• Friedrich Schleiermacher an August Wilhelm von Schlegel

  • Absendeort: Berlin · Empfangsort: Braunschweig · Datum: 23.12.1800
Editionsstatus: Einmal kollationierter Druckvolltext mit Registerauszeichnung
    Briefkopfdaten
  • Absender: Friedrich Schleiermacher
  • Empfänger: August Wilhelm von Schlegel
  • Absendeort: Berlin
  • Empfangsort: Braunschweig
  • Datum: 23.12.1800
  • Anmerkung: Empfangsort erschlossen.
    Druck
  • Bibliographische Angabe: Schleiermacher, Friedrich: Kritische Gesamtausgabe. Hg. v. Hans-Joachim Birkner u. Hermann Fischer. Berlin u.a. 1980ff. Abt. 5, Bd. 4. Briefwechsel 1800 (Briefe 850‒1004). Hg. v. Andreas Arndt u. Wolfgang Virmond. Berlin u.a. 1994, S. 389‒391.
  • Incipit: „[1] Berlin d. 23t. Dec. 00
    Länger als gewöhnlich habe ich Schadow nicht gesehn und auch ein Paarmal vergeblich nach den Zeichnungen [...]“
    Handschrift
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-34477
  • Signatur: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.25,Nr.21
  • Blatt-/Seitenzahl: 3 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,8 x 11,5 cm
    Sprache
  • Deutsch
[1] Berlin d. 23t. Dec. 00
Länger als gewöhnlich habe ich Schadow nicht gesehn und auch ein Paarmal vergeblich nach den Zeichnungen zu ihm geschikt; daher mein längeres Stillschweigen. Ich hoffe um so mehr daß mein Brief Sie noch in Braunschweig treffen wird da die Kotzebuade immer noch nicht da ist, auf welche ich von einem Posttage zum andern sehnlich gewartet habe. Sie wollen wol daß dieser große Cachinnus der lezte im alten Jahrhundert sein soll?
Was Tiek gegen die andern Klaffer schreibt wird Ihnen doch auch viel Vergnügen machen; wenn er nur erst einen Verleger dazu hätte. Es hat so weit ich es gelesen habe meine Erwartung bei weitem übertroffen; ich hatte nicht geglaubt daß sich Tiek die rechte Stimmung würde geben können um für diesen Zwek das gehörige zu leisten; aber es ist eine recht körnige Popularität und eine unvergleichlich ruhige Verachtung darin, und dabei geht es in einem vortreflichen und sehr amüsanten crescendo. Das einzige was mir nicht gefällt ist, daß er den Soltau mitten unter Falk Merkel und Iffland gebracht hat, indeß mußte er wol etwas über ihn sagen und wollte gern Alles auf einmal abfertigen.
Friedrich hat mir vor kurzem einen recht ausführlichen Brief über den Plato geschrieben woraus [2] ich die Hofnung schöpfe daß wirklich bald etwas aus der Sache werden wird. Seitdem bin ich nun auch ganz in diesem; indeß wird er mich oft genug zur Kritik der Moral zurükführen die dabei innerlich allmählig heranwachsen wird; äußerlich existirt noch nichts davon, als die Hinweisungen auf Kant und Fichte, welchen lezteren ich bei dieser Gelegenheit so feiern werde, daß er die Bestimmung des Menschen vergeßen soll. Ich hoffe dies Werk noch in diesem Jahre zu Stande zu bringen wenn ich nicht eine langwierige Krankheit mache, wie mein Gesundheitszustand mich beinahe fürchten läßt.
Goethe’s griechisches Trauerspiel interessirt mich im höchsten Grade; es gährt schon lange etwas in mir über das Verhältniß des Trauerspiels zum Roman und zur modernen Poesie überhaupt, und ich bin begierig wie der alte Meister dies praktisch darstellen wird, das theoretische was darüber im Meister steht hat mich nicht sonderlich erbaut.
Unser Freund Merkel hat sich jezt mit seiner sogenannten Kritik an Ihre Gedichte gewagt er hat noch einen ungenannten großen Mann zu Hülfe genommen um das abgeschmakteste und unverständigste Zeug darüber zu reden. Es ist unbegreiflich wie so etwas als seine Briefe sind auch nur ein Vierteljahr existiren kann. Hier wo doch der Siz der Philisterei und des Haßes gegen Ihre sogenannte Parthei ist, wird er allgemein selbst von Nikolai verachtet
[3] Meine Reise nach Jena wird wol, wie mir aus allen Umständen erhellt für diesen Winter zu Wasser werden, und vielleicht macht es sich eher daß wir von hier zusammen nach Jena reisen. Ihre lezte Nachricht von einem recht langen Aufenthalte hier hat mich gar höchlich erfreut; ich erwarte viel Gutes davon für mich, so ein sthenisches Mittel thut mir sehr Noth nachdem ich so lange in einer schwächenden Atmosphäre gelebt habe. Auch der Eindruk den es machen wird wenn Sie recht lange hier bleiben und das unvermeidliche Bauchgrimmen der Philister wird etwas höchst ergözliches sein.
