• Karl August Moritz Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe · Place of Destination: Amsterdam · Date: 29.04.1795
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl August Moritz Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Harburg, Elbe
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 29.04.1795
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.92
  • Number of Pages: 3S. auf Doppelbl., hs. m. U. u. Adresse
  • Format: 22,7 x 18,7 cm
  • Incipit: „[1] Liebster Bruder,
    So lieb mir Dein letzter Brief war, so diente er doch zu meiner Beschämung, da ich Dich das [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
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[1] Liebster Bruder,
So lieb mir Dein letzter Brief war, so diente er doch zu meiner Beschämung, da ich Dich das erstemal so unverantwortlich lange auf Antwort hatte warten lassen. Es war mein gewisser Vorsatz, nun das Versäumte mit desto größerm Eifer nachzuholen. Und doch habe ich wieder vierzehn Tage vorübergehen lassen, da ich immer noch hoffte, ich würde aus Hannover einen Brief an Dich erhalten. Heute mußt Du nun mit einigen Zeilen von mir allein vorlieb nehmen, bey denen ich gleichfalls mit der Vorklage kommen muß, daß sie gar nichts Interessantes enthalten werden, welche Vorklage jedoch bey Deinen Briefen, wenn sie uns die angenehme Gewißheit ertheilen, daß es Dir vollkommen wohl geht, ganz überflüßig ist. Der nehmliche Grund macht Dir vielleicht auch meinen Brief eben wegen seines Mangels an interessanten Nachrichten angenehm. Es ist gar nichts Neues in unsrer Familie vorgefallen. Von der Mutter habe ich noch am Sonnabend einen Brief in meinen Angelegenheiten gehabt. Die jungen Eheleute sind viel zu sehr mit einander beschäfftigt, um an andre denken zu können. Es kommen auch noch zuweilen Gesellschaften vor, die ihnen zu Ehren gegeben werden. Ich werde immer mehr überzeugt, daß Karl eine glückliche Wahl getroffen hat, daß er ein liebenswürdiges Weib besitzt, die ihn liebt und sich für ihn paßt. Gar gern möchte ich die jungen Leutchen einmal beysammen sehen. Meine Lebensart ist jetzt, seitdem die Wintervergnügungen zu Ende sind, sehr einförmig, und gewährt mir wenig Stoff zu neuen Vorstellungen. Ich widme meine Zeit, die mir von meinen Amtsgeschäfften übrig bleibt, einem ruhigen Umgange mit den Musen und dem Genusse der Natur. Wenn nur meine Einnahme einigermaaßen meinen Bedürfnissen angemessen wäre, so wünschte ich, daß das so [2] immer fortdauerte, und wollte von Herzen gern auf alle Superintendenturen im Lande Verzicht thun, mit denen doch immer ein mühseeliges Leben verbunden ist. Der in Anregung gebrachte Vorschlag nach Stolzenau, wovon ich Dir neulich schrieb, wird mir gewiß nichts als Verdrießlichkeiten zuziehen. Man scheint es sich in den Kopf gesetzt zu haben, daß ich diese Stelle erhalten und noch dazu, daß ich selbst darum anhalten soll. Und doch sind die authentischen Nachrichten, die ich von daher erhalten habe, von der Beschaffenheit, daß ich gewiß nicht darum anhalten, auch schwerlich die Stelle annehmen werde, wenn sie mir angeboten wird. Das wird freylich einen harten Kampf kosten, und ich risquire, die Gunst des Consistorii dabey zu verscherzen und alsdann lange Zeit hier sitzen bleiben zu müssen. Aber was hülftʼs? Ohne wesentliche Verbesserung kann ich mich, meinen Umständen nach, nicht verändern. Und wenn ich hier noch sollte bleiben müssen, so werde ich mich nach irgend einem einträglichen Nebenverdienst durch Pensionärs oder dergl. umsehen. Glücklich, wer erst so weit gediehen ist, daß er von der Gunst der Menschen ganz unabhängig ist! Dergleichen muß einem denn im Kopfe herumgehen seitdem man wegen der politischen Angelegenheiten ziemlich in Ruhe ist, da man die angenehmen Aussichten auf den Frieden hat, und für den Norden von Deutschland der Krieg schon so gut als geendigt angesehen werden kann.
