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Ich füge nur noch hinzu, daß ich Albert sehr dankbar für die Lateinstunden bin, die er Dir gibt; er tut auch gut daran, Dir ab und zu einen Klaps zu geben, ob Du es richtig oder falsch machst: die Dinge prägen sich so dem Gedächtnis besser ein.<lb/>Leb’ wohl, meine liebe und wahrhaft liebenswürdige Albertine. Ich werde oft hier nach Dir gefragt, denn es hat sich in der Gesellschaft ein – zweifellos übertriebenes – Gerücht – wie alle Gerüchte, die von außen kommen – verbreitet, Du seiest ganz reizend.</p>', '36_xml_standoff' => '[Freitag] Bern, den 3. Januar 1812.<lb/>Liebe Albertine!<lb/>Obgleich ich meinen kleinen Mann, der Dir ein glückliches neues Jahr wünscht, schon als Brief rechnen könnte, antworte ich zunächst auf Dein ganz reizendes Schreiben, weil ich großen Wert darauf lege, daß zwischen uns ein reger Briefwechsel zustandekommt. Du machst richtige und feine Bemerkungen über den Geist Deiner Frau Mutter, und ich teile ganz und gar Deine Eindrücke. Ich glaube, Deine Klagen über die Langeweile, die Dir Deine Umgebung einflößt, werden sofort verstummen, sobald sie erst wiederhergestellt ist. Das wird, wie ich hoffe, bald der Fall sein, besonders wenn Du dafür sorgst, daß sie sich ordentlich pflegt. So unpäßlich, wie sie ist, hat sie natürlich keine Lust, die Unterhaltung zu leiten, denn sie ist ja in Wahrheit nicht nur selber anregend – sie hat auch die Gabe, andere anregend zu machen, wofern diese nur ein wenig Anlage dazu haben.<lb/>Du weißt doch sicher genau, daß Bern nicht eine Stadt ist, in der man sich fabelhaft amüsiert; trotzdem bot die Stadt in den letzten Tagen des Jahres ganz gegen ihre Gewohnheit ein bewegtes Bild. Es war Weihnachtsmarkt; alle Buden hatten viel Flitterkram für Kinder und für Große ausgelegt; Jeder macht hier nämlich dem anderen zu Neujahr Geschenke: Eltern und Kinder, Frauen und Männer, Brüder und Schwestern, Freunde untereinander u. s. w. ... Das ist wirklich nett und nachahmenswert. Ich glaube, ich würde mir die Geschenke nicht so genau ansehen, auch wenn sie einige Tage zu spät kämen. Am Abend vor dem Neujahrstag liefen einige Masken aus dem Volke durch die Arkaden, genau so wie bei Eurem Karneval. Am 1. Januar war ich auf einem Subskriptionsball, der alle vierzehn Tage stattfindet und zu dem man mich als Fremden eingeladen hatte. Der Saal ist sehr hübsch; er hat Estraden und Logen, die ringsherum laufen, und es wurden Berner Allemanden so kräftig getanzt, daß man meinte, der Fußboden müsse springen. Am gleichen Abend war ich noch bei einem sehr lustigen Essen. Eine Lotterie von allen möglichen Kleinigkeiten wurde veranstaltet und mit pompösen Worten angekündigt. Ich erhielt zwei sogenannte Paradiesvogelfedern. Während der Vorbereitung zur Lotterie gab es ein paar ausgelassene Darbietungen, und Herr Heer, Landammann von Glarus und augenblicklich hier als Abgeordneter, der gewöhnlich sehr schweigsam ist, trug plötzlich eine Schweizer Dialekterzählung vor; dabei machte er Grimassen, die so sehr mit seinem an sich finsteren Gesicht in Gegensatz standen, daß ich eine Viertelstunde lang lachen mußte.<lb/>Die Kälte ist noch immer außerordentlich stark – die eine Hälfte des Tages verbringe ich damit, mich am Ofen zu wärmen, die andere damit, wieder durchzufrieren, indem ich mich von ihm entferne, wie gerade jetzt. Ich will nun nicht mit dem Satz schließen, den Fr[au] von St[aël] so sehr haßt: ›ich schließe, weil der Postwagen abgeht‹, aber ich muß doch Schluß machen, weil meine Finger vor Kälte ganz starr sind. Ich füge nur noch hinzu, daß ich Albert sehr dankbar für die Lateinstunden bin, die er Dir gibt; er tut auch gut daran, Dir ab und zu einen Klaps zu geben, ob Du es richtig oder falsch machst: die Dinge prägen sich so dem Gedächtnis besser ein.<lb/>Leb’ wohl, meine liebe und wahrhaft liebenswürdige Albertine. 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[Freitag] Bern, den 3. Januar 1812.
