• Johann Nicolaus Bach to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Oppeln · Place of Destination: Bonn · Date: 31.12.1825
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Johann Nicolaus Bach
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Oppeln
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 31.12.1825
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-38972
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.3,Nr.2
  • Number of Pages: 3 S. auf Doppelbl., hs. m. U. u Adresse
  • Format: 25,6 x 20,5 cm
  • Incipit: „[1] Oppeln am Vorabend des neuen Jahres 1826.
    Werthester Lehrer!
    Beim Schlusse dieses Jahres, in welchem mein erster Eintritt in die Welt, [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
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[1] Oppeln am Vorabend des neuen Jahres 1826.
Werthester Lehrer!
Beim Schlusse dieses Jahres, in welchem mein erster Eintritt in die Welt, nicht ohne heftige Widerstreiten, erfolgt ist, fühle ich mich innigst getrieben, die süssen Erinnerungen wieder lebhaft aufzuwecken, welche mich in den Cirkel meiner theuersten Lehrer und unablässigen Wohlthäter zurückführen: wohin der Körper vergebens ringt, dahin eilet der Geist und das Gemüth auf den Schwingen der Unvergänglichkeit. Andere mögen jetzt in geselliger Freude der Stunde des neuen Jahres entgegen harren: ich bin einsam und nur im Geiste meinen Theuersten vereint. So empfangen Sie denn anderthalb Stunden vor dem Beginne des neuen Jahres meine herzlichsten Glückwünsche: der Himmel möge noch lange in Ihrer Person der Wissenschaft und dem Staate eine Stütze erhalten, der Rheinischen Universität eine Zierde und Ihren dankbaren Schülern einen wohlwollenden Lehrer! Als mich die ganze Welt zu verlassen schien, da wollten Sie mir aus der Noth helfen: wer sonst darf sich eines wahrhaftig väterlichen Lehrers, wie ich, erfreuen? –
Gestern habe ich hier mein Lehramt angetreten. Ich habe wöchentlich 21 Stunden zu geben, in Prima Horatius, Tacitus Annalen, Lateinische und Deutsche Stilübungen, in Secunda Xenophons Anabasis (nach Ostern Herodot) und Griechische Exercitia, zusammen 11 Stunden (wovon eine meinem gutem Willen gehört, da ich im Ganzen wöchentlich nur zu 20 Stunden verpflichtet bin), in Sexta Lateinische und Deutsche Grammatik, 10 Stunden, und zwar in der Art, daß ich alljährig mit den Schülern eine Klasse höher hinaufrücke. In Prima habe ich angefangen die Interpretation des Horatius Lateinisch zu geben, [2] etwas hier bis dahin Ungewöhnliches: deßwegen sahen mich alle auch mit einer ganz sonderbaren Miene an, als ich den Vortrag Lateinisch eröffnete. Um jedoch meiner Seits keinen Anstoß zu geben, besprach ich die Sache vorher mit dem Director, der zwar Anfangs glaubte, ich sollte zuerst Deutsch und darauf dasselbe auch Lateinisch erklären, zuletzt aber doch in den ganz Lateinischen Vortrag einstimmte. Es versteht sich, daß ich vorher die Schüler die Werke des Dichters Deutsch übersetzen lasse. Eben weil der Director seit der ersten Stunde, wo wir uns kennen lernten, ein ziemliches Zutrauen auf mich setzt (wie ich von einem andern meiner Kollegen gehört), so übertrug er mir mehr Stunden in den oberen Klassen, als ich hätte fordern können. Mein Vorgänger unterrichtete nur in den drei untersten Klassen. – Doch hören Sie nun auch, wie meine Anstellung eigentlich zu Stande kam. Mein Vorgänger kam zu Breslau bei der Regierung um die Erlaubniß ein, die Frau eines Mannes, der noch lebt, von dem sie aber als Evangelische geschieden ist, zu heirathen und die Trauung durch einen Ev. Prediger vollziehen zu lassen. Darauf erklärte sich das Consistorium, daß er entweder diese nach dem Kathol. Kanon ungültige Ehe oder sein Lehramt aufgeben müßte. Er that das erstere. Da aber unterdessen das Ministerium von dem Vorfall unterrichtet wurde, so beschloß es, daß jener schon wegen seines Vorsatzes und wegen des seinen Glaubensgenossen gegebenen Ärgernisses an einer Kath. Lehranstalt vor der Hand seines Amtes entsetzt seye, und ich an seine Stelle treten sollte. Sie können sich vorstellen, wie unangenehm mir dieses war, als ich es zuerst in Breslau erfuhr. Doch glücklicher Weise hat dieser Umstand kein nachtheiliges Vorurtheil gegen mich erregt, so sonderbar einem Jeden hier die Sache vorgekommen ist. Mit meinem Vorgänger habe ich hier Anfangs noch über 8 Tage ganz friedlich zusammengewohnt, indem ich seine Wohnung bezog, weil er wegen nicht vorhergegangener Kündigung auf ein Vierteljahr länger hätte zahlen müssen. Übrigens sind auch hier die Wohnungen sehr theuer, und Victualien noch theurer als in Berlin.
