• August Wilhelm von Schlegel to August Böckh

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Unknown · Date: 19.09.1837
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: August Böckh
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 19.09.1837
  • Notations: Beilage dazu: s. Körner 1930, Bd. 2, S. 242f.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 343347008
  • Bibliography: Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Gesammelt und erläutert durch Josef Körner. Bd. 1. Zürich u.a. 1930, S. 527‒532.
  • Incipit: „Bonn d. 19 Sept. [18]37
    Sie haben mir, mein hochverehrter Freund, eine große Freude gewährt, durch Ihren Brief und Ihre Abhandlung; auch [...]“
    Language
  • German
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Bonn d. 19 Sept. [18]37
Sie haben mir, mein hochverehrter Freund, eine große Freude gewährt, durch Ihren Brief und Ihre Abhandlung; auch der Akademie bitte ich für die Sendung meinen besten Dank zu sagen. Wo bekommen Sie nur Zeit und Kräfte her, zu allem was Sie unternehmen und ausführen? Ihre Babylonische Untersuchung liegt weit über den Kreis meiner Kenntnisse hinaus: aber sie interessirt mich lebhaft, so wie alles was auf frühe wissenschaftliche Mittheilungen unter den Völkern des Alterthums Bezug hat. Ich sehe, Sie sind auf dem entgegengesetzten Wege mit Letronne, und was die Richtung betrifft, bin ich ganz mit Ihnen. Letronne hat mir einen üblen Streich gespielt: ich denke, ohne böse Absicht, wohl nur aus Eitelkeit. Denn wir waren seit dem Herbste [18]31 in dem freundschaftlichsten Verhältnisse; ja ich glaube, er wünscht gar sehr mich zum Bundesgenossen gegen Raoul-Rochette und dessen Anhang zu haben. Ohne Zweifel ist seine Schrift Sur lʼorigine grecque des zodiaques prétendus égyptiens, in Ihren Händen; widrigen Falles werden Sie sich in Berlin leicht die Revue des deux mondes verschaffen können. Lesen Sie doch die Note p. 26, dann die beiliegende Abschrift meines Briefes an ihn, so sind Sie von der ganzen Lage der Sache unterrichtet. Eigentlich ist es unerlaubt, Gespräche ohne besondere Einwilligung drucken zu lassen; ich war berechtigt, meine Protestation sogleich öffentlich zu machen: aber ich will gern alle Feindseligkeit vermeiden. Doch habe ich nöthig gefunden, die größte Zurückhaltung zu beobachten. Sie glauben mir wohl, daß ich seinen negativen Argumenten positive entgegen zu setzen habe: aber ich werde mich wohl hüten, meine Trumpfe unter dem Tische auszuspielen. Alles muß dem Drucke vorbehalten bleiben. Aber dazu habe ich jetzt keine Muße. Die Sache ist mir höchst verdrießlich, und hat mich einigeTage hindurch recht unglücklich gemacht. Hätte er nur meinen Namen aus dem Spiele gelassen, so hätte er an den hölzernen Haken der Neuheit des Zodiacus von Tentyra so viel verzweiflungsvolle Hypothesen hängen mögen, als er wollte. Aber seine Folgerungen geben auf nichts geringeres aus, als auf den Umsturz des ganzen Indischen Alterthums. Und dazu soll ich meine Zustimmung gegeben haben! Und er zitirt mich zwischen von Bohlen und Stuhr! Welche Nachbarschaft!
Wie schmerzlich vermisse ich hiebei die mündliche Mittheilung mit Ihnen! Sie sind ja doch der einzige wahre Realist unter unsern Philologen. Bei den Nominalisten ist in solchen Dingen kein Trost zu holen. Ich habe mich einmal vergeblich bemüht, einen scharfsinnigen Kritiker zu überzeugen, daß der Stern der Venus, am nächsten Morgen nach dem Abend wo er als Hesperus erschienen war, nicht als Lucifer der Sonne vorangehen könne. Der wußte also noch weniger als ich: das will viel sagen. Ich habe gar keine einseitige Vorliebe für die Indier. Tros Rutulusve fuat! Die Babylonier, Aegyptier und Brahmanen haben gleichermaßen Anspruch auf frühen Anbau der Astronomie. Die Sternbilder im allgemeinen sind, meines Erachtens, ein uraltes mnemonisches Hülfsmittel, um sich in dem zahllosen Gewimmel des gestirnten Himmels zu orientiren. Sie haben sich nachher vermöge der Mythologie und andrer Anlässe mannichfaltig modifizirt; die zwölf Bilder des Thierkreises aber haben sich wegen ihres unendlich häufigen Gebrauchs zur Zeitbestimmung ziemlich unverändert erhalten, und rühren aus einer gemeinsamen Quelle her.