Liebe Albertine!
Obgleich ich meinen kleinen Mann, der Dir ein glückliches neues Jahr wünscht, schon als Brief rechnen könnte, antworte ich zunächst auf Dein ganz reizendes Schreiben, weil ich großen Wert darauf lege, daß zwischen uns ein reger Briefwechsel zustandekommt. Du machst richtige und feine Bemerkungen über den Geist Deiner Frau Mutter, und ich teile ganz und gar Deine Eindrücke. Ich glaube, Deine Klagen über die Langeweile, die Dir Deine Umgebung einflößt, werden sofort verstummen, sobald sie erst wiederhergestellt ist. Das wird, wie ich hoffe, bald der Fall sein, besonders wenn Du dafür sorgst, daß sie sich ordentlich pflegt. So unpäßlich, wie sie ist, hat sie natürlich keine Lust, die Unterhaltung zu leiten, denn sie ist ja in Wahrheit nicht nur selber anregend – sie hat auch die Gabe, andere anregend zu machen, wofern diese nur ein wenig Anlage dazu haben.
Du weißt doch sicher genau, daß Bern nicht eine Stadt ist, in der man sich fabelhaft amüsiert; trotzdem bot die Stadt in den letzten Tagen des Jahres ganz gegen ihre Gewohnheit ein bewegtes Bild. Es war Weihnachtsmarkt; alle Buden hatten viel Flitterkram für Kinder und für Große ausgelegt; Jeder macht hier nämlich dem anderen zu Neujahr Geschenke: Eltern und Kinder, Frauen und Männer, Brüder und Schwestern, Freunde untereinander u. s. w. ... Das ist wirklich nett und nachahmenswert. Ich glaube, ich würde mir die Geschenke nicht so genau ansehen, auch wenn sie einige Tage zu spät kämen. Am Abend vor dem Neujahrstag liefen einige Masken aus dem Volke durch die Arkaden, genau so wie bei Eurem Karneval. Am 1. Januar war ich auf einem Subskriptionsball, der alle vierzehn Tage stattfindet und zu dem man mich als Fremden eingeladen hatte. Der Saal ist sehr hübsch; er hat Estraden und Logen, die ringsherum laufen, und es wurden Berner Allemanden so kräftig getanzt, daß man meinte, der Fußboden müsse springen. Am gleichen Abend war ich noch bei einem sehr lustigen Essen. Eine Lotterie von allen möglichen Kleinigkeiten wurde veranstaltet und mit pompösen Worten angekündigt. Ich erhielt zwei sogenannte Paradiesvogelfedern. Während der Vorbereitung zur Lotterie gab es ein paar ausgelassene Darbietungen, und Herr Heer, Landammann von Glarus und augenblicklich hier als Abgeordneter, der gewöhnlich sehr schweigsam ist, trug plötzlich eine Schweizer Dialekterzählung vor; dabei machte er Grimassen, die so sehr mit seinem an sich finsteren Gesicht in Gegensatz standen, daß ich eine Viertelstunde lang lachen mußte.
Die Kälte ist noch immer außerordentlich stark – die eine Hälfte des Tages verbringe ich damit, mich am Ofen zu wärmen, die andere damit, wieder durchzufrieren, indem ich mich von ihm entferne, wie gerade jetzt. Ich will nun nicht mit dem Satz schließen, den Fr[au] von St[aël] so sehr haßt: ›ich schließe, weil der Postwagen abgeht‹, aber ich muß doch Schluß machen, weil meine Finger vor Kälte ganz starr sind. Ich füge nur noch hinzu, daß ich Albert sehr dankbar für die Lateinstunden bin, die er Dir gibt; er tut auch gut daran, Dir ab und zu einen Klaps zu geben, ob Du es richtig oder falsch machst: die Dinge prägen sich so dem Gedächtnis besser ein.