[3] Gegen alle Erwartung fand ich in der Gymnasial-Bibliothek manche ganz vortrefflichen Bücher: zum Tacitus und Horaz zB habe ich einen Apparat, wie ich ihn nur wünschen kann. Überhaupt sind von den am meisten gelesenen Klassikern die beßten neuesten Ausgaben größten Theils vorhanden. Da auch mir das Recht zusteht, Vorschläge zu machen, so habe ich neulich zum Anschaffen empfohlen Ihre Dramatischen Vorlesungen, die Werke Ihres Bruders und den Pindar von Boeckh. Aber dafür ist das Local desto schlechter: die neuesten Bücher hat man in eine enge Kammer gebracht, damit sie nicht durch Feuchtigkeit zu Grunde gehen möchten; die älteren aber, welche noch von den Jesuiten und Dominicanern herstammen, zum Theil sehr schätzbare Werke (z B. die Bibliotheca maxima Patrum, die Werke des Augustinus u anderer Kirchenväter), stehen noch in der alten Bibliothek, wo Dach und Fenstern verdorben sind, so daß man es kaum fünf Minuten darin aushalten kann. Schon seit vielen Jahren sind Pläne zur Errichtung eines neuen Gymasial-Gebäudes (denn auch dieses ist erbärmlich schlecht, so daß ich im Nassauischen weit bessere Elementarschulen gesehen habe: an einem Saal zu Prüfungen u dgl. fehlt es ganz) entworfen worden; aber bis jetzt ist noch keiner zur Ausführung gekommen. Jedoch glaubt Herr Präsident von Hippel, der mich aufs ehrenvollste empfangen hat und mich fortwährend mit Wohlwollen behandelt, da[ß] im nächsten Sommer der Anfang gemacht werde; denn er erwarte tagtäglich die Bestätigung des zuletzt entworfenen Planes von Berlin aus. – Auch habe ich hier den Reg. Assessor von Heyden kennen gelernt, der ein großer Verehrer von Ihnen ist, und sich sehr freuete, daß ich ihm Manches von Ihnen erzählen konnte. Ebenfalls lebt hier einer von den neuesten Übersetzern des Shakspeare, Reg. R. Benda. In Breslau habe ich Wachler und Passow kennen gelernt, die sich mir in ausgezeichnetem Grade gewogen zeigten, so daß ersterer mir anbot, aus der Königlichen Bibliothek Bücher zu meinem Gebrauche hierher zu schicken, letzterer aus seiner Privat-Bibliothek.
Bald wird es Zwölfe schlagen: also nochmals Glück auf zum neuen Jahr! Leben Sie recht wohl, und erinnern sich zuweilen eines Schülers, der nie vergessen kann, was Sie an ihm gethan haben.
