• Caroline von Schelling an August Wilhelm von Schlegel

  • Absendeort: Jena · Empfangsort: Unbekannt · Datum: 16. November [1801]
Editionsstatus: Einmal kollationierter Druckvolltext mit Registerauszeichnung
    Briefkopfdaten
  • Absender: Caroline von Schelling
  • Empfänger: August Wilhelm von Schlegel
  • Absendeort: Jena
  • Empfangsort: Unbekannt
  • Datum: 16. November [1801]
  • Anmerkung: Datum (Jahr) sowie Absendeort erschlossen.
    Druck
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 370516575
  • Bibliographische Angabe: Schelling, Caroline von: Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hg. v. Erich Schmidt. Bd. 2. Leipzig 1913, S. 211‒215 u.S. 625‒626 (Kommentar).
  • Incipit: „[1] [Jena] Montag d. 16 Nov. [1801].
    Du guter lieber Schlegel, daß Du glücklich angekommen, ist mir in so weit recht lieb [...]“
    Handschrift
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36905
  • Signatur: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.22,Nr.7
  • Blatt-/Seitenzahl: 8 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 18,8 x 11,6 cm
    Sprache
  • Deutsch
[1] [Jena] Montag d. 16 Nov. [1801].
Du guter lieber Schlegel, daß Du glücklich angekommen, ist mir in so weit recht lieb ‒ nehmlich in so weit Du keine Beschwerde davon auszustehn hattest, die doch einigermaßen nicht gering gewesen zu seyn scheint, weswegen ich denn auch allenthalben Lärm geschlagen habe, und wenn Tiek und Dein Bruder dereinst kommen sollten, werden sie wohl über Halle gehn. Dem ersten flüchtigen Künstler ist das große Unglück begegnet, daß sie ihm seine Form des Goethe sehr schlecht gemacht haben, so daß er nun sehr viel damit zu thun hat, um die Büsten dem ungeachtet sehr gut heraus zu bringen; und dem andern, welches der schwerfällige Künstler ist, fleckt es mit dem ersten Akt auch nicht so, wie man wohl dachte, kurz und gut, diese Woche wird noch nichts daraus. Auf den Sonnabend ist Nathan der Weise. Ich hoffe hinüberzugehn, denn ich bin heut recht gesund, dann bringen wir Tiek mit. Von uns weg ging er zu Fuß ‒ ich lag [2] auf dem Sopha in großen Leiden, gab ihm aber Schelling und Julchen bis über die Mühlen im Thale hinaus mit, die mir denn ein lebendiges tableau davon mitbrachten, wie er in seinem abgeschabten Rock, an dem einen kein Häärchen mehr reibt, wenn man drüber hinfährt (unter uns, ich habe es probirt, wie ich hinter ihm stand, derweil er Schelling zeichnete), mit einem Stabe, in der Tasche nichts als eine Rolle Papier, die lang heraus guckte, die Heerstraße hinauf gewandelt ist, ganz dünn, dünn, und die blonden Haare ihm ins Gesicht flatternd. Einige Silberthaler hab ich ihm doch noch mitgegeben, für Schellings Bild 2 Carolin. Er wollte durchaus nicht mehr, denn er sagte, er hätte jeden Tag noch überdem 1 rh. hier erspart und viel dabey gelernt, weil es doch sein erstes großes Bild ist. Die Ähnlichkeit ist vollkommen heraus gebracht, es ist ein durchaus wahres Bild. Nur die Stellung [3] des Körpers ist ihm nicht frey genug gerathen. Goethe ist auch sehr zufrieden damit, er trug es ihm hin, und Mephistopheles, der mich besuchte und es bey G. gesehn hatte, machte in Absicht der Manier die Bemerkung darüber, daß es ganz plastisch gebildet seye, gleichsam modellirt im crayon statt im Thon. Streng ist freylich die Manier nicht, und ein jeder muß einsehn, daß die Zeichnung von Bury in Absicht auf die Zeichnung ein ganz ander Ding ist. Mephistopheles meynte auch, ungeachtet seines Glücks in der Ähnlichkeit könnte Tiek freylich noch Jahr und Tag nöthig haben, ehe er auf eine andre Art als diese schwarze Kunst ein gutes Bild zu Stande brächte. Übrigens hat er mir nun offiziel bekannt, daß Nahl und Hofmann den Preis haben für den Achill auf Scyros, und zwar Nahl den ersten, die Flußgötter aber gar keinen, indem hier keiner den Gedanken recht gefaßt, gepackt und ausgedrückt habe. Sie aber, diese Vortreflichen, gehn stets auf den Gedanken; wie sie aber [4] im Nahl einen zusammen buchstabiren werden, das möcht ich wissen, denn da manifestirt eben gar kein Gedanke. Hummel würde man ohne Bedenken in der Ausführung oben an setzen, allein im Gedanken sey er grade am meisten Null, ganz und gar durchweg gekommen, wie sies auf die Capelle gebracht hätten; dieser sey in seiner Deidamia so übel nicht, und es wär darin ein guter Wille nicht recht zum Durchbruch gelangt. O er hat mir recht viel gesagt ohne Rückhaltungen. Tiek wird Nr. 3 seyn und vermuthlich so viel an Lob kriegen wie jene an Preis. Von der Büste sagte er, sie sey über seine Erwartung gut, (der Satan!) denn er habe durch die Ausführung und das Detail, die sehr fleißig seyen, der ersten schönen Anlage nichts genommen.
