• August Wilhelm von Schlegel to Dorothea von Schlegel

  • Place of Dispatch: Aubergenville · Place of Destination: Köln · Date: 19.01.1807
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Dorothea von Schlegel
  • Place of Dispatch: Aubergenville
  • Place of Destination: Köln
  • Date: 19.01.1807
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 362731780
  • Bibliography: Dorothea von Schlegel geb. Mendelssohn und deren Söhne Johannes und Philipp Veit. Hg. v. J. M. Raich im Auftrage der Familie Veit. Bd. 1. Mainz 1881, S. 209‒212.
  • Weitere Drucke: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 26. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Pariser und Kölner Lebensjahre (1802‒1808). Zweiter Teil (Januar 1806 ‒ Juni 1808). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Hans Dierkes. Paderborn 2018, S. 159‒161.
  • Incipit: „Aubergenville, den 19. Januar 1807.
    Meine theuerste Schwester und Freundin! schon lange habe ich an Sie schreiben wollen, um Ihnen zu sagen, [...]“
    Language
  • German
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Aubergenville, den 19. Januar 1807.
Meine theuerste Schwester und Freundin! schon lange habe ich an Sie schreiben wollen, um Ihnen zu sagen, wie wohlthätig der Besuch meines Bruders für mich ist, und um Ihnen herzlich zu danken, dass Sie mir ihn auf einige Zeit leihen wollen. Ich fürchte zwar, man wird ihn mir über kurz oder lang wieder abfordern, und es wird nichts helfen zu sagen, dass ich ihn noch nicht ausgelesen habe; jedoch kann ich das leider nicht unbillig finden und muss es beklagen, dass Sie so einsam sind, während wir uns unsrer Verbrüderung erfreuen. Es wäre schön, wenn wir einmal in Köln, auf altdeutschem Grund und Boden beisammen sein und vertraulich von vaterländischen Dingen und allem, was uns nahe angeht, schwatzen könnten. Die Zeit führt auch das gewiss herbei; vorigen Sommer war ich schon ganz nahe daran, hätten nicht meine Krankheit und andre Umstände den herrlichen Plan vereitelt. Glauben Sie mir, das Heimweh, das Gefühl der Vereinzelung in der Fremde ist gar eine traurige Krankheit. Sie haben das nie so empfinden können, weil Sie in Frankreich immer von den Ihrigen umgeben waren.
Darum hatte ich Friedrichs Zuspruch so sehr nöthig; er fand mich in einer grossen Verstimmung, und nun habe ich Heiterkeit genug gewonnen, um sogar verschiedenes zu dichten, wovon er Ihnen Abschriften mitbringen soll. Wir haben lebhafte Mittheilungen über unsre beiderseitigen Studien und Pläne, man muss auf die Zukunft sinnen, wenn auch die Gegenwart wenig Aufmunterung gewährt. Friedrichs neueste Gedichte sind mir eine wahre Erquickung gewesen. Ich finde, dass er seit einiger Zeit ein unmittelbareres Organ entdeckt hat, um seine innere Poesie kund zu gehen, er spielt ein weniger künstliches, aber inniger tönendes Instrument. Die ächt deutsche Gesinnung, die aus allem spricht, muss ihn zum Lieblingsdichter aller nicht ausgearteten Landsleute machen. Wäre nur erst alles gedruckt! Indessen habe ich mich die Mühe nicht verdriessen lassen, diese sämmtlichen Gedichte abzuschreiben, um sie als ein kräftiges Trostbüchlein immer bei mir zu führen. Unser brüderliches Bündnis ist mir um so werther, weil es sich nicht selten begiebt, dass einer oder der andre von den sogenannten guten Freunden zum Teufel geht. Die Abwesenheit bringt manche heimliche Gesinnung an den Tag. Ich sage dies namentlich in Bezug auf meinen ehemaligen Berliner Zirkel. Nicht alle äussern sich zwar mit so drolligen Anspielungen wie Fichte in seinem Zeitalter. Denken Sie sich, Tieck hat sich gegen Madame Unger erboten, meinen Shakespeare fortzusetzen. Sie hat natürlich geantwortet, sie wolle es nur in dem Falle annehmen, wenn er mit mir darüber einverstanden wäre. Ich habe mir nun fest vorgenommen, ihm dafür bei Gelegenheit, nach dem biblischen Ausdruck, einen Tuck zu beweisen und seine Katzenpfote einmal fest in die Schlinge zu ziehen. Aus den Albernheiten, welche allhier ein gewisser dänischer Seebär und Poet, namens