Wie werden Sie Sich denn mit dem Wohnen einrichten? Werden Sie Sich bei Unger einlogiren oder für sich selbst? Und sollte nicht im leztern Falle bald etwas geschehen um Ihnen ein recht angenehmes Quartier zu verschaffen!
Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin und treiben Sie doch unablässig den Vieweg wegen der Kozebuade und Unger wegen des Shakespeare auf den wir auch noch immer warten müßen.
Schleiermacher
[4]
[1] Berlin d. 23t. Dec. 00
Länger als gewöhnlich habe ich Schadow nicht gesehn und auch ein Paarmal vergeblich nach den Zeichnungen zu ihm geschikt; daher mein längeres Stillschweigen. Ich hoffe um so mehr daß mein Brief Sie noch in Braunschweig treffen wird da die Kotzebuade immer noch nicht da ist, auf welche ich von einem Posttage zum andern sehnlich gewartet habe. Sie wollen wol daß dieser große Cachinnus der lezte im alten Jahrhundert sein soll?
Was Tiek gegen die andern Klaffer schreibt wird Ihnen doch auch viel Vergnügen machen; wenn er nur erst einen Verleger dazu hätte. Es hat so weit ich es gelesen habe meine Erwartung bei weitem übertroffen; ich hatte nicht geglaubt daß sich Tiek die rechte Stimmung würde geben können um für diesen Zwek das gehörige zu leisten; aber es ist eine recht körnige Popularität und eine unvergleichlich ruhige Verachtung darin, und dabei geht es in einem vortreflichen und sehr amüsanten crescendo. Das einzige was mir nicht gefällt ist, daß er den Soltau mitten unter Falk Merkel und Iffland gebracht hat, indeß mußte er wol etwas über ihn sagen und wollte gern Alles auf einmal abfertigen.
Friedrich hat mir vor kurzem einen recht ausführlichen Brief über den Plato geschrieben woraus [2] ich die Hofnung schöpfe daß wirklich bald etwas aus der Sache werden wird. Seitdem bin ich nun auch ganz in diesem; indeß wird er mich oft genug zur Kritik der Moral zurükführen die dabei innerlich allmählig heranwachsen wird; äußerlich existirt noch nichts davon, als die Hinweisungen auf Kant und Fichte, welchen lezteren ich bei dieser Gelegenheit so feiern werde, daß er die Bestimmung des Menschen vergeßen soll. Ich hoffe dies Werk noch in diesem Jahre zu Stande zu bringen wenn ich nicht eine langwierige Krankheit mache, wie mein Gesundheitszustand mich beinahe fürchten läßt.
Goethe’s griechisches Trauerspiel interessirt mich im höchsten Grade; es gährt schon lange etwas in mir über das Verhältniß des Trauerspiels zum Roman und zur modernen Poesie überhaupt, und ich bin begierig wie der alte Meister dies praktisch darstellen wird, das theoretische was darüber im Meister steht hat mich nicht sonderlich erbaut.
Unser Freund Merkel hat sich jezt mit seiner sogenannten Kritik an Ihre Gedichte gewagt er hat noch einen ungenannten großen Mann zu Hülfe genommen um das abgeschmakteste und unverständigste Zeug darüber zu reden. Es ist unbegreiflich wie so etwas als seine Briefe sind auch nur ein Vierteljahr existiren kann. Hier wo doch der Siz der Philisterei und des Haßes gegen Ihre sogenannte Parthei ist, wird er allgemein selbst von Nikolai verachtet
[3] Meine Reise nach Jena wird wol, wie mir aus allen Umständen erhellt für diesen Winter zu Wasser werden, und vielleicht macht es sich eher daß wir von hier zusammen nach Jena reisen. Ihre lezte Nachricht von einem recht langen Aufenthalte hier hat mich gar höchlich erfreut; ich erwarte viel Gutes davon für mich, so ein sthenisches Mittel thut mir sehr Noth nachdem ich so lange in einer schwächenden Atmosphäre gelebt habe. Auch der Eindruk den es machen wird wenn Sie recht lange hier bleiben und das unvermeidliche Bauchgrimmen der Philister wird etwas höchst ergözliches sein.
Wie werden Sie Sich denn mit dem Wohnen einrichten? Werden Sie Sich bei Unger einlogiren oder für sich selbst? Und sollte nicht im leztern Falle bald etwas geschehen um Ihnen ein recht angenehmes Quartier zu verschaffen!
Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin und treiben Sie doch unablässig den Vieweg wegen der Kozebuade und Unger wegen des Shakespeare auf den wir auch noch immer warten müßen.
Schleiermacher
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