• Philipp Joseph von Rehfues to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Paris · Place of Destination: Bonn · Date: 08.09.1842
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Philipp Joseph von Rehfues
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Paris
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 08.09.1842
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-611-36842
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.19,Nr.76
  • Number of Pages: 10 S. auf Doppelbl., hs. m. U. u. 1 Bl. Beilage (s. Beilage)
  • Format: 26,5 x 21,2 cm
  • Incipit: „[1] beantw. d. 6ten Oct. 42
    Paris d. 8t Septemb. 1842.
    Sie erwarten mit Recht einen Brief von mir aus Paris, mein [...]“
    Language
  • German
  • French
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Strobel, Jochen
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[1] beantw. d. 6ten Oct. 42
Paris d. 8t Septemb. 1842.
Sie erwarten mit Recht einen Brief von mir aus Paris, mein hochverehrter Freund. Hättʼ ich es vergessen können, würde mich eine der ersten literarischen Neuigkeiten, denen ich hier begegnet bin, an mein Wort erinnert haben. Der 4te Band der Contemporains illustres enthält Ihren Namen mit denen von Sir Robert Peel, von Royer-Collard, von Lord John Russel und ähnlichen Notabilitäten unserer Zeit. Es hat einen überaus angenehmen Eindruck auf mich gemacht, Sie in dieser Schrift im Ganzen mit eben so viel Kenntniß der Sache, als Wohlwollen und Gerechtigkeit behandelt zu finden. Ich werde Ihnen die Schrift selbst mitbringen, kann mir jedoch das Vergnügen nicht versagen, jetzt schon einen Ueberblick über diese biographische Skizze voraus zu senden. Ich sage nichts von dem Porträt, sondern lege es lieber gleich selbst bei. Nach einer Stelle aus der Allemagne der Frau von Stäel über Sie folgt das Motto aus Ihren eigenen Dichtungen:
Nun ist der Vorzeit hohe Kraft zerronnen,
Man wagt es, sie der Barbarei zu zeihen,
Sie haben enge Weisheit sich ersonnen,
Was Ohnmacht nicht begreift, sind Träumereien.
Es ist überaus gar zu erfreulich, Schriften, welche das größte Publicum in Frankreich haben, mit Deutschen Versen eröffnet zu sehen. Der Verfasser beginnt darauf mit der Bemerkung, daß von der zahlreichen u. schönen literarischen Familie, deren Erstgeborner Lessing, und deren Haupt Göthe gewesen, nun noch drei Männer übrig seien; ein alter Philosoph Schelling, ein alter Dichter Tieck, und ein alter Dichter u. Critiker, Sie mein hoch[2]verehrter Freund. Wenn man durch Bonn komme und sich nach den Merkwürdigkeiten der Stadt erkundige, zeige man dem Reisenden un petit (?) vieillard élégant, en peruque blonde, qui porte assez bien ses TS hivers, et qui achève la, entouré dʼun très grand silence, une carrière commencée et poursuivie au milieu dʼun grand bruit.
Ich will die gleich folgende Stelle nicht weglassen, weil einige Wahrheit darin ist.
Ce doit être une chose triste de survivre à son temps, de voir les idées, quʼon a émises avec effort, pour lesquelles on a combattu avec éclat, devenues en partie des banalités, après avoir été dʼaudacieux paradoxes, circuler paisiblement au milieu dʼune génération nouvelle qui en prend ce qui lui convient, qui se fait honneur de ce quʼelle prend comme une création, et qui dans sa joie, de courir sans lisière dans un champs plus vaste que ses devanciers, oublie de se retourner pour dire merci à ceux qui lui ont ouvert le chemin.
Ebenso heißt es weiter in Bezug auf Frankreich: wenn auch vielleicht die Hälfte der Leser der Galerie Sie nur dem Namen nach kenne, so müßte doch die ganze moderne Literatur, welche man mit dem Namen Romantik bezeichne, Ihnen Statuen errichten; denn nach Lessing seien Sie ihr erster, kraftvollster und berühmtester Verfasser gewesen.
