• August Ludwig Hülsen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Premnitz · Place of Destination: Berlin · Date: 08.07.1803
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Ludwig Hülsen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Premnitz
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: 08.07.1803
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Flitner, Willy: August Ludwig Hülsen und der Bund der freien Männer. Jena 1913, S. 109‒113.
  • Incipit: „[1] Premmnitz d 8t Jul 1803
    Dank sey es dem guten Genius, daß ein freies, herzliches Wort nicht dem Augenblicke bloß angehört, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-33865
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.11,Nr.15
  • Number of Pages: 10 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,9 x 11,2 cm
    Language
  • German
[1] Premmnitz d 8t Jul 1803
Dank sey es dem guten Genius, daß ein freies, herzliches Wort nicht dem Augenblicke bloß angehört, da es ausgesprochen wird, sondern das höhere Leben bedeutet, das wir mit den Göttern gemein haben, und wo ein Augenblick ist wie der andere. Darum war mir Dein Brief, den ich bei meiner Ankunft hier vortraf, noch eben so lieb und erfreulich, als ob ich Dich selbst in der Zeit, da er still auf mich wartete, nicht gesehen und gesprochen hätte.
Laß mich aber zuvörderst den Göttern meines Himmels danken, daß ich per varios casus doch wieder glücklich und wohl in Premmnitz angekommen bin. Ich hielt mich einige Tage bei meinem Bruder in Stechov auf. Dies verspätete hier meine Ankunft, und ich habe darum den vorigen Posttag nicht schon benutzen können, Dir meinen brüderlichen Gruß zu überschicken. Du hast vielleicht gefürchtet, daß die destruirende Sonnenhitze, der so manche Blume des Frühlings ihr farbiges Haupt neigen mußte – auch mein kriptogamisches Gehirn, als die edle [2] Blüthe meines Lebens, – in reinen Kohlenstoff und Stickstoff aufgelöst haben möchte. Wirklich war es eine zu bittre und beschwerliche Reise, und jeder vernünftige Mensch sollte sich von den vielen Kreaturen wenigstens eine einzige unterordnen können, um ohne Anstrengung des eignen Gebeins wie ein bloßer Gedanke die Räume des Himmels zu durchfliegen; denn eine Synthesis der Zeit, die man im Schweiße seines Angesichts und mit so viel Mühe und Anstrengung erst abschreiten muß, sollte nie in unser empirisches Bewußtsein kommen. Indeß hilft die Klage nichts. Die geflügelten Roße sind nun einmal im Dienste der Philister, die die Erde beherrschen, und alles ist umgekehrt, und die Söhne der Sonne müssen die Fußsteige wandeln. Jetzt ist die Synthesis nun vollbracht, und der Diamant des Lebens ist glücklich noch nicht zum Kristall geworden. Sie soll nun mein freies Bewußtseyn auch nicht weiter stöhren, Kraft dessen ich da, wo ich bin, weder zu Pferde noch zu Fuß erst ankommen darf. Das Fichtesche Setzen hat hierbei eine schöne Bedeutung, und wenn man erst sitzt, so ist auch das [3] Reinholdische Vorstellungsvermögen nicht unrecht. Ich kann doch durch den Satz des Bewußtseyns unterscheiden, daß ich nicht mehr in Berlin bin, und habe zugleich auch die Freude, durch meinen bloßen Gedanken diese Negation wieder aufzuheben, und mit Dir zu reden, als ob ich bei Dir auf dem Sofa säße. Dem Skeptiker, der das nicht glauben will, muß man einen Schnaps geben, damit er erst warm wird. Es giebt wirklich Zeit und Gelegenheit, wo man die philosophischen Systeme alle gebrauchen kann, und sollte man sich zum Spaß auch nur lustig über sie machen wollen.
