• Karl August Varnhagen von Ense to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Unknown · Date: 28.11.1828
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl August Varnhagen von Ense
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 28.11.1828
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 384530206
  • Bibliography: Stanger, Hermann: Drei Briefe aus August Wilhelm Schlegels Nachlaß. In: Euphorion, 5. Ergänzungsheft (1901), S. 203‒204.
  • Incipit: „[1] Hochwohlgeboren,
    Hochverehrter Herr Professor!
    Ich muss Ihnen endlich ein paar Zeilen schreiben; den fortgesetzten unerwünschten Anlaß, den mir dazu schon längst [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36910
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.27,Nr.46
  • Number of Pages: 2 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 22 x 13,4 cm
    Language
  • German
[1] Hochwohlgeboren,
Hochverehrter Herr Professor!
Ich muss Ihnen endlich ein paar Zeilen schreiben; den fortgesetzten unerwünschten Anlaß, den mir dazu schon längst Ihr anhaltendes Schweigen gegen uns dazu gab, konnte ich gerne versäumen, aber dem erfreulichen, den eben der Augenblick mir günstig darbietet, widerstehe ich weniger!
Ich habe soeben den herrlichen Aufsatz zu Ende gelesen, den uns von Ihnen der neue Berliner Calender gebracht, und fühle mich so angenehm erwärmt und aufgeregt, dass ich gedrungen bin, Ihnen aus dieser Stimmung ein Wort als dankbarer Leser zuzurufen, auf die Gefahr hin, die mit dergleichen Beeiferungen stets verbunden ist. Lächeln Sie immerhin über den von Ihnen hier gar nicht bezweckten Enthusiasmus, aber wahr ist es, dass ich abermals, wie schon in früheren Jahren, von Ihrer unübertrefflichen Gabe des schriftstellerischen Vortrags ganz bezaubert bin. Welche Gegenstände wissen Sie in das Gebiet der Anmuth und der vergänglichen Unterhaltung zu ziehen, ohne dass die Spuren der Anstrengung und Verwirrung, durch welche Sie sich durchwinden mussten, im geringsten sichtbar würden! Das Trockene, Abgebrochene einer bei ungeheurem Apparat noch zu so wenigen sicheren Ergebnissen durchgedrungenen gelehrten Forschung schwindet unter Ihren Händen, es tritt Leben und Gestalt nicht erst aus, sondern schon in der Untersuchung hervor, und die Lücken selbst erfüllen sich mit angenehmer Betrachtungsweise. Ihre kritische Erörterung trägt durchaus darstellende Elemente in sich, und dies gewährt einen außerordentlichen Reiz. Durch die eigentliche Schreibart, die aus der Mitte einer höchsten Weltbildung nach allen Seiten anspielend hinblitzt, und jedem Wort eine Unterlage der reichsten Vorstellung giebt, erhöht sich dieser Reiz für den Mitkundigen unendlich. Ich glaube nicht, dass wir im Deutschen noch viele Beispiele haben, welche Gediegenheit und Leichtigkeit in solchem Maße vereinigt zeigen; man könnte meinen, ein feines, luftiges Netz der zartesten Fäden vor sich zu haben, und fände doch, wo man sie zu zerreißen versuchte, Eisenstäbe! Eigentlich nur dann erst ist eine Sprache und Litteratur gebildet zu nennen, wenn sie dergleichen Behandlung erfährt und zuläßt. In dieser Art ein Höchstes geleistet zu haben, wird Ihnen von den Deutschen nicht abgeläugnet werden; vermöchten erst Viele so zu schreiben, so würde Ihr Verdienst nur umso heller dastehn. Dies vor andern anzuerkennen, dies ganz zu schätzen, und Ihnen selber huldigend auszusprechen, ist mir ein Bedürfniß, dass Sie keiner Eitelkeit, keiner verstellten Anmaßung zuschreiben mögen, sondern jedem besseren Antriebe, der einem freien Wohlgefallen sich verbindet, und dessen Ausdruck ganz dem Augenblicke gehört, den Sie selbst hervorgerufen haben! ‒ Wie Schade, dass die Fortsetzung dieser reizvollen kri[2]tischen Arbeiten uns erst übers Jahr zu Theil werden sollen! Ich möchte sogleich zu lesen fortfahren. Der Gedanke, dergleichen einem Taschenbuche zu gönnen, ist zwar diesem gewiss höchst ersprießlich, aber braucht eine von diesem unabhängige, frühere Fortsetzung, dünkt mich, nicht auszuschließen.
