• Charlotte Ernst , Ludwig Emanuel Ernst to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Genf · Date: 30.12.1810
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Charlotte Ernst, Ludwig Emanuel Ernst
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Genf
  • Date: 30.12.1810
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-5
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,18,12
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,8 x 11,1 cm
  • Incipit: „[1] Dresden, d. 30. Decbr. 1810.
    Mein geliebtester Bruder vor ein paar Tagen haben wir eine Assignation auf die 200 r. [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
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[1] Dresden, d. 30. Decbr. 1810.
Mein geliebtester Bruder vor ein paar Tagen haben wir eine Assignation auf die 200 r. die ich dem Bruder Friedrich geliehen, und auch noch 23 r. drüber für Interreßen von dir erhalten, es schmerzt mich sehr dieß Geld von dir anzunehmen, dächte ich nicht daß es Pflicht ist almählich für mein Gustchen zu denken, so sollte mich nichts bewegen es anzunehmen, du guter Bruder der du schon für die Mutter so vil thust! – hat es dir aber die Geringste Incommodität gemacht es mir zu schicken, so war es sehr unrecht daß du es thatest, denn dein Wort daß es Gustchen einmal bekommen würde war mir genug, könnte ich nur Friedrichen die Hälfte der treuen Gesinnungen die du in diesem Stücke besitzest einflößen! Jetzt ist zwar der arme Mann höchst zu bedauern, aber was mir mis fällt, daß er in guten Zeiten nie daran denkt was er seinen Freunden alles vorher schuldig war, und sich so den Lebensgenüßen wie z. Ex. dem Wein trinken überläßt, zwar wohl nicht über seine Kräfte doch über seinen Beutel der guten Mutter schike ich bestimt Jährlich 8 Louis dʼor welches mich mit dem Umsatz ud dem Postgeld über 45 r. kömt, dieses ist doch auch immer ein kleiner Zufluß. wenn ich von andere ihre depense höre so bewundre ich, wie ich doch so wenig aus gebe Carl wie die Mutter schreibt, hat die letzten Jahre an 3000 r. gehabt, ud kein Pfenig über, ich begreife daß nicht, da sie doch über[2]nommen für das Kind welches sie zu sich genommen zu sorgen. Sie gewöhnen dieses Kind zu unmäßigen Foderungen, ud laßen ihr nichts womit sie diese einmal befriedigen kann, dieß nenne ich grausam. Sie schien halb und halb den Plan zu haben sie mir auf ein Jahr zu geben dieß habe ich aber abgelehnt, wollte nur Gott daß Carl erst wieder beßer steht, denn mit dem einschränken wird es nicht vil werden. Carl ist so ein treuer Mensch daß er sich eher zu todte arbeitet, ehe er sie klagen läßt. Mit Moritz seinem Sohn ist auch noch nichts entschieden, er giebt sich alle mögliche Mühe, doch fürchtet die Mutter daß es nichts helfen wird, der arme Moritz wenn er so 800 bis 1000 r. auf einem Brxxx herlegen soll! – er hält sich jetzt noch immer bey Carln auf. – Nun mein liebster Bruder nur sage mir einmal warum du mich so lange ohne alle Nachricht gelaßen, hast du meinen Brief nach Frankreich nicht bekommen? ich bin so xxx Angst um deinet willen gewesen, ich habe an Friedrich verschiedentlich darum geschrieben auch an die Mutter, aber nie eine Antwort bekommen, Schreibe mir doch ja genau wie es dir geht, wie du lebst ob du heiter bist, was du für Aussichten hast ud wie du deine Zeit in Frankreich zugebracht hast ich hätte gern öfterer geschrieben aber Briefe die sie wenig enthalten können wie die Meinigen scheue ich mich mit dem theuern Postgeld oft zu wiederholen, unser Lebensgang ist so ruhig daß sich wenig darüber sagen läßt. Wir könnten glücklich seyn, wenn das äußere sich nicht gewaltsam in das innre Familienleben eindräng. Mein [3] Gustchen ist gesund und wächst sehr stark sie ist so groß wie ich, so lange der Christmarkt dauert ist sie ein wahres Kind, ud genießt auch die Seligkeit eines Kindes, sie fabricirt ein Bäumchen ud einen Hanswurst für den Vater, andre Kleinigkeiten für ihre Freundinnen und schreibt dabey ganz in Wonne. Ich hoffe sie wird meiner Erziehung einmal Ehre machen, doch macht sie mir je[t]zt manches zu schaffen, dieß ist eine Periode wo die genaueste Aufsicht nöthig ist, die Umwandlung des Kindes zum Mädchen, doch freut mich ihre Unschuld und ihre völlige Aufrichtigkeit, es ist noch nie eine Lüge oder eine Uebertreibung aus ihrem Munde gekommen. Im zeichnen macht sie ernsthafte Fortschritte ich hoffe daß nie Eitelkeit ihr ganzes Thun und Wesen so beleben soll, wie es bey so vilen Frauenzimmern der Fall ist, wenigstens daß es sich nicht in den Beschäftigungen ihres Geistes einmischt, an ihrer Jugend mag sie gefallen haben, daß gestehe ich ihr recht gerne zu, und ich habe es gerne wenn sie ihr kleines Geschmeide wie sie es nennt anlegt, wenn wir ausgehn, jetzt habe ich ihr Ohrlöcher stechen lassen, sie mag es merken daß sie zu Weihnachten Ohrenringe bekommen soll, und betrachtet ihre kleinen Ringelchen mit einer wahren delice. Kannst du mir nicht etwas weitläuftig über den Druk des Werkes der Fr. v. Stael schreiben ich bin durch das was ich in den Zeitungen gelesen immer recht beunruhigt worden.
