• August Wilhelm von Schlegel to Karl Gottlob von Anton

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Görlitz · Date: 16.08.1799
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Karl Gottlob von Anton
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Görlitz
  • Date: 16.08.1799
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Görlitz, Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften
  • Classification Number: OLB: Archiv OLGdW, KGvA 267
  • Number of Pages: 8 S., hs. m. U.
  • Incipit: „[1] Jena d. 16 Aug 99
    Kaum weiß ich ob ich es wagen darf, mein [ho]chgeehrtester Herr, nach einem so langen [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Bamberg, Claudia
  • Varwig, Olivia
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[1] Jena d. 16 Aug 99
Kaum weiß ich ob ich es wagen darf, mein [ho]chgeehrtester Herr, nach einem so langen [St]illschweigen auf Ihr schmeichelhaftes [un]d für mich sehr erfreuliches Schreiben [m]eine Stillschweigen Versäumniß noch wieder gut machen [zu] wollen. Wenigstens will ich keine Wen[du]ngen suchen um mich zu entschuldigen. [N]ur dieß: Ihr Brief traf mich unter den [Be]schäftigungen eines mir noch neuen Am[te]s, wobey meine übrigen litterarischen [Ar]beiten doch fortgingen. Nach dem ersten [un]willkührlichen Aufschub ging es, wie [es] oft zu gehen pflegt, daß die Verzögerung [se]lbst wieder Ursache der Verzögerung wurde. [S]ie sollen nun entscheiden, ob es besser [is]t, spät oder gar nicht.
Es hat mich sehr gefreut, daß Sie [m]einen Aufsatz Die Sprachen so vieler [A]ufmerksamkeit werth gehalten haben; [2] Ihre Bemerkungen darüber sind mir sehr belehrend gewesen, und ich will das was ich auf einige derselben zu antworten habe auf einem besondern Blatte beyfügen.
Sie trauen mir gütiger Weise weit mehr Kenntnisse in diesem Fache zu als ich wirklich besitze. So muß ich mich wegen Ihrer Anfrage, warum ich auf das Schwedische und die Slawischen Sprachen keine Rücksicht genommen, bloß mit meiner gänzlichen Unbekanntschaft entschuldigen. Überhaupt geht meine Sprachbetrachtung meistens vom poetischen Gebrauche der Sprachen aus, und es würde meinem Aufsatze sehr vortheilhaft gewesen seyn, wenn ich dabey einen Sprachkenner wie Sie hätte zu Rathe ziehen können. Über einen Punkt habe ich H. Büttner consultirt, der auch die Güte hatte, mir eine lange Bemerkung darüber aufzuschreiben. – Es ist doch recht Schade, daß Sie bey Ihrer Durchreise im [3] vorigen Sommer diesen Gelehrten nicht haben kennen lernen. Er wäre gewiß gegen Sie sehr mittheilsam gewesen. Kürzlich war ein Prediger Bernstein aus der Gegend von Gera hier, der etwas über die Geschichte von Japan arbeitet. Büttner ist nicht bloß in den Gegenstand tief mit ihm eingegangen, sondern hat ihm auch seine Papiere mitgegeben.
Ich bin sehr begierig, Ihre Meynung über eine Hypothese zu wissen, die ich im Athenaeum II B. 2 St. S. 306 u f. freylich nur flüchtig habe hinwerfen können. In so fern habe ich Sie schon für mich, daß Sie den alten Germaniern auch die eigentlichen Barden absprechen. Mir war dieses Zusammentreffen eine große Bestätigung meiner Zweifel, als ich vorigen Winter zum Behuf öffentlicher Vorlesungen über die Geschichte der Deutschen Poesie dasjenige prüfend durchging, was aus [4] Klopstocks dichterischer Behandlung in Verbind[un]g mit seinen historischen Noten dazu, in den herrschenden Vorstellungsarten von der Religion der alten Germanier, ihren Barde[n] u. s. w. übergegangen ist.