Nach diesem meinem freudigen Herzensergusse darf ich vielleicht dennoch auch auf den früheren Anlaß, den ich gehabt hätte, Ihnen zu schreiben, und nur um so unbefangener zurückkommen! Sagen Sie Hochverehrter, wie können Sie unserer Societät für wissenschaftliche Kritik so ganz vergessen, Ihre übernommenen, zugesagten Beiträge so lange zurückhalten, ja sogar die wiederholten Anfragen und Erinnerungen so ganz unerwidert lassen? Mit einer Gesellschaft insonderheit ‒ das wissen Sie besser, als ich es sagen kann, wiewohl leider unter den Deutschen dies Wissen noch gar selten ist ‒ läßt sich nicht umgehn, und wäre sie auch nicht so zusammengesetzt, wie die unsre; ich habe Sie oft vertheidigt, wenn darüber verdrießliche Äußerungen vorkamen, obgleich ich selbst nicht weniger als Andre Ihr Schweigen unverantwortlich finden musste, und zuletzt konntʼ ich nichts besseres thun, als selber dazu still zu sein. Sie sollten das Geschehene gutmachen, und uns zu dem neubeginnenden Jahrgang einiges von dem Versprochenen ‒ weil es Ihnen zugetheilt war, konnte nun auch kein Andrer es liefern ‒ einsenden, es brauchen ja nur wenige Blätter zu sein: wir wünschen ohnehin aus den starken Abhandlungen zu mäßigen Anzeigen überzugehn, und Ihre Feder würde auch der kürzesten Werth geben.
Ich bitte, beherzigen Sie dies, und machen Sie Ihren Freunden und Verehrern, welche hören müssen, wie Sie verklagt werden, ein besseres Spiel zu Ihrer Vertheidigung! ‒ Das Unternehmen im Ganzen befestigt sich mehr und mehr, und gewinnt täglich an innerem wie an äußerem Leben.
Wir gedenken Ihrer mit bestem Antheil und wünschen Sie oftmals in unsern Kreis hieher, wo die angenehmen Eindrücke Ihrer letzten Anwesenheit und Ihres manigfachen Wirkens wohlbewahrt sind! In dem „Wir“ ist vor allem meine Frau mitzuverstehen, die Ihnen auch freundlichste Grüße sendet. ‒ Leben Sie wohl, und nehmen Sie den Einfall wie die Ausführung dieses Schreibens so gut und unbefangen, als sie gemeint sind, und bleiben Sie der wahrhaften Verehrung und Ergebenheit versichert, in welcher ich treulichst verharre
Ihr
gehorsamster
C. A. Varnhagen von Ense.
Berlin, den 28. November
1828.
[3]
[4]
[1] Hochwohlgeboren,
Hochverehrter Herr Professor!
Ich muss Ihnen endlich ein paar Zeilen schreiben; den fortgesetzten unerwünschten Anlaß, den mir dazu schon längst Ihr anhaltendes Schweigen gegen uns dazu gab, konnte ich gerne versäumen, aber dem erfreulichen, den eben der Augenblick mir günstig darbietet, widerstehe ich weniger!
Ich habe soeben den herrlichen Aufsatz zu Ende gelesen, den uns von Ihnen der neue Berliner Calender gebracht, und fühle mich so angenehm erwärmt und aufgeregt, dass ich gedrungen bin, Ihnen aus dieser Stimmung ein Wort als dankbarer Leser zuzurufen, auf die Gefahr hin, die mit dergleichen Beeiferungen stets verbunden ist. Lächeln Sie immerhin über den von Ihnen hier gar nicht bezweckten Enthusiasmus, aber wahr ist es, dass ich abermals, wie schon in früheren Jahren, von Ihrer unübertrefflichen Gabe des schriftstellerischen Vortrags ganz bezaubert bin. Welche Gegenstände wissen Sie in das Gebiet der Anmuth und der vergänglichen Unterhaltung zu ziehen, ohne dass die Spuren der Anstrengung und Verwirrung, durch welche Sie sich durchwinden mussten, im geringsten sichtbar würden! Das Trockene, Abgebrochene einer bei ungeheurem Apparat noch zu so wenigen sicheren Ergebnissen durchgedrungenen gelehrten Forschung schwindet unter Ihren Händen, es tritt Leben und Gestalt nicht erst aus, sondern schon in der Untersuchung hervor, und die Lücken selbst erfüllen sich mit angenehmer Betrachtungsweise. Ihre kritische Erörterung trägt durchaus darstellende Elemente in sich, und dies gewährt einen außerordentlichen