Also, das Gesagte nun kurz zusammengefaßt – ich bin wohl und gesund. Schon bei den Griechen und Römern war es eine liebenswürdige Sitte, davon zu erst zu sprechen, und ich vergeße es auch nie ganz. Denn nach meinem Systeme – das zum Glück weder ein Satz noch ein Zirkel von Sätzen ist – besteht gerade und eben darin die Harmonie des Weltalls. Zwar möchte ich nicht behaupten, daß ich diese Harmonie, so wie ich hier sitze, ganz [4] lebendig, in mir anschaute und die Sphärengesänge hörte und die Freude der Vollendung. Aber ihre reine Existenz in der Idee ist die Klarheit meines Auges, und alles was ich sehe im erfreulichen Lichte das ordne ich ihr zu wie eines und dasselbe und nur darin fühle ich mich wohl und tönt die Freude des Lebens von meinem Munde. Ob ich mit Dir darüber streiten müßte, weiß ich nicht. Fichte meynt es nicht so, und Schelling noch weniger. Aber ich wollte meine Worte an sie auch wahrlich nicht richten, denn die Demonstration ist vom heiligen Gebiethe des Lebens ganz ausgeschlossen, und die Harmonie des Weltalls läßt sich nicht systematisch anordnen und in eine Gedankenreihe bringen. Oft habe ich wohl gedacht, man könne und dürfe nicht lachen, so lange ein Mensch nur noch weine, und die Harmonie des Weltalls schien meinem Auge dann so fern, daß ich ganz traurig wurde. Aber eine nähere Betrachtung hat mich gelehrt, daß die Menschen nicht eigentlich weinen, sondern wie ungezogene Knaben nur plärren und schreien, und so sollte man eigentlich die Ruthe nehmen, und sie disciplinieren, [5] welches ganz systematisch, obwol a posteriori, geschehen könnte. Ich lache daher nun wirklich; aber der Himmel weiß worüber: oft über mich selbst und meinen frommen Glauben, dann auch über die närrsche Welt, daß sie sich so ungeschickt anstellt. Wäre sie nicht schon so alt; so könnte man Geduld haben; so aber möchte ich sie gern im Mittelpunkt ergreifen und das ganze Ding umkehren. Zuweilen sitze ich da, wie ein Mensch der auf etwas wartet, und doch ist es nichts und nur meine eigne Narrheit spielt mir so übel mit. Das weiß ich freilich, über alles hinaus geht unser unsterblicher Wunsch, so bald wir nicht schon in die enge Sphäre des bloßen Gedankenlebens zurückgetreten sind. Auch selbst die göttliche Kunst zeigt uns in allen ihren Produkten nur Bilder des Ewigen und nicht selbst das Leben, das unsere Sehnsucht stillen könnte. Man muß das immer bedenken, oder man kann in Gefahr kommen, daß man nach langem vergeblichen Streben auf nichts mehr achtet, weil man die Erfüllung nicht findet, [6] die unserm Wunsche verheißen wurde. Es da zu suchen, wo es ist, wirklich und wahr, das allein ist göttliche Weisheit, und eine Gabe der Götter selbst, die schon die Kinder uns offenbaren. Nur – der Mensch lebt unter Menschen, und wunderbar ist das Spiel der zusammenstrebenden Kräfte. Folgt man dem Strome, so schwimmt es sich leicht, denn man verliehrt sein bischen Wesen in der Totalität, wie ein Tropfen sich verliehrt in der Masse des Stromes. Will man seine eigne Existenz aber bewahren und selbst eine Totalität seyn, so ist, so zu sagen, der Teufel los; denn man kann bei aller Freiheit nun betteln gehn, und findet nicht einen Stein, wohin man frei sein Haupt legen könne. Oft fällt mir wol ein, daß ich zu furchtsam bin und mich bloß vor Resultaten scheue. Ich sehe wenigstens andere ihre Freiheit behaupten, und ich kann ihnen die Art und Weise nicht zum Vorwurf machen. Indeß furchtsam kann man auch werden, wenn man schon so oft Schiffbruch gelitten hat, und ich selbst wollte mich kaum wundern, wenn ich anfinge, im Kalender die Tage abzuzählen, bis [7] sie endlich alle rein ausgingen. Berlin ist nun noch ein Gedanke, mit