Die eben erwähnten Vorlesungen haben mich um so lebhafter für dieß Studium interessirt, und ich habe auch die Befried[i]gung gehabt, meinen Zuhörern eben dies[es] Interesse einzuflößen, und bis zum Schlusse ein vollbesetztes Auditorium z[u] haben. Ich habe den Plan, die wichtigsten Deutschen Dichter von den Zeiten der Minn[e]singer an bis auf Haller und Hagedor[n] in einer möglichst kompendiösen, lesbaren und brauchbaren Sammlung, mit Einleitungen u. s. w. zu liefern. Die Sac[he] war auch mit einem Verleger schon völlig in Richtigkeit gebracht, aber die[ser] will wegen der jetzt erneuerten schlimm[en] Kriegszeiten eine so weitläuftige Unte[r][5]nehmung lieber noch verschieben, und ich kann ihm darin freylich nicht Unrecht geben. Unterdessen gewinne ich Zeit meine Kenntnisse in diesem Fache immer mehr zu erweitern.
Unter manchen andern Vortheilen, die eine solche Sammlung gewiß verschaffen kann, hoffe ich auch den, daß die Praxis der alten Dichter auf die heutige Einfluß haben, und uns manche Freyheiten und Vorrechte der poetischen Sprache wieder erobern helfen soll, die in der Gottschedischen Epoche abgekommen [s]ind. So ist besonders im Flemming eine herrliche Kühnheit der Ausdrücke und Wendungen, Wortstellungen und Fügungen, die mir Nachfolge zu verdienen scheint.
Dürfte ich bey Gelegenheit anfragen [o]b die Görlizer Bibliothek seltne oder [m]erkwürdige Sachen zur Geschichte der Deutschen Poesie enthält?
Ihre neueste Schrift, die schon durch [6] ihren Titel so anziehende Untersuchungen verspricht, habe ich noch nicht Gelegenheit gehabt zu studiren, mir ihre Lesung aber auf die erste ruhige Zeit vorbehalten.
Mein Bruder hat mir aufgetragen Ihre Empfehlung bestens zu erwiedern. Ich bin mit vollkommenster Hochachtung
Euer Wohlgebohren
gehorsamster
AWSchlegel
[7] [G]egen die S. 23 gegebne allgemeine Charakteristik der Nordischen Sprachen führen Sie den Wohlklang der Polnischen und die Zartheit der Schwedischen an. Ich kann hier freylich gar nicht urtheilen, weil ich diese Sprachen nicht kenne; aber wenn in ihnen die Konsonanten die Vokale so sehr überwiegen, so muß ich doch [a]n ihrer musikalischen Beschaffenheit zweifeln, [...] beziehe mich auf das, S. 18 unten, gesagte.
S. 26. „Warum schreiben wir stürzt, stampfst, stürzet, stampfest, es ist durchaus falsch. Herbst hieß Herbest.“ Das letzte, und wo in ähnlichen Fällen ein e verloren gegangen ist, hätte ich wohl Lust in der Poesie wieder zu wagen, um mehre Formen der Wörter zu bekommen, die für sie so günstig ist. Aber [d]as Gesetz immer stürzet u. s. w. zu schreiben, durch [d]ie dritte Person aller Zeitwörter durchge[f]ührt, würde für den Dichter beym Versbau [e]in unerträglicher Zwang seyn.
[S.] 31. Minne ist allerdings auch ein sehr [8] schönes Wort, und ich wollte man könnte [statt] des unedlen und lächerlichen Wortes [Lieb]haber wie im Holländischen Beminner davon ableiten.
S. 37: Ich bin überzeugt daß lebéndig in alteren Zeiten lébendig ausgesprochen wurde, im Holl. heißt es noch so. Ich sollte glauben das Wort wäre nicht sowohl von lebend, als von Leben und der Eigenthumssylbe ig abgeleitet, u das d bloß Wohlklangs halber eingeschoben.
S. 40. Synonyme nahm ich hier nur im aesthetischen nicht im logischen Sinne.
S. 50. Ich glaube selbst, daß die Gotischen Verse des Ovid nicht Germanisch waren, und habe sie nur unter Klopstockischen Voraussetzungen dafür ausgegeben.