Nun folgt ein Ueberblick über die Geschichte der Deutsche[n] Literatur, wie sie sich aus ihrem Verfall erhoben, und [3] ihren neuen Aufschwung mit einer Reaction gegen alles Französische begonnen. Lessing habe den Kampf mit einer negativen Critik eröffnet; die andre Hälfte der Aufgabe sei seinen unmittelbaren Nachfolgern, Ihnen und Ihrem verewigtem Bruder, zugefallen, Ihnen ins besondre in demjenigen, was die dramatische Literatur betreffe. Sie hätten die Freiheit der Kunst zuerst zur Sprache gebracht, die Frage aus einem höhern Gesichtspunkt abgehandelt und mit kühner Hand die Poëtik der Romantik entworfen. Sie hätten dem modernen Theater den Grundsatz erfochten: de ne se régir, quʼaprès des principes puisès dans le génie, les idées et les moeurs des peuples modernes.
Dieses, fährt der Verfasser fort, sei 1808 geschehen, 19 Jahre v[or] d[e]r berühmten Vorrede zum Cromwell (wohl von V. Hugo?) Nach unsern Bajonetten sei die Deutsche Literatur unter dem Schutz der Frau von Staël in Frankreich eingezogen. V. Hugo habe Ihre These en sousordre aufgestellt und sie passablement entstellt, indem er sie nach seiner Art zugeschnitten. Nun habe sich der Streit, der in Frankreich Deutschland lang entschieden gewesen, in Frankreich entsponnen. Die Theoretiker der Romantik hätten sich jedoch in der Anwendung sehr mittelmässig gezeigt; mais ce nʼest par la faute de Mr. de Schlegel, setzt er hinzu.
Nach dieser Einleitung folgt ein Ausblick über Ihre äussere Lebensgeschichte, mein hochverehrter Freund. Im schnellen [4] Durchlesen finde ich keinen Hauptverstoß. Ihr Verhältniß zu Bürgern ist angenehm geschildert und Ihrer Liebe für den unglücklichen Dichter in Ihrem Vers
Mein erster Meister in der Kunst der Lieder pp
gedacht. Erst in Jena habe die Periode der Fruchtbarkeit, der Polemik und der Celebrität für Sie begonnen. Die Horen, der Schillerʼsche Musen-Almanach, das Athenäum wurden erwähnt und dem Letzten ist ein grosser Einfluß beigemessen. Götheʼs Herrschaft sei damals in ihrem höchsten Glanze gewesen. Dieser unersättliche Prometheus habe sich die poëtische Substanz aller Zeiten und Völker anzueignen gewußt, aber ohne das Genie, mit dem er allen seinen Eroberungen ein individuelles Gepräge aufgedrückt, würde er doch nur ein plagiaire universel gewesen sein. Séduits par cette magnifique exception les frères Schlegel eri[gè]r[en]t lʼexemple en précepte. Sur les débris de lʼécole française, de lʼécole grecque et de lʼécole anglaise, ils tentèrent de fonder une école des écoles, va[ste] caravansérail à toutes les manifestations de la poësie humaine depuis le commencement du monde jusquʼà nos jours. Par aversion de lʼesprit exclusif dans la critique, ils poussèrent lʼélecticisme jusquʼà ses dernières limites et préchèrent une sorte de polythéisme esthétique, confondant dans une même adoption tous les dieux de tous les pays et de tous les [5] siècles. Les avantages et les dangers de cette théorie se conçoivent facilement; elle élargissait les sphères de lʼinspiration, mais elle tuait lʼoriginalité en faisant disparaitre les conditions de temps et de lieu. pp
Auch das fameux principe de lʼart pour lʼart, heißt es weiter, haben wir von Göthe und den Schlegeln empfangen. Dans leur éclecticisme, en fait de gout et de manières, ils admirent volontiers pour critérium du beau en poésie lʼélégance et lʼharmonie du vers. G. Schlegel joignit la pratique à la théorie. Ses poésies diverses présentent un curieux mélange dʼinspirations païennes, chrétiennes, mythologiques, catholiques, orientales, chevaleresques, graves, légères, raffinées, naïves. Odes, épitres, élégies, ballades, chansons, épigrammes, sonnets, tout sʼy trouve, tout, jusquʼà la sévère tragédie grecque dʼIon. Unter den Sonetten werden die an Ihre verklärte Tochter am meisten gerühmt. Ihre rhythmische Meisterschaft wird schuldigermassen anerkannt, doch meint der Verfasser, zu meinem Trost, daß Sie sie vielleicht zu weit getrieben. In den Uebersetzungen von Shakespear u. Calderon läßt er sie mehr gelten; in den Original-Dichtungen müsse dieser Rigorismus der Richtigkeit und Energie des Gedankens Eintrag thun.