dem ich mich einstweilen recht ernstlich beschäftige. Laß Du es nur gut seyn mit den Zahlen und Registern. Ich fürchte mich eben nicht, ein mechanisches Geschäft zu übernehmen, wenn die Pflicht desselben mir nur einigermaßen noch freie Zeit übrig läßt. Darum bedenke Du es selbst noch, wie ich durch gute Empfehlung zu einem anständigen Amte gelangen möge. Ich bin ein bescheidner Mann, wie sich das von selbst versteht, aber das weiß ich, daß die Regierung in allen ihren Zweigen mir keine neue Welt ist, in der ich mich nicht bald orientieren könnte. Nur andere davon zu versichern, ist vielleicht etwas schwer, und schwerer noch, sie für mich zu interessieren. Ich muß also erst zu den Männern der Minister [8] gehören, für die sie Aemter suchen. Schreibe nur recht bald an den Grafen Kalckreuth. Hat er sich nicht bloß mit dem Buchstaben der Wissenschaften, sondern mit ihrem Geiste beschäftigt, so muß es ihm eine Freude seyn, wenn er auf Deine Vorstellung für mich etwas thun kann, denn das liegt in diesem Geiste; und daß der Graf eine wohlwollende Gesinnung hegt, beweist mir schon seine Theilnahme an Maimon. Ich halte es für beßer, wenn ich ihm jetzt noch nicht schreibe. Nicht aus Klugheit, denn ich handle nur offen und redlich. Aber die Erwegung ist es, daß ich für mich selbst nicht bewirken kann, was nur eine freie That in andern ist. Hat er Dir geantwortet, und findet er es möglich, für mich etwas zu thun, so will ich mich ihm gern auch [9] schriftlich bekannt machen, und ihn bitten mein Freund zu seyn. Wüßte ich nur erst, wie es mit dem Winteraufenthalte werden wird. Hier kann ich nicht bleiben. Sokrates selbst könnte es nicht, denn der Raum ist undurchdringlich, und 13 Menschen in 2 Stuben von geringem Umfange müßten ihn wirklich auf den mathematischen Punkt zu reduzieren streben, da jeder dem andern das bischen Lebensluft vor der Nase wegschnapt. Ich bin dieser Tage gefragt worden, ob ich mich wohl wieder als Hofmeister engagieren könnte. Schon Bernhardi sagte ich, nein. Offerirte mir ein Familienvater einen freien Aufenthalt bei sich; so würde ich es für einige Zeit wenigstens annehmen, und ich würde ihm an seinen Kindern diese Freundlichkeit gewiß zu vergelten suchen. Aber ein Engagement muß es nicht seyn. Weißt Du ein Haus, wo ich auf die Weise den Winter leben könnte, oder überhaupt solange, bis ich ein Amt im Staate übernähme; so siehe zu, wie es wirklich [10] zu machen ist. Ich wäre vielleicht zu einem wackern Mann im Lauenburgischen, einem Baron v. Hammerstein gegangen, der es so sehr wünschte. Aber die Umstände sind jetzt dazu nicht günstig. So bald ich kann, komme ich wieder nach Berlin. Der Fleiß andrer Menschen bewegt wenigstens meine Gedanken und wird mir also eine Ermunterung. Nur das verteufelte Geld. Ich weiß es wohl, es ist eine große Erscheinung, und man kann es so geradehin nicht verwünschen. Aber dann muß man es auch haben und haben können, und wie es selbst ein edles Metall ist, muß es auch nur auf eine edle Weise das unsrige seyn. Horatz hat wol recht: vita nisi auro, vilior alga est. Ich habe nun mancherlei Titel im Kopfe. Sobald ich nur einen ruhigen Aufenthalt gewinne, sollen auch Bücher in Menge geschrieben werden. Eine Kritik der Künste und Wissenschaften ist jetzt mein Hauptgedanke. Sie treiben ihr Wesen noch immer wie Gespenster, und die Menschen glauben an sie, als wären es die Götter ihres Himmels. Adieu lieber Freund. Schicke mir ja die Europa, so bald sie heraus ist. Ich will es nicht vergessen, daß sie auch bald einige Gedanken von mir unter die Menschen bringe. Mein Gemüth ist nur zu bewegt, und es ist mir, als müßte ich das liebste und beste mit glühender Zange anfaßen.