Reiz. Durch die eigentliche Schreibart, die aus der Mitte einer höchsten Weltbildung nach allen Seiten anspielend hinblitzt, und jedem Wort eine Unterlage der reichsten Vorstellung giebt, erhöht sich dieser Reiz für den Mitkundigen unendlich. Ich glaube nicht, dass wir im Deutschen noch viele Beispiele haben, welche Gediegenheit und Leichtigkeit in solchem Maße vereinigt zeigen; man könnte meinen, ein feines, luftiges Netz der zartesten Fäden vor sich zu haben, und fände doch, wo man sie zu zerreißen versuchte, Eisenstäbe! Eigentlich nur dann erst ist eine Sprache und Litteratur gebildet zu nennen, wenn sie dergleichen Behandlung erfährt und zuläßt. In dieser Art ein Höchstes geleistet zu haben, wird Ihnen von den Deutschen nicht abgeläugnet werden; vermöchten erst Viele so zu schreiben, so würde Ihr Verdienst nur umso heller dastehn. Dies vor andern anzuerkennen, dies ganz zu schätzen, und Ihnen selber huldigend auszusprechen, ist mir ein Bedürfniß, dass Sie keiner Eitelkeit, keiner verstellten Anmaßung zuschreiben mögen, sondern jedem besseren Antriebe, der einem freien Wohlgefallen sich verbindet, und dessen Ausdruck ganz dem Augenblicke gehört, den Sie selbst hervorgerufen haben! ‒ Wie Schade, dass die Fortsetzung dieser reizvollen kri[2]tischen Arbeiten uns erst übers Jahr zu Theil werden sollen! Ich möchte sogleich zu lesen fortfahren. Der Gedanke, dergleichen einem Taschenbuche zu gönnen, ist zwar diesem gewiss höchst ersprießlich, aber braucht eine von diesem unabhängige, frühere Fortsetzung, dünkt mich, nicht auszuschließen.
Nach diesem meinem freudigen Herzensergusse darf ich vielleicht dennoch auch auf den früheren Anlaß, den ich gehabt hätte, Ihnen zu schreiben, und nur um so unbefangener zurückkommen! Sagen Sie Hochverehrter, wie können Sie unserer Societät für wissenschaftliche Kritik so ganz vergessen, Ihre übernommenen, zugesagten Beiträge so lange zurückhalten, ja sogar die wiederholten Anfragen und Erinnerungen so ganz unerwidert lassen? Mit einer Gesellschaft insonderheit ‒ das wissen Sie besser, als ich es sagen kann, wiewohl leider unter den Deutschen dies Wissen noch gar selten ist ‒ läßt sich nicht umgehn, und wäre sie auch nicht so zusammengesetzt, wie die unsre; ich habe Sie oft vertheidigt, wenn darüber verdrießliche Äußerungen vorkamen, obgleich ich selbst nicht weniger als Andre Ihr Schweigen unverantwortlich finden musste, und zuletzt konntʼ ich nichts besseres thun, als selber dazu still zu sein. Sie sollten das Geschehene gutmachen, und uns zu dem neubeginnenden Jahrgang einiges von dem Versprochenen ‒ weil es Ihnen zugetheilt war, konnte nun auch kein Andrer es liefern ‒ einsenden, es brauchen ja nur wenige Blätter zu sein: wir wünschen ohnehin aus den starken Abhandlungen zu mäßigen Anzeigen überzugehn, und Ihre Feder würde auch der kürzesten Werth geben.
Ich bitte, beherzigen Sie dies, und machen Sie Ihren Freunden und Verehrern, welche hören müssen, wie Sie verklagt werden, ein besseres Spiel zu Ihrer Vertheidigung! ‒ Das Unternehmen im Ganzen befestigt sich mehr und mehr, und gewinnt täglich an innerem wie an äußerem Leben.
Wir gedenken Ihrer mit bestem Antheil und wünschen Sie oftmals in unsern Kreis hieher, wo die angenehmen Eindrücke Ihrer letzten Anwesenheit und Ihres manigfachen Wirkens wohlbewahrt sind! In dem „Wir“ ist vor allem meine Frau mitzuverstehen, die Ihnen auch freundlichste Grüße sendet. ‒ Leben Sie wohl, und nehmen Sie den Einfall wie die Ausführung dieses Schreibens so gut und unbefangen, als sie gemeint sind, und bleiben Sie der wahrhaften Verehrung und Ergebenheit versichert, in welcher ich treulichst verharre
Ihr
gehorsamster
C. A. Varnhagen von Ense.
Berlin, den 28. November
1828.
[3]
[4]
×
×