• Friedrich Schleiermacher to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Stolp · Place of Destination: Unknown · Date: 19.05.1804
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich Schleiermacher
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Stolp
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 19.05.1804
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 82‒84.
  • Incipit: „[1] Stolpe d 19t May [180]4
    Wenn ich nicht theils Sie mit Frau v Stael verreist gewußt hätte, theils hernach selbst verreist [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,79
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,6 x 10,8 cm
    Language
  • German
[1] Stolpe d 19t May [180]4
Wenn ich nicht theils Sie mit Frau v Stael verreist gewußt hätte, theils hernach selbst verreist gewesen wäre, würde ich Ihnen schon eher geschrieben und Ihnen meinen lebhaftesten Dank für Ihre Bemühungen mit dem Platon wiederholt haben. Jezt eile ich um so mehr damit, da Ihr Brief mir sagt daß Sie nur noch bis zu Ende dieses Monates in Berlin sein werden. Wenn es bei meinem Ruf nach Würzburg geblieben wäre so würde ich gleich nach Pfingsten von hier abgereist sein, und Sie also noch gesehen haben; nun werde ich, wenn ich auch mein Vorhaben ausführe doch erst d. 10t Junius etwa und nur auf einige Tage in Berlin eintreffen. Die Regierung ist so artig mit mir umgegangen, und hat mir so jede Entschuldigung, die ich vorbrachte, genommen, daß ich nicht anders konnte, als das Vaterland vorziehn, und daß ich auch volles Recht bekam den wiewol schon angenommenen Ruf zurückzugeben. Sie werden vielleicht gehört haben, daß man gesonnen ist mich für jezt auf fast ähnliche Art nach Halle zu schikken, und das ist mir theils sonst theils auch um des Platon willen recht lieb, mit welchem sich Wolf jezt ganz vorzüglich beschäftigen soll. Für Würzburg [2] war es schon mein Vorsatz philologische Vorlesungen nebenbei zu halten; ich fürchte aber, ich würde dort erst der albernen Procedur einer Promotion mich haben unterziehen müssen. In Halle werde ich nun ohne diese Formalität nöthig zu haben neben den theologischen auch philosophische Collegia lesen, die dort wie mir scheint nicht sonderlich besezt sind.
Was den Platon betrift, so wünsche ich recht angelegentlich, daß Sie Zeit finden möchten – und in den ersten Monaten nach der Messe ist ja das wol am ersten möglich – Sich zu meiner Belehrung recht ausführlich mit ihm zu beschäftigen. Das Werk was noch vor mir liegt ist groß, und ich werde noch jeden Wink den Sie mir geben benuzen können. Ueber die Art die philosophischen Kunstwörter sowol als auch die kleinen dialogischen Formeln nachzubilden habe ich viel nachgedacht, indeß glaube ich daß ich besonders auch in der lezten Hinsicht noch viel aus Ihren Bemerkungen und Kritiken werde lernen können. Gewiß werden Sie auch häufig die Ihnen mögliche Genauigkeit der Nachbildung desideriren, und hier würde mir nichts so nüzlich sein als einen oder den andern Dialog mit Ihnen persönlich durchgehn zu können. Je freigebiger Sie mir, was mir hier das Schiksal versagt durch schriftliche Mittheilung ersezen können, desto mehr werden Sie Sich um mich verdient machen. Dies wird dem Verfolg des Werkes mehr aufhelfen als [3] ein noch so langes liegen lassen in meinem Pult hätte thun können.