Der Deinige Hülsen
[1] Premmnitz d 8t Jul 1803
Dank sey es dem guten Genius, daß ein freies, herzliches Wort nicht dem Augenblicke bloß angehört, da es ausgesprochen wird, sondern das höhere Leben bedeutet, das wir mit den Göttern gemein haben, und wo ein Augenblick ist wie der andere. Darum war mir Dein Brief, den ich bei meiner Ankunft hier vortraf, noch eben so lieb und erfreulich, als ob ich Dich selbst in der Zeit, da er still auf mich wartete, nicht gesehen und gesprochen hätte.
Laß mich aber zuvörderst den Göttern meines Himmels danken, daß ich per varios casus doch wieder glücklich und wohl in Premmnitz angekommen bin. Ich hielt mich einige Tage bei meinem Bruder in Stechov auf. Dies verspätete hier meine Ankunft, und ich habe darum den vorigen Posttag nicht schon benutzen können, Dir meinen brüderlichen Gruß zu überschicken. Du hast vielleicht gefürchtet, daß die destruirende Sonnenhitze, der so manche Blume des Frühlings ihr farbiges Haupt neigen mußte – auch mein kriptogamisches Gehirn, als die edle [2] Blüthe meines Lebens, – in reinen Kohlenstoff und Stickstoff aufgelöst haben möchte. Wirklich war es eine zu bittre und beschwerliche Reise, und jeder vernünftige Mensch sollte sich von den vielen Kreaturen wenigstens eine einzige unterordnen können, um ohne Anstrengung des eignen Gebeins wie ein bloßer Gedanke die Räume des Himmels zu durchfliegen; denn eine Synthesis der Zeit, die man im Schweiße seines Angesichts und mit so viel Mühe und Anstrengung erst abschreiten muß, sollte nie in unser empirisches Bewußtsein kommen. Indeß hilft die Klage nichts. Die geflügelten Roße sind nun einmal im Dienste der Philister, die die Erde beherrschen, und alles ist umgekehrt, und die Söhne der Sonne müssen die Fußsteige wandeln. Jetzt ist die Synthesis nun vollbracht, und der Diamant des Lebens ist glücklich noch nicht zum Kristall geworden. Sie soll nun mein freies Bewußtseyn auch nicht weiter stöhren, Kraft dessen ich da, wo ich bin, weder zu Pferde noch zu Fuß erst ankommen darf. Das Fichtesche Setzen hat hierbei eine schöne Bedeutung, und wenn man erst sitzt, so ist auch das [3] Reinholdische Vorstellungsvermögen nicht unrecht. Ich kann doch durch den Satz des Bewußtseyns unterscheiden, daß ich nicht mehr in Berlin bin, und habe zugleich auch die Freude, durch meinen bloßen Gedanken diese Negation wieder aufzuheben, und mit Dir zu reden, als ob ich bei Dir auf dem Sofa säße. Dem Skeptiker, der das nicht glauben will, muß man einen Schnaps geben, damit er erst warm wird. Es giebt wirklich Zeit und Gelegenheit, wo man die philosophischen Systeme alle gebrauchen kann, und sollte man sich zum Spaß auch nur lustig über sie machen wollen.
