• Gottfried August Bürger an August Wilhelm von Schlegel

  • Absendeort: Göttingen · Empfangsort: Amsterdam · Datum: 31.10.1791
Editionsstatus: Einmal kollationierter Druckvolltext mit Registerauszeichnung
    Briefkopfdaten
  • Absender: Gottfried August Bürger
  • Empfänger: August Wilhelm von Schlegel
  • Absendeort: Göttingen
  • Empfangsort: Amsterdam
  • Datum: 31.10.1791
  • Anmerkung: Empfangsort erschlossen.
    Druck
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 36284268X
  • Bibliographische Angabe: Strodtmann, Adolf: Briefe von und an Gottfried August Bürger. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte seiner Zeit. Aus dem Nachlasse Bürger’s und anderen, meist handschriftlichen Quellen. Bd. 4. Berlin 1874, S. 134‒137.
  • Incipit: „[1] G[öttingen], den 31. Octobr. 1791.
    Sündlich ist es, mein Sohn, ich muß es selbst bekennen, höchstsündlich ist es, daß ich auch [...]“
    Handschrift
  • Datengeber: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-38972
  • Signatur: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.3,Nr.98
  • Blatt-/Seitenzahl: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,6 x 12,2 cm
    Sprache
  • Deutsch
[1] G[öttingen], den 31. Octobr. 1791.
Sündlich ist es, mein Sohn, ich muß es selbst bekennen, höchstsündlich ist es, daß ich auch noch nicht ein Wörtchen an dich geschrieben habe. Madame Böhmer sagte es gestern Abend auch, daß es höchstsündlich wäre, also muß es wohl höchstwahr seyn. Diese Nacht habe ich nun schier von dieser hohen Sündlichkeit geträumt, und diesen Morgen kommt mir auch wachend diese hohe Sündlichkeit so höchst sündlich vor, daß ich mich augenblicklich niedersetze, diese Beichte abzulegen und nunmehr nach geschehener Entsündigung, meinen Geist, als jenen Heiligen vel quasi über dir schweben zu lassen, und dir zuzurufen: du bist noch immer mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.
Aber dieß wird auch schier alles seyn, was ich heute leisten kann. Den ganzen Sommer über und noch in den leider nun verwichenen Ferien, da ich so manches schönes Stümmelchen Zeit dazu hätte verwenden können, habe ich einen stattlichen Brief an den Freund Schlegel schreiben wollen, aber der Himmel weiß, ich bin wie behext gewesen, daß ich nicht dazu habe gelangen können. Und nun muß ich gerade heut schreiben, da ich meine Collegia wieder anfange. H. H. Blumenbach, der über Amster[2]dam nach England geht, um sich diesen Winter daselbst aufzuhalten, will übermorgen abreisen, und da er heute seinen Coffer packt, so muß er auch heute noch den Brief haben. Es würde nun im allerhöchsten Grade sündlich seyn, wenn ich diese Gelegenheit nicht benutzte um wenigstens ein Musenalmanächlein zu übersenden, welches sonst vielleicht noch lange Zeit unter seinem Staube da liegen bleiben würde.
Deine Briefe, mein Söhnlein, kann ich jetzt unmöglich herbey suchen, um etwa daraus zu ersehen, was dir sonst noch vorzusingen und zu sagen wäre. Also kann ich nur eins und das Andere aus dem Kopfe in der Geschwindigkeit noch hieher klecksen.
Die Academie d[er] Sch[önen] R[edekünste] ist erst bis zum 3ten Stück heraus; ich habe aber noch nicht die Ehre und das Vergnügen gehabt das zweyte und dritte Stück mit Augen zu sehen. Denn mit den 12 Exempl., die wir vom ersten Stück erhielten, ist nicht fortgefahren worden. Riem ist nicht mehr Vorsteher der Kunstbuchhandlung. Letztere hat diesen Sommer einige mahle an Bouterweck um Mspt. geschrieben und auch einst 7 Ldor geschickt, die mir B[outerweck] als etwas, das ihm nicht zukomme, übergeben hat. Ich habe davon für dich 3 Ldor an Fiorillo gegeben. Wie viel dir nun von dem Übrigen noch zukomme, kann ich nicht sagen, da ich die Academiestücke nicht vor mir habe. Bouterweck hat seit der erste Theil seines Graf Donamar heraus, und [3] dieser mit Beyfall aufgenommen ist, eben keinen sonderlichen Eifer mehr für die Academie. Ich wollte aber doch nicht gern, daß sie ins Stocken geriethe, und bin daher dabey, für das 4te Stück Materialien in Ordnung zu bringen, die ich nächstens absenden werde, zumahlen von der Kunst und Buchhandlung vor wenig Tagen auch an mich ein Mahnbrief ergangen ist, worin man gut zu machen verspricht, was etwa Herr Riem versehen haben möchte. Ich werde mich wegen der nicht erfolgten Exemplare vom 3. und 4. [2. und 3.] Stück beschweren, und auf Erhöhung des Honorarii antragen.