Oehlenschläger, vorgebracht, haben wir ungefähr abnehmen können, wie sündhaft der alte Heide Goethe über uns reden mag. Alles dies hat mir denn doch einen Antrieb gegeben‚ einmal wieder mit entschiedener Thätigkeit in der Litteratur aufzutreten. Wenn Ihnen der ,Berlinische Damenkalenderʻ zu Gesichte kommt, so werden Sie einen Aufsatz und ein Gedicht von mir darin finden. Nächstens soll nun wieder Shakespeare und ,Spanisches Theaterʻ erscheinen. Bald dürfte ich auch als Schriftsteller in französischer Sprache auftreten. Nach einigen unvollendet gebliebenen Versuchen habe ich endlich eine ,Vergleichung der Phädra des Racine mit der des Euripidesʻ fertig geschrieben. Eine Bekehrung zur französischen Litteratur ist es indessen nicht, denn meine Begeisterung dabei war hauptsächlich, dass es die Leser verdriessen soll. ,Lother und Mallerʼ habe ich mit grossem Vergnügen gelesen, der Ton ist vortrefflich gehalten. Können Sie nicht mehr dergleichen geben? Der neue Roman der Frau von Staël wird Sie gewiss sehr interessiren. Friedrich hat nun die Uebersetzung zu besorgen übernommen, zu der ich mich früher anheischig gemacht hatte. In etwa einem Monate soll der Druck anfangen. Madame Unger äussert, ungeachtet der ungünstigen Zeiten, ein grosses Verlangen, die Uebersetzung im Verlage zu haben. Doch ich schwatze Ihnen mancherlei vor, was Ihnen Friedrich vielleicht schon gemeldet, und vergesse Ihnen zu sagen, was er übergangen haben wird, nämlich wie sehr meine Freundin sich in seinem Umgange gefällt, wie lebhaften Beifall sowohl sein Scherz als sein geistreicher Ernst findet, wie viel er überhaupt beiträgt, das gesellige Leben in unserm Hause angenehm zu beseelen. Seine Vorlesungen über Philosophie und Geschichte der Philosophie sind mir sehr bedeutend; ich wollte nur, dass er endlich einmal öffentlich aufträte, um seine Ueberlegenheit über Schelling und den seligen und seligmachenden Fichte zu beweisen. Freilich liegen mir seine poetischen Unternehmungen noch mehr am Herzen.
Wenn meine Freundin die Rückkehr nach Paris erlangen sollte, so könnte es für meinen Bruder ein Mittel werden, uns öfter dort zu vereinigen, da er einmal in ihrem Hause einheimisch geworden. Paris muss ihm für seine Studien immer wichtig sein, besonders da Deutschland grossentheils so wüst und unwirthbar geworden. Denn seine Absichten auf Wien scheinen mir manchen Bedenklichkeiten unterworfen zu sein. Ihre Schwester hat mich sehr freundschaftlich aufgenommen, nur verdarb sie es wieder damit, dass sie, ungeachtet sie uns beide in demselben Hause wusste, an meinen Bruder ohne allen Vornamen, blos an Schlegel schrieb. Kann man mich vollständiger vernichten? Doch das ist wohl eine Familien-Eigenheit, nur einen Schlegel als den allein gültigen anzuerkennen.
Leben Sie tausendmal wohl, und lassen sie mich Ihrem freundlichen Andenken empfohlen sein.
Ganz Ihr
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Aubergenville, den 19. Januar 1807.
Meine theuerste Schwester und Freundin! schon lange habe ich an Sie schreiben wollen, um Ihnen zu sagen, wie wohlthätig der Besuch meines Bruders für mich ist, und um Ihnen herzlich zu danken, dass Sie mir ihn auf einige Zeit leihen wollen. Ich fürchte zwar, man wird ihn mir über kurz oder lang wieder abfordern, und es wird nichts helfen zu sagen, dass ich ihn noch nicht ausgelesen habe; jedoch kann ich das leider nicht unbillig finden und muss es beklagen, dass Sie so einsam sind, während wir uns unsrer Verbrüderung erfreuen. Es wäre schön, wenn wir einmal in Köln, auf altdeutschem Grund und Boden beisammen sein und vertraulich von vaterländischen Dingen und allem, was uns nahe angeht, schwatzen könnten. Die Zeit führt auch das gewiss herbei; vorigen Sommer war ich schon ganz nahe daran, hätten nicht meine Krankheit und andre Umstände den herrlichen Plan vereitelt. Glauben Sie mir, das Heimweh, das Gefühl der Vereinzelung in der Fremde ist gar eine traurige Krankheit. Sie haben das nie so empfinden können, weil Sie in Frankreich immer von den Ihrigen umgeben waren.