Da ich einmal am Tadel bin, will ich nicht verschweigen, daß dem Athenäum auch die Anbetung von Göthe, so [6] wie die morgue aristocratique und noch Stärkeres gegen seine Gegner vorgeworfen wird. Man sei Ihnen zwar nichts schuldig geblieben, aber das Athenäum habe doch sehr heilsam eingewirkt. Essentiellement doué du sentiment de lʼidéal, heißt es von Ihnen mit vollstem Recht, du noble et du grand, le vigoureux critique fit une guerre à mort à la trivialité et à lʼimmoralité. Es wird darauf Ihres Kampfs gegen die Naturdichter und gegen Kotzebue gedacht, den Sie au triple point de vue de lʼart, de la vérité et de la moralité avec lʼarme de la raison et du ridicule, en prose et en vers, avec de la logique et des épigrammes, angegriffen.
Die Schrift nennt die Jahre 1795–1804 Ihre polemische Periode und berührt Ihr Leben als Professor in Jena und Ihre Werke aus derselben. Die Uebersetzungen von Shakspeare und Calderon werden so ziemlich richtig gewürdigt; weniger ist der Verfasser mit dem Ion zufrieden, an dem ich immer ein besonderes Wohlgefallen gehabt habe.
Die Darstellung geht nun auf Ihr Verhältniß zu der Frau von Staël über, welche Sie in Berlin kennen gelernt haben sollen, und mit der Sie Sich par un lien dʼamitiè et dʼardente admiration verbunden, que la mort seule put rompre. Il abandonna la position brillante, quʼil occupait alors en Allemagne, pour se charger de lʼéducation des enfants de Mdm de Staël. La noble délicatesse de lʼauteur de Corinne sut apprécier le sacrifice et dans Schlegel ne vit jamais [7] que lʼhomme éminent et lʼami dévoué. Il partagea sa vie errante et souvent tourmentée; avec elle il séjourna successivement à Coppet, en Italie, en France, à Vienne, en Russie, en Suede et enfin il ne se sépara de son illustre amie, quʼa Paris en 1817, le 14 Juillet, jour fatal pp
Von Ihrem Einfluß auf die schriftstellerischen Arbeiten der Frau von Staël heißt es: durant ces douze années dʼintimité, Schlegel exerça incontestablement une certaine influence sur la direction des traveaux et des idées de Mdm. de St. Sie hätte nichts geschrieben, ohne den Gegenstand vorher mit Ihnen streitend besprochen zu haben, et Schlegel, causeur polyglotte, abondant et également brillant dans toutes les langues, ne manquait jamais de relever le gant.
Hierauf kommt der Verfasser auf Ihre Vergleichung der Racineʼschen u. Euripidschen Phædra und auch hier lautet es besser, als von einem Franzosen erwartet werden sollte. Ce petit écrit, dʼun trés bon style, plain de science et dʼesprit, mais trop passionnée en faveur du poëte grec au détriment du poëte français, fit un grand scandale parmi tous les literateurs de lʼempire. Aber nun die merkwürdige Äusserung: il est de fait, que lʼécrit de Schlegel, qui était une monstruosité en 1807, qui eut eté une banalité en 1830, publié aujourdhui que nous assistons à une espèce de réaction dramatique, [8] serait presquʼencore une monstruosité. À mes yeux cʼest un morceau curieux, et qui, parmi plusieurs erreurs contient du grand nombre dʼobservations fines, judicieuses et assez étonnantes de la part dʼun étranger.
