', '_model_titles' => 'People', '_url' => '' ) $version = 'version-01-20' $domain = 'https://august-wilhelm-schlegel.de' $url = 'https://august-wilhelm-schlegel.de/version-01-20' $purl_web = 'https://august-wilhelm-schlegel.de/version-01-20/letters/view/2158' $state = '15.01.2020' $citation = 'Digitale Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels [15.01.2020]; Friedrich von Schlegel an August Wilhelm von Schlegel; 04.06.1791 bis 08.06.1791' $lettermsg1 = 'August Wilhelm Schlegel: Digitale Edition der Korrespondenz [Version-01-20]' $lettermsg2 = ' <a href="https://august-wilhelm-schlegel.de/version-01-20/letters/view/2158">https://august-wilhelm-schlegel.de/version-01-20/letters/view/2158</a>.' $changeLeit = array( (int) 0 => 'Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987' ) $sprache = 'Deutsch' $caption = array( 'exists' => '1', 'content' => 'Digitalisat Druck' ) $tab = 'druck' $n = (int) 1
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Leipzig, den 4ten Juni 91.
Fast bin ich besorgt, da ich noch immer nichts von Dir höre. – Ich kann mir denken, daß alles neue Dir wenige Zeit übrig läßt für freundschaftlichen Genuß. Denn ich weiß daß Du im Getriebe kleiner Sorgen so viel Schönes auf dem Fluge entwendest, wie Du kannst. – So eben diesen Morgen laß ich eins Deiner Lieblingsbücher. Herders Plastik – ich glaube seinen Charakter itzt mehr zu verstehen wie in Göttingen – es hat mich vergnügt mich in sein Wesen zu versetzen – und gewiß ist es das seineste seiner Werke um mich eines Ausdrucks von ihm zu bedienen. Sehr zart und fein ist sein Sinn, aber auch empfindlich und verletzbar durch das kleinste. Seine Sprache ist wie eine blumenreiche Wiese und wenn sie sich erhebt wie der Regenbogen. In der Plastik ist sie sehr bilderreich und ich glaube orientalisch; es fügt sich in einander wie ein Blumenstrauß. – Es fehlt ihm ganz an Kraft zum Wiederstande; seine Klagen quälen mich noch widerlicher wie die des Rousseau. Aechte Schönheit muß sich als Siegerin über das Schicksal zeigen. – Aber für das Schöne ist Herder zu zärtlich und das Erhabene gar das würde ihn niederdrücken. – Eine kleine Stelle für Dich wegen Herabsetzung der Landschaften „die Tafel der Schöpfung schildern ist Ihnen unedel; als ob nicht Himmel und Erde besser wäre und mehr auf sich hätte, als ein Krüppel, der zwischen ihnen schleicht, und dessen Konterfeyung mit Gewalt einzige würdige Mahlerey sein soll.“ Einige seiner Klaglieder sind Dir zu nahe geworden; sie zerstören die Ruhe und lähmen den Muth. Einige Lieder von Göthe, unter andern die Worte, an die wir uns bey der Farth aus Hannover erinnerten, haben die entgegengesetzte Wirkung. Sie tönen mir oft noch vor, und haben eine Zauberkraft. An ein solches Wort heftet sich so viel Erinnerung ehemaligen Entschlusses und Genußes, – so daß es plötzliches Licht in die Finsterniß bringt.
den 8ten Juni.
Vor einigen Tagen brachte ich einen Nachmittag bey Oesern zu. Ich wünschte Du könntest ihn sehen; es war mir wirklich als ob ich Winkelmann als Greiß reden höre. – Er kann nichts als erzählen, zu raisonniren ist er nicht fähig: erzählen – oder mahlen hätte ich sagen sollen. Sein Gespräch ist so bestimmt so energisch so fest und so anmaßungsloß wie Winckelmanns Styl. Er hat Genie. In Verhältnißen mag er wohl plump und selbstisch handeln können. – Aber wie seine Worte treffen und tief eindringen, kann ich Dir nicht sagen; ich hange an seinem Munde. –
Ich wünsche ein Bild, Zeichnung, oder zum wenigsten Silhouette von Dir zu haben. Suche das einzurichten, so bald Du Muße dazu gewinnst.
Fast bin ich besorgt, da ich noch immer nichts von Dir höre. – Ich kann mir denken, daß alles neue Dir wenige Zeit übrig läßt für freundschaftlichen Genuß. Denn ich weiß daß Du im Getriebe kleiner Sorgen so viel Schönes auf dem Fluge entwendest, wie Du kannst. – So eben diesen Morgen laß ich eins Deiner Lieblingsbücher. Herders Plastik – ich glaube seinen Charakter itzt mehr zu verstehen wie in Göttingen – es hat mich vergnügt mich in sein Wesen zu versetzen – und gewiß ist es das seineste seiner Werke um mich eines Ausdrucks von ihm zu bedienen. Sehr zart und fein ist sein Sinn, aber auch empfindlich und verletzbar durch das kleinste. Seine Sprache ist wie eine blumenreiche Wiese und wenn sie sich erhebt wie der Regenbogen. In der Plastik ist sie sehr bilderreich und ich glaube orientalisch; es fügt sich in einander wie ein Blumenstrauß. – Es fehlt ihm ganz an Kraft zum Wiederstande; seine Klagen quälen mich noch widerlicher wie die des Rousseau. Aechte Schönheit muß sich als Siegerin über das Schicksal zeigen. – Aber für das Schöne ist Herder zu zärtlich und das Erhabene gar das würde ihn niederdrücken. – Eine kleine Stelle für Dich wegen Herabsetzung der Landschaften „die Tafel der Schöpfung schildern ist Ihnen unedel; als ob nicht Himmel und Erde besser wäre und mehr auf sich hätte, als ein Krüppel, der zwischen ihnen schleicht, und dessen Konterfeyung mit Gewalt einzige würdige Mahlerey sein soll.“ Einige seiner Klaglieder sind Dir zu nahe geworden; sie zerstören die Ruhe und lähmen den Muth. Einige Lieder von Göthe, unter andern die Worte, an die wir uns bey der Farth aus Hannover erinnerten, haben die entgegengesetzte Wirkung. Sie tönen mir oft noch vor, und haben eine Zauberkraft. An ein solches Wort heftet sich so viel Erinnerung ehemaligen Entschlusses und Genußes, – so daß es plötzliches Licht in die Finsterniß bringt.
den 8ten Juni.
Vor einigen Tagen brachte ich einen Nachmittag bey Oesern zu. Ich wünschte Du könntest ihn sehen; es war mir wirklich als ob ich Winkelmann als Greiß reden höre. – Er kann nichts als erzählen, zu raisonniren ist er nicht fähig: erzählen – oder mahlen hätte ich sagen sollen. Sein Gespräch ist so bestimmt so energisch so fest und so anmaßungsloß wie Winckelmanns Styl. Er hat Genie. In Verhältnißen mag er wohl plump und selbstisch handeln können. – Aber wie seine Worte treffen und tief eindringen, kann ich Dir nicht sagen; ich hange an seinem Munde. –
Ich wünsche ein Bild, Zeichnung, oder zum wenigsten Silhouette von Dir zu haben. Suche das einzurichten, so bald Du Muße dazu gewinnst.