Goethe hat mir den Flaxmann noch einmal schicken müssen, den er mit hier hatte. Zum Unglück war Tiek schon weg, der ihn aber auch schon einmal flüchtig [5] hier durchblickt hat. Dante und die Trauerspiele sind mir gleich schön erschienen wie das erstemal, besonders Dante noch mehr. In der Ilias und Odyssee sind viel schwache Blätter, allein seine Flußgötter würden gewiß den Preis verdient, vielleicht auch davon getragen haben. Es ist eine vortrefliche Verbindung zwischen dem Streitenden und den zwey Wiedersachern, diese wachsen aus dem Fluße und mit ihm zusammen und die Leichen der Trojaner werden geschleudert, wie es sich gehört. ‒ Loder ist so entzückt über die Ähnlichkeit in Schellings Bild, daß er mich schon gefragt hat, was Tieks Preis für eine Büste wohl sey. ‒ Vorgestern haben die Professoren den Liev und Curländern das Souper mit einem Ball vergolten, wo Julchen auch war ‒ von jungen Herren aber auch kein einziger als obgemeldete, deren es an 50 allhier giebt. Sie sind aber noch zur Zeit alle dumm, halten sich [6] in der Philosophie an Ulrich und in der Liebe an Mad. Schütz, also prädominirt die alte Babel über sie. Dieser Winter wird sie Dir aber hoffentlich für künftigen Sommer schon in die Hände poliren.
Mit großen Verlangen erwarte ich Deine nächsten Nachrichten ‒ möge Dir Alles nach Wunsch gehn!
Wir haben den Falk gelesen, Tiek hat mir draus vorlesen müssen. Er zappelte mit Händen und Füßen dabey und wolte doch selbst nicht ablassen. Von Ludwig Tiek ist dies mal alles still, von Dir viel dummes nesthaftes Zeugs und Raisonnement und über die Übersetzung des Shakespear. Der Ausdruck wäre nicht plastisch genug wieder gegeben, und sie sey zu hochdeutsch. Will sich der Elende vielleicht wirklich einen Weg bahnen sie selbst zu übernehmen? Außerdem wieder lauter Pfähle von anderer Ideen, an denen er sich herumrankt ‒ [7] so Goethes Eintheilung der Künstler. Du bist ein Imaginant, Friedrich ein Phantast. Das Beste ist ein Amphytrion ‒ und welch ein Amphytrion? oder vielmehr welch ein Jupiter! Denn er läßt sich durch Alkmenes Anständigkeit und gute Sitte bewegen seinen Vorsatz nicht auszuführen, enfin nicht mit ihr eine Nacht zuzubringen, und so kommt natürlich auch kein Herkules zu Stande ‒ findest Du das nicht prächtig? er fürchtet sich vor seiner Keule. ‒ Weit entfernt also, daß der Mensch Spaß machen sollte, schneidet er vielmehr den alltäglichsten Spaß noch ab. ‒ Schelling hat gegen Goethe auch mit seiner ganzen Indignation über ihn gesprochen, und er hat ihm fast zugesagt, er wollte auch kein Wort wieder mit ihm wechseln.
Ich nahm Dein Verzeichniß und suchte die Bücher aus, weil ich Carl Schelling Deine Stube gegeben habe. Es sind ihrer sehr viele, mein Freund, so daß ich schon den Entschluß gefaßt hatte sie nicht ohne weitern Bescheid abzu[8]schicken ...
Fiorillo hat die lezten Bogen noch geschickt und seinen Zettel mache ich zum Couvert von diesem Brief.
Himlys Beyfall ist gering, er hat nur einige zwanzig Zuhörer. Er hat mich besucht. Ich bin einmal ausgewesen, seit Du weg bist, bey der Lodern, und vielmal krank an Kopfschmerzen, aber lasse Dir es nur gut gehn und schicke bald liqueure, nach denen ich eine gewisse Sehnsucht empfinde, so soll mich weiter nichts anfechten.