In Schreibung der griechischen Namen bin ich was die Vokalen betrift Voß gefolgt, wiewol nicht mit rechter Ueberzeugung. Denn ich sehe nicht ein, warum man ä und ö schreibt wenn man sich doch zu ei und eu bequemt hat. In Absicht der Consonanten habe ich aber dem Ph was ja jeder Deutsche zu lesen versteht seine alten Rechte gelassen. Ich begreife nicht, wie Voß, der Föbos schreibt, sich nicht gedrungen fühlt, wenn er aus dem lateinischen übersezt Wabius zu schreiben. Die ai die einigemal in meiner Handschrift müssen gestanden haben sind leider Schreibfehler; ob aber in Voßʼ Homer das troz des Äneias immer wiederkehrende Achaier einer ist möchte ich wissen. Meine deutsche Rechtschreibung hoffe ich als consequent rechtfertigen zu können. Das z verdopple ich nie, weil es schon doppelt ist, und auch nicht die mindeste Täuschung Statt finden kann als würde es zwiefach ausgesprochen. Das i, welches wo es gedehnt werden soll allemal das e hinter sich hat, sehe ich als seiner Natur nach kurz an und verdopple also den Consonant nicht dahinter, sofern nemlich dies bloß Accentuation ist. Hieraus werden Sie Sich das übrige erklären können. Nur mit dem k begegnet es mir aus alter Unart oft, daß ich vergesse es zu verdoppeln wo ich es meiner Regel zufolge thun sollte. So bin ich auch, freilich erst während der Ausarbeitung der Grundlinien, mit meiner Interpunction ganz aufs Reine gekommen, sündige aber im Schreiben sehr oft dagegen, [4] und werde mir deshalb allerdings die Mühe nehmen müssen meine Handschrift bloß in dieser Hinsicht noch einmal durchzugehen. Sobald ich irgend dazu kommen kann, will ich meine Ansicht dieses Gegenstandes so kurz als möglich zu Papier bringen, und sie Ihrer Prüfung vorlegen. In deutschen Sprachlehren habe ich nirgends etwas befriedigendes darüber gefunden und in der Praxis unserer besten Schriftsteller ist mir immer vieles dunkel geblieben.
Jemand und Niemand halte ich für förmliche Substantiva, und die Duʼs hatte ich groß geschrieben weil nach meinem Gefühl die öfteren Initialen dem Auge wohlthun. Da indeß meine Augen sehr schlecht sind: so habe ich hierin keine Stimme, und billige unbedingt Ihr Verfahren. Ueberhaupt möchte ich dagegen protestiren daß Sie es Sich nicht zugestehn wollen, auf Ihre eigne Hand zu ändern. Es entschlüpfen mir so viele Nachläßigkeiten denen Sie es deutlich ansehn müssen, daß sie nicht aus Grundsaz und Ueberlegung da sind. Leider scheint es, als ob ich von diesem Fehler nicht loskommen sollte.
An Friedrich denke ich auch noch diesen Posttag zu schreiben. Wäre ich nach Würzburg gegangen so würde ich ebenfalls auf eine Zusammenkunft gedacht haben. Möchte die Ihrige wirklich zu Stande kommen, und recht viel heilsames darauf beschlossen werden. Wie freue ich mich auf den lang entbehrten Shakespeare! Leben Sie wol und grüßen Sie alle Freunde die sich meiner erinnern.
Schleiermacher
[1] Stolpe d 19t May [180]4
Wenn ich nicht theils Sie mit Frau v Stael verreist gewußt hätte, theils hernach selbst verreist gewesen wäre, würde ich Ihnen schon eher geschrieben und Ihnen meinen lebhaftesten Dank für Ihre Bemühungen mit dem Platon wiederholt haben. Jezt eile ich um so mehr damit, da Ihr Brief mir sagt daß Sie nur noch bis zu Ende dieses Monates in Berlin sein werden. Wenn es bei meinem Ruf nach Würzburg geblieben wäre so würde ich gleich nach Pfingsten von hier abgereist sein, und Sie also noch gesehen haben; nun werde ich, wenn ich auch mein Vorhaben ausführe doch erst d. 10t Junius etwa und nur auf einige Tage in Berlin eintreffen. Die Regierung ist so artig mit mir umgegangen, und hat mir so jede Entschuldigung, die ich vorbrachte, genommen, daß ich nicht anders konnte, als das Vaterland vorziehn, und daß ich auch volles Recht bekam den wiewol schon angenommenen Ruf zurückzugeben. Sie werden vielleicht gehört haben, daß man gesonnen ist mich für jezt auf fast ähnliche Art nach Halle zu schikken, und das ist mir theils sonst theils auch um des Platon willen recht lieb, mit welchem sich Wolf jezt ganz vorzüglich beschäftigen soll. Für Würzburg [2] war es schon mein Vorsatz philologische Vorlesungen nebenbei zu halten; ich fürchte aber, ich würde dort erst der albernen Procedur einer Promotion mich haben unterziehen müssen. In Halle werde ich nun ohne diese Formalität nöthig zu haben neben den theologischen auch philosophische Collegia lesen, die dort wie mir scheint nicht sonderlich besezt sind.