Ew Hochwohlgeboren
ergebenster Schüler
N. Bach.
Wir haben 250 bis 260 Schüler: in Sexta allein habe ich 49, deren schriftliche Arbeiten durchzucorrigiren eben keine sonderlich angenehme Beschäftigung ist.
[4] Sr Hochwohlgeboren
Herrn Professor Dr von Schlegel
Ritter mehrerer Orden pp
Bonn.
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[1] Oppeln am Vorabend des neuen Jahres 1826.
Werthester Lehrer!
Beim Schlusse dieses Jahres, in welchem mein erster Eintritt in die Welt, nicht ohne heftige Widerstreiten, erfolgt ist, fühle ich mich innigst getrieben, die süssen Erinnerungen wieder lebhaft aufzuwecken, welche mich in den Cirkel meiner theuersten Lehrer und unablässigen Wohlthäter zurückführen: wohin der Körper vergebens ringt, dahin eilet der Geist und das Gemüth auf den Schwingen der Unvergänglichkeit. Andere mögen jetzt in geselliger Freude der Stunde des neuen Jahres entgegen harren: ich bin einsam und nur im Geiste meinen Theuersten vereint. So empfangen Sie denn anderthalb Stunden vor dem Beginne des neuen Jahres meine herzlichsten Glückwünsche: der Himmel möge noch lange in Ihrer Person der Wissenschaft und dem Staate eine Stütze erhalten, der Rheinischen Universität eine Zierde und Ihren dankbaren Schülern einen wohlwollenden Lehrer! Als mich die ganze Welt zu verlassen schien, da wollten Sie mir aus der Noth helfen: wer sonst darf sich eines wahrhaftig väterlichen Lehrers, wie ich, erfreuen? –
Gestern habe ich hier mein Lehramt angetreten. Ich habe wöchentlich 21 Stunden zu geben, in Prima Horatius, Tacitus Annalen, Lateinische und Deutsche Stilübungen, in Secunda Xenophons Anabasis (nach Ostern Herodot) und Griechische Exercitia, zusammen 11 Stunden (wovon eine meinem gutem Willen gehört, da ich im Ganzen wöchentlich nur zu 20 Stunden verpflichtet bin), in Sexta Lateinische und Deutsche Grammatik, 10 Stunden, und zwar in der Art, daß ich alljährig mit den Schülern eine Klasse höher hinaufrücke. In Prima habe ich angefangen die Interpretation des Horatius Lateinisch zu geben, [2] etwas hier bis dahin Ungewöhnliches: deßwegen sahen mich alle auch mit einer ganz sonderbaren Miene an, als ich den Vortrag Lateinisch eröffnete. Um jedoch meiner Seits keinen Anstoß zu geben, besprach ich die Sache vorher mit dem Director, der zwar Anfangs glaubte, ich sollte zuerst Deutsch und darauf dasselbe auch Lateinisch erklären, zuletzt aber doch in den ganz Lateinischen Vortrag einstimmte. Es versteht sich, daß ich vorher die Schüler die Werke des Dichters Deutsch übersetzen lasse. Eben weil der Director seit der ersten Stunde, wo wir uns kennen lernten, ein ziemliches Zutrauen auf mich setzt (wie ich von einem andern meiner Kollegen gehört), so übertrug er mir mehr Stunden in den oberen Klassen, als ich hätte fordern können. Mein Vorgänger unterrichtete nur in den drei untersten Klassen. – Doch hören Sie nun auch, wie meine Anstellung eigentlich zu Stande kam. Mein Vorgänger kam zu Breslau bei der Regierung um die Erlaubniß ein, die Frau eines Mannes, der noch lebt, von dem sie aber als Evangelische geschieden ist, zu heirathen und die Trauung durch einen Ev. Prediger vollziehen zu lassen. Darauf erklärte sich das Consistorium, daß er entweder diese nach dem Kathol. Kanon ungültige Ehe oder sein Lehramt aufgeben müßte. Er that das erstere. Da aber unterdessen das Ministerium von dem Vorfall unterrichtet wurde, so beschloß es, daß jener schon wegen seines Vorsatzes und wegen des seinen Glaubensgenossen gegebenen Ärgernisses an einer Kath. Lehranstalt vor der Hand seines Amtes entsetzt seye, und ich an seine Stelle treten sollte. Sie können sich vorstellen, wie unangenehm mir dieses war, als ich es zuerst in Breslau erfuhr. Doch glücklicher Weise hat dieser Umstand kein nachtheiliges Vorurtheil gegen mich erregt, so sonderbar einem Jeden hier die Sache vorgekommen ist. Mit meinem Vorgänger habe ich hier Anfangs noch über 8 Tage ganz friedlich zusammengewohnt, indem ich seine Wohnung bezog, weil er wegen nicht vorhergegangener Kündigung auf ein Vierteljahr länger hätte zahlen müssen. Übrigens sind auch hier die Wohnungen sehr theuer, und Victualien noch theurer als in Berlin.