Die Meinigen grüßen Dich, und ich grüße die Deinigen. Wie stehts? meynen Bernhardis noch immer, daß sie einen sanftmüthigen Hausgenossen an Dir haben? Hast Du das Rauhe noch nicht herausgekehrt? Adieu, mein liebes gutes Herz.

PS. Ich habe auch heut 3 rh. aus Deinen alten Röcken gelößt.
[1] [Jena] Montag d. 16 Nov. [1801].
Du guter lieber Schlegel, daß Du glücklich angekommen, ist mir in so weit recht lieb ‒ nehmlich in so weit Du keine Beschwerde davon auszustehn hattest, die doch einigermaßen nicht gering gewesen zu seyn scheint, weswegen ich denn auch allenthalben Lärm geschlagen habe, und wenn Tiek und Dein Bruder dereinst kommen sollten, werden sie wohl über Halle gehn. Dem ersten flüchtigen Künstler ist das große Unglück begegnet, daß sie ihm seine Form des Goethe sehr schlecht gemacht haben, so daß er nun sehr viel damit zu thun hat, um die Büsten dem ungeachtet sehr gut heraus zu bringen; und dem andern, welches der schwerfällige Künstler ist, fleckt es mit dem ersten Akt auch nicht so, wie man wohl dachte, kurz und gut, diese Woche wird noch nichts daraus. Auf den Sonnabend ist Nathan der Weise. Ich hoffe hinüberzugehn, denn ich bin heut recht gesund, dann bringen wir Tiek mit. Von uns weg ging er zu Fuß ‒ ich lag [2] auf dem Sopha in großen Leiden, gab ihm aber Schelling und Julchen bis über die Mühlen im Thale hinaus mit, die mir denn ein lebendiges tableau davon mitbrachten, wie er in seinem abgeschabten Rock, an dem einen kein Häärchen mehr reibt, wenn man drüber hinfährt (unter uns, ich habe es probirt, wie ich hinter ihm stand, derweil er Schelling zeichnete), mit einem Stabe, in der Tasche nichts als eine Rolle Papier, die lang heraus guckte, die Heerstraße hinauf gewandelt ist, ganz dünn, dünn, und die blonden Haare ihm ins Gesicht flatternd. Einige Silberthaler hab ich ihm doch noch mitgegeben, für Schellings Bild 2 Carolin. Er wollte durchaus nicht mehr, denn er sagte, er hätte jeden Tag noch überdem 1 rh. hier erspart und viel dabey gelernt, weil es doch sein erstes großes Bild ist. Die Ähnlichkeit ist vollkommen heraus gebracht, es ist ein durchaus wahres Bild. Nur die Stellung [3] des Körpers ist ihm nicht frey genug gerathen. Goethe ist auch sehr zufrieden damit, er trug es ihm hin, und Mephistopheles, der mich besuchte und es bey G. gesehn hatte, machte in Absicht der Manier die Bemerkung darüber, daß es ganz plastisch gebildet seye, gleichsam modellirt im crayon statt im Thon. Streng ist freylich die Manier nicht, und ein jeder muß einsehn, daß die Zeichnung von Bury in Absicht auf die Zeichnung ein ganz ander Ding ist. Mephistopheles meynte auch, ungeachtet seines Glücks in der Ähnlichkeit könnte Tiek freylich noch Jahr und Tag nöthig haben, ehe er auf eine andre Art als diese schwarze Kunst ein gutes Bild zu Stande brächte. Übrigens hat er mir nun offiziel bekannt, daß Nahl und Hofmann den Preis haben für den Achill auf Scyros, und zwar Nahl den ersten, die Flußgötter aber gar keinen, indem hier keiner den Gedanken recht gefaßt, gepackt und ausgedrückt habe. Sie aber, diese Vortreflichen, gehn stets auf den Gedanken; wie sie aber [4] im Nahl einen zusammen buchstabiren werden, das möcht ich wissen, denn da manifestirt eben gar kein Gedanke. Hummel würde man ohne Bedenken in der Ausführung oben an setzen, allein im Gedanken sey er grade am meisten Null, ganz und gar durchweg gekommen, wie sies auf die Capelle gebracht hätten; dieser sey in seiner Deidamia so übel nicht, und es wär darin ein guter Wille nicht recht zum Durchbruch gelangt. O er hat mir recht viel gesagt ohne Rückhaltungen. Tiek wird Nr. 3 seyn und vermuthlich so viel an Lob kriegen wie jene an Preis. Von der Büste sagte er, sie sey über seine Erwartung gut, (der Satan!) denn er habe durch die Ausführung und das Detail, die sehr fleißig seyen, der ersten schönen Anlage nichts genommen.
