• August Wilhelm von Schlegel to Caroline de La Motte-Fouqué

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Nennhausen · Date: 31. Oktober [1802]
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Caroline de La Motte-Fouqué
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Nennhausen
  • Date: 31. Oktober [1802]
  • Notations: Datum (Jahr) sowie Empfangsort erschlossen. – Datierung: Der Brief bezieht sich auf Schlegels und Bernhardis Besuch in Nennhausen im September 1802.
    Manuscript
  • Provider: Potsdam, Brandenburgisches Landeshauptarchiv
  • Classification Number: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 37 Gut Jahnsfelde Nr. 160
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Incipit: „[1] Berlin d. 30 Sept. Dieß ist zwar ein unmögliches und unrichtiges Datum, denn an diesem Tage war ich noch [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
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[1] Berlin d. 30 Sept. Dieß ist zwar ein unmögliches und unrichtiges Datum, denn an diesem Tage war ich noch in dem lieben Nennhausen, ich muß mich aber dennoch dabey behaupten. Bey der Erfindung rückwärts zu datiren darf ich zwar nicht auf Originalität Anspruch machen, ich will sie mir aber aneignen, indem ich es mit Vorbedacht und in einem andern Sinne thue. Die schönen herrlichen Tage in Nennhausen sollen noch nicht zu Ende seyn, sie sind es auch nicht: ich habe mich zuweilen erinnern müssen, daß es nur die lebhafte Erinnerung ist, wodurch ich sie fortsetze. Sogar die dort angenommenen Unarten habe ich nicht ablegen können, und zuweilen, wenn Bernhardi des Morgens zu mir herein gekommen ist, habe ich ihm zugerufen: das Ganze ist – dieß führt mich auf das, was ich schon lange auf dem Herzen gehabt: nämlich einzugestehn, daß ich mich dort recht thöricht betragen habe; die Freude machte mich so ausgelassen, daß ich nichts als Possen trieb und fast keinem ernsthaften Gespräche Raum gab. Desto ernstlicher habe ich mich seit meiner Zurückkunft mit Planen beschäftigt, wie ich dieß in Zukunft verbessern will, wie wir [2] Sie in Nennhausen besuchen und Sie nach Berlin hereinlocken wollen. Sie machen mir in Ihrem gütigen Briefe Vorwürfe über mein Stillschweigen, die mich um so mehr schmerzen, je sanfter sie ausgesprochen sind. Wie konnten Sie es nur für möglich halten, daß mir der Eindruck Ihrer Bekanntschaft, nun ihn vollends Ihre ganze freundliche Umgebung des würdigen Vaters, der schönen Kinder, des liebenswürdigen Fräulein von Luck, noch erhöhte, so bald wieder, daß er mir je sollte verlöschen können. Ich habe Ihnen wie ein ächter Idealist immerfort in Gedanken geschrieben, es ist nur nicht in Raum und Zeit zu Ihnen gelangt. Ich wünschte Ihnen zugleich melden zu können, daß ich an den wackern Freund Hülsen geschrieben; ein seit lange angefangner Brief liegt vor mir, den ich aber leider immer noch nicht zur Absendung vollendet habe. Bey meiner Zurückkunft nach Berlin fand ich einen Brief meines Bruders aus Paris vor, auf den ich ebenfalls noch nicht geantwortet habe. Ich lebte in der That diese Zeit her in manchen nothwendigen Arbeiten und unvermeidlichen Zersteuungen.
[3] Um diese armen Zeilen für die Zögerung in etwas zu bereichern, schicke ich Ihnen Aushängebogen von Novalis Schriften mit. Das Fragment aus dem 2.ten Theil des Ofterdingen wird Ihnen um so interessanter seyn, da Sie den ersten kürzlich gelesen. Auch kennen Sie die himmlischen Gedichte u einige von den geistlichen Liedern noch nicht. Ich rechne sicher darauf, daß Sie in ein paar Wochen nach Berlin kommen, u dann haben Sie wohl die Güte diese Bogen nebst dem ersten Bande mitzubringen.
Ferner lege ich eine kleine Schrift bey, worin ich für einen Freund die Feder gegen einen sehr boshaften Verläumdung geführt habe. Ich weiß nicht ob so schlechte Sachen als die allgemeine Literatur-Zeitung nach Nennhausen kommen dürfen; sollte dieß aber seyn, so würden Sie nächstens vermuthlich einen Anfall auf mich darin zu lesen bekommen, wovon es Ihnen doch lieb seyn möchte die Veranlassung zu wissen.
Endlich schicke ich Ihnen hier eine Ankündigung meiner Vorlesungen, die am 21sten Nov. anfangen, und wozu Sie bestens und schönstens eingeladen sind. Sie würden unstreitig viel [4] belebter und unterhaltender ausfallen, wenn ich hoffen dürfte, Sie beständig zur Zuhörerin zu haben; doch rechne ich darauf, Sie wenigstens ein oder ein paarmal darin zu sehen.
Den mitgenommenen Aufsatz von Hülsen bitte ich noch etwas behalten zu dürfen, um ihn öfter zu lesen. Er hat mich sehr interessirt, es war ein Irrthum, daß ich glaubte, das meiste davon sey schon im Druck benutzt: dieß ist nur bey ein paar kurzen Stellen der Fall, das übrige war mir ganz neu.
Madame Bernhardi läßt sich Ihnen angelegentlich empfehlen, ihr Befinden ist nur eben leidlich, sie sieht immer noch unter vielen Beschwerden ihrer Niederkunft entgegen. Sie werden sogleich Nachricht erhalten, da Sie ja nach der bewußten Verabredung mit dem Kindchen in geistliche Verwandtschaft treten, u sich ihm nicht wie die heilige Catharina, wenn es ein kleiner Heiland, sondern wenn es eine kleine Maria ist, antrauen wollen.