S. 56. Über den Mangel des Artikels beym Homer werden Sie in der Schrift von Reiz: de prosodiae Graecae accentus inclinatione mehres finden.
S. 28. Ihr Tadel ist sehr gegründet, so wie es da steht. Aber Sp auf der 13ten Z. ist ein Druckfehler für St.
[1] 71p ff Cxxxxxx
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[1] Jena d. 16 Aug 99
Kaum weiß ich ob ich es wagen darf, mein [ho]chgeehrtester Herr, nach einem so langen [St]illschweigen auf Ihr schmeichelhaftes [un]d für mich sehr erfreuliches Schreiben [m]eine Stillschweigen Versäumniß noch wieder gut machen [zu] wollen. Wenigstens will ich keine Wen[du]ngen suchen um mich zu entschuldigen. [N]ur dieß: Ihr Brief traf mich unter den [Be]schäftigungen eines mir noch neuen Am[te]s, wobey meine übrigen litterarischen [Ar]beiten doch fortgingen. Nach dem ersten [un]willkührlichen Aufschub ging es, wie [es] oft zu gehen pflegt, daß die Verzögerung [se]lbst wieder Ursache der Verzögerung wurde. [S]ie sollen nun entscheiden, ob es besser [is]t, spät oder gar nicht.
Es hat mich sehr gefreut, daß Sie [m]einen Aufsatz Die Sprachen so vieler [A]ufmerksamkeit werth gehalten haben; [2] Ihre Bemerkungen darüber sind mir sehr belehrend gewesen, und ich will das was ich auf einige derselben zu antworten habe auf einem besondern Blatte beyfügen.
Sie trauen mir gütiger Weise weit mehr Kenntnisse in diesem Fache zu als ich wirklich besitze. So muß ich mich wegen Ihrer Anfrage, warum ich auf das Schwedische und die Slawischen Sprachen keine Rücksicht genommen, bloß mit meiner gänzlichen Unbekanntschaft entschuldigen. Überhaupt geht meine Sprachbetrachtung meistens vom poetischen Gebrauche der Sprachen aus, und es würde meinem Aufsatze sehr vortheilhaft gewesen seyn, wenn ich dabey einen Sprachkenner wie Sie hätte zu Rathe ziehen können. Über einen Punkt habe ich H. Büttner consultirt, der auch die Güte hatte, mir eine lange Bemerkung darüber aufzuschreiben. – Es ist doch recht Schade, daß Sie bey Ihrer Durchreise im [3] vorigen Sommer diesen Gelehrten nicht haben kennen lernen. Er wäre gewiß gegen Sie sehr mittheilsam gewesen. Kürzlich war ein Prediger Bernstein aus der Gegend von Gera hier, der etwas über die Geschichte von Japan arbeitet. Büttner ist nicht bloß in den Gegenstand tief mit ihm eingegangen, sondern hat ihm auch seine Papiere mitgegeben.
Ich bin sehr begierig, Ihre Meynung über eine Hypothese zu wissen, die ich im Athenaeum II B. 2 St. S. 306 u f. freylich nur flüchtig habe hinwerfen können. In so fern habe ich Sie schon für mich, daß Sie den alten Germaniern auch die eigentlichen Barden absprechen. Mir war dieses Zusammentreffen eine große Bestätigung meiner Zweifel, als ich vorigen Winter zum Behuf öffentlicher Vorlesungen über die Geschichte der Deutschen Poesie dasjenige prüfend durchging, was aus [4] Klopstocks dichterischer Behandlung in Verbind[un]g mit seinen historischen Noten dazu, in den herrschenden Vorstellungsarten von der Religion der alten Germanier, ihren Barde[n] u. s. w. übergegangen ist.