Alles im alten Indien ist original; alles trägt das Gepräge des schöpferischen, erfinderischen, speculativen Geistes. Auch ihre Astronomischen Irrthümer sind wenigstens ihre eignen.
Letronneʼs Behauptungen liegen vor uns; meine Ansichten habe ich, zwar nur sehr flüchtig, in der Vorrede zum Prichard angedeutet. Wenn ich Ihnen alles schreiben wollte, was mir eben jetzt in diesen Tagen zum Behuf der Widerlegung eingefallen ist, so würde dieser Brief niemals fertig.
Wir Indianisten stehen eigentlich im Nachtheil gegen negative Köpfe, die kein Sanskrit wissen. Denn es wird schwer halten, ihnen Erscheinungen anschaulich zu machen, die in der ganzen Geschichte des menschlichen Geistes unvergleichbar bleiben. Wenn es nun vollends an gutem Willen fehlt, so sollte man sich gar nicht einlassen.
Lesen Sie doch, was ich in der Ind. Bibl. B. II, p. 223 über den Homochronismus gesagt. Lassen (in Ewalds Zeitschrift) nennt es sehr treffend die Gegenseitigkeit. Eins setzt das andre voraus, und wird wieder von demselben vorausgesetzt. Ich möchte sagen: bei der kritischen Betrachtung jedes Alt-Indischen Geisteserzeugnisses wird man wie in einer Spiral-Linie gegen ein unerschwinglich hohes Alterthum hinaufgewunden.
Ein Beispiel wird dieß deutlich machen. Die beiden Quellen der Brahmanischen Religionslehre sind die Vedaʼs und das Gesetzbuch des Manus. Wir kennen nichts, was zwischen beiden mitten innen läge. Die Vedaʼs collectiv heißen çruti, auditio, das Gesetz smriti, memoria: diese Namen beweisen unwidersprechlich, daß mündliche Überlieferung der schriftlichen voranging. Das Gesetzbuch des Manus trägt die Kennzeichen hohen Alterthums an sich, sowohl im Stil, als in Gesetzen, die schon vor Menschengedenken obsolet waren. Daneben entwickelte sich die Metaphysik: orthodoxe und heterodoxe Systeme kamen zum Vorschein. Nun heißt es im 2ten Cap. des Manus: „Ein Brahmane der, im Vertrauen auf philosophische Lehrbücher, jene beiden Auctoritäten gering schätzt, muß aus der Gesellschaft aller Guten verstoßen werden, als ein Atheist und ein Veda-Schänder.“ So alt war also die Freigeisterei! Und doch ist es, bei dem politischen Vorrange der Brahmanen und ihrem geheiligten Ansehen glaublich, daß die negativen Systeme sich nur schüchtern und verhältnißmäßig spät ans Licht gewagt haben werden.
Letronne steift sich auf das geringe Alter der ältesten vorhandenen astronomischen Lehrbücher. Was dieß betrifft, so will ich schon mit ihm fertig werden. Erstlich könnten wohl noch ältere aufgefunden werden als bisher. Colebrooke, als Mitglied des obersten Staatsrathes über alle Mittel gebietend, konnte sich noch kein Original-Werk von Ârya-bhaṫṫa verschaffen: in Mackenzieʼs Catalog steht schon eines, oder gar zwei.
Ferner weisen die vorhandenen Lehrbücher auf frühere zurück. Theils ausdrücklich, durch Citationen: auf dieses Mittel der relativen Zeitbestimmung hat sich Colebrooke besonders verlegt; theils durch die Form des wissenschaftlichen Vortrags; dieß ist mein Lieblingsbeweis.