Der gute Runge hat nun seinen Lauf vol[4]lendet, er ist an der Auszehrung gestorben sein Geist war ganz mit seiner und Goethens Farbentheorie beschäftigt, dieß ist sein immer bleibender Gedanke gewesen ich hoffe also daß seine Krankheits tage für ihn nicht unglücklich gewesen sind, seine Frau war Schwanger mit dem 4 ten Kinde, er wünschte ihre Entbindung zu sehen, doch starb er früher, einige Tage nach seinem Tode kam sie nieder. Der Bruder wird sich ihrer annehmen Runge hat sich als ein herrlicher Mensch bewiesen, der wahrhaft vom Christenthume belebt war. Ich wollte ich wäre ihm näher gewesen in seinen letzten Jahren. Tiek lebt wieder bey Burgdorfs, Knorring hat ihn glaube ich von München flott gemacht, Burgdorfens Gesundheit ist delabril, er will nach Italien gehen mit seiner Frau, doch ohne Tieks, von der Bernhardin weiß ich gar nichts. Der gute Riquet an dem wir einen herrlichen Freund hier hatten wird uns verlaßen, ud wieder ins Preußische gehen. Nun leb wohl mein geliebtester Bruder, denke daß es bey meiner Liebe zu dir, nothwendig für mich ist, alles was dich betrift recht genau zu wißen, ich schmachte recht nach einen Brief, der liebe Ernst grüßt dich tausend mal, und dankt dir sehr für deine Sorgfalt mit dem Gelde, es schmerzt ihm auch daß du was bezahlst was du nicht empfangen hast. In Dresden ist dieß Jahr alles sehr still, es scheint eine große Niedergeschlagenheit zu herrschen, die Freude ist wirklich von der Erde entflohen. es ist mir wie eine fremdartige Erscheinung wenn ich nur einmal einen schwachen Wiederschein davon sehe, auch Gustchen empfiehlt sich deiner Liebe behalte sie in deinem Herzen
Charlotte Ernst
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[1] Dresden, d. 30. Decbr. 1810.
Mein geliebtester Bruder vor ein paar Tagen haben wir eine Assignation auf die 200 r. die ich dem Bruder Friedrich geliehen, und auch noch 23 r. drüber für Interreßen von dir erhalten, es schmerzt mich sehr dieß Geld von dir anzunehmen, dächte ich nicht daß es Pflicht ist almählich für mein Gustchen zu denken, so sollte mich nichts bewegen es anzunehmen, du guter Bruder der du schon für die Mutter so vil thust! – hat es dir aber die Geringste Incommodität gemacht es mir zu schicken, so war es sehr unrecht daß du es thatest, denn dein Wort daß es Gustchen einmal bekommen würde war mir genug, könnte ich nur Friedrichen die Hälfte der treuen Gesinnungen die du in diesem Stücke besitzest einflößen! Jetzt ist zwar der arme Mann höchst zu bedauern, aber was mir mis fällt, daß er in guten Zeiten nie daran denkt was er seinen Freunden alles vorher schuldig war, und sich so den Lebensgenüßen wie z. Ex. dem Wein trinken überläßt, zwar wohl nicht über seine Kräfte doch über seinen Beutel der guten Mutter schike ich bestimt Jährlich 8 Louis dʼor welches mich mit dem Umsatz ud dem Postgeld über 45 r. kömt, dieses ist doch auch immer ein kleiner Zufluß. wenn ich von andere ihre depense höre so bewundre ich, wie ich doch so wenig aus gebe Carl wie die Mutter schreibt, hat die letzten Jahre an 3000 r. gehabt, ud kein Pfenig über, ich begreife daß nicht, da sie doch über[2]nommen für das Kind welches sie zu sich genommen zu sorgen. Sie gewöhnen dieses Kind zu unmäßigen Foderungen, ud laßen ihr nichts womit sie diese einmal befriedigen kann, dieß nenne ich grausam. Sie schien halb und halb den Plan zu haben sie mir auf ein Jahr zu geben dieß habe ich aber abgelehnt, wollte nur Gott daß Carl erst wieder beßer steht, denn mit dem einschränken wird es nicht vil werden. Carl ist so ein treuer Mensch daß er sich eher zu todte arbeitet, ehe er sie klagen läßt. Mit Moritz seinem Sohn ist auch noch nichts entschieden, er giebt sich alle mögliche Mühe, doch fürchtet die Mutter daß es nichts helfen wird, der arme Moritz wenn er so 800 bis 1000 r. auf einem Brxxx herlegen soll! – er hält sich jetzt noch immer bey Carln auf. – Nun mein liebster