Goethe hat mir den Flaxmann noch einmal schicken müssen, den er mit hier hatte. Zum Unglück war Tiek schon weg, der ihn aber auch schon einmal flüchtig [5] hier durchblickt hat. Dante und die Trauerspiele sind mir gleich schön erschienen wie das erstemal, besonders Dante noch mehr. In der Ilias und Odyssee sind viel schwache Blätter, allein seine Flußgötter würden gewiß den Preis verdient, vielleicht auch davon getragen haben. Es ist eine vortrefliche Verbindung zwischen dem Streitenden und den zwey Wiedersachern, diese wachsen aus dem Fluße und mit ihm zusammen und die Leichen der Trojaner werden geschleudert, wie es sich gehört. ‒ Loder ist so entzückt über die Ähnlichkeit in Schellings Bild, daß er mich schon gefragt hat, was Tieks Preis für eine Büste wohl sey. ‒ Vorgestern haben die Professoren den Liev und Curländern das Souper mit einem Ball vergolten, wo Julchen auch war ‒ von jungen Herren aber auch kein einziger als obgemeldete, deren es an 50 allhier giebt. Sie sind aber noch zur Zeit alle dumm, halten sich [6] in der Philosophie an Ulrich und in der Liebe an Mad. Schütz, also prädominirt die alte Babel über sie. Dieser Winter wird sie Dir aber hoffentlich für künftigen Sommer schon in die Hände poliren.
Mit großen Verlangen erwarte ich Deine nächsten Nachrichten ‒ möge Dir Alles nach Wunsch gehn!
Wir haben den Falk gelesen, Tiek hat mir draus vorlesen müssen. Er zappelte mit Händen und Füßen dabey und wolte doch selbst nicht ablassen. Von Ludwig Tiek ist dies mal alles still, von Dir viel dummes nesthaftes Zeugs und Raisonnement und über die Übersetzung des Shakespear. Der Ausdruck wäre nicht plastisch genug wieder gegeben, und sie sey zu hochdeutsch. Will sich der Elende vielleicht wirklich einen Weg bahnen sie selbst zu übernehmen? Außerdem wieder lauter Pfähle von anderer Ideen, an denen er sich herumrankt ‒ [7] so Goethes Eintheilung der Künstler. Du bist ein Imaginant, Friedrich ein Phantast. Das Beste ist ein Amphytrion ‒ und welch ein Amphytrion? oder vielmehr welch ein Jupiter! Denn er läßt sich durch Alkmenes Anständigkeit und gute Sitte bewegen seinen Vorsatz nicht auszuführen, enfin nicht mit ihr eine Nacht zuzubringen, und so kommt natürlich auch kein Herkules zu Stande ‒ findest Du das nicht prächtig? er fürchtet sich vor seiner Keule. ‒ Weit entfernt also, daß der Mensch Spaß machen sollte, schneidet er vielmehr den alltäglichsten Spaß noch ab. ‒ Schelling hat gegen Goethe auch mit seiner ganzen Indignation über ihn gesprochen, und er hat ihm fast zugesagt, er wollte auch kein Wort wieder mit ihm wechseln.
Ich nahm Dein Verzeichniß und suchte die Bücher aus, weil ich Carl Schelling Deine Stube gegeben habe. Es sind ihrer sehr viele, mein Freund, so daß ich schon den Entschluß gefaßt hatte sie nicht ohne weitern Bescheid abzu[8]schicken ...
Fiorillo hat die lezten Bogen noch geschickt und seinen Zettel mache ich zum Couvert von diesem Brief.
Himlys Beyfall ist gering, er hat nur einige zwanzig Zuhörer. Er hat mich besucht. Ich bin einmal ausgewesen, seit Du weg bist, bey der Lodern, und vielmal krank an Kopfschmerzen, aber lasse Dir es nur gut gehn und schicke bald liqueure, nach denen ich eine gewisse Sehnsucht empfinde, so soll mich weiter nichts anfechten.
Die Meinigen grüßen Dich, und ich grüße die Deinigen. Wie stehts? meynen Bernhardis noch immer, daß sie einen sanftmüthigen Hausgenossen an Dir haben? Hast Du das Rauhe noch nicht herausgekehrt? Adieu, mein liebes gutes Herz.

PS. Ich habe auch heut 3 rh. aus Deinen alten Röcken gelößt.
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