Ich las vor einiger Zeit die ersten beiden Bücher des Euklides, mit ungemeinem Vergnügen, ich kann sagen, mit Entzücken. Welche Einfachheit und Klarheit! Welche Sauberkeit der Behandlung! Es bewährt sich darin der reine Geschmack und der künstlerische Sinn der Griechen. Es ist die Vollkommenheit für den Elementar-Unterricht.
Gleich vollkommen ist nun der Vortrag der Indischen Mathematiker und Astronomen, aber es ist das entgegengesetzte Äußerste. Diese Männer scheinen für Leser zu schreiben, die schon alles wissen: andre müssen es freilich sehr abstrus finden. Da ist eine Prägnanz, ein Lakonismus ohne Unbestimmtheit, dazu eine Fülle der zweckmäßigsten Terminologie. Alles dieß nun metrisch zusammengefugt, und die ungeheuersten Zahlen durch die technische Bezeichnungsweise sicher gegen jede Verfälschung felsenfest aufgestellt. (cf. Réflexions, p. 197.) In keiner andern Sprache dürfte es möglich seyn. – Eine solche Lehrmethode für einen ersten Versuch zu halten, wäre widersinnig: sie beweist einen viele Jahrhunderte lang fortgesetzten Anbau der Wissenschaft.
Ein kleines Stück Algebra haben wir endlich im Original; noch ist aber kein einziges astronomisches Werk durch den Druck zugänglich gemacht. Den Vortrag beurtheile ich nach den wenigen Textproben, die Jones, Davies und Colebrooke gegeben. Sie reichten hin mich mit Bewunderung zu erfüllen.
Nun auf die Bilder des Thierkreises zu kommen! Das älteste RealLexicon das wir haben, ist das von Amara-Sinha, den eine sehr glaubwürdige Überlieferung in das nächste Jahrhundert vor Chr. Geb. setzt. Auf keinen Fall kann er viel später gelebt haben. Seine Methode ist diese: er stellt die Synonyme zusammen, und erklärt durch das gebräuchlichste die übrigen; wo es nöthig, giebt er ganz kurze Definitionen, bei bekannten Classennamen führt er die ersten Glieder der darunter gehörigen Reihe an. Nun heißt râçi, ein Bild des Thierkreises, lagna dessen Aufgang. Das erste Wort erklärt er nicht anders als so: râçi, aries, taurus etcet. In dem Capitel der vieldeutigen Wörter: râçi, 1) cumulus, 2) aries et cetera. Die Bedeutung des Wortes im gemeinen Leben beweist schon, daß es hier Sterngruppe bedeutet, also nicht bloß den zwölften Theil des Cirkels, sondern die Figur selbst. Nun frage ich, ob der Lexicograph wohl so hätte verfahren dürfen, wenn die Bilder des Thierkreises eine ganz junge, fremde und gelehrte Neuerung gewesen wären? Aber sie waren alt, einheimisch und volksmäßig bekannt; die Schulknaben wußten sie auswendig. Für et cetera haben diese sonderbaren Leute, die Indier, eine declinierbare Endung. Z. B. mêsha, aries; râçayah mêshâdayah, dem Sinne nach: signa, quorum aries primum.
Als Indianist habe ich schon wunderliche polemische Tänze gehabt: mit Chézy und Langlois, mit Heeren, mit Wilson, der aber schnell seinen Frieden schloß. Niebuhr sagte in seinen Vorlesungen über alte Weltgeschichte, die Wichtigkeit, welche man jetzt auf das Sanskrit und Indische Litteratur lege, sey ein Schwindel, bald werde man einsehen, daß die Indier ihre ganze Cultur den Baktrischen Griechen verdankt hätten. Er schlug auf den Sack und meynte den Esel. Er hoffte mich zu ärgern, und ich habe bloß die Achseln gezuckt. Ich konnte in zwei Worten erwiedern: Bayerus redivivus!
Doch ich habe Ihnen schon viel zu viel vorgeschwatzt. Ich möchte gern von Ihnen etwas hören und lernen. Sagen Sie mir, werden Sie sich für Ihre Babylonier die Schmach der späten Schülerschaft unter den Griechen gefallen lassen?