Also, das Gesagte nun kurz zusammengefaßt – ich bin wohl und gesund. Schon bei den Griechen und Römern war es eine liebenswürdige Sitte, davon zu erst zu sprechen, und ich vergeße es auch nie ganz. Denn nach meinem Systeme – das zum Glück weder ein Satz noch ein Zirkel von Sätzen ist – besteht gerade und eben darin die Harmonie des Weltalls. Zwar möchte ich nicht behaupten, daß ich diese Harmonie, so wie ich hier sitze, ganz [4] lebendig, in mir anschaute und die Sphärengesänge hörte und die Freude der Vollendung. Aber ihre reine Existenz in der Idee ist die Klarheit meines Auges, und alles was ich sehe im erfreulichen Lichte das ordne ich ihr zu wie eines und dasselbe und nur darin fühle ich mich wohl und tönt die Freude des Lebens von meinem Munde. Ob ich mit Dir darüber streiten müßte, weiß ich nicht. Fichte meynt es nicht so, und Schelling noch weniger. Aber ich wollte meine Worte an sie auch wahrlich nicht richten, denn die Demonstration ist vom heiligen Gebiethe des Lebens ganz ausgeschlossen, und die Harmonie des Weltalls läßt sich nicht systematisch anordnen und in eine Gedankenreihe bringen. Oft habe ich wohl gedacht, man könne und dürfe nicht lachen, so lange ein Mensch nur noch weine, und die Harmonie des Weltalls schien meinem Auge dann so fern, daß ich ganz traurig wurde. Aber eine nähere Betrachtung hat mich gelehrt, daß die Menschen nicht eigentlich weinen, sondern wie ungezogene Knaben nur plärren und schreien, und so sollte man eigentlich die Ruthe nehmen, und sie disciplinieren, [5] welches ganz systematisch, obwol a posteriori, geschehen könnte. Ich lache daher nun wirklich; aber der Himmel weiß worüber: oft über mich selbst und meinen frommen Glauben, dann auch über die närrsche Welt, daß sie sich so ungeschickt anstellt. Wäre sie nicht schon so alt; so könnte man Geduld haben; so aber möchte ich sie gern im Mittelpunkt ergreifen und das ganze Ding umkehren. Zuweilen sitze ich da, wie ein Mensch der auf etwas wartet, und doch ist es nichts und nur meine eigne Narrheit spielt mir so übel mit. Das weiß ich freilich, über alles hinaus geht unser unsterblicher Wunsch, so bald wir nicht schon in die enge Sphäre des bloßen Gedankenlebens zurückgetreten sind. Auch selbst die göttliche Kunst zeigt uns in allen ihren Produkten nur Bilder des Ewigen und nicht selbst das Leben, das unsere Sehnsucht stillen könnte. Man muß das immer bedenken, oder man kann in Gefahr kommen, daß man nach langem vergeblichen Streben auf nichts mehr achtet, weil man die Erfüllung nicht findet, [6] die unserm Wunsche verheißen wurde. Es da zu suchen, wo es ist, wirklich und wahr, das allein ist göttliche Weisheit, und eine Gabe der Götter selbst, die schon die Kinder uns offenbaren. Nur – der Mensch lebt unter Menschen, und wunderbar ist das Spiel der zusammenstrebenden Kräfte. Folgt man dem Strome, so schwimmt es sich leicht, denn man verliehrt sein bischen Wesen in der Totalität, wie ein Tropfen sich verliehrt in der Masse des Stromes. Will man seine eigne Existenz aber bewahren und selbst eine Totalität seyn, so ist, so zu sagen, der Teufel los; denn man kann bei aller Freiheit nun betteln gehn, und findet nicht einen Stein, wohin man frei sein Haupt legen könne. Oft fällt mir wol ein, daß ich zu furchtsam bin und mich bloß vor Resultaten scheue. Ich sehe wenigstens andere ihre Freiheit behaupten, und ich kann ihnen die Art und Weise nicht zum Vorwurf machen. Indeß furchtsam kann man auch werden, wenn man schon so oft Schiffbruch gelitten hat, und ich selbst wollte mich kaum wundern, wenn ich anfinge, im Kalender die Tage abzuzählen, bis [7] sie endlich alle rein ausgingen. Berlin ist nun noch ein Gedanke, mit dem ich mich einstweilen recht ernstlich