Leben Sie unterdessen recht wohl. Die verbindlichsten Grüße an Ihren H. Vater, an die Fräul. von Luck, an die schalkhafte Tochter und die munteren Knaben.
Ganz Ihr AWSchlegel,
d. 31. Oct.
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[1] Berlin d. 30 Sept. Dieß ist zwar ein unmögliches und unrichtiges Datum, denn an diesem Tage war ich noch in dem lieben Nennhausen, ich muß mich aber dennoch dabey behaupten. Bey der Erfindung rückwärts zu datiren darf ich zwar nicht auf Originalität Anspruch machen, ich will sie mir aber aneignen, indem ich es mit Vorbedacht und in einem andern Sinne thue. Die schönen herrlichen Tage in Nennhausen sollen noch nicht zu Ende seyn, sie sind es auch nicht: ich habe mich zuweilen erinnern müssen, daß es nur die lebhafte Erinnerung ist, wodurch ich sie fortsetze. Sogar die dort angenommenen Unarten habe ich nicht ablegen können, und zuweilen, wenn Bernhardi des Morgens zu mir herein gekommen ist, habe ich ihm zugerufen: das Ganze ist – dieß führt mich auf das, was ich schon lange auf dem Herzen gehabt: nämlich einzugestehn, daß ich mich dort recht thöricht betragen habe; die Freude machte mich so ausgelassen, daß ich nichts als Possen trieb und fast keinem ernsthaften Gespräche Raum gab. Desto ernstlicher habe ich mich seit meiner Zurückkunft mit Planen beschäftigt, wie ich dieß in Zukunft verbessern will, wie wir [2] Sie in Nennhausen besuchen und Sie nach Berlin hereinlocken wollen. Sie machen mir in Ihrem gütigen Briefe Vorwürfe über mein Stillschweigen, die mich um so mehr schmerzen, je sanfter sie ausgesprochen sind. Wie konnten Sie es nur für möglich halten, daß mir der Eindruck Ihrer Bekanntschaft, nun ihn vollends Ihre ganze freundliche Umgebung des würdigen Vaters, der schönen Kinder, des liebenswürdigen Fräulein von Luck, noch erhöhte, so bald wieder, daß er mir je sollte verlöschen können. Ich habe Ihnen wie ein ächter Idealist immerfort in Gedanken geschrieben, es ist nur nicht in Raum und Zeit zu Ihnen gelangt. Ich wünschte Ihnen zugleich melden zu können, daß ich an den wackern Freund Hülsen geschrieben; ein seit lange angefangner Brief liegt vor mir, den ich aber leider immer noch nicht zur Absendung vollendet habe. Bey meiner Zurückkunft nach Berlin fand ich einen Brief meines Bruders aus Paris vor, auf den ich ebenfalls noch nicht geantwortet habe. Ich lebte in der That diese Zeit her in manchen nothwendigen Arbeiten und unvermeidlichen Zersteuungen.
[3] Um diese armen Zeilen für die Zögerung in etwas zu bereichern, schicke ich Ihnen Aushängebogen von Novalis Schriften mit. Das Fragment aus dem 2.ten Theil des Ofterdingen wird Ihnen um so interessanter seyn, da Sie den ersten kürzlich gelesen. Auch kennen Sie die himmlischen Gedichte u einige von den geistlichen Liedern noch nicht. Ich rechne sicher darauf, daß Sie in ein paar Wochen nach Berlin kommen, u dann haben Sie wohl die Güte diese Bogen nebst dem ersten Bande mitzubringen.
Ferner lege ich eine kleine Schrift bey, worin ich für einen Freund die Feder gegen einen sehr boshaften Verläumdung geführt habe. Ich weiß nicht ob so schlechte Sachen als die allgemeine Literatur-Zeitung nach Nennhausen kommen dürfen; sollte dieß aber seyn, so würden Sie nächstens vermuthlich einen Anfall auf mich darin zu lesen bekommen, wovon es Ihnen doch lieb seyn möchte die Veranlassung zu wissen.
Endlich schicke ich Ihnen hier eine Ankündigung meiner Vorlesungen, die am 21sten Nov. anfangen, und wozu Sie bestens und schönstens eingeladen sind. Sie würden unstreitig viel [4] belebter und unterhaltender ausfallen, wenn ich hoffen dürfte, Sie beständig zur Zuhörerin zu haben; doch rechne ich darauf, Sie wenigstens ein oder ein paarmal darin zu sehen.
Den mitgenommenen Aufsatz von Hülsen bitte ich noch etwas behalten zu dürfen, um ihn öfter zu lesen. Er hat mich sehr interessirt, es war ein Irrthum, daß ich glaubte, das meiste davon sey schon im Druck benutzt: dieß ist nur bey ein paar kurzen Stellen der Fall, das übrige war mir ganz neu.
Madame Bernhardi läßt sich Ihnen angelegentlich empfehlen, ihr Befinden ist nur eben leidlich, sie sieht immer noch unter vielen Beschwerden ihrer Niederkunft entgegen. Sie werden sogleich Nachricht erhalten, da Sie ja nach der bewußten Verabredung mit dem Kindchen in geistliche Verwandtschaft treten, u sich ihm nicht wie die heilige Catharina, wenn es ein kleiner Heiland, sondern wenn es eine kleine Maria ist, antrauen wollen.
Leben Sie unterdessen recht wohl. Die verbindlichsten Grüße an Ihren H. Vater, an die Fräul. von Luck, an die schalkhafte Tochter und die munteren Knaben.
Ganz Ihr AWSchlegel,
d. 31. Oct.
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