Aus Deinem letzten Briefe sehe ich, daß Dein Entschluß schon völlig gefaßt ist, Deine jetzige Laufbahn zu verlassen, und Dich fürʼs erste ganz auf die schriftstellerische Laufbahn einzuschränken. Wenn es möglich ist, so nimm Deinen Entschluß doch noch einmal in Ueberlegung, da es mit dem schriftstellerischen Gewerbe in Deutschland in mehr als einer Absicht eine so sehr misliche Sache ist. Man hängt da eben so sehr als in jedem andern Fache, von Zufall und Gunst ab. Im Ganzen ist jetzt unsre Litteratur unstreitig in einer ziemlich traurigen Verfassung, und bey der Indolenz unsres Publicums, das lediglich auf Neuigkeiten hascht ausgeht und nach Vergnügen hascht, und bey der Partheysucht der Häupter der Gelehrtenrepublik, kann man schwerlich hoffen, sich durch Verdienste geltend zu machen, oder seinen wohl erworbenen Ruhm länger als bis zur nächsten [3] Büchersündfluth zur Meßzeit zu behaupten. Auch die Litteraturzeitung, die bisher noch immer gewissermaaßen Einklang in unsrer Litteratur erhielt, sinkt jetzt immer mehr von ihrem jetzigen ehemaligen Ansehen herab. – In den Rintelschen theol. Annalen ist der 2. Th. meiner populären Betrachtungen mit gewaltigen Lobe ausposaunt worden. Das hat nun an sich so gar viel nicht zu bedeuten; auch scheint der Rec. nicht völlig in den Sinn meines Buches eingedrungen zu seyn. Doch ist es mir lieb, da jenes Journal in Deutschland so sehr gang und gebe ist, und dadurch also meine Schrift allgemein bekannt wird. Ich weiß nicht, ob ich es Dir schon gemeldet habe, daß der 1 Th. in der Litteraturzeitung äußerst ungünstig berurtheilt wurde. Es blickte aber die offenbarste Partheylichkeit durch, und ich hatte die Satisfaction, daß bei allen Gelehrten, mit denen ich in Verbindung stehe, die Unbilligkeit jener Beurtheilung den größten Unwillen erweckte. Bald darauf ward ein Werk [...] einem Venturini, das mit dem meinigen einen ganz ähnlichen Zweck und [...] hat, mit dem ausgezeichnetsten Lobe angekündigt. Und siehe, da kam es am dem Tag, daß Venturini höchst unverschämter Weise ein Collegienheft herausgegeben habe, wahrscheinlich von Sextroh. Ich habe das Werk jetzt, und wundre mich zum höchsten, daß der hochweise Rec. die auffallendsten Spuren der crasstesten Ignoranz an dem Verf. übersehen können, der seinem Collegienheft nicht einmal eine erträgliche Form zu geben, und kaum einen Perioden grammatisch richtig zu setzen im Stande ist. Und dies Buch sollte nun für unsre Zeit das seyn, was Jerusalems Betrachtungen ehedem gewesen. Was soll man unter solchen Umständen, deren tausende vorkommen, von der Litteraturzeitung und von dem Zustande der Deutschen Litteratur denken! – Noch einmal, lieber Bruder, überlege doch ja alles wohl, ehe Du eine neue Carriere antrittst. Meine Frau, welche diesen Brief morgen selbst nach Hamburg bringen will, empfiehlt sich Dir bestens, und bittet Dich gleichfalls sehr, daß Du uns doch wo möglich ein paar Tage von Deinem Aufenthalt in unsrer Gegend schenken möchtest. Lebe tausendmal wohl.