Zu dem Alm. füge ich ein Stück des Intelligenzbl. der allg. L[it.] Z[eit.] [1791, No. 46, Sp. 383 ff.], worin meine Fehde enthalten ist. Von der Recension will ich ein andermahl eine Abschrift übersenden. Ich werde doch wohl noch einen neuen Gang in der Acad[emie] mit dem Signor Schiller machen. Übrigens ist der Bellin etwas weiter vorgerückt. Meine Reimkunst in der Nuß ist auch fertig; so wie auch Popens Heloise an Abelard fast zu Ende gediehen ist. Letzteres ist ein gar feines Werklein.
Daß Mad. Böhmer seit ihres Vaters Tode [† 22. Aug. 1791] hier ist, wird wohl längst bekannt seyn. Vor einigen Tagen ist sie mit Luisen [Michaelis, später verehelichte Wiedemann] nach Gotha gewesen und ist noch ganz voll von den mit der dasigen Schöngeisterschaft verlebten fröhlichen Tagen. Gotter hat eine gar herrliche freie Nachahmung von Shakespears Sturm unter dem Titel: die Zauberinsel verfertigt, wovon die Damen nicht genug zu rühmen wissen. Mozart componirt das Stück. Dieser Umstand hat gemacht, daß von unserm Sommernachtstraum der Staub wieder abgeblasen worden ist, und Mad. [4] Böhmer und ich haben uns vorgenommen dem Burschen fördersamst gemeinschaftlich das Wasser zu besehen.
Diesen Winter wird hoffentlich die neue Ausgabe meiner Gedichte zustande kommen. Ich habe eine Menge gar grausamer Todesurtheile über viele meiner Kindlein ergehen lassen.
Übrigens ist zu melden, daß meine Frau, die dich herzlich grüßen läßt, mir diesen Sommer ein Söhnlein geboren hat, dem der Nahme Agathon beygelegt worden ist. ‒ Prof. Seyffer ist vor einigen Wochen auf öffentliche Kosten nach Frankreich und England gereiset. An des seel. Murrey [Murray] Stelle kommt Prof. [Georg Franz] Hofmann aus Erlangen. Ziegler ist vor kurzem Prof. Theol. Extraord. geworden. Man sagt, daß nächstens einige neue Professoren creirt werden sollen, z. B. D. Althof, Kirchner der engl. Lector und Gott weiß, wer mehr. In allgemeinere literarische Neuigkeiten kann ich mich unmöglich jetzt einlassen. Ich will aber wirklich sobald sichs nur thun läßt, einen rechtlichen Brief von diesem und dem schreiben. Prof. [Friedrich Ludwig Wilhelm] Meyer ist nach Deutschl[and] zurückgekommen und hält sich jetzt in Hamburg auf. Er ist einige Wochen in Gotha, aber nicht hier gewesen.
Leb wohl, mein Sohn, und vergilt mir im Punct des Nichtschreibens nicht gleiches mit Gleichem. Denn du weißt wohl, daß ich bey allem meinen Bürgerianismus dich doch von Herzen lieb habe. Die B[öhmer] hat mir einmahl auf einem Spaziergange viel aus einem deiner Briefe über die Merkwürdigkeiten von Amsterdam vorgelesen. Das war, däucht mir, sehr gut geschrieben.
Vale faveque tuo
G A B.
[1] G[öttingen], den 31. Octobr. 1791.
Sündlich ist es, mein Sohn, ich muß es selbst bekennen, höchstsündlich ist es, daß ich auch noch nicht ein Wörtchen an dich geschrieben habe. Madame Böhmer sagte es gestern Abend auch, daß es höchstsündlich wäre, also muß es wohl höchstwahr seyn. Diese Nacht habe ich nun schier von dieser hohen Sündlichkeit geträumt, und diesen Morgen kommt mir auch wachend diese hohe Sündlichkeit so höchst sündlich vor, daß ich mich augenblicklich niedersetze, diese Beichte abzulegen und nunmehr nach geschehener Entsündigung, meinen Geist, als jenen Heiligen vel quasi über dir schweben zu lassen, und dir zuzurufen: du bist noch immer mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.
Aber dieß wird auch schier alles seyn, was ich heute leisten kann. Den ganzen Sommer über und noch in den leider nun verwichenen Ferien, da ich so manches schönes Stümmelchen Zeit dazu hätte verwenden können, habe ich einen stattlichen Brief an den Freund Schlegel schreiben wollen, aber der Himmel weiß, ich bin wie behext gewesen, daß ich nicht dazu habe gelangen können. Und nun muß ich gerade heut schreiben, da ich meine Collegia wieder anfange. H. H. Blumenbach, der über Amster[2]dam nach England geht, um sich diesen Winter daselbst aufzuhalten, will übermorgen abreisen, und da er heute seinen Coffer packt, so muß er auch heute noch den Brief haben. Es würde nun im allerhöchsten Grade sündlich seyn, wenn ich diese Gelegenheit nicht benutzte um wenigstens ein Musenalmanächlein zu übersenden, welches sonst vielleicht noch lange Zeit unter seinem Staube da liegen bleiben würde.