Leb’ wohl, meine liebe und wahrhaft liebenswürdige Albertine. Ich werde oft hier nach Dir gefragt, denn es hat sich in der Gesellschaft ein – zweifellos übertriebenes – Gerücht – wie alle Gerüchte, die von außen kommen – verbreitet, Du seiest ganz reizend.
Liebe Albertine!
Obgleich ich meinen kleinen Mann, der Dir ein glückliches neues Jahr wünscht, schon als Brief rechnen könnte, antworte ich zunächst auf Dein ganz reizendes Schreiben, weil ich großen Wert darauf lege, daß zwischen uns ein reger Briefwechsel zustandekommt. Du machst richtige und feine Bemerkungen über den Geist Deiner Frau Mutter, und ich teile ganz und gar Deine Eindrücke. Ich glaube, Deine Klagen über die Langeweile, die Dir Deine Umgebung einflößt, werden sofort verstummen, sobald sie erst wiederhergestellt ist. Das wird, wie ich hoffe, bald der Fall sein, besonders wenn Du dafür sorgst, daß sie sich ordentlich pflegt. So unpäßlich, wie sie ist, hat sie natürlich keine Lust, die Unterhaltung zu leiten, denn sie ist ja in Wahrheit nicht nur selber anregend – sie hat auch die Gabe, andere anregend zu machen, wofern diese nur ein wenig Anlage dazu haben.
Du weißt doch sicher genau, daß Bern nicht eine Stadt ist, in der man sich fabelhaft amüsiert; trotzdem bot die Stadt in den letzten Tagen des Jahres ganz gegen ihre Gewohnheit ein bewegtes Bild. Es war Weihnachtsmarkt; alle Buden hatten viel Flitterkram für Kinder und für Große ausgelegt; Jeder macht hier nämlich dem anderen zu Neujahr Geschenke: Eltern und Kinder, Frauen und Männer, Brüder und Schwestern, Freunde untereinander u. s. w. ... Das ist wirklich nett und nachahmenswert. Ich glaube, ich würde mir die Geschenke nicht so genau ansehen, auch wenn sie einige Tage zu spät kämen. Am Abend vor dem Neujahrstag liefen einige Masken aus dem Volke durch die Arkaden, genau so wie bei Eurem Karneval. Am 1. Januar war ich auf einem Subskriptionsball, der alle vierzehn Tage stattfindet und zu dem man mich als Fremden eingeladen hatte. Der Saal ist sehr hübsch; er hat Estraden und Logen, die ringsherum laufen, und es wurden Berner Allemanden so kräftig getanzt, daß man meinte, der Fußboden müsse springen. Am gleichen Abend war ich noch bei einem sehr lustigen Essen. Eine Lotterie von allen möglichen Kleinigkeiten wurde veranstaltet und mit pompösen Worten angekündigt. Ich erhielt zwei sogenannte Paradiesvogelfedern. Während der Vorbereitung zur Lotterie gab es ein paar ausgelassene Darbietungen, und Herr Heer, Landammann von Glarus und augenblicklich hier als Abgeordneter, der gewöhnlich sehr schweigsam ist, trug plötzlich eine Schweizer Dialekterzählung vor; dabei machte er Grimassen, die so sehr mit seinem an sich finsteren Gesicht in Gegensatz standen, daß ich eine Viertelstunde lang lachen mußte.
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Leb’ wohl, meine liebe und wahrhaft liebenswürdige Albertine. Ich werde oft hier nach Dir gefragt, denn es hat sich in der Gesellschaft ein – zweifellos übertriebenes – Gerücht – wie alle Gerüchte, die von außen kommen – verbreitet, Du seiest ganz reizend.
· Original , 03.01.1812
· Pange, Pauline de: Auguste-Guillaume Schlegel et Madame de Staël d’apres des documents inédits. Paris 1938, S. 340‒341.
· Pange, Pauline de: Auguste-Guillaume Schlegel et Madame de Staël d’apres des documents inédits. Paris 1938, S. 340‒341.