Der Deinige
Moriz Schlegel.
Harburg
d. 29 Apr. 1795.
[4] A Monsieur
Guillaume Schlegel,
chez Mr Henry Muilmann
à
Amsterdam
Franco O
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[1] Liebster Bruder,
So lieb mir Dein letzter Brief war, so diente er doch zu meiner Beschämung, da ich Dich das erstemal so unverantwortlich lange auf Antwort hatte warten lassen. Es war mein gewisser Vorsatz, nun das Versäumte mit desto größerm Eifer nachzuholen. Und doch habe ich wieder vierzehn Tage vorübergehen lassen, da ich immer noch hoffte, ich würde aus Hannover einen Brief an Dich erhalten. Heute mußt Du nun mit einigen Zeilen von mir allein vorlieb nehmen, bey denen ich gleichfalls mit der Vorklage kommen muß, daß sie gar nichts Interessantes enthalten werden, welche Vorklage jedoch bey Deinen Briefen, wenn sie uns die angenehme Gewißheit ertheilen, daß es Dir vollkommen wohl geht, ganz überflüßig ist. Der nehmliche Grund macht Dir vielleicht auch meinen Brief eben wegen seines Mangels an interessanten Nachrichten angenehm. Es ist gar nichts Neues in unsrer Familie vorgefallen. Von der Mutter habe ich noch am Sonnabend einen Brief in meinen Angelegenheiten gehabt. Die jungen Eheleute sind viel zu sehr mit einander beschäfftigt, um an andre denken zu können. Es kommen auch noch zuweilen Gesellschaften vor, die ihnen zu Ehren gegeben werden. Ich werde immer mehr überzeugt, daß Karl eine glückliche Wahl getroffen hat, daß er ein liebenswürdiges Weib besitzt, die ihn liebt und sich für ihn paßt. Gar gern möchte ich die jungen Leutchen einmal beysammen sehen. Meine Lebensart ist jetzt, seitdem die Wintervergnügungen zu Ende sind, sehr einförmig, und gewährt mir wenig Stoff zu neuen Vorstellungen. Ich widme meine Zeit, die mir von meinen Amtsgeschäfften übrig bleibt, einem ruhigen Umgange mit den Musen und dem Genusse der Natur. Wenn nur meine Einnahme einigermaaßen meinen Bedürfnissen angemessen wäre, so wünschte ich, daß das so [2] immer fortdauerte, und wollte von Herzen gern auf alle Superintendenturen im Lande Verzicht thun, mit denen doch immer ein mühseeliges Leben verbunden ist. Der in Anregung gebrachte Vorschlag nach Stolzenau, wovon ich Dir neulich schrieb, wird mir gewiß nichts als Verdrießlichkeiten zuziehen. Man scheint es sich in den Kopf gesetzt zu haben, daß ich diese Stelle erhalten und noch dazu, daß ich selbst darum anhalten soll. Und doch sind die authentischen Nachrichten, die ich von daher erhalten habe, von der Beschaffenheit, daß ich gewiß nicht darum anhalten, auch schwerlich die Stelle annehmen werde, wenn sie mir angeboten wird. Das wird freylich einen harten Kampf kosten, und ich risquire, die Gunst des Consistorii dabey zu verscherzen und alsdann lange Zeit hier sitzen bleiben zu müssen. Aber was hülftʼs? Ohne wesentliche Verbesserung kann ich mich, meinen Umständen nach, nicht verändern. Und wenn ich hier noch sollte bleiben müssen, so werde ich mich nach irgend einem einträglichen Nebenverdienst durch Pensionärs oder dergl. umsehen. Glücklich, wer erst so weit gediehen ist, daß er von der Gunst der Menschen ganz unabhängig ist! Dergleichen muß einem denn im Kopfe herumgehen seitdem man wegen der politischen Angelegenheiten ziemlich in Ruhe ist, da man die angenehmen Aussichten auf den Frieden hat, und für den Norden von Deutschland der Krieg schon so gut als geendigt angesehen werden kann.