Ferner: wie erklären Sie Herodot. II, 142? Nach dem buchstäblichen Sinne können die Ägyptischen Priester etwas so abgeschmacktes unmöglich gesagt haben; aber der ehrliche Alte hat es doch gewiß nicht erlogen. Ich sehe durchaus keine Möglichkeit es anders zu deuten als auf die Präcession der Aequinoctien: wie sich versteht, von einem unwissenden Dollmetscher schlecht erklärt, und von einem in der Astronomie und Mathematik über alle Maßen unwissenden Griechen verkehrt aufgefaßt. Gegen Sie wage ich mich mit dieser seit Jahren gehegten Meynung um so eher hervor, in Bezug auf Ihren Philolaos, den Letronne citirt.
Die Angabe Herodot. II, 82 init.[ium] beziehe ich auf die Benennung der Wochentage nach den Planeten. Man könnte dieß etwas unbestimmt finden. Aber in den folgenden Sätzen liegt doch die judiciäre Astrologie ganz deutlich vor Augen, die Letronne so modern macht. Und wie war ein horoscopus genethliacus ohne die Figuren des Thierkreises möglich?
Hat etwa Letronne den Herodotus eben so wenig gründlich studirt, als ich es bei Champollion bemerkte? Bei diesem habe ich nur Einen Vormittag kurz vor seinem Tode zugebracht. Er legte mir sehr verbindlich viele Zeichnungen vor. Ich machte ihm, ich weiß nicht mehr worüber, eine Einwendung aus dem Herodot. Er wollte dieß etwas schnöde zurückweisen, ich wurde dann auch hitzig, und Letronne trat vermittelnd ein.
Was hat Hr. Ideler über meine Vorrede zum Prichard geurtheilt? Sollte er wohl geneigt seyn, mir ein astronomisches Orakel zu gewähren? Thun Sie mir den Gefallen, bei ihm anzufragen. Ich möchte mir nicht gern eine abschlägliche Antwort holen. Im Falle der Bejahung, würde ich ihm eine wichtige Stelle in der Lateinischen Übersetzung nebst meiner Anmerkung senden.
Da Sie mit den babylonischen Maaßen beschäftigt sind, so ist es Ihnen vielleicht nicht uninteressant, eine Indische Probe zu sehen. Ich lege sie auf einem besonderen Blatte bei.
Aus den Zeitungen sehe ich, daß Sie Rector geworden sind. Also ein neues nicht wissenschaftliches Geschäft! Antworten Sie mir, wenn auch nur kurz, und leben Sie recht wohl.
Ihr treuer Antimodernist
A. W. v. Schlegel
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Bonn d. 19 Sept. [18]37
Sie haben mir, mein hochverehrter Freund, eine große Freude gewährt, durch Ihren Brief und Ihre Abhandlung; auch der Akademie bitte ich für die Sendung meinen besten Dank zu sagen. Wo bekommen Sie nur Zeit und Kräfte her, zu allem was Sie unternehmen und ausführen? Ihre Babylonische Untersuchung liegt weit über den Kreis meiner Kenntnisse hinaus: aber sie interessirt mich lebhaft, so wie alles was auf frühe wissenschaftliche Mittheilungen unter den Völkern des Alterthums Bezug hat. Ich sehe, Sie sind auf dem entgegengesetzten Wege mit Letronne, und was die Richtung betrifft, bin ich ganz mit Ihnen. Letronne hat mir einen üblen Streich gespielt: ich denke, ohne böse Absicht, wohl nur aus Eitelkeit. Denn wir waren seit dem Herbste [18]31 in dem freundschaftlichsten Verhältnisse; ja ich glaube, er wünscht gar sehr mich zum Bundesgenossen gegen Raoul-Rochette und dessen Anhang zu haben. Ohne Zweifel ist seine Schrift Sur lʼorigine grecque des zodiaques prétendus égyptiens, in Ihren Händen; widrigen Falles werden Sie sich in Berlin leicht die Revue des deux mondes verschaffen können. Lesen Sie doch die Note p. 26, dann die beiliegende Abschrift meines Briefes an ihn, so sind Sie von der ganzen Lage der Sache unterrichtet. Eigentlich ist es unerlaubt, Gespräche ohne besondere Einwilligung drucken zu lassen; ich war berechtigt, meine Protestation sogleich öffentlich zu machen: aber ich will gern alle Feindseligkeit vermeiden. Doch habe ich nöthig gefunden, die größte Zurückhaltung zu beobachten. Sie glauben mir wohl, daß ich seinen negativen Argumenten positive entgegen zu setzen habe: aber ich werde mich wohl hüten, meine Trumpfe unter dem Tische auszuspielen. Alles muß dem Drucke vorbehalten bleiben. Aber dazu habe ich jetzt keine Muße. Die Sache ist mir höchst verdrießlich, und hat mich einigeTage hindurch recht unglücklich gemacht. Hätte er nur meinen Namen aus dem Spiele gelassen, so hätte er an den hölzernen Haken der Neuheit des Zodiacus von Tentyra so viel verzweiflungsvolle Hypothesen hängen mögen, als er wollte. Aber seine Folgerungen geben auf nichts geringeres aus, als auf den Umsturz des ganzen Indischen Alterthums. Und dazu soll ich meine Zustimmung gegeben haben! Und er zitirt mich zwischen von Bohlen und Stuhr! Welche Nachbarschaft!