beschäftige. Laß Du es nur gut seyn mit den Zahlen und Registern. Ich fürchte mich eben nicht, ein mechanisches Geschäft zu übernehmen, wenn die Pflicht desselben mir nur einigermaßen noch freie Zeit übrig läßt. Darum bedenke Du es selbst noch, wie ich durch gute Empfehlung zu einem anständigen Amte gelangen möge. Ich bin ein bescheidner Mann, wie sich das von selbst versteht, aber das weiß ich, daß die Regierung in allen ihren Zweigen mir keine neue Welt ist, in der ich mich nicht bald orientieren könnte. Nur andere davon zu versichern, ist vielleicht etwas schwer, und schwerer noch, sie für mich zu interessieren. Ich muß also erst zu den Männern der Minister [8] gehören, für die sie Aemter suchen. Schreibe nur recht bald an den Grafen Kalckreuth. Hat er sich nicht bloß mit dem Buchstaben der Wissenschaften, sondern mit ihrem Geiste beschäftigt, so muß es ihm eine Freude seyn, wenn er auf Deine Vorstellung für mich etwas thun kann, denn das liegt in diesem Geiste; und daß der Graf eine wohlwollende Gesinnung hegt, beweist mir schon seine Theilnahme an Maimon. Ich halte es für beßer, wenn ich ihm jetzt noch nicht schreibe. Nicht aus Klugheit, denn ich handle nur offen und redlich. Aber die Erwegung ist es, daß ich für mich selbst nicht bewirken kann, was nur eine freie That in andern ist. Hat er Dir geantwortet, und findet er es möglich, für mich etwas zu thun, so will ich mich ihm gern auch [9] schriftlich bekannt machen, und ihn bitten mein Freund zu seyn. Wüßte ich nur erst, wie es mit dem Winteraufenthalte werden wird. Hier kann ich nicht bleiben. Sokrates selbst könnte es nicht, denn der Raum ist undurchdringlich, und 13 Menschen in 2 Stuben von geringem Umfange müßten ihn wirklich auf den mathematischen Punkt zu reduzieren streben, da jeder dem andern das bischen Lebensluft vor der Nase wegschnapt. Ich bin dieser Tage gefragt worden, ob ich mich wohl wieder als Hofmeister engagieren könnte. Schon Bernhardi sagte ich, nein. Offerirte mir ein Familienvater einen freien Aufenthalt bei sich; so würde ich es für einige Zeit wenigstens annehmen, und ich würde ihm an seinen Kindern diese Freundlichkeit gewiß zu vergelten suchen. Aber ein Engagement muß es nicht seyn. Weißt Du ein Haus, wo ich auf die Weise den Winter leben könnte, oder überhaupt solange, bis ich ein Amt im Staate übernähme; so siehe zu, wie es wirklich [10] zu machen ist. Ich wäre vielleicht zu einem wackern Mann im Lauenburgischen, einem Baron v. Hammerstein gegangen, der es so sehr wünschte. Aber die Umstände sind jetzt dazu nicht günstig. So bald ich kann, komme ich wieder nach Berlin. Der Fleiß andrer Menschen bewegt wenigstens meine Gedanken und wird mir also eine Ermunterung. Nur das verteufelte Geld. Ich weiß es wohl, es ist eine große Erscheinung, und man kann es so geradehin nicht verwünschen. Aber dann muß man es auch haben und haben können, und wie es selbst ein edles Metall ist, muß es auch nur auf eine edle Weise das unsrige seyn. Horatz hat wol recht: vita nisi auro, vilior alga est. Ich habe nun mancherlei Titel im Kopfe. Sobald ich nur einen ruhigen Aufenthalt gewinne, sollen auch Bücher in Menge geschrieben werden. Eine Kritik der Künste und Wissenschaften ist jetzt mein Hauptgedanke. Sie treiben ihr Wesen noch immer wie Gespenster, und die Menschen glauben an sie, als wären es die Götter ihres Himmels. Adieu lieber Freund. Schicke mir ja die Europa, so bald sie heraus ist. Ich will es nicht vergessen, daß sie auch bald einige Gedanken von mir unter die Menschen bringe. Mein Gemüth ist nur zu bewegt, und es ist mir, als müßte ich das liebste und beste mit glühender Zange anfaßen.
Der Deinige Hülsen
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