[3] Gegen alle Erwartung fand ich in der Gymnasial-Bibliothek manche ganz vortrefflichen Bücher: zum Tacitus und Horaz zB habe ich einen Apparat, wie ich ihn nur wünschen kann. Überhaupt sind von den am meisten gelesenen Klassikern die beßten neuesten Ausgaben größten Theils vorhanden. Da auch mir das Recht zusteht, Vorschläge zu machen, so habe ich neulich zum Anschaffen empfohlen Ihre Dramatischen Vorlesungen, die Werke Ihres Bruders und den Pindar von Boeckh. Aber dafür ist das Local desto schlechter: die neuesten Bücher hat man in eine enge Kammer gebracht, damit sie nicht durch Feuchtigkeit zu Grunde gehen möchten; die älteren aber, welche noch von den Jesuiten und Dominicanern herstammen, zum Theil sehr schätzbare Werke (z B. die Bibliotheca maxima Patrum, die Werke des Augustinus u anderer Kirchenväter), stehen noch in der alten Bibliothek, wo Dach und Fenstern verdorben sind, so daß man es kaum fünf Minuten darin aushalten kann. Schon seit vielen Jahren sind Pläne zur Errichtung eines neuen Gymasial-Gebäudes (denn auch dieses ist erbärmlich schlecht, so daß ich im Nassauischen weit bessere Elementarschulen gesehen habe: an einem Saal zu Prüfungen u dgl. fehlt es ganz) entworfen worden; aber bis jetzt ist noch keiner zur Ausführung gekommen. Jedoch glaubt Herr Präsident von Hippel, der mich aufs ehrenvollste empfangen hat und mich fortwährend mit Wohlwollen behandelt, da[ß] im nächsten Sommer der Anfang gemacht werde; denn er erwarte tagtäglich die Bestätigung des zuletzt entworfenen Planes von Berlin aus. – Auch habe ich hier den Reg. Assessor von Heyden kennen gelernt, der ein großer Verehrer von Ihnen ist, und sich sehr freuete, daß ich ihm Manches von Ihnen erzählen konnte. Ebenfalls lebt hier einer von den neuesten Übersetzern des Shakspeare, Reg. R. Benda. In Breslau habe ich Wachler und Passow kennen gelernt, die sich mir in ausgezeichnetem Grade gewogen zeigten, so daß ersterer mir anbot, aus der Königlichen Bibliothek Bücher zu meinem Gebrauche hierher zu schicken, letzterer aus seiner Privat-Bibliothek.
Bald wird es Zwölfe schlagen: also nochmals Glück auf zum neuen Jahr! Leben Sie recht wohl, und erinnern sich zuweilen eines Schülers, der nie vergessen kann, was Sie an ihm gethan haben.
Ew Hochwohlgeboren
ergebenster Schüler
N. Bach.
Wir haben 250 bis 260 Schüler: in Sexta allein habe ich 49, deren schriftliche Arbeiten durchzucorrigiren eben keine sonderlich angenehme Beschäftigung ist.
[4] Sr Hochwohlgeboren
Herrn Professor Dr von Schlegel
Ritter mehrerer Orden pp
Bonn.
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