Wie schmerzlich vermisse ich hiebei die mündliche Mittheilung mit Ihnen! Sie sind ja doch der einzige wahre Realist unter unsern Philologen. Bei den Nominalisten ist in solchen Dingen kein Trost zu holen. Ich habe mich einmal vergeblich bemüht, einen scharfsinnigen Kritiker zu überzeugen, daß der Stern der Venus, am nächsten Morgen nach dem Abend wo er als Hesperus erschienen war, nicht als Lucifer der Sonne vorangehen könne. Der wußte also noch weniger als ich: das will viel sagen. Ich habe gar keine einseitige Vorliebe für die Indier. Tros Rutulusve fuat! Die Babylonier, Aegyptier und Brahmanen haben gleichermaßen Anspruch auf frühen Anbau der Astronomie. Die Sternbilder im allgemeinen sind, meines Erachtens, ein uraltes mnemonisches Hülfsmittel, um sich in dem zahllosen Gewimmel des gestirnten Himmels zu orientiren. Sie haben sich nachher vermöge der Mythologie und andrer Anlässe mannichfaltig modifizirt; die zwölf Bilder des Thierkreises aber haben sich wegen ihres unendlich häufigen Gebrauchs zur Zeitbestimmung ziemlich unverändert erhalten, und rühren aus einer gemeinsamen Quelle her.
Alles im alten Indien ist original; alles trägt das Gepräge des schöpferischen, erfinderischen, speculativen Geistes. Auch ihre Astronomischen Irrthümer sind wenigstens ihre eignen.
Letronneʼs Behauptungen liegen vor uns; meine Ansichten habe ich, zwar nur sehr flüchtig, in der Vorrede zum Prichard angedeutet. Wenn ich Ihnen alles schreiben wollte, was mir eben jetzt in diesen Tagen zum Behuf der Widerlegung eingefallen ist, so würde dieser Brief niemals fertig.
Wir Indianisten stehen eigentlich im Nachtheil gegen negative Köpfe, die kein Sanskrit wissen. Denn es wird schwer halten, ihnen Erscheinungen anschaulich zu machen, die in der ganzen Geschichte des menschlichen Geistes unvergleichbar bleiben. Wenn es nun vollends an gutem Willen fehlt, so sollte man sich gar nicht einlassen.
Lesen Sie doch, was ich in der Ind. Bibl. B. II, p. 223 über den Homochronismus gesagt. Lassen (in Ewalds Zeitschrift) nennt es sehr treffend die Gegenseitigkeit. Eins setzt das andre voraus, und wird wieder von demselben vorausgesetzt. Ich möchte sagen: bei der kritischen Betrachtung jedes Alt-Indischen Geisteserzeugnisses wird man wie in einer Spiral-Linie gegen ein unerschwinglich hohes Alterthum hinaufgewunden.