Darum hatte ich Friedrichs Zuspruch so sehr nöthig; er fand mich in einer grossen Verstimmung, und nun habe ich Heiterkeit genug gewonnen, um sogar verschiedenes zu dichten, wovon er Ihnen Abschriften mitbringen soll. Wir haben lebhafte Mittheilungen über unsre beiderseitigen Studien und Pläne, man muss auf die Zukunft sinnen, wenn auch die Gegenwart wenig Aufmunterung gewährt. Friedrichs neueste Gedichte sind mir eine wahre Erquickung gewesen. Ich finde, dass er seit einiger Zeit ein unmittelbareres Organ entdeckt hat, um seine innere Poesie kund zu gehen, er spielt ein weniger künstliches, aber inniger tönendes Instrument. Die ächt deutsche Gesinnung, die aus allem spricht, muss ihn zum Lieblingsdichter aller nicht ausgearteten Landsleute machen. Wäre nur erst alles gedruckt! Indessen habe ich mich die Mühe nicht verdriessen lassen, diese sämmtlichen Gedichte abzuschreiben, um sie als ein kräftiges Trostbüchlein immer bei mir zu führen. Unser brüderliches Bündnis ist mir um so werther, weil es sich nicht selten begiebt, dass einer oder der andre von den sogenannten guten Freunden zum Teufel geht. Die Abwesenheit bringt manche heimliche Gesinnung an den Tag. Ich sage dies namentlich in Bezug auf meinen ehemaligen Berliner Zirkel. Nicht alle äussern sich zwar mit so drolligen Anspielungen wie Fichte in seinem Zeitalter. Denken Sie sich, Tieck hat sich gegen Madame Unger erboten, meinen Shakespeare fortzusetzen. Sie hat natürlich geantwortet, sie wolle es nur in dem Falle annehmen, wenn er mit mir darüber einverstanden wäre. Ich habe mir nun fest vorgenommen, ihm dafür bei Gelegenheit, nach dem biblischen Ausdruck, einen Tuck zu beweisen und seine Katzenpfote einmal fest in die Schlinge zu ziehen. Aus den Albernheiten, welche allhier ein gewisser dänischer Seebär und Poet, namens Oehlenschläger, vorgebracht, haben wir ungefähr abnehmen können, wie sündhaft der alte Heide Goethe über uns reden mag. Alles dies hat mir denn doch einen Antrieb gegeben‚ einmal wieder mit entschiedener Thätigkeit in der Litteratur aufzutreten. Wenn Ihnen der ,Berlinische Damenkalenderʻ zu Gesichte kommt, so werden Sie einen Aufsatz und ein Gedicht von mir darin finden. Nächstens soll nun wieder Shakespeare und ,Spanisches Theaterʻ erscheinen. Bald dürfte ich auch als Schriftsteller in französischer Sprache auftreten. Nach einigen unvollendet gebliebenen Versuchen habe ich endlich eine ,Vergleichung der Phädra des Racine mit der des Euripidesʻ fertig geschrieben. Eine Bekehrung zur französischen Litteratur ist es indessen nicht, denn meine Begeisterung dabei war hauptsächlich, dass es die Leser verdriessen soll. ,Lother und Mallerʼ habe ich mit grossem Vergnügen gelesen, der Ton ist vortrefflich gehalten. Können Sie nicht mehr dergleichen geben? Der neue Roman der Frau von Staël wird Sie gewiss sehr interessiren. Friedrich hat nun die Uebersetzung zu besorgen übernommen, zu der ich mich früher anheischig gemacht hatte. In etwa einem Monate soll der Druck anfangen. Madame Unger äussert, ungeachtet der ungünstigen Zeiten, ein grosses Verlangen, die Uebersetzung im Verlage zu haben. Doch ich schwatze Ihnen mancherlei vor, was Ihnen Friedrich vielleicht schon gemeldet, und vergesse Ihnen zu sagen, was er übergangen haben wird, nämlich wie sehr meine Freundin sich in seinem Umgange gefällt, wie lebhaften Beifall sowohl sein Scherz als sein geistreicher Ernst findet, wie viel er überhaupt beiträgt, das gesellige Leben in unserm Hause angenehm zu beseelen. Seine Vorlesungen über Philosophie und Geschichte der Philosophie sind mir sehr bedeutend; ich wollte nur, dass er endlich einmal öffentlich aufträte, um seine Ueberlegenheit über Schelling und den seligen und seligmachenden Fichte zu beweisen. Freilich liegen mir seine poetischen Unternehmungen noch mehr am Herzen.
Wenn meine Freundin die Rückkehr nach Paris erlangen sollte, so könnte es für meinen Bruder ein Mittel werden, uns öfter dort zu vereinigen, da er einmal in ihrem Hause einheimisch geworden. Paris muss ihm für seine Studien immer wichtig sein, besonders da Deutschland grossentheils so wüst und unwirthbar geworden. Denn seine Absichten auf Wien scheinen mir manchen Bedenklichkeiten unterworfen zu sein. Ihre Schwester hat mich sehr freundschaftlich aufgenommen, nur verdarb sie es wieder damit, dass sie, ungeachtet sie uns beide in demselben Hause wusste, an meinen Bruder ohne allen Vornamen, blos an Schlegel schrieb. Kann man mich vollständiger vernichten? Doch das ist wohl eine Familien-Eigenheit, nur einen Schlegel als den allein gültigen anzuerkennen.
Leben Sie tausendmal wohl, und lassen sie mich Ihrem freundlichen Andenken empfohlen sein.
Ganz Ihr
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