Bruder nur sage mir einmal warum du mich so lange ohne alle Nachricht gelaßen, hast du meinen Brief nach Frankreich nicht bekommen? ich bin so xxx Angst um deinet willen gewesen, ich habe an Friedrich verschiedentlich darum geschrieben auch an die Mutter, aber nie eine Antwort bekommen, Schreibe mir doch ja genau wie es dir geht, wie du lebst ob du heiter bist, was du für Aussichten hast ud wie du deine Zeit in Frankreich zugebracht hast ich hätte gern öfterer geschrieben aber Briefe die sie wenig enthalten können wie die Meinigen scheue ich mich mit dem theuern Postgeld oft zu wiederholen, unser Lebensgang ist so ruhig daß sich wenig darüber sagen läßt. Wir könnten glücklich seyn, wenn das äußere sich nicht gewaltsam in das innre Familienleben eindräng. Mein [3] Gustchen ist gesund und wächst sehr stark sie ist so groß wie ich, so lange der Christmarkt dauert ist sie ein wahres Kind, ud genießt auch die Seligkeit eines Kindes, sie fabricirt ein Bäumchen ud einen Hanswurst für den Vater, andre Kleinigkeiten für ihre Freundinnen und schreibt dabey ganz in Wonne. Ich hoffe sie wird meiner Erziehung einmal Ehre machen, doch macht sie mir je[t]zt manches zu schaffen, dieß ist eine Periode wo die genaueste Aufsicht nöthig ist, die Umwandlung des Kindes zum Mädchen, doch freut mich ihre Unschuld und ihre völlige Aufrichtigkeit, es ist noch nie eine Lüge oder eine Uebertreibung aus ihrem Munde gekommen. Im zeichnen macht sie ernsthafte Fortschritte ich hoffe daß nie Eitelkeit ihr ganzes Thun und Wesen so beleben soll, wie es bey so vilen Frauenzimmern der Fall ist, wenigstens daß es sich nicht in den Beschäftigungen ihres Geistes einmischt, an ihrer Jugend mag sie gefallen haben, daß gestehe ich ihr recht gerne zu, und ich habe es gerne wenn sie ihr kleines Geschmeide wie sie es nennt anlegt, wenn wir ausgehn, jetzt habe ich ihr Ohrlöcher stechen lassen, sie mag es merken daß sie zu Weihnachten Ohrenringe bekommen soll, und betrachtet ihre kleinen Ringelchen mit einer wahren delice. Kannst du mir nicht etwas weitläuftig über den Druk des Werkes der Fr. v. Stael schreiben ich bin durch das was ich in den Zeitungen gelesen immer recht beunruhigt worden.
Der gute Runge hat nun seinen Lauf vol[4]lendet, er ist an der Auszehrung gestorben sein Geist war ganz mit seiner und Goethens Farbentheorie beschäftigt, dieß ist sein immer bleibender Gedanke gewesen ich hoffe also daß seine Krankheits tage für ihn nicht unglücklich gewesen sind, seine Frau war Schwanger mit dem 4 ten Kinde, er wünschte ihre Entbindung zu sehen, doch starb er früher, einige Tage nach seinem Tode kam sie nieder. Der Bruder wird sich ihrer annehmen Runge hat sich als ein herrlicher Mensch bewiesen, der wahrhaft vom Christenthume belebt war. Ich wollte ich wäre ihm näher gewesen in seinen letzten Jahren. Tiek lebt wieder bey Burgdorfs, Knorring hat ihn glaube ich von München flott gemacht, Burgdorfens Gesundheit ist delabril, er will nach Italien gehen mit seiner Frau, doch ohne Tieks, von der Bernhardin weiß ich gar nichts. Der gute Riquet an dem wir einen herrlichen Freund hier hatten wird uns verlaßen, ud wieder ins Preußische gehen. Nun leb wohl mein geliebtester Bruder, denke daß es bey meiner Liebe zu dir, nothwendig für mich ist, alles was dich betrift recht genau zu wißen, ich schmachte recht nach einen Brief, der liebe Ernst grüßt dich tausend mal, und dankt dir sehr für deine Sorgfalt mit dem Gelde, es schmerzt ihm auch daß du was bezahlst was du nicht empfangen hast. In Dresden ist dieß Jahr alles sehr still, es scheint eine große Niedergeschlagenheit zu herrschen, die Freude ist wirklich von der Erde entflohen. es ist mir wie eine fremdartige Erscheinung wenn ich nur einmal einen schwachen Wiederschein davon sehe, auch Gustchen empfiehlt sich deiner Liebe behalte sie in deinem Herzen
Charlotte Ernst
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