Von Ihren fameux cours de literature dramatique, traduit dans toutes les langues, et qui mérite à beaucoup dʼégards la réputation, quʼil obtint, heißt es: jamais la critique ne sʼétait élévée à cette hauteurs, à cet éclat; cʼest un mélange rare de science profonde, de large et brillante poësie. Besonders wird Ihre Darstellung der gesellschaftlichen Zustände in Griechenland gerühmt. Gegen das römische u. das italienische Theater sind Sie dem Verfasser zu streng, und in dem, was Sie von dem französischen sagen, sind Sie unter Sich Selbst geblieben; ja, Sie analysiren Racineʼn ungefähr, wie Laharpe Shakespeareʼn analysirt haben würde. Am unglücklichsten sind Sie jedoch im Verständniß von Molière, dessen Haupttalent Sie im Burleske-Komischen gefunden. Sie müssen kein Wort von Tartuffe u. vom Misanthrope gelesen haben, mein höchstgelehrter Freund. Nur in der Bewunderung vom Shakespeare sind Sie fanatisch. Ce nʼest dʼun bout à lʼautre quʼun hymne perpétuel.
Hierauf noch wenige Worte von Ihrer Verwicklung in das Exil der Frau von Stäel, von Ihrem Verhältniß zum Kronprinzen von Schweden, von Ihrer Schrift über das Continental-System, Ihrer Anstellung in Bonn und Ihren indischen Arbeiten. [9] Sie sind un des Indianistes les plus distinguès de lʼépoque. Ihre verschiedenen Werke in diesem Fach werden mit gebührender Anerkennung genannt.
Hierauf schließt der Verfasser: dʼaprès tout ce qui précède le lecteur ne saurait manquer de reconnaitre dans M. de Schl. poëte, critique, philologue, orientaliste et traducteur, une intelligence hors ligne, un homme dont le nom restera dans lʼhistoire litérarire de nos cinquante dernières années. Hätte er Zeit, würde er die Spuren Ihres Einflußes auf die moderne Critik in Deutschland u. in Frankreich weiter verfolgen. Der Fehler der Ihrigen habe darin gelegen, daß Sie Ihre Kräfte zersplittert. Sie hätten es selbst gefühlt, sagt er, und Ihr letztes Werk mit einem Bekenntniß geschlossen, mit dem auch er abbricht: ces essais sont comme des jalons plantès de distance en distance, le long de ma carrière litéraire, vers la fin de laquelle je dois mʼavouer, que jʼai beaucoup entrepris et achevè peu de choses.
So werden Sie zu guter Letzt mit Ihren eigenen Worten geschlagen und so geht es in Frankreich immer, wenn man zu bescheiden ist. Ich für mich habe mir hier eine solche Unbescheidenheit zur Aufgabe gemacht, daß ich nun allen Celebritäten des Landes das Haupt nicht umwende und selbst noch ungewiß bin, ob ich zu Quizot gehen werde. Ohnedieß wird auch unser Aufenthalt hier [10] nur kurze Zeit dauern, und müssen wir die Tage so sehr zu unsern Besuchen bei den Merkwürdigkeiten benutzen, daß wir die Nacht für unsre Ruhe nicht entbehren können.
Ausser den Verschönerungen von Paris habe ich kaum Fortschritte in Frankreich seit 1815 bemerken können. Desto befriedigter bin ich von Belgien. Hier ist seit dem ausserordentlich viel geschehen; denn auch dem König von Holland gebührt ein großer Antheil daran. Am meisten hat mich überrascht, daß mir die Civilisation überall älter vorgekommen ist, als am Rhein. Sollten die Kreutzüge nicht daran Theil haben, von denen der erste, geordnete Zug doch aus diesen Gegenden ausging, und von dem viele Personen der gebildeten Stände wieder zurückkehrten? Ich unterwerfe diesen Gedanken Ihrem Urtheil, mein hochverehrter Freund.
Ich hoffe, daß dieser Brief Sie in bester Gesundheit findet und seine Länge Sie nicht krank macht. Im Nothfall können Sie ihn ja ungelesen lassen und nur die besten Empfehlungen meiner Frau und die Ausdrücke der gewohnten Verehrung sich zueignen, mit der ich stets sein werde Ihr
v. Rehfues.