Deine Briefe, mein Söhnlein, kann ich jetzt unmöglich herbey suchen, um etwa daraus zu ersehen, was dir sonst noch vorzusingen und zu sagen wäre. Also kann ich nur eins und das Andere aus dem Kopfe in der Geschwindigkeit noch hieher klecksen.
Die Academie d[er] Sch[önen] R[edekünste] ist erst bis zum 3ten Stück heraus; ich habe aber noch nicht die Ehre und das Vergnügen gehabt das zweyte und dritte Stück mit Augen zu sehen. Denn mit den 12 Exempl., die wir vom ersten Stück erhielten, ist nicht fortgefahren worden. Riem ist nicht mehr Vorsteher der Kunstbuchhandlung. Letztere hat diesen Sommer einige mahle an Bouterweck um Mspt. geschrieben und auch einst 7 Ldor geschickt, die mir B[outerweck] als etwas, das ihm nicht zukomme, übergeben hat. Ich habe davon für dich 3 Ldor an Fiorillo gegeben. Wie viel dir nun von dem Übrigen noch zukomme, kann ich nicht sagen, da ich die Academiestücke nicht vor mir habe. Bouterweck hat seit der erste Theil seines Graf Donamar heraus, und [3] dieser mit Beyfall aufgenommen ist, eben keinen sonderlichen Eifer mehr für die Academie. Ich wollte aber doch nicht gern, daß sie ins Stocken geriethe, und bin daher dabey, für das 4te Stück Materialien in Ordnung zu bringen, die ich nächstens absenden werde, zumahlen von der Kunst und Buchhandlung vor wenig Tagen auch an mich ein Mahnbrief ergangen ist, worin man gut zu machen verspricht, was etwa Herr Riem versehen haben möchte. Ich werde mich wegen der nicht erfolgten Exemplare vom 3. und 4. [2. und 3.] Stück beschweren, und auf Erhöhung des Honorarii antragen.
Zu dem Alm. füge ich ein Stück des Intelligenzbl. der allg. L[it.] Z[eit.] [1791, No. 46, Sp. 383 ff.], worin meine Fehde enthalten ist. Von der Recension will ich ein andermahl eine Abschrift übersenden. Ich werde doch wohl noch einen neuen Gang in der Acad[emie] mit dem Signor Schiller machen. Übrigens ist der Bellin etwas weiter vorgerückt. Meine Reimkunst in der Nuß ist auch fertig; so wie auch Popens Heloise an Abelard fast zu Ende gediehen ist. Letzteres ist ein gar feines Werklein.
Daß Mad. Böhmer seit ihres Vaters Tode [† 22. Aug. 1791] hier ist, wird wohl längst bekannt seyn. Vor einigen Tagen ist sie mit Luisen [Michaelis, später verehelichte Wiedemann] nach Gotha gewesen und ist noch ganz voll von den mit der dasigen Schöngeisterschaft verlebten fröhlichen Tagen. Gotter hat eine gar herrliche freie Nachahmung von Shakespears Sturm unter dem Titel: die Zauberinsel verfertigt, wovon die Damen nicht genug zu rühmen wissen. Mozart componirt das Stück. Dieser Umstand hat gemacht, daß von unserm Sommernachtstraum der Staub wieder abgeblasen worden ist, und Mad. [4] Böhmer und ich haben uns vorgenommen dem Burschen fördersamst gemeinschaftlich das Wasser zu besehen.
Diesen Winter wird hoffentlich die neue Ausgabe meiner Gedichte zustande kommen. Ich habe eine Menge gar grausamer Todesurtheile über viele meiner Kindlein ergehen lassen.
Übrigens ist zu melden, daß meine Frau, die dich herzlich grüßen läßt, mir diesen Sommer ein Söhnlein geboren hat, dem der Nahme Agathon beygelegt worden ist. ‒ Prof. Seyffer ist vor einigen Wochen auf öffentliche Kosten nach Frankreich und England gereiset. An des seel. Murrey [Murray] Stelle kommt Prof. [Georg Franz] Hofmann aus Erlangen. Ziegler ist vor kurzem Prof. Theol. Extraord. geworden. Man sagt, daß nächstens einige neue Professoren creirt werden sollen, z. B. D. Althof, Kirchner der engl. Lector und Gott weiß, wer mehr. In allgemeinere literarische Neuigkeiten kann ich mich unmöglich jetzt einlassen. Ich will aber wirklich sobald sichs nur thun läßt, einen rechtlichen Brief von diesem und dem schreiben. Prof. [Friedrich Ludwig Wilhelm] Meyer ist nach Deutschl[and] zurückgekommen und hält sich jetzt in Hamburg auf. Er ist einige Wochen in Gotha, aber nicht hier gewesen.
Leb wohl, mein Sohn, und vergilt mir im Punct des Nichtschreibens nicht gleiches mit Gleichem. Denn du weißt wohl, daß ich bey allem meinen Bürgerianismus dich doch von Herzen lieb habe. Die B[öhmer] hat mir einmahl auf einem Spaziergange viel aus einem deiner Briefe über die Merkwürdigkeiten von Amsterdam vorgelesen. Das war, däucht mir, sehr gut geschrieben.
Vale faveque tuo
G A B.
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