Aus Deinem letzten Briefe sehe ich, daß Dein Entschluß schon völlig gefaßt ist, Deine jetzige Laufbahn zu verlassen, und Dich fürʼs erste ganz auf die schriftstellerische Laufbahn einzuschränken. Wenn es möglich ist, so nimm Deinen Entschluß doch noch einmal in Ueberlegung, da es mit dem schriftstellerischen Gewerbe in Deutschland in mehr als einer Absicht eine so sehr misliche Sache ist. Man hängt da eben so sehr als in jedem andern Fache, von Zufall und Gunst ab. Im Ganzen ist jetzt unsre Litteratur unstreitig in einer ziemlich traurigen Verfassung, und bey der Indolenz unsres Publicums, das lediglich auf Neuigkeiten hascht ausgeht und nach Vergnügen hascht, und bey der Partheysucht der Häupter der Gelehrtenrepublik, kann man schwerlich hoffen, sich durch Verdienste geltend zu machen, oder seinen wohl erworbenen Ruhm länger als bis zur nächsten [3] Büchersündfluth zur Meßzeit zu behaupten. Auch die Litteraturzeitung, die bisher noch immer gewissermaaßen Einklang in unsrer Litteratur erhielt, sinkt jetzt immer mehr von ihrem jetzigen ehemaligen Ansehen herab. – In den Rintelschen theol. Annalen ist der 2. Th. meiner populären Betrachtungen mit gewaltigen Lobe ausposaunt worden. Das hat nun an sich so gar viel nicht zu bedeuten; auch scheint der Rec. nicht völlig in den Sinn meines Buches eingedrungen zu seyn. Doch ist es mir lieb, da jenes Journal in Deutschland so sehr gang und gebe ist, und dadurch also meine Schrift allgemein bekannt wird. Ich weiß nicht, ob ich es Dir schon gemeldet habe, daß der 1 Th. in der Litteraturzeitung äußerst ungünstig berurtheilt wurde. Es blickte aber die offenbarste Partheylichkeit durch, und ich hatte die Satisfaction, daß bei allen Gelehrten, mit denen ich in Verbindung stehe, die Unbilligkeit jener Beurtheilung den größten Unwillen erweckte. Bald darauf ward ein Werk [...] einem Venturini, das mit dem meinigen einen ganz ähnlichen Zweck und [...] hat, mit dem ausgezeichnetsten Lobe angekündigt. Und siehe, da kam es am dem Tag, daß Venturini höchst unverschämter Weise ein Collegienheft herausgegeben habe, wahrscheinlich von Sextroh. Ich habe das Werk jetzt, und wundre mich zum höchsten, daß der hochweise Rec. die auffallendsten Spuren der crasstesten Ignoranz an dem Verf. übersehen können, der seinem Collegienheft nicht einmal eine erträgliche Form zu geben, und kaum einen Perioden grammatisch richtig zu setzen im Stande ist. Und dies Buch sollte nun für unsre Zeit das seyn, was Jerusalems Betrachtungen ehedem gewesen. Was soll man unter solchen Umständen, deren tausende vorkommen, von der Litteraturzeitung und von dem Zustande der Deutschen Litteratur denken! – Noch einmal, lieber Bruder, überlege doch ja alles wohl, ehe Du eine neue Carriere antrittst. Meine Frau, welche diesen Brief morgen selbst nach Hamburg bringen will, empfiehlt sich Dir bestens, und bittet Dich gleichfalls sehr, daß Du uns doch wo möglich ein paar Tage von Deinem Aufenthalt in unsrer Gegend schenken möchtest. Lebe tausendmal wohl.
Der Deinige
Moriz Schlegel.
Harburg
d. 29 Apr. 1795.
[4] A Monsieur
Guillaume Schlegel,
chez Mr Henry Muilmann
à
Amsterdam
Franco O
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