Wollen Sie mich mit einigen Worten erfreuen, bitte ich den Brief an meinen Schwager in Darmstadt zu adressiren:
Ober-App. Gerichtsrath von Hecht.
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[1] beantw. d. 6ten Oct. 42
Paris d. 8t Septemb. 1842.
Sie erwarten mit Recht einen Brief von mir aus Paris, mein hochverehrter Freund. Hättʼ ich es vergessen können, würde mich eine der ersten literarischen Neuigkeiten, denen ich hier begegnet bin, an mein Wort erinnert haben. Der 4te Band der Contemporains illustres enthält Ihren Namen mit denen von Sir Robert Peel, von Royer-Collard, von Lord John Russel und ähnlichen Notabilitäten unserer Zeit. Es hat einen überaus angenehmen Eindruck auf mich gemacht, Sie in dieser Schrift im Ganzen mit eben so viel Kenntniß der Sache, als Wohlwollen und Gerechtigkeit behandelt zu finden. Ich werde Ihnen die Schrift selbst mitbringen, kann mir jedoch das Vergnügen nicht versagen, jetzt schon einen Ueberblick über diese biographische Skizze voraus zu senden. Ich sage nichts von dem Porträt, sondern lege es lieber gleich selbst bei. Nach einer Stelle aus der Allemagne der Frau von Stäel über Sie folgt das Motto aus Ihren eigenen Dichtungen:
Nun ist der Vorzeit hohe Kraft zerronnen,
Man wagt es, sie der Barbarei zu zeihen,
Sie haben enge Weisheit sich ersonnen,
Was Ohnmacht nicht begreift, sind Träumereien.
Es ist überaus gar zu erfreulich, Schriften, welche das größte Publicum in Frankreich haben, mit Deutschen Versen eröffnet zu sehen. Der Verfasser beginnt darauf mit der Bemerkung, daß von der zahlreichen u. schönen literarischen Familie, deren Erstgeborner Lessing, und deren Haupt Göthe gewesen, nun noch drei Männer übrig seien; ein alter Philosoph Schelling, ein alter Dichter Tieck, und ein alter Dichter u. Critiker, Sie mein hoch[2]verehrter Freund. Wenn man durch Bonn komme und sich nach den Merkwürdigkeiten der Stadt erkundige, zeige man dem Reisenden un petit (?) vieillard élégant, en peruque blonde, qui porte assez bien ses TS hivers, et qui achève la, entouré dʼun très grand silence, une carrière commencée et poursuivie au milieu dʼun grand bruit.
Ich will die gleich folgende Stelle nicht weglassen, weil einige Wahrheit darin ist.
Ce doit être une chose triste de survivre à son temps, de voir les idées, quʼon a émises avec effort, pour lesquelles on a combattu avec éclat, devenues en partie des banalités, après avoir été dʼaudacieux paradoxes, circuler paisiblement au milieu dʼune génération nouvelle qui en prend ce qui lui convient, qui se fait honneur de ce quʼelle prend comme une création, et qui dans sa joie, de courir sans lisière dans un champs plus vaste que ses devanciers, oublie de se retourner pour dire merci à ceux qui lui ont ouvert le chemin.
Ebenso heißt es weiter in Bezug auf Frankreich: wenn auch vielleicht die Hälfte der Leser der Galerie Sie nur dem Namen nach kenne, so müßte doch die ganze moderne Literatur, welche man mit dem Namen Romantik bezeichne, Ihnen Statuen errichten; denn nach Lessing seien Sie ihr erster, kraftvollster und berühmtester Verfasser gewesen.
Nun folgt ein Ueberblick über die Geschichte der Deutsche[n] Literatur, wie sie sich aus ihrem Verfall erhoben, und [3] ihren neuen Aufschwung mit einer Reaction gegen alles Französische begonnen. Lessing habe den Kampf mit einer negativen Critik eröffnet; die andre Hälfte der Aufgabe sei seinen unmittelbaren Nachfolgern, Ihnen und Ihrem verewigtem Bruder, zugefallen, Ihnen ins besondre in demjenigen, was die dramatische Literatur betreffe. Sie hätten die Freiheit der Kunst zuerst zur Sprache gebracht, die Frage aus einem höhern Gesichtspunkt abgehandelt und mit kühner Hand die Poëtik der Romantik entworfen. Sie hätten dem modernen Theater den Grundsatz erfochten: de ne se régir, quʼaprès des principes puisès dans le génie, les idées et les moeurs des peuples modernes.