Ein Beispiel wird dieß deutlich machen. Die beiden Quellen der Brahmanischen Religionslehre sind die Vedaʼs und das Gesetzbuch des Manus. Wir kennen nichts, was zwischen beiden mitten innen läge. Die Vedaʼs collectiv heißen çruti, auditio, das Gesetz smriti, memoria: diese Namen beweisen unwidersprechlich, daß mündliche Überlieferung der schriftlichen voranging. Das Gesetzbuch des Manus trägt die Kennzeichen hohen Alterthums an sich, sowohl im Stil, als in Gesetzen, die schon vor Menschengedenken obsolet waren. Daneben entwickelte sich die Metaphysik: orthodoxe und heterodoxe Systeme kamen zum Vorschein. Nun heißt es im 2ten Cap. des Manus: „Ein Brahmane der, im Vertrauen auf philosophische Lehrbücher, jene beiden Auctoritäten gering schätzt, muß aus der Gesellschaft aller Guten verstoßen werden, als ein Atheist und ein Veda-Schänder.“ So alt war also die Freigeisterei! Und doch ist es, bei dem politischen Vorrange der Brahmanen und ihrem geheiligten Ansehen glaublich, daß die negativen Systeme sich nur schüchtern und verhältnißmäßig spät ans Licht gewagt haben werden.
Letronne steift sich auf das geringe Alter der ältesten vorhandenen astronomischen Lehrbücher. Was dieß betrifft, so will ich schon mit ihm fertig werden. Erstlich könnten wohl noch ältere aufgefunden werden als bisher. Colebrooke, als Mitglied des obersten Staatsrathes über alle Mittel gebietend, konnte sich noch kein Original-Werk von Ârya-bhaṫṫa verschaffen: in Mackenzieʼs Catalog steht schon eines, oder gar zwei.
Ferner weisen die vorhandenen Lehrbücher auf frühere zurück. Theils ausdrücklich, durch Citationen: auf dieses Mittel der relativen Zeitbestimmung hat sich Colebrooke besonders verlegt; theils durch die Form des wissenschaftlichen Vortrags; dieß ist mein Lieblingsbeweis.
Ich las vor einiger Zeit die ersten beiden Bücher des Euklides, mit ungemeinem Vergnügen, ich kann sagen, mit Entzücken. Welche Einfachheit und Klarheit! Welche Sauberkeit der Behandlung! Es bewährt sich darin der reine Geschmack und der künstlerische Sinn der Griechen. Es ist die Vollkommenheit für den Elementar-Unterricht.
Gleich vollkommen ist nun der Vortrag der Indischen Mathematiker und Astronomen, aber es ist das entgegengesetzte Äußerste. Diese Männer scheinen für Leser zu schreiben, die schon alles wissen: andre müssen es freilich sehr abstrus finden. Da ist eine Prägnanz, ein Lakonismus ohne Unbestimmtheit, dazu eine Fülle der zweckmäßigsten Terminologie. Alles dieß nun metrisch zusammengefugt, und die ungeheuersten Zahlen durch die technische Bezeichnungsweise sicher gegen jede Verfälschung felsenfest aufgestellt. (cf. Réflexions, p. 197.) In keiner andern Sprache dürfte es möglich seyn. – Eine solche Lehrmethode für einen ersten Versuch zu halten, wäre widersinnig: sie beweist einen viele Jahrhunderte lang fortgesetzten Anbau der Wissenschaft.
Ein kleines Stück Algebra haben wir endlich im Original; noch ist aber kein einziges astronomisches Werk durch den Druck zugänglich gemacht. Den Vortrag beurtheile ich nach den wenigen Textproben, die Jones, Davies und Colebrooke gegeben. Sie reichten hin mich mit Bewunderung zu erfüllen.
Nun auf die Bilder des Thierkreises zu kommen! Das älteste RealLexicon das wir haben, ist das von Amara-Sinha, den eine sehr glaubwürdige Überlieferung in das nächste Jahrhundert vor Chr. Geb. setzt. Auf keinen Fall kann er viel später gelebt haben. Seine Methode ist diese: er stellt die Synonyme zusammen, und erklärt durch das gebräuchlichste die übrigen; wo es nöthig, giebt er ganz kurze Definitionen, bei bekannten Classennamen führt er die ersten Glieder der darunter gehörigen Reihe an. Nun heißt râçi, ein Bild des Thierkreises, lagna dessen Aufgang. Das erste Wort erklärt er nicht anders als so: râçi, aries, taurus etcet. In dem Capitel der vieldeutigen Wörter: râçi, 1) cumulus, 2) aries et cetera. Die Bedeutung des Wortes im gemeinen Leben beweist schon, daß es hier Sterngruppe bedeutet, also nicht bloß den zwölften Theil des Cirkels, sondern die Figur selbst. Nun frage ich, ob der Lexicograph wohl so hätte verfahren dürfen, wenn die Bilder des Thierkreises eine ganz junge, fremde und gelehrte Neuerung gewesen wären? Aber sie waren alt, einheimisch und volksmäßig bekannt; die Schulknaben wußten sie auswendig. Für et cetera haben diese sonderbaren Leute, die Indier, eine declinierbare Endung. Z. B. mêsha, aries; râçayah mêshâdayah, dem Sinne nach: signa, quorum aries primum.