Die eben erwähnten Vorlesungen haben mich um so lebhafter für dieß Studium interessirt, und ich habe auch die Befried[i]gung gehabt, meinen Zuhörern eben dies[es] Interesse einzuflößen, und bis zum Schlusse ein vollbesetztes Auditorium z[u] haben. Ich habe den Plan, die wichtigsten Deutschen Dichter von den Zeiten der Minn[e]singer an bis auf Haller und Hagedor[n] in einer möglichst kompendiösen, lesbaren und brauchbaren Sammlung, mit Einleitungen u. s. w. zu liefern. Die Sac[he] war auch mit einem Verleger schon völlig in Richtigkeit gebracht, aber die[ser] will wegen der jetzt erneuerten schlimm[en] Kriegszeiten eine so weitläuftige Unte[r][5]nehmung lieber noch verschieben, und ich kann ihm darin freylich nicht Unrecht geben. Unterdessen gewinne ich Zeit meine Kenntnisse in diesem Fache immer mehr zu erweitern.
Unter manchen andern Vortheilen, die eine solche Sammlung gewiß verschaffen kann, hoffe ich auch den, daß die Praxis der alten Dichter auf die heutige Einfluß haben, und uns manche Freyheiten und Vorrechte der poetischen Sprache wieder erobern helfen soll, die in der Gottschedischen Epoche abgekommen [s]ind. So ist besonders im Flemming eine herrliche Kühnheit der Ausdrücke und Wendungen, Wortstellungen und Fügungen, die mir Nachfolge zu verdienen scheint.
Dürfte ich bey Gelegenheit anfragen [o]b die Görlizer Bibliothek seltne oder [m]erkwürdige Sachen zur Geschichte der Deutschen Poesie enthält?
Ihre neueste Schrift, die schon durch [6] ihren Titel so anziehende Untersuchungen verspricht, habe ich noch nicht Gelegenheit gehabt zu studiren, mir ihre Lesung aber auf die erste ruhige Zeit vorbehalten.
Mein Bruder hat mir aufgetragen Ihre Empfehlung bestens zu erwiedern. Ich bin mit vollkommenster Hochachtung
Euer Wohlgebohren
gehorsamster
AWSchlegel
[7] [G]egen die S. 23 gegebne allgemeine Charakteristik der Nordischen Sprachen führen Sie den Wohlklang der Polnischen und die Zartheit der Schwedischen an. Ich kann hier freylich gar nicht urtheilen, weil ich diese Sprachen nicht kenne; aber wenn in ihnen die Konsonanten die Vokale so sehr überwiegen, so muß ich doch [a]n ihrer musikalischen Beschaffenheit zweifeln, [...] beziehe mich auf das, S. 18 unten, gesagte.
S. 26. „Warum schreiben wir stürzt, stampfst, stürzet, stampfest, es ist durchaus falsch. Herbst hieß Herbest.“ Das letzte, und wo in ähnlichen Fällen ein e verloren gegangen ist, hätte ich wohl Lust in der Poesie wieder zu wagen, um mehre Formen der Wörter zu bekommen, die für sie so günstig ist. Aber [d]as Gesetz immer stürzet u. s. w. zu schreiben, durch [d]ie dritte Person aller Zeitwörter durchge[f]ührt, würde für den Dichter beym Versbau [e]in unerträglicher Zwang seyn.
[S.] 31. Minne ist allerdings auch ein sehr [8] schönes Wort, und ich wollte man könnte [statt] des unedlen und lächerlichen Wortes [Lieb]haber wie im Holländischen Beminner davon ableiten.
S. 37: Ich bin überzeugt daß lebéndig in alteren Zeiten lébendig ausgesprochen wurde, im Holl. heißt es noch so. Ich sollte glauben das Wort wäre nicht sowohl von lebend, als von Leben und der Eigenthumssylbe ig abgeleitet, u das d bloß Wohlklangs halber eingeschoben.
S. 40. Synonyme nahm ich hier nur im aesthetischen nicht im logischen Sinne.
S. 50. Ich glaube selbst, daß die Gotischen Verse des Ovid nicht Germanisch waren, und habe sie nur unter Klopstockischen Voraussetzungen dafür ausgegeben.
S. 56. Über den Mangel des Artikels beym Homer werden Sie in der Schrift von Reiz: de prosodiae Graecae accentus inclinatione mehres finden.
S. 28. Ihr Tadel ist sehr gegründet, so wie es da steht. Aber Sp auf der 13ten Z. ist ein Druckfehler für St.
[1] 71p ff Cxxxxxx
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