Dieses, fährt der Verfasser fort, sei 1808 geschehen, 19 Jahre v[or] d[e]r berühmten Vorrede zum Cromwell (wohl von V. Hugo?) Nach unsern Bajonetten sei die Deutsche Literatur unter dem Schutz der Frau von Staël in Frankreich eingezogen. V. Hugo habe Ihre These en sousordre aufgestellt und sie passablement entstellt, indem er sie nach seiner Art zugeschnitten. Nun habe sich der Streit, der in Frankreich Deutschland lang entschieden gewesen, in Frankreich entsponnen. Die Theoretiker der Romantik hätten sich jedoch in der Anwendung sehr mittelmässig gezeigt; mais ce nʼest par la faute de Mr. de Schlegel, setzt er hinzu.
Nach dieser Einleitung folgt ein Ausblick über Ihre äussere Lebensgeschichte, mein hochverehrter Freund. Im schnellen [4] Durchlesen finde ich keinen Hauptverstoß. Ihr Verhältniß zu Bürgern ist angenehm geschildert und Ihrer Liebe für den unglücklichen Dichter in Ihrem Vers
Mein erster Meister in der Kunst der Lieder pp
gedacht. Erst in Jena habe die Periode der Fruchtbarkeit, der Polemik und der Celebrität für Sie begonnen. Die Horen, der Schillerʼsche Musen-Almanach, das Athenäum wurden erwähnt und dem Letzten ist ein grosser Einfluß beigemessen. Götheʼs Herrschaft sei damals in ihrem höchsten Glanze gewesen. Dieser unersättliche Prometheus habe sich die poëtische Substanz aller Zeiten und Völker anzueignen gewußt, aber ohne das Genie, mit dem er allen seinen Eroberungen ein individuelles Gepräge aufgedrückt, würde er doch nur ein plagiaire universel gewesen sein. Séduits par cette magnifique exception les frères Schlegel eri[gè]r[en]t lʼexemple en précepte. Sur les débris de lʼécole française, de lʼécole grecque et de lʼécole anglaise, ils tentèrent de fonder une école des écoles, va[ste] caravansérail à toutes les manifestations de la poësie humaine depuis le commencement du monde jusquʼà nos jours. Par aversion de lʼesprit exclusif dans la critique, ils poussèrent lʼélecticisme jusquʼà ses dernières limites et préchèrent une sorte de polythéisme esthétique, confondant dans une même adoption tous les dieux de tous les pays et de tous les [5] siècles. Les avantages et les dangers de cette théorie se conçoivent facilement; elle élargissait les sphères de lʼinspiration, mais elle tuait lʼoriginalité en faisant disparaitre les conditions de temps et de lieu. pp
Auch das fameux principe de lʼart pour lʼart, heißt es weiter, haben wir von Göthe und den Schlegeln empfangen. Dans leur éclecticisme, en fait de gout et de manières, ils admirent volontiers pour critérium du beau en poésie lʼélégance et lʼharmonie du vers. G. Schlegel joignit la pratique à la théorie. Ses poésies diverses présentent un curieux mélange dʼinspirations païennes, chrétiennes, mythologiques, catholiques, orientales, chevaleresques, graves, légères, raffinées, naïves. Odes, épitres, élégies, ballades, chansons, épigrammes, sonnets, tout sʼy trouve, tout, jusquʼà la sévère tragédie grecque dʼIon. Unter den Sonetten werden die an Ihre verklärte Tochter am meisten gerühmt. Ihre rhythmische Meisterschaft wird schuldigermassen anerkannt, doch meint der Verfasser, zu meinem Trost, daß Sie sie vielleicht zu weit getrieben. In den Uebersetzungen von Shakespear u. Calderon läßt er sie mehr gelten; in den Original-Dichtungen müsse dieser Rigorismus der Richtigkeit und Energie des Gedankens Eintrag thun.