Als Indianist habe ich schon wunderliche polemische Tänze gehabt: mit Chézy und Langlois, mit Heeren, mit Wilson, der aber schnell seinen Frieden schloß. Niebuhr sagte in seinen Vorlesungen über alte Weltgeschichte, die Wichtigkeit, welche man jetzt auf das Sanskrit und Indische Litteratur lege, sey ein Schwindel, bald werde man einsehen, daß die Indier ihre ganze Cultur den Baktrischen Griechen verdankt hätten. Er schlug auf den Sack und meynte den Esel. Er hoffte mich zu ärgern, und ich habe bloß die Achseln gezuckt. Ich konnte in zwei Worten erwiedern: Bayerus redivivus!
Doch ich habe Ihnen schon viel zu viel vorgeschwatzt. Ich möchte gern von Ihnen etwas hören und lernen. Sagen Sie mir, werden Sie sich für Ihre Babylonier die Schmach der späten Schülerschaft unter den Griechen gefallen lassen?
Ferner: wie erklären Sie Herodot. II, 142? Nach dem buchstäblichen Sinne können die Ägyptischen Priester etwas so abgeschmacktes unmöglich gesagt haben; aber der ehrliche Alte hat es doch gewiß nicht erlogen. Ich sehe durchaus keine Möglichkeit es anders zu deuten als auf die Präcession der Aequinoctien: wie sich versteht, von einem unwissenden Dollmetscher schlecht erklärt, und von einem in der Astronomie und Mathematik über alle Maßen unwissenden Griechen verkehrt aufgefaßt. Gegen Sie wage ich mich mit dieser seit Jahren gehegten Meynung um so eher hervor, in Bezug auf Ihren Philolaos, den Letronne citirt.
Die Angabe Herodot. II, 82 init.[ium] beziehe ich auf die Benennung der Wochentage nach den Planeten. Man könnte dieß etwas unbestimmt finden. Aber in den folgenden Sätzen liegt doch die judiciäre Astrologie ganz deutlich vor Augen, die Letronne so modern macht. Und wie war ein horoscopus genethliacus ohne die Figuren des Thierkreises möglich?
Hat etwa Letronne den Herodotus eben so wenig gründlich studirt, als ich es bei Champollion bemerkte? Bei diesem habe ich nur Einen Vormittag kurz vor seinem Tode zugebracht. Er legte mir sehr verbindlich viele Zeichnungen vor. Ich machte ihm, ich weiß nicht mehr worüber, eine Einwendung aus dem Herodot. Er wollte dieß etwas schnöde zurückweisen, ich wurde dann auch hitzig, und Letronne trat vermittelnd ein.
Was hat Hr. Ideler über meine Vorrede zum Prichard geurtheilt? Sollte er wohl geneigt seyn, mir ein astronomisches Orakel zu gewähren? Thun Sie mir den Gefallen, bei ihm anzufragen. Ich möchte mir nicht gern eine abschlägliche Antwort holen. Im Falle der Bejahung, würde ich ihm eine wichtige Stelle in der Lateinischen Übersetzung nebst meiner Anmerkung senden.
Da Sie mit den babylonischen Maaßen beschäftigt sind, so ist es Ihnen vielleicht nicht uninteressant, eine Indische Probe zu sehen. Ich lege sie auf einem besonderen Blatte bei.
Aus den Zeitungen sehe ich, daß Sie Rector geworden sind. Also ein neues nicht wissenschaftliches Geschäft! Antworten Sie mir, wenn auch nur kurz, und leben Sie recht wohl.
Ihr treuer Antimodernist
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