Was den Platon betrift, so wünsche ich recht angelegentlich, daß Sie Zeit finden möchten – und in den ersten Monaten nach der Messe ist ja das wol am ersten möglich – Sich zu meiner Belehrung recht ausführlich mit ihm zu beschäftigen. Das Werk was noch vor mir liegt ist groß, und ich werde noch jeden Wink den Sie mir geben benuzen können. Ueber die Art die philosophischen Kunstwörter sowol als auch die kleinen dialogischen Formeln nachzubilden habe ich viel nachgedacht, indeß glaube ich daß ich besonders auch in der lezten Hinsicht noch viel aus Ihren Bemerkungen und Kritiken werde lernen können. Gewiß werden Sie auch häufig die Ihnen mögliche Genauigkeit der Nachbildung desideriren, und hier würde mir nichts so nüzlich sein als einen oder den andern Dialog mit Ihnen persönlich durchgehn zu können. Je freigebiger Sie mir, was mir hier das Schiksal versagt durch schriftliche Mittheilung ersezen können, desto mehr werden Sie Sich um mich verdient machen. Dies wird dem Verfolg des Werkes mehr aufhelfen als [3] ein noch so langes liegen lassen in meinem Pult hätte thun können.
In Schreibung der griechischen Namen bin ich was die Vokalen betrift Voß gefolgt, wiewol nicht mit rechter Ueberzeugung. Denn ich sehe nicht ein, warum man ä und ö schreibt wenn man sich doch zu ei und eu bequemt hat. In Absicht der Consonanten habe ich aber dem Ph was ja jeder Deutsche zu lesen versteht seine alten Rechte gelassen. Ich begreife nicht, wie Voß, der Föbos schreibt, sich nicht gedrungen fühlt, wenn er aus dem lateinischen übersezt Wabius zu schreiben. Die ai die einigemal in meiner Handschrift müssen gestanden haben sind leider Schreibfehler; ob aber in Voßʼ Homer das troz des Äneias immer wiederkehrende Achaier einer ist möchte ich wissen. Meine deutsche Rechtschreibung hoffe ich als consequent rechtfertigen zu können. Das z verdopple ich nie, weil es schon doppelt ist, und auch nicht die mindeste Täuschung Statt finden kann als würde es zwiefach ausgesprochen. Das i, welches wo es gedehnt werden soll allemal das e hinter sich hat, sehe ich als seiner Natur nach kurz an und verdopple also den Consonant nicht dahinter, sofern nemlich dies bloß Accentuation ist. Hieraus werden Sie Sich das übrige erklären können. Nur mit dem k begegnet es mir aus alter Unart oft, daß ich vergesse es zu verdoppeln wo ich es meiner Regel zufolge thun sollte. So bin ich auch, freilich erst während der Ausarbeitung der Grundlinien, mit meiner Interpunction ganz aufs Reine gekommen, sündige aber im Schreiben sehr oft dagegen, [4] und werde mir deshalb allerdings die Mühe nehmen müssen meine Handschrift bloß in dieser Hinsicht noch einmal durchzugehen. Sobald ich irgend dazu kommen kann, will ich meine Ansicht dieses Gegenstandes so kurz als möglich zu Papier bringen, und sie Ihrer Prüfung vorlegen. In deutschen Sprachlehren habe ich nirgends etwas befriedigendes darüber gefunden und in der Praxis unserer besten Schriftsteller ist mir immer vieles dunkel geblieben.
Jemand und Niemand halte ich für förmliche Substantiva, und die Duʼs hatte ich groß geschrieben weil nach meinem Gefühl die öfteren Initialen dem Auge wohlthun. Da indeß meine Augen sehr schlecht sind: so habe ich hierin keine Stimme, und billige unbedingt Ihr Verfahren. Ueberhaupt möchte ich dagegen protestiren daß Sie es Sich nicht zugestehn wollen, auf Ihre eigne Hand zu ändern. Es entschlüpfen mir so viele Nachläßigkeiten denen Sie es deutlich ansehn müssen, daß sie nicht aus Grundsaz und Ueberlegung da sind. Leider scheint es, als ob ich von diesem Fehler nicht loskommen sollte.
An Friedrich denke ich auch noch diesen Posttag zu schreiben. Wäre ich nach Würzburg gegangen so würde ich ebenfalls auf eine Zusammenkunft gedacht haben. Möchte die Ihrige wirklich zu Stande kommen, und recht viel heilsames darauf beschlossen werden. Wie freue ich mich auf den lang entbehrten Shakespeare! Leben Sie wol und grüßen Sie alle Freunde die sich meiner erinnern.
Schleiermacher
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