Da ich einmal am Tadel bin, will ich nicht verschweigen, daß dem Athenäum auch die Anbetung von Göthe, so [6] wie die morgue aristocratique und noch Stärkeres gegen seine Gegner vorgeworfen wird. Man sei Ihnen zwar nichts schuldig geblieben, aber das Athenäum habe doch sehr heilsam eingewirkt. Essentiellement doué du sentiment de lʼidéal, heißt es von Ihnen mit vollstem Recht, du noble et du grand, le vigoureux critique fit une guerre à mort à la trivialité et à lʼimmoralité. Es wird darauf Ihres Kampfs gegen die Naturdichter und gegen Kotzebue gedacht, den Sie au triple point de vue de lʼart, de la vérité et de la moralité avec lʼarme de la raison et du ridicule, en prose et en vers, avec de la logique et des épigrammes, angegriffen.
Die Schrift nennt die Jahre 1795–1804 Ihre polemische Periode und berührt Ihr Leben als Professor in Jena und Ihre Werke aus derselben. Die Uebersetzungen von Shakspeare und Calderon werden so ziemlich richtig gewürdigt; weniger ist der Verfasser mit dem Ion zufrieden, an dem ich immer ein besonderes Wohlgefallen gehabt habe.
Die Darstellung geht nun auf Ihr Verhältniß zu der Frau von Staël über, welche Sie in Berlin kennen gelernt haben sollen, und mit der Sie Sich par un lien dʼamitiè et dʼardente admiration verbunden, que la mort seule put rompre. Il abandonna la position brillante, quʼil occupait alors en Allemagne, pour se charger de lʼéducation des enfants de Mdm de Staël. La noble délicatesse de lʼauteur de Corinne sut apprécier le sacrifice et dans Schlegel ne vit jamais [7] que lʼhomme éminent et lʼami dévoué. Il partagea sa vie errante et souvent tourmentée; avec elle il séjourna successivement à Coppet, en Italie, en France, à Vienne, en Russie, en Suede et enfin il ne se sépara de son illustre amie, quʼa Paris en 1817, le 14 Juillet, jour fatal pp
Von Ihrem Einfluß auf die schriftstellerischen Arbeiten der Frau von Staël heißt es: durant ces douze années dʼintimité, Schlegel exerça incontestablement une certaine influence sur la direction des traveaux et des idées de Mdm. de St. Sie hätte nichts geschrieben, ohne den Gegenstand vorher mit Ihnen streitend besprochen zu haben, et Schlegel, causeur polyglotte, abondant et également brillant dans toutes les langues, ne manquait jamais de relever le gant.
Hierauf kommt der Verfasser auf Ihre Vergleichung der Racineʼschen u. Euripidschen Phædra und auch hier lautet es besser, als von einem Franzosen erwartet werden sollte. Ce petit écrit, dʼun trés bon style, plain de science et dʼesprit, mais trop passionnée en faveur du poëte grec au détriment du poëte français, fit un grand scandale parmi tous les literateurs de lʼempire. Aber nun die merkwürdige Äusserung: il est de fait, que lʼécrit de Schlegel, qui était une monstruosité en 1807, qui eut eté une banalité en 1830, publié aujourdhui que nous assistons à une espèce de réaction dramatique, [8] serait presquʼencore une monstruosité. À mes yeux cʼest un morceau curieux, et qui, parmi plusieurs erreurs contient du grand nombre dʼobservations fines, judicieuses et assez étonnantes de la part dʼun étranger.
Von Ihren fameux cours de literature dramatique, traduit dans toutes les langues, et qui mérite à beaucoup dʼégards la réputation, quʼil obtint, heißt es: jamais la critique ne sʼétait élévée à cette hauteurs, à cet éclat; cʼest un mélange rare de science profonde, de large et brillante poësie. Besonders wird Ihre Darstellung der gesellschaftlichen Zustände in Griechenland gerühmt. Gegen das römische u. das italienische Theater sind Sie dem Verfasser zu streng, und in dem, was Sie von dem französischen sagen, sind Sie unter Sich Selbst geblieben; ja, Sie analysiren Racineʼn ungefähr, wie Laharpe Shakespeareʼn analysirt haben würde. Am unglücklichsten sind Sie jedoch im Verständniß von Molière, dessen Haupttalent Sie im Burleske-Komischen gefunden. Sie müssen kein Wort von Tartuffe u. vom Misanthrope gelesen haben, mein höchstgelehrter Freund. Nur in der Bewunderung vom Shakespeare sind Sie fanatisch. Ce nʼest dʼun bout à lʼautre quʼun hymne perpétuel.
Hierauf noch wenige Worte von Ihrer Verwicklung in das Exil der Frau von Stäel, von Ihrem Verhältniß zum Kronprinzen von Schweden, von Ihrer Schrift über das Continental-System, Ihrer Anstellung in Bonn und Ihren indischen Arbeiten. [9] Sie sind un des Indianistes les plus distinguès de lʼépoque. Ihre verschiedenen Werke in diesem Fach werden mit gebührender Anerkennung genannt.
Hierauf schließt der Verfasser: dʼaprès tout ce qui précède le lecteur ne saurait manquer de reconnaitre dans M. de Schl. poëte, critique, philologue, orientaliste et traducteur, une intelligence hors ligne, un homme dont le nom restera dans lʼhistoire litérarire de nos cinquante dernières années. Hätte er Zeit, würde er die Spuren Ihres Einflußes auf die moderne Critik in Deutschland u. in Frankreich weiter verfolgen. Der Fehler der Ihrigen habe darin gelegen, daß Sie Ihre Kräfte zersplittert. Sie hätten es selbst gefühlt, sagt er, und Ihr letztes Werk mit einem Bekenntniß geschlossen, mit dem auch er abbricht: ces essais sont comme des jalons plantès de distance en distance, le long de ma carrière litéraire, vers la fin de laquelle je dois mʼavouer, que jʼai beaucoup entrepris et achevè peu de choses.
So werden Sie zu guter Letzt mit Ihren eigenen Worten geschlagen und so geht es in Frankreich immer, wenn man zu bescheiden ist. Ich für mich habe mir hier eine solche Unbescheidenheit zur Aufgabe gemacht, daß ich nun allen Celebritäten des Landes das Haupt nicht umwende und selbst noch ungewiß bin, ob ich zu Quizot gehen werde. Ohnedieß wird auch unser Aufenthalt hier [10] nur kurze Zeit dauern, und müssen wir die Tage so sehr zu unsern Besuchen bei den Merkwürdigkeiten benutzen, daß wir die Nacht für unsre Ruhe nicht entbehren können.
Ausser den Verschönerungen von Paris habe ich kaum Fortschritte in Frankreich seit 1815 bemerken können. Desto befriedigter bin ich von Belgien. Hier ist seit dem ausserordentlich viel geschehen; denn auch dem König von Holland gebührt ein großer Antheil daran. Am meisten hat mich überrascht, daß mir die Civilisation überall älter vorgekommen ist, als am Rhein. Sollten die Kreutzüge nicht daran Theil haben, von denen der erste, geordnete Zug doch aus diesen Gegenden ausging, und von dem viele Personen der gebildeten Stände wieder zurückkehrten? Ich unterwerfe diesen Gedanken Ihrem Urtheil, mein hochverehrter Freund.
Ich hoffe, daß dieser Brief Sie in bester Gesundheit findet und seine Länge Sie nicht krank macht. Im Nothfall können Sie ihn ja ungelesen lassen und nur die besten Empfehlungen meiner Frau und die Ausdrücke der gewohnten Verehrung sich zueignen, mit der ich stets sein werde Ihr
v. Rehfues.
Wollen Sie mich mit einigen Worten erfreuen, bitte ich den Brief an meinen Schwager in Darmstadt zu adressiren:
Ober-App. Gerichtsrath von Hecht.
· Konzept , 08.09.1842
· Bonn, Universitäts- und Landesbibliothek
· S 1392 : 81
· Beilage , 08.09.1842
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